Urteil des FG Hamburg vom 17.12.2013

FG Hamburg: abgabenordnung, steuerfestsetzung, zugang, ermessen, akteneinsichtsrecht, daten, aufwand, ausschluss, informationspflicht, vollstreckungsverfahren

1
2
--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
1. Ein Insolvenzverwalter hat nach den Vorschriften des Hamburgischen Transparenzgesetzes keinen
Anspruch auf Einsichtnahme in die den Insolvenzschuldner betreffende finanzbehördliche
Vollstreckungsakte.
2. Die grundsätzlich gemäß § 1 Abs. 2 HmbTG bestehende Informationspflicht der nach dem Gesetz
auskunftspflichtigen Stellen gegenüber jeder Person ist gemäß § 5 Nr. 4 HmbTG für Vorgänge der
Steuerfestsetzung und Steuererhebung ausgeschlossen. Der Ausschluss umfasst alle Vorgänge der
Steuerverwaltung, die unmittelbar die Bestimmung und Durchsetzung der Steuerforderung im konkreten
Einzelfall betreffen.
3. § 5 Nr. 4 HmbTG eröffnet der Steuerbehörde keine Möglichkeit über den Zugang zu den Vorgängen der
Steuerfestsetzung und Steuererhebung im Ermessenswege zu entscheiden.
Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 3. Senat, Urteil vom 17.12.2013, 3 Bf 236/10
§ 1 Abs 2 TranspG HA, § 5 Nr 4 TranspG HA
Verfahrensgang
vorgehend VG Hamburg, 27. August 2010, Az: 7 K 429/09, Urteil
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27. August 2010 ergangene
Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der auf Grund des Urteils vollstreckbaren
Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der jeweils zu
vollstreckenden Kosten leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Frau T… (handelnd unter ehemals: … ) bestellte Kläger
begehrt Zugang zu den Informationen in der die Insolvenzschuldnerin betreffenden finanzbehördlichen
Vollstreckungsakte.
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 beantragte der Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter bei
der Beklagten unter Bezugnahme auf das damals geltende Hamburgische Informationsfreiheitsgesetz
Einsicht in die Vollstreckungsakte des Finanzamtes bezüglich der Insolvenzschuldnerin. Unter dem 7.
Oktober 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ein Akteneinsichtsrecht sei im Bereich der
Steuerverwaltung nicht vorgesehen. Allenfalls könnten die zur Erfüllung steuerlicher Pflichten notwendigen
Unterlagen zur Verfügung gestellt werden. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 begründete die Beklagte ihre
ablehnende Haltung zusätzlich damit, dass sie das Steuergeheimnis zu wahren habe. Der Kläger erwiderte,
das Steuergeheimnis könne ihm gegenüber nicht eingewandt werden, da dieses vor der Preisgabe von
Steuerdaten an unbefugte Dritte schütze, er aber als Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes an die Stelle
der steuerpflichtigen Schuldnerin getreten sei. Das Hamburgische Informationsfreiheitsgesetz verlange auch
nicht die Darlegung einer steuerlichen Notwendigkeit für die Akteneinsicht. Daraufhin lehnte die Beklagte mit
Bescheid vom 21. November 2008 den Antrag des Klägers ab und führte zur Begründung aus, das
Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, auf das das Hamburgische Informationsfreiheitsgesetz von 2006
verweise, schließe in § 3 Nr. 4 einen Informationszugang aus, wenn die Information einem besonderen
Amtsgeheimnis unterliege. Dies sei hier wegen des Schutzes des Steuergeheimnisses nach § 30
Abgabenordnung (AO) der Fall. In der Rechtsmittelbelehrung wies die Beklagte darauf hin, dass der Bescheid
3
4
6
9
10
5
7
8
mit dem Einspruch angefochten werden könne. Daraufhin legte der Kläger am 27. November 2008 Einspruch
ein, den die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2009 als unbegründet zurückwies.
