Urteil des FG Hamburg vom 02.04.2014

FG Hamburg: einkünfte, liebhaberei, tierhaltung, prüfer, erlass, tierzucht, steuerfestsetzung, boxen, festsetzungsverjährung, einspruch

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Abgabenordnung, Einkommensteuer: Zurückstellung der Qualifizierung von Einkünften als
solche aus gewerblicher Tierhaltung gem. § 15 Abs. 4 EStG bei vorläufiger Steuerfestsetzung
Folgt das Finanzamt den Angaben eines Steuerpflichtigen, der mit ungewisser Einkünfteerzielungsabsicht eine
Pferdepensionshaltung betreibt, und stellt vorläufig Einkünfte aus Gewerbebetrieb gem. § 15 Abs. 1 EStG fest, kann es bei
Beseitigung der Ungewissheit über das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht die Einkünfte als solche aus gewerblicher
Tierhaltung gem. § 15 Abs. 4 EStG umqualifizieren. Die Entscheidung, ob gewerbliche Einkünfte im Sinne des § 15 Abs. 1
oder § 15 Abs. 4 EStG vorliegen, hat keinen Vorrang gegenüber der Frage, ob der Betrieb mit Einkünfteerzielungsabsicht
unterhalten wird. Sie kann daher bei einer vorläufigen Steuerfestsetzung zurückgestellt werden, solange das Vorliegen der
Einkünfteerzielungsabsicht ungewiss ist.
FG Hamburg 3. Senat, Urteil vom 02.04.2014, 3 K 244/13
§ 165 Abs 1 AO, § 165 Abs 2 AO, § 15 Abs 4 EStG
Verfahrensgang
Tatbestand
A.
Die Klägerin wendet sich gegen die Umqualifizierung der vorher festgestellten voll
verrechenbaren Verluste aus Gewerbebetrieb in nur beschränkt verrechenbare Verluste
aus gewerblicher Tierhaltung nach § 15 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) in den
Streitjahren 1999 bis 2005.
I.
1. a) Die Klägerin betreibt seit 1999 eine Pensionspferdehaltung. Wegen der
Vermietungsschwierigkeiten und um ein tragfähiges Zukunftskonzept zu erhalten, sind die
Gesellschafter im Jahr 2003 dazu übergegangen, Privatpferde zu erwerben und in den
nicht vermieteten Boxen unterzustellen.
b) Die Klägerin erklärte in den Streitjahren in den eingereichten Feststellungserklärungen
Verluste aus gewerblicher Tätigkeit (- 137.085,00 DM in 1999, - 355.181,00 DM in 2000; -
418.522,00 DM in 2001; -190.539,00 € in 2002; - 81.413,00 € in 2003; - 52.480,00 € in
2004 und -11.500,64 € in 2005).
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Das Finanzamt (FA) A erließ die Feststellungsbescheide mit lediglich einer geringfügigen
Abweichung in 1999 erklärungsgemäß aber sämtlich unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) sowie hinsichtlich der Einkünfte
aus der Pensionspferdehaltung vorläufig gem. § 165 Abs. 1 AO, weil "z. Zt. die
Einkünfteerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden kann".
2. Aufgrund der Prüfungsanordnung vom 23.09.2005 fand in der Zeit vom 26.09.2005 bis
zum 29.11.2005 eine die Jahre 1999 bis 2003 betreffende Betriebsprüfung durch das FA
A statt.
In dem Bericht über die Außenprüfung vom 24.02.2006 hielt der Betriebsprüfer B unter Tz.
6 "Liebhaberei Pensionspferdehaltung" Folgendes fest (Betriebsprüfungsakte -BpA- Bl.
10 - 12):
"Probleme:
Handelt es sich um vorübergehende unschädliche Anlaufverluste der ersten
Geschäftsjahre, die im späteren Geschäftsverlauf ausgeglichen werden können? Oder
stand von vornherein eindeutig fest, dass die Tätigkeit nicht geeignet war nachhaltig
Gewinne abzuwerfen? Sind die in 2003 durchgeführten Umstrukturierungen geeignet, den
Betrieb nachhaltig zu sanieren?
(...)
