Urteil des FG Hamburg vom 05.12.2013

FG Hamburg: ärztliche untersuchung, gespräch, psychiatrie, neurologie, gefahr, diagnose, gesundheitszustand, unternehmen, luft, verwaltungsakt

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--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
Der Dienstherr hat in der Aufforderung einer psychiatrischen Untersuchung (amtsärztliche Untersuchung)
eines Beamten anzugeben, ob neben einer Anamnese und einem psychiatrischen Gespräch auch
Testungen erfolgen sollen; welche Testungen im Einzelnen durchgeführt werden sollen, braucht er nicht
mitzuteilen.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 1. Senat, Beschluss vom 05.12.2013, 1 Bs 310/13
§ 41 BG HA, § 48 BBG
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7.
Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin richtet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg
vom 7. Oktober 2013, mit welchem der Antragsgegnerin bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens
untersagt wird, den Antragsteller auf der Grundlage der Untersuchungsaufforderung vom 20. Juni 2013 zu
einer ärztlichen Untersuchung zu laden.
Der 1969 geborene Antragsteller ist Kriminalkommissar im Dienst der Antragsgegnerin. Vor dem Hintergrund
eines seit 2008 bestehenden Arbeitsplatzkonfliktes wurde er am 9. Mai 2011 durch den Personalärztlichen
Dienst (PÄD) der Antragsgegnerin untersucht. Die von der begutachtenden Fachärztin für Psychiatrie für
erforderlich gehaltene psychologische Zusatzuntersuchung nahm der Antragsteller nicht wahr. Seit dem 24.
Januar 2011 übt er seinen Dienst nicht mehr aus.
Mit Verfügung vom November 2012 wurde der Antragsteller nach § 41 Abs. 1 Satz 2 HmbBG in den
Ruhestand versetzt, u.a. weil er wiederholt der Weisung zu einer amtsärztlichen Untersuchung nicht
nachgekommen sei. Nach einem erfolgreichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist das
diesbezügliche Widerspruchsverfahren derzeit beim Personalamt der Antragsgegnerin anhängig. Mit
inzwischen rechtskräftigem Urteil vom April 2013 (20 K 2637/11) stellte das Verwaltungsgericht Hamburg
fest, dass die unter dem 6. Mai 2010 ergangene Aufforderung an den Antragsteller, sich personalärztlich
untersuchen zu lassen, rechtsfehlerhaft ist, da sie den formalen Anforderungen der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts nicht genüge. Das im Oktober 2010 u.a. wegen der Weigerung des
Antragstellers, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, eingeleitete Disziplinarverfahren ruht derzeit. Das
Berufungsverfahren gegen das mit Bescheid vom März 2011 erfolgte Verbot der Führung der Dienstgeschäfte
ist derzeit am Hamburgischen Oberverwaltungsgericht anhängig (1 Bf 141/13).
Mit Schreiben vom 20. Juni 2013 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass eine gutachterliche
Untersuchung beim PÄD auf dem Fachgebiet Neurologie/Psychiatrie für den Antragsteller anberaumt worden
sei. Es solle die Dienst- und Polizeivollzugsdiensttauglichkeit des Antragstellers untersucht und eine
Aussage über den gesamten psychischen Zustand des Antragstellers getroffen werden. Sofern ein
Krankheitsbild vorliege, werde zudem um Auskunft über medizinische Maßnahmen zur Verbesserung des
denkbaren Krankheitsverlaufs gebeten. Hiergegen erhob der Antragsteller Widerspruch und begehrte
einstweiligen Rechtsschutz.
II.
Die statthafte und zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht nach § 146 Abs.
4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zum Erfolg der Beschwerde. Die dargelegten Gründe erschüttern
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nicht die Begründung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
1. Das Verwaltungsgericht hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
ausgeführt, die streitgegenständliche Untersuchungsaufforderung sei voraussichtlich rechtswidrig, weil diese
Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung nicht festlege. Erst mit der Antragserwiderung vom 11.
September 2013 habe die Antragsgegnerin die Art der Untersuchungen dahingehend spezifiziert, dass eine
Testung, eine Anamneseerhebung und ein psychiatrisches Gespräch erfolgen sollen.