Ergänzend zu den bereits gemachten Ausführungen stützte sich die Beklagte auf § 1 Abs. 3 IFG (Bund). Zu
den hiernach dem Informationsfreiheitsgesetz vorgehenden Regelungen in anderen Rechtsvorschriften gehöre
die Abgabenordnung. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Beschl. v. 4.6.2003,
BFHE 202, 231) meinte die Beklagte, der Bundesgesetzgeber habe es ausdrücklich abgelehnt, den
Steuerpflichtigen in der Abgabenordnung ein allgemeines Akteneinsichtsrecht während des
Verwaltungsverfahrens einzuräumen. Damit liege ein absichtsvoller Regelungsverzicht vor, mit dem der
Gesetzgeber eine abschließende Regelung für Akteneinsichtsrechte im Bereich der Abgabenordnung
getroffen habe. Somit träten die Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes hinter die Negativregelung der
Abgabenordnung zurück. Das Finanzamt könne zwar nach Ermessen in Einzelfällen Einsicht in Steuerakten
gewähren, hierfür müsse jedoch ein berechtigtes Interesse bestehen, welches der Kläger nicht vorgetragen
habe.
Der Kläger hat am 24. Februar 2009 Klage beim Verwaltungsgericht Hamburg erhoben. Er hielt daran fest, ein
Akteneinsichtsrecht aus § 1 Abs. 1 HmbIFG von 2006 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG (Bund) zu haben. Selbst
wenn das neu erlassene Hamburgische Informationsfreiheitsgesetz von 2009 anzuwenden sein sollte, sei
sein Akteneinsichtsrecht nicht durch § 3 Abs. 2 Nr. 5 dieses Gesetzes ausgeschlossen. Der dort geregelte
Ausschluss eines Informationszugangs für Vorgänge der Steuererhebung und Steuerfestsetzung erfasse
nicht die Vorgänge der Vollstreckung, in die er Einsicht begehre. Dies ergebe sich aus der Abgabenordnung,
in der die Vollstreckung eigenständig im 6. Teil (§§ 249 ff. AO) geregelt sei, während die Steuererhebung im
5. Teil (§§ 218 ff. AO) und die Steuerfestsetzung im 4. Teil, 3. Abschnitt (§§ 155 ff. AO), geregelt sei.
Nachdem die Beklagte Bedenken gegen die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs geäußert hatte, entschied
das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. Mai 2010, dass der Verwaltungsrechtsweg der zulässige
Rechtsweg sei. Hiergegen wurde kein Rechtsmittel eingelegt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. August 2010 hat der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. November 2008 und des
Einspruchsbescheides vom 12. Februar 2009 zu verpflichten, dem Kläger Zugang zu den über Frau
T… vorhandenen Informationen zu gewähren und diesen Zugang in Form von Akteneinsicht zu
gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, einem Anspruch auf Informationszugang nach dem Hamburgischen Informationsfreiheitsgesetz
stehe nach dem nunmehr neu erlassenen Gesetz von 2009 der Ausschlusstatbestand von § 3 Abs. 2 Nr. 5
HmbIFG entgegen. Unter diesen Ausschlusstatbestand für Vorgänge der Steuererhebung und
Steuerfestsetzung seien auch die Vollstreckungsvorgänge zu fassen. Eine Orientierung am
Inhaltsverzeichnis der Abgabenordnung, wie sie der Kläger vornehme, würde zu dem widersinnigen Ergebnis
führen, dass kein Informationszugang zu den Vorgängen des Festsetzungsverfahrens bestünde, sehr wohl
aber zu den Vorgängen des Betriebsprüfungs- und des Feststellungsverfahrens.
Mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 27. August 2010 hat das Verwaltungsgericht die Klage
abgewiesen. Soweit der Kläger Informationszugang zu den über die Insolvenzschuldnerin vorhandenen
Informationen begehre, die sich nicht in der Vollstreckungsakte befänden, sei die Klage mangels eines
durchgeführten Vorverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO unzulässig. Denn der Kläger habe im
Verwaltungsverfahren lediglich einen Antrag auf Akteneinsicht in die Vollstreckungsakte gestellt. Hinsichtlich
derjenigen Informationen, die sich in der Vollstreckungsakte befänden, sei die Klage unbegründet. Die
begehrten Informationen seien nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 HmbIFG (in der Fassung von 2009) von dem nach dem
Gesetz eröffneten Informationsanspruch nicht umfasst. Dies ergebe sich aus einer verfassungskonformen
Auslegung. Denn die gemäß Art. 31 GG höherrangige Abgabenordnung regele den Informationszugang
abschließend. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Beschl. v. 4.6.2003, BFHE
202, 231) meint das Verwaltungsgericht, das Fehlen der Regelung eines allgemeinen Anspruchs auf
Akteneinsicht in der Abgabenordnung sei als absichtsvoller Regelungsverzicht des Bundesgesetzgebers zu
sehen. Für eine weite Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 5 HmbIFG spreche auch die Gesetzessystematik, da es
sich gerade nicht um eine – eng auszulegende – Ausnahmevorschrift handle. Auch die
Entstehungsgeschichte deute auf ein weites Verständnis der Norm hin, weil sich in der Gesetzesbegründung
für das Hamburgische Informationsfreiheitsgesetz kein Verweis auf eine systematische Angliederung an
11
12
13
15
18
14
16
17
einzelne Teile der Abgabenordnung finde. Vielmehr spreche der in der Begründung verwendete Begriff der
„Steuerakten“ für einen umfassend erstrebten Schutz der Steuerdaten.
Auf den fristgerecht vom Kläger gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung hat das
Oberverwaltungsgericht Hamburg mit Beschluss vom 14. Dezember 2011 die Berufung wegen ernstlicher
Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts zugelassen, soweit es um Informationen aus
der steuerlichen Vollstreckungsakte der Insolvenzschuldnerin geht. Die auf die höchstrichterliche
finanzgerichtliche Rechtsprechung gestützte Auffassung des Verwaltungsgerichts über den absichtsvollen
Regelungsverzicht des Bundesgesetzgebers hinsichtlich von Auskunfts- und Einsichtsrechten nach der
Abgabenordnung sei vor dem Hintergrund der neueren Regelungen der Informationsfreiheitsgesetze
überprüfungsbedürftig.
Der Kläger stützte sich in seiner rechtzeitig begründeten Berufung zunächst noch auf das Hamburgische
Informationsfreiheitsgesetz von 2009 und führte zum Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 5 aus, der
Wortlaut stelle eindeutig nicht auf das Vollstreckungsverfahren ab. Zudem differenziere § 3 Abs. 2 HmbIFG
im Unterschied zur Regelung des Bundes zwischen Ausnahmen nach Bereichen (Nr. 1 - 4) und Ausnahmen
nach Unterlagen (Nr. 5). Verfassungsrechtlich sei eine Ausweitung des § 3 Abs. 2 Nr. 5 HmbIFG nicht
geboten. Der Bundesgesetzgeber habe sich im Gesetzgebungsverfahren zur Abgabenordnung mit den
Bezügen des § 30 AO zu § 29 VwVfG auseinandergesetzt, nicht aber mit dem auf dem demokratischen
Transparenzgebot beruhenden allgemeinen Informationszugangsrecht. Verfassungsrechtlich sei vielmehr zu
beachten, dass hinter dem Informationsanspruch Art. 12 Abs. 1 GG stehe. Die Vorenthaltung der
notwendigen Auskunft stelle einen Eingriff in die Berufsausübung dar.