Anlaufverlust?
Dauerverluste sind Verluste dann, wenn aufgrund der bekannten Entwicklung des
Betriebs eindeutig feststeht, dass die Tätigkeit, so wie sie von der Stpfl. betrieben wird,
von vornherein nicht geeignet war, nachhaltig Gewinne zu erwirtschaften.
Nach Ansicht der Bp ist es mindestens zweifelhaft, ob der Betrieb in absehbarer Zeit in
der Lage ist, nachhaltig Gewinne zu erwirtschaften. Die aufgelaufenen Verluste sind nicht
durch erhöhte Investitionen und Vorleistungen entstanden, wie sie oft bei Betriebsbeginn
typisch sind.
Verlustursachen:
Trotz optimaler Bedingungen für Reiter und Pferd und div. Werbemaßnahmen konnte die
Auslastung der Boxen im Prüfungszeitraum nicht dauerhaft gesteigert werden.
(...)
Nach Abgabe der Einnahme-Überschußrechnung für 2006 ist endgültig zu prüfen, ob eine
Einkünfteerzielungsabsicht besteht bzw. ob die Totalgewinnprognose positiv ausfällt.
Es ist dann zu untersuchen, ob der tatsächliche Betriebsverlauf der Planentwicklung
entspricht. (...)
Das FA A erließ aufgrund der Feststellungen des Betriebsprüfers am 09.03.2006
Änderungsbescheide für die Jahre 1999 bis 2003. Die Bescheide ergingen wiederum
vorläufig gem. § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb, "da z. Zt.
die Einkünfteerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden kann".
3. a) Aufgrund der Prüfungsanordnung vom 09.09.2008 fand in der Zeit vom 27.10.2008
bis zum 25.11.2008 eine die Jahre 2004 bis 2006 betreffende Betriebsprüfung durch das
beklagte FA statt.
In ihrem Bericht über die Außenprüfung vom 26.11.2008 traf die Betriebsprüferin C
lediglich Prüfungsfeststellungen zur Umsatzsteuer in den Jahren 2004 bis 2006; nicht
jedoch im Hinblick auf die Einkünfteerzielungsabsicht (BpA Bl. 26 ff.).
b) aa) Auf einem Kontrollblatt Liebhaberei, in das sie zur Prüfungsvorbereitung die Höhe
der erklärten Einnahmen und Verluste eingetragen und angekreuzt hatte, dass die
Bescheide 2004 bis 2006 vorläufig ergangen waren, vermerkte die Prüferin
(Betriebsprüfungsarbeitsakte -BpAA- Bl. 46):
"Nach Rücksprache mit Frau D ist die Einstellung der privaten Pferde von E/F nicht
negativ zu werten. Die Umstrukturierungen des Betriebes sind also als erfolgreich zu
betrachten. Ab 2007 wird ein Gewinn erwirtschaftet. Daher kann der Betrieb nicht dem
Bereich der Liebhaberei zugeordnet werden."
bb) Im Rahmen der Erstellung des Prüfungsberichts fertigte die Prüferin C einen Vermerk
zum Thema Pferdehandel für den Innendienst (BpAA Bl. 184):
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"Im Rahmen der Prüfung wurde mit dem Steuerberater besprochen, dass die
Steuerpflichtige bzw. die Gesellschafter ab dem 01.01.2007 Aufzeichnungen zu den
Pferden, welche im Bestand von Frau F und Herrn E oder des G sind, führen müssen.
Diese Abmachung wurde im Prüfungsbericht im nachrichtlichen Teil festgehalten. Bei den
Pferden handelt es sich hauptsächlich um die eigenen Tiere, welche die Eheleute in die
leer stehenden Boxen des G eingestellt haben. Hierdurch haben Sie die Verluste des
Betriebes vermindert und ab 2007 (laut vorliegender Überschuss-Ermittlung) Gewinne
erwirtschaftet.