Demgegenüber macht die Antragsgegnerin geltend, die Art der Untersuchung sei im Schreiben vom 20. Juni
2013 festgelegt, da dort eine Untersuchung auf dem Fachgebiet Neurologie/Psychiatrie angeordnet worden
sei. Der Umfang der geforderten ärztlichen Untersuchung sei in den Grundzügen spezifiziert, da eine
umfassende Untersuchung erbeten worden sei. Es liege in der Natur der Sache, dass eine Benennung von
Einschränkungen nicht möglich sei. Ausgehend von der fehlenden psychologischen Zusatzuntersuchung und
dem Ziel der Untersuchung, den gesamten psychischen Zustand des Antragstellers im Hinblick auf seine
Dienst- und Polizeivollzugsdiensttauglichkeit zu untersuchen, wisse der Antragsteller, dass bei der
angeordneten amtsärztlichen Untersuchung eine Testung und ein psychiatrisches Gespräch erfolgen werde.
Dieses Vorbringen erschüttert den angegriffenen Beschluss nicht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 30.5.2013, 2 C 68/11, ZBR 2013, 348,
juris Rn. 20, 22, 23), der das Beschwerdegericht zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit folgt, muss die
Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen
Untersuchung enthalten. Die Behörde darf dies - insbesondere bei fachpsychiatrischen Erhebungen zum
Lebenslauf des Beamten, die in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG erheblich
eingreifen - nicht dem Arzt überlassen. Nur wenn in der Aufforderung selbst Art und Umfang der geforderten
ärztlichen Untersuchung nachvollziehbar dargelegt sind, kann der Betroffene die Rechtmäßigkeit,
insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Aufforderung überprüfen. Dementsprechend muss sich der
Dienstherr bereits im Vorfeld der Aufforderung der amtsärztlichen Untersuchung in den Grundzügen darüber
klar werden, welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind. Auch kann eine
unzureichende Begründung nicht durch Nachschieben weiterer Gründe geheilt werden.
Zwar hat die Beklagte in der Aufforderung vom 20. Juni 2013 diesen Maßstäben des
Bundesverwaltungsgerichts insoweit genügt, als sie die Art der geforderten ärztlichen Untersuchung
dahingehend konkretisiert hat, dass sie eine Begutachtung auf dem Gebiet der Neurologie/Psychiatrie
angeordnet hat. Entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat die Antragsgegnerin
jedoch nicht den Umfang der ärztlichen Untersuchung, also welche ärztlichen Untersuchungen zur Klärung
des Gesundheitszustandes geboten sind, in der Aufforderung dargelegt. Welche ärztlichen Untersuchungen
erfolgen sollen, ist in der Aufforderung vom 20. Juni 2013 nicht benannt. Nach der genannten
Rechtsprechung ist es jedoch erforderlich, die ärztliche Untersuchung ihren Grundzügen nach zu benennen.
Zwar dürfte die Antragsgegnerin nicht verpflichtet sein, in der Aufforderung bereits anzugeben, welche
Testungen im Einzelnen durchgeführt werden sollen. Denn die vom Beamten abzuschätzende
Eingriffsintensität wird bereits durch die Art der Untersuchung - vorliegend Anamnese, psychiatrisches
Gespräch und Testungen - sowie deren Zielrichtung - hier die Klärung der Dienst- bzw.
Polizeidiensttauglichkeit, sowie mögliche Einschränkungen der Dienstfähigkeit - bestimmt. Ergeht die
Untersuchungsaufforderung kann der Beamte somit abwägen, ob diese rechtmäßig ist, d.h. ob die
angestrebten Untersuchungen erforderlich sind, um seinen Gesundheitszustand im Hinblick auf mögliche
dienstrechtliche Maßnahmen zu klären. Ist demnach eine Testung erforderlich, so ist nach dem Ergebnis des
Anamnesegesprächs und der konkreten Testsituation dem explorierenden Arzt zu überlassen, welcher Test
durchzuführen ist.
Die berechtigten Schutzinteressen des Beamten gebieten es nicht, bereits im Vorwege die geplanten
Testungen im Einzelnen zu benennen. Sollten einzelne Testungen methodisch nicht belastbar sein, wie dies
der Antragsteller befürchtet, so kann er diesen Umstand ohne Rechtsverlust später, z.B. im
Zurruhesetzungsverfahren, geltend machen. Diese Testungen sind - sollten sie sich als untauglich erweisen -
für den Dienstherrn ohne Erkenntniswert. Der Beamte ist demnach nicht in der Gefahr, ohne Grund
unwiderruflich nachteilige Erkenntnisse über sich preiszugeben. Müsste der Dienstherr bereits im Vorwege
festlegen, welche konkreten Tests durchgeführt werden sollen, so würde nicht nur das Verfahren unnötig
kompliziert, sondern es bestünde auch die Gefahr, dass dessen Zweck nicht mehr erreicht werden könnte.