Nach Inkrafttreten des Hamburgischen Transparenzgesetzes vom 19. Juni 2012 (HmbGVBl. S. 271 –
HmbTG), das das Hamburgische Informationsfreiheitsgesetz vom 2009 abgelöst hat, beruft sich der Kläger
nunmehr auf das neue Gesetz. Hierzu ergänzt er, dass § 5 Nr. 4 HmbTG, wonach keine Informationspflicht
für Vorgänge der Steuerfestsetzung und Steuererhebung bestehe, dahin zu verstehen sei, dass die Behörde
für den Fall, dass die Informationspflicht ausgeschlossen sei, nach Ermessen über den Informationszugang
entscheiden müsse. Angesichts der dem Kläger als Insolvenzverwalter zukommenden Verantwortlichkeit als
Organ der Rechtspflege sei das Ermessen zu seinen Gunsten zu reduzieren. Zudem sei diese Vorschrift
nunmehr als Ausnahmevorschrift ausgestaltet mit der Folge, dass sie eng auszulegen sei. Schließlich beruft
sich der Kläger auf einen Anspruch aufgrund des im Bereich des Steuerrechts richterrechtlich entwickelten
Auskunftsanspruchs nach Ermessen der Behörde.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 27. August 2010 und
unter Aufhebung der Bescheide vom 21. November 2008 und 12. Februar 2009 zu verpflichten, dem
Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter uneingeschränkt Zugang zu den in der
finanzbehördlichen Vollstreckungsakte enthaltenen Informationen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte führt ergänzend zu ihrer bisherigen Argumentation zum gesetzlichen Ausschluss des
Informationszugangs betreffend Vorgänge der Steuererhebung und Steuerfestsetzung aus, dass zwar in der
Abgabenordnung zwischen Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren differenziert werde, allerdings in anderen
Bereichen des Steuerrechts, wie in Art. 27 OECD-Musterabkommen und den entsprechenden Regelungen der
einzelnen Doppelbesteuerungsabkommen, Erhebung auch Vollstreckung umfasse. Selbst wenn die
Differenzierung der Abgabenordnung zwischen Steuererhebung und Steuervollstreckung dem Hamburgischen
Informationsfreiheitsgesetz zugrunde gelegt werden würde, könne die enge, unauflösbare Verbindung
zwischen diesen Bereichen nicht ignoriert werden. Dieser Zusammenhang bestehe vor allem dann, wenn der
Kläger – wie hier – ganz allgemein Einsicht in die Vollstreckungsakte und damit in alle dort dokumentierten
Vorgänge und enthaltenen Schriftstücke begehre. Diese Dokumente umfassten nicht bloß das
Vollstreckungsverfahren als solches, sondern auch die Vorgänge der Steuererhebung, auf die sich das
Vollstreckungsverfahren beziehe. Die Vorgänge der Steuererhebung seien aber ausdrücklich vom
Informationszugang ausgeschlossen. Der Kläger könne sich auch nicht auf den in der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs entwickelten Ermessensanspruch des Steuerpflichtigen auf Auskunft berufen, weil er als
Insolvenzverwalter nicht zur Wahrnehmung von Rechten in einem bestehenden Steuerrechtsverhältnis tätig
werde.
20
21
22
19
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht das Fehlen der
Durchführung eines Vorverfahrens nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO entgegen, auch wenn der Kläger seinen
außergerichtlichen Rechtsbehelf mit „Einspruch“ betitelt und die Beklagte dementsprechend ein
Einspruchsverfahren nach §§ 347 ff. AO und kein Widerspruchsverfahren im eigentlichen Sinne der §§ 68 ff.
VwGO durchgeführt hat. Dabei kann dahinstehen, ob dies schon deshalb unschädlich ist, weil das
Einspruchsverfahren vorliegend den gleichen Zweck wie ein Widerspruchsverfahren erfüllt hat (vgl. VG Berlin,
Urt. v. 30.8.2012, 2 K 147/11, juris Rn. 14; FG Mecklenburg-Vorpommern Urt. v. 8.11.1995, 1 K 61/95, juris
1. Leitsatz) und zudem die Beklagte in der Rechtsbehelfsbelehrung auf das Einspruchsverfahren verwiesen
hat (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 11.1.1991, NVwZ-RR 1992, 354). Denn die Beklagte hat sich
sachlich vollumfänglich und ohne das Fehlen des (richtigen) Vorverfahrens zu rügen auf die Klage
eingelassen, was nach ständiger Rechtsprechung dazu führt, dass die Klage dann auch ohne Vorverfahren
zulässig ist (BVerwG, Urt. v. 19.2.2009, NVwZ 2009, 924, 925; Urt. v. 20.4.1994, NVwZ-RR 1995, 90; Urt. v.
2.9.1983, NVwZ 1984, 507 m.w.N.; OVG Münster, Urt. v. 7.2.2011, 1 A 833/08, juris Rn. 68; VGH Baden-
Württemberg, Urt. v. 23.7.1998, NVwZ-RR 1999, 431, 432).
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Informationszugang zu der die
Insolvenzschuldnerin betreffenden finanzbehördlichen Vollstreckungsakte.