Für mich erscheint es sinnvoll den evtl. Pferdehandel hinsichtlich der Liebhaberei in ein
paar Jahren erneut zu überprüfen."
c) Bezüglich der Streitjahre 1999 bis 2005 führte die Betriebsprüfung zu keiner
Änderungen der Feststellungsbescheide. Die Betriebsprüferin hob für die Prüfungsjahre
den Vorbehalt der Nachprüfung auf, wobei sie für das nicht streitige Jahr 2006 keinen - im
Erstbescheid nicht enthaltenen - Vorläufigkeitsvermerk gem. § 165 Abs. 1 AO wegen
einer möglicherweise fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht hinzufügte.
4. Aufgrund der Prüfungsanordnung vom 09.02.2011 fand in der Zeit vom 09.02.2011 bis
zum 15.11.2011 eine die Jahre 2007 und 2008 betreffende Betriebsprüfung durch das
beklagte FA statt.
Der Betriebsprüfer H bejahte in seinem Bericht über die Außenprüfung vom 30.11.2011
das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht, kam aber zu dem Ergebnis, dass es sich
bei der ausgeübten Tätigkeit um gewerbliche Tierhaltung i. S. d. § 15 Abs. 4 EStG
handele (BpA Bl. 34 ff.).
Das beklagte FA erließ aufgrund der Feststellungen des Betriebsprüfers am 07.02.2012
Änderungsbescheide für die Streitjahre, in denen es jeweils Einkünfte aus
Gewerbebetrieb in Höhe von 0,00 € sowie die bisher festgestellten Verluste als Verluste
aus gewerblicher Tierzucht/Tierhaltung i. S. d. § 15 Abs. 4 EStG feststellte
(Rechtsbehelfsakte -RbA- Bl. 1 - 14).
II.
Gegen die Änderungsbescheide legte die Klägerin am 03.03.2012 Einspruch ein (RbA Bl.
24) und trug zur Begründung vor:
Die Betriebsprüferin C sei im Rahmen der von ihr durchgeführten Außenprüfung zu dem
Ergebnis gekommen, dass keine steuerliche Liebhaberei vorliege. Im Prüfungsbericht
befänden sich dazu zwar keine Aussagen, sie habe sich aber in mündlichen
Besprechungen während der Betriebsprüfung entsprechend geäußert. Dafür spreche
auch, dass die Prüferin den Verhalt der Nachprüfung in dem Änderungsbescheid 2006
aufgehoben habe. Hätte sie das Vorliegen einer steuerlichen Liebhaberei angenommen,
hätte sie den Bescheid bei der Aufhebung des Vorbehalts mit einem
Vorläufigkeitsvermerk gem. § 165 Abs. 1 AO versehen müssen. Aus der Tatsache, dass
die Feststellungsbescheide für 2007 und 2008 lediglich unter dem Vorbehalt der
Nachprüfung und nicht vorläufig gem. § 165 Abs. 1 AO ergangen seien, müsse
geschlossen werden, dass auch das FA nach der Betriebsprüfung durch Frau C die Frage
der Einkünfteerzielungsabsicht für abgeklärt gehalten habe.
Mit Einspruchsentscheidung vom 04.10.2013 wies das FA den Einspruch als
unbegründet zurück (RbA Bl. 44 ff.). Auch nach der Betriebsprüfung durch Frau C habe
nicht endgültig festgestanden, ob Liebhaberei vorliege oder nicht. Daher sei auch keine
Festsetzungsverjährung gem. § 171 Abs. 8 AO eingetreten.
III.
Am 04.11.2013 hat die Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung nimmt die Klägerin auf ihren Vortrag in dem Einspruchsverfahren Bezug
und trägt weiter vor:
Die vorgenommene Umqualifizierung der Einkünfte in Einkünfte gem. § 15 Abs. 4 EStG
sei unzulässig. Bezüglich der Streitjahre seien zuvor zwei Betriebsprüfungen durchgeführt
worden. Bis auf die im Betriebsprüfungsbericht durch den Prüfer B bewusst und nach
außen erkennbar offen gelassene Feststellung über das Vorliegen der
Einkünfteerzielungsabsicht sei durch die Betriebsprüfung ein Vertrauenstatbestand
geschaffen worden. Dieser habe dazu geführt, dass das FA nach der Betriebsprüfung
eine Berichtigung nach § 165 Abs. 2 AO nur noch als Punktberichtigung im Hinblick auf
die Einkünfteerzielungsabsicht, nicht jedoch für eine Umqualifizierung der Einkünfte in
solche nach § 15 Abs. 4 EStG habe vornehmen dürfen.