Denn zum einen steht zu befürchten, dass sich der Beamte bei konkreter Bezeichnung der notwendigen
Testungen im Vorwege mit diesen beschäftigt und die Testergebnisse hierdurch beeinflusst werden. Die
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Testungen verlieren dann ihre Funktion, die Diagnose zu objektivieren sowie eine vollständige Diagnose zu
treffen. Zum anderen kann sich z.T. erst aus dem Anamnesegespräch die Notwendigkeit für bestimmte
Testungen ergeben, die dann - da sie nicht in der Aufforderung aufgeführt sind - eine weitere Aufforderung
durch den Dienstherrn erforderlich machen und erneut die Möglichkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes
eröffnen würden. Die dadurch ggf. eintretenden Verzögerungen dienen der Sache nicht. Denn der Beamte
kann während dieses Zeitraums wegen der Ungewissheit über seinen gesundheitlichen Zustand - auch zu
seinem Nachteil - regelmäßig nicht adäquat eingesetzt werden. Darüber hinaus kann sich in der Zwischenzeit
der psychische Zustand des Beamten erneut verändert haben, so dass dann erneute oder weitere Tests bzw.
Gespräche erforderlich wären.
Gemessen an den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Maßstäben hätte die Antragsgegnerin in der
Aufforderung jedoch (jedenfalls) angeben müssen, dass auf der Grundlage der Angaben des PÄD im
Schreiben vom 30. Mai 2013 eine Testung und eine Anamnese sowie ein psychiatrisches Gespräch
erforderlich sind. Der Einwand der Antragsgegnerin, der Antragsteller wisse, dass eine Testung und ein
psychiatrisches Gespräch erfolgen sollen, kann im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts nicht durchgreifen; nicht bei jeder angeordneten psychiatrischen bzw.
neurologischen Untersuchung werden derartige Testungen vorgenommen. Dass die Antragsgegnerin die
notwendigen Angaben in der Antragserwiderung vom 11. September 2013 aufgeführt hat, steht der vom
Verwaltungsgericht getroffenen Untersagungsanordnung nicht entgegen. Denn das Bundesverwaltungsgericht
hat die Regelungen in den Landesverwaltungsverfahrensgesetzen, nach welcher eine Verletzung von
Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nichtig macht, unbeachtlich ist, wenn die
erforderliche Begründung nachgereicht wird (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 2 HmbVwVfG), als nicht dem
Rechtsgedanken nach anwendbar angesehen (BVerwG, Urt. v. 30.5.2013, a.a.O., Rn. 20).
2. Im Hinblick auf die weiteren Ausführungen der Beteiligten weist das Beschwerdegericht auf folgendes hin:
Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 HmbBG ist der Dienstherr zu einer Untersuchungsaufforderung berechtigt, wenn
Zweifel an der Dienstfähigkeit des Beamten bestehen. Aufgrund hinreichend gewichtiger tatsächlicher
Umstände muss zweifelhaft sein, ob der Beamte wegen seines körperlichen Zustandes oder aus
gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amtes
zu erfüllen. Dies ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung
die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig. Der Aufforderung müssen
tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als nahe liegend
erscheinen lassen. Die Feststellung, die für die Aufforderung sprechenden Gründe "seien nicht aus der Luft
gegriffen", reicht für die Rechtmäßigkeit der Aufforderung nicht aus. Die Behörde muss die tatsächlichen
Umstände, auf die sie die Zweifel an der Dienstfähigkeit stützt, in der Aufforderung angeben. Der Beamte
muss anhand dieser Begründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen können, ob die
angeführten Gründe tragfähig sind. Er muss erkennen können, welcher Vorfall oder welches Ereignis zur
Begründung der Aufforderung herangezogen wird. Die Behörde darf insbesondere nicht nach der Überlegung
vorgehen, der Adressat werde schon wissen, "worum es geht" (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.5.2013, ZBR 2013,
348, juris Rn. 19, 20).
Zweifel an der Dienstfähigkeit bzw. Polizeidienstfähigkeit des Antragstellers sowie Einschränkungen seiner
dienstlichen Verwendbarkeit ergeben sich aus einer Gesamtschau der Vorgänge seit 2008. …(wird
ausgeführt)
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts aus §§ 53 Abs. 2 Nr.
1, 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.