1. Der Anspruch auf Informationszugang nach dem Hamburgischen Transparenzgesetz ist nach § 5 Nr. 4
HmbTG für Vorgänge der Steuerfestsetzung und Steuererhebung ausgeschlossen. Hierunter fallen auch die
Vollstreckungsvorgänge. Der Wortlaut von § 5 Nr. 4 HmbTG ist zwar nicht eindeutig und ermöglicht eine enge
Auslegung, wie sie der Kläger vornimmt, aber auch ein weites Verständnis, nach dem unter das Begriffspaar
der Steuerfestsetzung und Steuererhebung alle Vorgänge zu fassen sind, die unmittelbar die Bestimmung
und Durchsetzung der Steuerforderung im konkreten Einzelfall betreffen. Letzteres ist insbesondere in
Hinblick auf den Zweck des Ausschlusstatbestands vorzugswürdig. Der Gesetzgeber wollte mit den
Ausnahmen von der Informationspflicht in § 5 HmbTG die Arbeitsfähigkeit der dort bezeichneten Stellen
schützen (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, Bü-Drs. 20/4466, S. 17). Im Bereich der Steuerverwaltung
wäre ein Informationszugang zu den auf die Steuerpflichtigen bezogenen Vorgängen der Ermittlung und der
Bestimmung des jeweiligen Anspruchs sowie der Steuererhebung einschließlich der Vollstreckung regelmäßig
mit erheblichem Aufwand verbunden, weil es sich ganz überwiegend um personenbezogene Daten, nämlich
Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse bestimmter oder bestimmbarer Personen (§ 4
Abs. 1 HmbDSG) handelt. Diese Daten sind jedoch nach § 4 HmbTG zu schützen, das heißt sie sind
grundsätzlich, sofern kein Erlaubnistatbestand nach § 4 Abs. 3 HmbTG vorliegt, unkenntlich zu machen.
Liegt hingegen ein Erlaubnistatbestand vor, ist der Betroffene vor der Freigabe der Informationen nach § 4
Abs. 5 HmbTG zu unterrichten. Es steht im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, den hiermit
verbundenen Aufwand als so erheblich einzustufen, dass ein Informationszugang ausgeschlossen sein soll.
Der Aufwand wäre bei den Vollstreckungsvorgängen jedoch nicht geringer als bei anderen auf einen
Steuerpflichtigen bezogenen Vorgängen, weshalb insoweit für eine unterschiedliche Behandlung der
Vollstreckungssachen gegenüber den Vorgängen der Steuerfestsetzung und Steuererhebung im engeren
Sinne in Bezug auf einen allgemeinen Informationszugang objektiv nichts spricht. Es ist auch nichts dafür
ersichtlich, dass der Gesetzgeber den Arbeitsaufwand, der zum Schutz der personenbezogenen Daten
erforderlich ist, oder einen sonstigen Aufwand bei Gewährung eines allgemeinen Informationszugangs für
Vorgänge der Vollstreckung anders eingeschätzt hätte als für die steuerlichen Vorgänge der
Steuerfestsetzung und Steuererhebung im engeren Sinne der Abgabenordnung. Ebenso wenig ist etwas dafür
ersichtlich, dass der Gesetzgeber, der mit dem Transparenzgesetz nach § 1 Abs. 1 die demokratische
Meinungs- und Willensbildung fördern und eine Kontrolle des staatlichen Handelns ermöglichen wollte, im
Hinblick auf diese gesetzlichen Zwecke den steuerlichen Vollstreckungsvorgängen eine hervorgehobene
Bedeutung beimessen wollte. Vielmehr lässt sich aus der Verwendung des Begriffs „Steuerakten“ in der
Begründung des Gesetzentwurfs zu § 5 Nr. 4 HmbTG (Bü-Drs. 20/4466, S. 17) entnehmen, dass der
Gesetzgeber von einem umfassenden Verständnis des Ausschlusstatbestands ausging und weder im
Hinblick auf den Aufwand bei Gewährung eines Informationszugangs noch hinsichtlich der Bedeutung der
Informationen zwischen einzelnen Vorgängen innerhalb der Steuerakten differenzieren wollte.