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Sie, die Klägerin, habe nach der Betriebsprüfung durch Frau C darauf vertraut, dass der
Problembereich der Einkünfteerzielungsabsicht geklärt und erledigt sei. Dass Frau C die
Vorläufigkeitsvermerke in den Bescheiden der Streitjahre nicht aufgehoben habe, sei
vermutlich ein Versehen.
Im Übrigen sei bereits Festsetzungsverjährung nach § 165 AO i. V. m. § 171 Abs. 8 AO
eingetreten, da seit dem Ende der Betriebsprüfung durch Frau C bis zum Erlass der
Änderungsbescheide am 07.02.2012 deutlich mehr als ein Jahr vergangen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Feststellungsbescheide für die Jahre 1999 bis 2005 vom 07.02.2012, jeweils in
Form der Einspruchsentscheidung vom 04.10.2013, aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA nimmt zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung Bezug.
Das Gericht hat im Erörterungstermin am 24.02.2014 Beweis erhoben durch
Zeugenvernehmung der Betriebsprüferin C. Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme und der weiteren Erörterungen wird auf den Inhalt des
Sitzungsprotokolls vom 24.02.2014 (FGA Bl. 42 ff.) Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin
einverstanden erklärt und auf mündliche Verhandlung verzichtet (FGA Bl. 49).
Dem Gericht haben jeweils Band I und II der Gewinnfeststellungs- und der
Betriebsprüfungsarbeitsakten, sowie jeweils ein Band Rechtsbehelfs- und
Betriebsprüfungsakten (St.-Nr. .../.../...) vorgelegen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin (§
79a Abs. 3 Finanzgerichtsordnung -FGO-) und ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2
FGO).
I.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die angefochtenen Feststellungsbescheide sind rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das FA durfte die
Feststellungsbescheide aufgrund des § 165 Abs. 2 Satz 2 AO ändern (1.);
Feststellungsverjährung war bei Erlass der Änderungsbescheide noch nicht eingetreten
(2.).
1. a) Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde
eine Feststellung aufheben oder ändern, soweit sie die Besteuerungsgrundlagen
vorläufig festgestellt hat. Dies kann gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz
1 AO geschehen, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für deren Entstehung
eingetreten sind. Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben (§ 165 Abs. 1 Satz
3 i. V. m. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO). Die (materielle) Bestandskraft des Steuerbescheids
bleibt in diesem Umfang (zunächst) offen (Beschluss des Bundesfinanzhof -BFH- vom
24.02.2009 IX B 176/08, BFH/NV 2009, 889).
Dagegen ist eine vorläufige Feststellung nach § 165 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 181 Abs. 1
Satz 1 AO aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären, wenn die Ungewissheit
beseitigt ist.
b) Wie die Ungewissheit in § 165 Abs. 1 Satz 1 AO, so muss sich dabei auch die
Gewissheit, die gewonnen wird, auf Tatsachen beziehen, die den gesetzlichen
Steuertatbestand verwirklichen (vgl. BFH-Urteil vom 12.03.1991 IX R 282/87, BFH/NV
1991, 506). Eine Unsicherheit in der steuerrechtlichen Beurteilung eines feststehenden
Sachverhaltes rechtfertigt die Anordnung der Vorläufigkeit nicht (BFH-Urteil vom
04.09.2008 IV R 1/07, BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335).
c) Die Ungewissheit in der Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht bezieht sich auf
eine "innere" Tatsache, die nur anhand äußerlicher Merkmale (Hilfstatsachen) beurteilt
werden kann. Es handelt sich dabei nach ständiger Rechtsprechung nicht um eine
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Unsicherheit in der steuerrechtlichen Beurteilung eines feststehenden Tatbestands (BFH-
Urteil vom 04.09.2008 IV R 1/07, BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335).
Die Einkünfteerzielungsabsicht ist nur dann i. S. des § 165 AO ungewiss, wenn die
maßgeblichen Hilfstatsachen nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden
können (BFH-Urteile vom 04.09.2008 IV R 1/07, BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335; vom
25.10.1989 X R 109/87, BFHE 159, 128, BStBl II 1990, 278).
d) Bestehen in tatsächlicher Hinsicht Ungewissheiten über die Voraussetzungen des
gesetzlichen Steuertatbestandes und ist - wie im Streitfall - für eine bestimmte Betätigung
(hier die Pferdepensionshaltung) deren steuerliche Beurteilung (hier die konkrete
Einkunftsart) vorrangig von einer Hauptfrage (nämlich dem Vorliegen einer
Einkünfteerzielungsabsicht) abhängig, kann das FA nachrangige Ermittlungen und
Nachprüfungen zurückstellen, solange offen ist, ob ihnen bei der Steuerfestsetzung
überhaupt eine Bedeutung zukommt (BFH-Urteil vom 15.09.2010 X R 16/08, BFH/NV
2011, 33; BFH-Beschluss vom 22.12.1987 IV B 174/86, BFHE 152, 43, BStBl II 1988,
234). In diesem Rahmen kann das FA auch nachrangige Fehlbeurteilungen des
Steuerpflichtigen vorläufig hinnehmen, unabhängig davon, ob die betreffenden
Besteuerungsgrundlagen mit Ungewissheiten behaftet waren oder nicht (BFH-Urteil vom
27.11.1996 X R 20/95, BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791). Folgt das FA mit der
vorläufigen Steuerfestsetzung zunächst den rechtlichen Vorstellungen des
Steuerpflichtigen, kann dieser in nachrangigen Einzelfragen auch dann nicht mit einem
Fortbestand der rechtlichen Beurteilung rechnen, wenn sich das FA in der vorrangigen
Hauptfrage nach Beseitigung der tatsächlichen Ungewissheit anders entscheidet (BFH-
Urteil vom 17.03.2010 IV R 60/07 BFH/NV 2010, 1446; BFH-Beschluss vom 13.10.2009 X
B 55/09, BFH/NV 2010, 168).
e) Bezieht sich die tatsächliche Ungewissheit ausschließlich auf eine Vorrangfrage und
stellt das FA im Hinblick hierauf die Prüfung aller nachrangigen und von der
Beantwortung der Vorrangfrage rechtlich abhängigen Folgefragen zurück, kann die
Änderung des vorläufigen Steuerbescheids insoweit nicht auf Satz 2 des § 165 Abs. 2 AO
gestützt werden, sondern allein auf Satz 1 der vorbezeichneten Vorschrift. Dies führt zu
einer kumulativen Anwendung der Sätze 1 und 2 des § 165 Abs. 2 AO bei Erlass des
endgültigen Bescheids (vgl. BFH-Beschluss vom 22.12.1987 IV B 174/86, BFHE 152, 43,
BStBl II 1988, 234).
f) aa) Nach diesen Grundsätzen war das FA nicht nur berechtigt (§ 165 Abs. 2 Satz 1 AO),
sondern vielmehr verpflichtet (§ 165 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO), geänderte
Feststellungsbescheide zu erlassen. Die ursprünglichen Feststellungen ergingen
vorläufig und wurden mangels Anfechtung formell bestandskräftig und wirksam.
bb) Die tatsächliche Ungewissheit wurde im Streitfall nicht bereits durch die Prüfungen
des Prüfers B und der Prüferin C, sondern erst durch die Feststellungen im Rahmen der
am 09.02.2011 begonnenen (dritten) Betriebsprüfung durch Herrn H beseitigt. Erst in
diesem Zeitpunkt konnte die Vorrangfrage - das Vorliegen einer
Einkünfteerzielungsabsicht - und daran anschließend die Folgefrage der Einordnung der
Einkünfte als solche aus gewerblicher Tierzucht/Tierhaltung beantwortet werden.
aaa) Im Rahmen der ersten Betriebsprüfung durch den Prüfer B vom FA A wurden keine
abschließenden Feststellungen zur Einkünfteerzielungsabsicht getroffen, so dass dieser
Prüfungspunkt im Betriebsprüfungsbericht auch explizit als noch ungeklärt behandelt
wurde (oben A.I.2.).