23
24
25
26
Eine enge Auslegung, die sich auf die Begrifflichkeit der Abgabenordnung stützt, kann demgegenüber nicht
überzeugen, weil sich der Landesgesetzgeber ersichtlich nicht an der Abgabenordnung orientiert hat. Den
Gesetzgebungsmaterialien ist für eine Anlehnung an die Begrifflichkeit der Abgabenordnung nichts zu
entnehmen. Die im Hamburgischen Transparenzgesetz verwendeten Begriffe der Steuerfestsetzung und der
Steuererhebung liegen systematisch auf unterschiedlichen Ebenen der Abgabenordnung. Während das
Erhebungsverfahren in einem eigenen Teil der Abgabenordnung (5. Teil, §§ 218 bis 248) geregelt ist und dort
als eine eigene Stufe im Steuerverfahren angesehen werden kann (siehe Seer in: Tipke/Kruse, AO, Bd. 1,
Stand September 2013, Einf. AO Rn. 6 ff.), ist die Steuerfestsetzung im 1. Unterabschnitt (§§ 155 bis 178a)
zum 3. Abschnitt des 4. Teils („Durchführung der Besteuerung“) und insofern gleichgeordnet mit dem
Feststellungsverfahren im 2. Unterabschnitt und nicht in einem eigenen Teil wie das Erhebungsverfahren
geregelt. Würden die Begriffe der Steuerfestsetzung und der Steuererhebung im Hamburgischen
Transparenzgesetz in diesem Sinne gemäß der Abgabenordnung verstanden, würde dies zu dem schwer
nachvollziehbaren Ergebnis führen, dass kein Anspruch auf Zugang zu den Informationen im
Festsetzungsverfahren bestünde, während z.B. ein allgemeines Informationszugangsrecht für die Vorgänge
des Feststellungsverfahrens (4. Teil, 3. Abschnitt, 2. Unterabschnitt der AO), der Außenprüfung (4. Teil, 4.
Abschnitt der AO) und der Steuerfahndung (4. Teil, 5. Abschnitt der AO) zu bejahen wäre. Ein
rechtfertigender Grund für eine solche differenzierte Behandlung dieser Bereiche ist nicht ersichtlich. Gerade
bezüglich der Vollstreckungsvorgänge würde der Zweck des Ausschlusstatbestands in § 5 Nr. 4 HmbTG, die
Arbeitsfähigkeit der jeweiligen Stellen zu schützen, verfehlt, weil neben dem Schutz der personenbezogenen
Daten auch zu beachten wäre, dass keine Informationen über die Steuererhebung (im engeren Sinn)
zugänglich gemacht werden. Denn die Vollstreckungsvorgänge bilden notwendigerweise gerade die
Informationen über die eigentliche Steuererhebung ab.
Der Umstand, dass die Ausschlusstatbestände des § 5 HmbTG systematisch als Ausnahmevorschrift
ausgestaltet sind, während entsprechende Ausschlusstatbestände im Hamburgischen
Informationsfreiheitsgesetz v. 2009 (§ 3 Abs. 2 Nr. 5) noch in der Norm zum Anwendungsbereich des
Gesetzes geregelt waren, spricht nicht gegen die hier vorgenommen Auslegung. Denn zum einen ergibt sich
aus den Gesetzesmaterialien kein Hinweis darauf, dass die neue Systematik mit einem anderen Verständnis
des Ausschlusstatbestands für Vorgänge der Steuerfestsetzung und Steuererhebung verbunden sein soll.
Vielmehr spricht die weitgehend wortgleiche Übernahme der Begründung zu § 3 Abs. 2 Nr. 5 HmbIFG v. 2009
(vgl. Bü-Drs. 19/1283, S. 10) in die Begründung zu § 5 Nr. 4 HmbTG für eine insoweit unveränderte
Regelungsintention. Zum anderen wird durch das hier zugrunde gelegte Verständnis nicht etwa der
Anwendungsbereich einer Ausnahmevorschrift derart ausgeweitet, dass der Gesetzeszweck, durch ein
umfassendes Informationsrecht staatliche Informationen unter Wahrung des Schutzes personenbezogener
Daten unmittelbar der Allgemeinheit zugänglich zu machen (vgl. § 1 Abs. 1 HmbTG), nicht mehr gewahrt
wäre. Die hier betroffenen finanzbehördlichen Vollstreckungsvorgänge dürften weder nach Anzahl noch nach
ihrer Bedeutung zur Befriedigung eines allgemeinen Informationsbedürfnisses im Verhältnis zu Informationen,
die nicht vom Informationszugang ausgeschlossen sind, besonders bedeutsam sein.
Die hier vorgenommene weite Auslegung ist zwar nicht etwa verfassungsrechtlich deshalb geboten, weil der
Bundesgesetzgeber in der Abgabenordnung eine abschließende Regelung des Auskunfts- und
Akteneinsichtsrechts getroffen hätte, die einen voraussetzungslos und unabhängig von einem anhängigen
Verwaltungsverfahren gewährten Anspruch auf Informationszugang ausschließen würde (siehe hierzu
BVerwG, Beschl. v. 14.5.2012, NVwZ 2012, 824). Das Grundgesetz steht dem hier zugrunde gelegten
Verständnis jedoch auch nicht entgegen. Insbesondere wird hierdurch die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte
Berufsfreiheit des Klägers als Insolvenzverwalter nicht verletzt. Es fehlt schon an einem Eingriff in dessen
Berufsfreiheit, weil der alle Personen betreffende gesetzliche Ausschluss bestimmter Verwaltungsvorgänge
von dem allgemeinen und voraussetzungslosen Informationszugangsrecht sich nicht unmittelbar auf die
Berufstätigkeit des Klägers bezieht und auch keine berufsregelnde Tendenz hat (vgl. zum Erfordernis der
berufsregelnden Tendenz: BVerfG, Urt. v. 17.2.1998, BVerfGE 97, 228, 253 f; BVerfG, Beschl. v. 12.4.2005,
BVerfGE 113, 29, 48 m.w.N.).
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung des Informationszugangs auf Grundlage des
Hamburgischen Transparenzgesetzes nach Ermessen der Beklagten. Nach der Konzeption des Gesetzes
besteht in dessen Anwendungsbereich ein gebundener Anspruch auf Zugang zu Informationen nach § 1 Abs.
2 HmbTG, soweit kein Ausschlusstatbestand eingreift. Für einen Ermessensanspruch auf
Informationszugang trotz Vorliegens eines Ausschlusstatbestands ist nichts ersichtlich. Zu den in § 6
HmbTG normierten Ausschlusstatbeständen heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich:
„Liegen die in § 6 Absatz 1 bezeichneten Ausnahmetatbestände vor, ist kein Informationszugang zu
gewähren.“ Für § 5 HmbTG kann insoweit nichts anderes gelten.
27
28
29
30
3. Soweit sich der Kläger erstmals mit seiner Berufung auf den in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
entwickelten Anspruch des Steuerpflichtigen auf Auskunft beruft, hat das angerufene Gericht, auch wenn ein
solcher Rechtsstreit bei isolierter Geltendmachung dieses Anspruchs den Finanzgerichten zugeordnet wäre,
hierüber nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG mit zu entscheiden. Ob eine Klageänderung vorliegt, kann auf sich
beruhen. Diese wäre jedenfalls gemäß § 125 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 91 Abs. 1 und 2 VwGO zulässig, da sich
die Beklagte hierauf, ohne ihr zu widersprechen, eingelassen hat.
In der Sache kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs berufen,
wonach ein Steuerpflichtiger einen insbesondere aus dem Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG
hergeleiteten Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung über sein Akteneinsichtsgesuch hat
(siehe z.B. BFH, Beschl. v. 4.6.2003, BFHE 202, 231 m.w.N.). Denn dieser Anspruch setzt voraus, dass die
Akteneinsicht oder die Auskunft der Wahrnehmung von Rechten in einem bestehenden
Steuerrechtsverhältnis dienen kann (BFH, Beschl. v. 14.4.2011, VII B 201/10, juris Rn. 14 m.w.N.). Dies ist
vorliegend nicht ersichtlich. Der Kläger hat nicht dargetan, worin überhaupt sein Interesse an der
Akteneinsicht besteht. Selbst wenn unterstellt wird, dass der Kläger die Informationen als Insolvenzverwalter
benötigt, um etwaige Anfechtungsansprüche geltend zu machen, würde dieses Interesse nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung kein Akteneinsichtsrecht begründen können (BFH, Beschl. v. 14.4.2011,
VII B 201/10, juris Rn. 14; BGH, Urt. v. 13.8.2009, IX ZR 58/06, juris Rn. 6 ff.).
III.
Der Kläger trägt als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.