bbb) Auch durch die Prüferin C wurde die Unsicherheit bezogen auf die
Einkünfteerzielungsabsicht nicht beseitigt. Zwar enthält der Prüfungsbericht vom
26.11.2008 keinen - wie im Prüfungsbericht des Prüfers B vom 24.02.2006 enthaltenen -
ausdrücklichen Hinweis darauf, dass die endgültige Würdigung dieses Prüfungspunkts
noch aussteht. Die Zeugin C hat in ihrer Zeugenvernehmung aber nachvollziehbar
dargelegt, dass sie sich zu einem derartigen Hinweis nicht veranlasst sah, da sich aus
dem Kontext ihrer übrigen Prüfungsfeststellungen sowie dem Umstand, dass sie -
bewusst - für die Prüfungsjahre den in den Ausgangsbescheiden für 2004 und 2005
enthaltenen Vorläufigkeitsvermerk nicht aufgehoben habe, aus ihrer Sicht hinreichend
deutlich ergeben habe, dass der Aspekt Liebhaberei noch nicht abschließend habe
geklärt werden können. Frau C bekundete, bei dem Vermerk auf dem Kontrollblatt
Liebhaberei habe es sich lediglich um eine Gedächtnisstütze gehandelt. Sie habe mit
ihrer Vorgesetzten, Frau D, besprochen, welche Wirkungen die Einstellung der
Privatpferde habe. Sie seien zu der Überzeugung gelangt, dass dies lediglich als
Hilfsmaßnahme zu bewerten sei, bis es der Klägerin wirtschaftlich besser gehe. Sie sei
davon ausgegangen, dass ein dritter Prüfer sich die gesamte wirtschaftliche Entwicklung
noch einmal ansehen müsse, deshalb habe sie auch die Vorläufigkeitsvermerke nicht
aufgehoben.
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Diese Äußerungen der Zeugin werden dadurch bestätigt, dass sie für die Jahre 2004 und
2005 zwar den Vorbehalt der Nachprüfung, nicht aber die jeweiligen
Vorläufigkeitsvermerke aufhob. Den Umstand, dass sie für das nicht streitige Jahr 2006
den - im Ausgangsbescheid nicht enthaltenen - Vorläufigkeitsvermerk bei der
Änderungsveranlagung nicht zufügte, hat die Zeugin nachvollziehbar damit erklärt, dass
sie seinerzeit davon ausgegangen sei, dass auch der Ausgangsbescheid für 2006 einen
derartigen Vorläufigkeitsvermerk bereits enthalten habe. Diese derzeitige Sicht auf die
Dinge durch die Zeugin wird gestützt durch ihre handschriftlichen Notizen im Rahmen der
Vorbereitung auf dem Kontrollblatt Liebhaberei, bei denen sie für alle Prüfungsjahre
angekreuzt hatte, dass die Bescheide vorläufig ergangen seien (oben A.I.3.b. aa)).
ccc) Erst im Zeitpunkt der dritten Betriebsprüfung war der Prüfer H in der Lage, das
Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht abschließend zu beurteilen. Nach der
Beantwortung dieser Vorrangfrage hat er sich zulässigerweise mit der Folgefrage befasst,
ob die von der Klägerin erzielten Einkünfte solche aus gewerblicher Tierzucht/Tierhaltung
i. S. d. § 15 Abs. 4 EStG sind.
(1) Der Prüfer ist - das ist zwischen den Beteiligten unstreitig - zutreffend zu der Ansicht
gelangt, dass Einkünfte i. S. d. § 15 Abs. 4 EStG vorliegen. Insoweit handelte es sich auch
um eine Folgefrage, deren Beantwortung zulässigerweise zurückgestellt war, weil über
die Qualifizierung der Einkunftsart nicht Klarheit bestehen, bevor über die Frage der
Einkünfteerzielungsabsicht entschieden werden kann (anders bei der Frage, ob der
Gewinn nach Durchschnittssätzen zu ermitteln ist, vgl. BFH-Urteil vom 17.03.2010 IV R
60/07, BFH/NV 2010, 1446). Das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht ist vielmehr
eine zwingende Voraussetzung für die Annahme von Einkünften aus gewerblicher
Tierzucht/Tierhaltung i. S. d. § 15 Abs. 4 Satz 1 EStG ist (vgl. Wacker in Schmidt, EStG,
32. Aufl. § 15 Rn. 896).
2. Die angefochtenen Feststellungsbescheide für die Streitjahre vom 07.02.2012 sind
nicht nach Ablauf der Feststellungsfrist ergangen.
a) Die Feststellungsfrist beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. § 181 Abs. 1
Satz 1 AO). Wenn wie hier aufgrund der § 181 Abs. 2 Nr.1 i. V. m. § 180 Abs. 1 lit. a AO für
die Streitjahre Feststellungserklärungen abzugeben sind, beginnt die Festsetzungsfrist
nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die
Steuererklärung eingereicht wird.
Die Feststellungserklärungen wurden für 1999 bis 2004 bis März 2006 und für 2005 im
Februar 2008 abgegeben. Die Feststellungsfrist hätte daher für 1999 bis 2004 regulär
spätestens mit Ablauf des Jahres 2010 - und damit vor Erlass der angefochtenen
Änderungsbescheide - und für 2005 mit Ablauf des Jahres 2012 geendet.
b) Dem Ablauf der Festsetzungsfrist steht aber in allen Jahren entgegen, dass die
Feststellungsbescheide vorläufig nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO ergangen sind.
aa) Wurde die Steuer vorläufig nach § 165 AO festgesetzt, so endet die Festsetzungsfrist
nach § 171 Abs. 8 Satz 1 AO nicht vor Ablauf eines Jahres, nachdem die Ungewissheit
beseitigt ist und die Finanzbehörde hiervon Kenntnis erhalten hat.
Für den Beginn der Jahresfrist des § 171 Abs. 8 Satz 1 AO kommt es auf die positive
Kenntnis von der Beseitigung der Ungewissheit an. Ein bloßes "Kennenmüssen" von
Tatsachen, die das FA bei pflichtgemäßem Ermitteln erfahren hätte, steht der Kenntnis
nicht gleich (BFH-Urteil vom 26.08.1992 II R 107/90, BFHE 169, 9, BStBl II 1993, 5).
Welche Ungewissheit maßgebend ist, ergibt sich aus § 165 AO (BFH-Urteil vom
04.09.2008 IV R 1/07, BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335).
bb) Eine Unsicherheit nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO im Tatsächlichen ist dann gegeben,
wenn fraglich ist, ob ein Steuerpflichtiger mit Einkünfteerzielungsabsicht tätig geworden
ist oder ob stattdessen Liebhaberei vorliegt. Sie ist beseitigt, wenn die für die Beurteilung
der Einkünfteerzielungsabsicht maßgeblichen Hilfstatsachen festgestellt werden können
und das FA davon positive Kenntnis hat (BFH-Urteil vom 21.08.2013 X R 20/10, juris).
aaa) Die Beseitigung der Ungewissheit über die Einkünfteerzielungsabsicht liegt nach der
Rechtsprechung des BFH beispielsweise vor, wenn ein Unternehmer seinen Betrieb
verkauft oder aufgibt und das FA davon Kenntnis hat. Keine Beseitigung der
Ungewissheit liegt dagegen bei Umstrukturierungsmaßnahmen im Rahmen eines
fortbestehenden Betriebs vor (vgl. BFH-Urteil vom 21.08.2013 X R 20/10, juris).
bbb) Angewandt auf den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus, dass die seit 2003
vorgenommene Einstellung der Privatpferde - lediglich - eine
Umstrukturierungsmaßnahme in der weiterhin bestehenden Pensionspferdehaltung
darstellte. Die Ungewissheit über das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht der
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Klägerin wurde nicht bereits im Rahmen der Betriebsprüfung durch Frau C beseitigt,
sondern dauerte anschließend fort. Die Ablaufhemmung aus § 171 Abs. 8 Satz 1 AO
endete folglich (noch) nicht. Festsetzungsverjährung für die Streitjahre ist nicht
eingetreten.
II.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
2. Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) sind nicht ersichtlich.
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