Urteil des FG Hamburg vom 03.07.2014

FG Hamburg: fristverlängerung, verwahrung, unternehmen, vertretung, seefracht, firma, einspruch, überwachung, abgabe, hafen

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Zollrecht: Auswirkung einer Pflichtverletzung auf das Zollverfahren
1. Die Aufzählung der Fälle, in denen sich die Verfehlung i. S. v. Art. 204 Zollkodex auf die ordnungsgemäße Abwicklung der
vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat, in Art. 859 ZK-DVO ist
abschließend.
2. Umstände i. S. v. Art. 49 Abs. 2 Zollkodex sind solche, die den Antragsteller in eine Lage versetzen können, die im
Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist. Die Krankheit zweier
Mitarbeiter einer mit drei Mitarbeitern besetzten Zollabteilung einer Spedition stellt, auch wenn in dieser Zeit wegen eines
Neukunden ein erhöhtes Arbeitsaufkommen zu bewältigen war, keinen Umstand in diesem Sinne dar.
3. Die Frist von 45 Tagen gemäß Art. 49 Abs. 1 lit. a) Zollkodex gilt nur für Waren, die (unmittelbar) nach einer Seefracht
gestellt werden, weil die Abwicklungsdauer im Containerverkehr mehr Zeit benötigt.
FG Hamburg 4. Senat, Urteil vom 03.07.2014, 4 K 125/13
Art 204 Abs 1 ZK, Art 49 Abs 1 lit b ZK, Art 49 Abs 1 lit a ZK, Art 49 Abs 2 ZK, Art 859 Ziff 1 ZK-
DVO
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Einfuhrabgaben.
Die Klägerin ist ein Speditionsunternehmen und eine Lagerhalterin. Mit 9 summarischen
Anmeldungen übernahm sie im November 2011 für die Firma A (…) insgesamt …
Alufelgen in die vorübergehende Verwahrung. Den summarischen Anmeldungen waren
Versandverfahren vorausgegangen, die die Klägerin nach Eintreffen der Waren im Hafen
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Hamburg eröffnet hatte und innerhalb derer die Waren per Lkw vom Terminal zum Lager
der Klägerin verbracht wurden. Auf die summarischen Anmeldungen wurde der Klägerin
jeweils gemäß Art. 49 Abs. 1 lit. b) Zollkodex eine Frist von 20 Tagen zum Erhalt einer
zollrechtlichen Bestimmung gesetzt. Die Frist lief jeweils bis zum 28.11.2011. Die
Alufelgen waren für die B AG am Produktionsstandort C bestimmt. Nach einer
Vereinbarung zwischen der Firma A und der B AG sollten die Alufelgen unverzollt und
unversteuert geliefert werden.
Der Versuch der Klägerin, die Zollanmeldungen am 30.11.2011 abzugeben, scheiterte an
der abgelaufenen Verwahrfrist. Daher beantragte sie eine Verlängerung der Verwahrfrist.
Zur Begründung trug sie vor, einem Mitarbeiter, Herrn D, sei am 30.11.2011 das
Versäumen der Frist aufgefallen. Der Mitarbeiter sei fast täglich darauf hingewiesen
worden, die Fristen zu kontrollieren und Anträge rechtzeitig zu erstellen und einzureichen.
Stichprobenartige Kontrollen hätten bislang keine Unregelmäßigkeiten ergeben. Durch
Krankheitsausfälle sei Herr D erheblich überbelastet gewesen.
Mit Schreiben vom 07.12.2011 und vom 12.12.2011 lehnte der Beklagte eine
Verlängerung der Verwahrfrist ab.
Gegen die Ablehnung der Verlängerung der Verwahrfrist legte die Klägerin am
15.12.2011 Einspruch ein. Darin stellte sie klar, dass ihre Anträge nicht auf eine
nachträgliche Fristverlängerung abzielten, und begründete, weshalb aus ihrer Sicht keine
Einfuhrabgaben entstanden seien.
Mit Bescheid vom 25.01.2012 erhob der Beklagte Einfuhrabgaben i. H. v. … € (Zoll,
Antidumpingzoll und Einfuhrumsatzsteuer), da die Klägerin innerhalb der Verwahrfrist
keine Zollanmeldung abgegeben habe und daher Einfuhrabgaben nach Art. 204
Zollkodex entstanden seien.
Am 02.02.2012 legte die Klägerin Einspruch gegen den Einfuhrabgabenbescheid ein. Zur
Begründung verwies sie darauf, dass eine Einfuhrzollschuld nach Art. 204 Abs. 1 lit. a)
Zollkodex nicht entstanden sei, weil sich die Verfehlungen nachweislich auf die
ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hätten. Ein
Fristversäumnis wirke sich nicht wirklich aus, wenn die Voraussetzungen für eine
Fristverlängerung vorgelegen hätten. Die Anmeldungen seien bereits am 24.11.2011 von
Frau E, der Leiterin ihrer Zollabteilung, fertiggestellt worden. Der nach deren Erkrankung
zuständige Mitarbeiter, Herr D, habe dann die Abgabefrist übersehen. Ihre Zollabteilung
bestehe nur aus drei Mitarbeitern, was bislang für die anfallenden Sachbearbeitungen
ausgereicht hätte. Von den drei Mitarbeitern seien Ende November 2011 die
Abteilungsleiterin und deren Vertreter erkrankt gewesen. Der verbliebene Sachbearbeiter,
Herr D, sei dadurch überlastet gewesen. Zudem habe sie Ende Oktober 2011 einen
größeren Neukunden gewonnen, die betroffene Firma A. Allein die Arbeit für diesen
Kunden hätte einen Vollzeitarbeitsplatz in Anspruch genommen, da der gesamte
Lagerbestand des Neukunden auf ihr Zolllager hätte umgefahren werden müssen. In
dieser Situation habe der Mitarbeiter die Einhaltung der Frist übersehen. Dies sei ein
außergewöhnlicher Umstand, der zu einer Fristverlängerung hätte führen müssen. Wegen
des Neukunden habe sie auch einen neuen Mitarbeiter eingestellt, der aber erst ab dem
01.12.2011 zur Verfügung gestanden habe. Den Neukunden hätte sie nicht vertrösten
können, andernfalls hätte sie ihn verloren. Da es sich um einen Seetransport gehandelt
habe, hätte die Verwahrfrist gemäß Art. 49 Abs. 1 lit. a) Zollkodex zudem auf 45 Tage
festgesetzt werden müssen.
Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 20.08.2013 zurück.
Zur Begründung führte er aus, die Alufelgen hätten innerhalb der Verwahrfrist eine neue
zollrechtliche Bestimmung erhalten müssen. Da der Gestellung eine Beförderung per Lkw
vorausgegangen sei, ergebe sich eine Frist von 20 Tagen (Art. 49 Abs. 1 lit. b) Zollkodex).
Die Frist von 45 Tagen hätte nur gegolten, wenn die Waren im Anschluss an das
seeseitige Verbringen erstmals gestellt und eine summarische Anmeldung abgegeben
worden wäre. Die Klägerin habe jedoch zunächst ein Versandverfahren eröffnet und bei
der zur Beendigung dieses Versandverfahrens erforderlichen weiteren Gestellung die
summarische Anmeldung abgegeben. Das Überschreiten der Frist stelle eine Verfehlung
im Sinne von Art. 204 Abs. 1 lit. a) Zollkodex dar. Diese Verfehlung habe sich auch nicht
im Sinne von Art. 859 Nr. 1 ZK-DVO nicht wirklich ausgewirkt. Der Klägerin wäre bei
rechtzeitiger Antragstellung keine Fristverlängerung gewährt worden. Sie habe sich nicht,
wie dies für eine Fristverlängerung gemäß Art. 49 Abs. 2 Zollkodex erforderlich wäre, in
einer Lage befunden, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche
Tätigkeit ausübten, außergewöhnlich sei. Die plötzliche Erkrankung von Mitarbeitern
stelle keinen Umstand in diesem Sinne dar. Die Kumulation der von der Klägerin
dargelegten Umstände könne in vergleichbaren Unternehmen ebenfalls auftreten. Ein
Arbeitgeber müsse immer damit rechnen, dass ein Mitarbeiter kurzfristig ausfalle. Auch
Arbeitsfehler zählten zu den Ereignissen, mit denen jeder Wirtschaftsteilnehmer rechnen
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müsse. Bei Unternehmen dieser Größe dürfte gerade bei risikobehafteten Zollverfahren
eine ressortübergreifende Vertretung realisierbar sein. Durch die Annahme eines neuen
Großkunden ohne vorherige Anpassung der personellen Ausstattung habe sich die
Klägerin einem erkennbaren Wagnis ausgesetzt. Diese riskante unternehmerische
Entscheidung müsse sie sich nun zurechnen lassen.
Mit ihrer am 23.09.2013 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr
Begehren weiter. Sie wiederholt die Einspruchsbegründung. Ergänzend führt sie zur
Dauer der Frist aus, ihr hätten 45 Tage zur Verfügung stehen können, wenn sie die
Container für den Transport vom Terminal nicht in ein Versandverfahren T 1 überführt
hätte, sondern sie wegen der nur kurzen Strecke vom Containerterminal zu ihrem Lager in
der vorübergehenden Verwahrung belassen hätte. Die Verkürzung der Frist von 45 auf 20
Tage sei also nur auf die Art und Weise der Überführung vom Terminal auf ihr
Betriebsgelände zurückzuführen. Eine abteilungsübergreifende Vertretung sei wegen der
besonderen Kenntnisse, die nur Sachbearbeiter der Zollabteilung hätten, problematisch.
Die Klägerin beantragt,
den Einfuhrabgabenbescheid vom 25.01.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 20.08.2013 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Einspruchsentscheidung und ergänzt, die Umfuhren der Waren des
Neukunden, der Firma A, hätten nach dem Vortrag der Klägerin zwischen dem 20. und
dem 31.10.2011 und damit deutlich vor Ablauf der bis zum 28.11.2011 laufenden
Verwahrfrist und auch bereits vor der Gestellung der streitgegenständlichen Sendungen
am 07. bzw. 08.11.2011 stattgefunden. Eine Kausalität zwischen der durch den
Neukunden erhöhten Arbeitsbelastung und dem Versäumen der Verwahrfrist sei daher
nicht erkennbar. Ursächlich seien allein die Erkrankung zweier Mitarbeiter sowie der
Arbeitsfehler des verbliebenen Mitarbeiters gewesen. Diese Umstände hätten die
Verlängerung der Verwahrfrist bei rechtzeitiger Antragstellung nicht gerechtfertigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sachakte des Beklagten sowie die
Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.
I. Der Einfuhrabgabenbescheid vom 25.01.2012 ist in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 20.08.2013 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in
ihren Rechten, § 100 Abs. 1 S. 1 FGO.
Rechtsgrundlage für den angegriffenen Einfuhrabgabenbescheid ist Art. 204 Abs. 1 lit. a)
Zollkodex, der gemäß § 21 Abs. 2 UStG auch für die Einfuhrumsatzsteuer gilt. Gemäß Art.
204 Abs. 1 lit. a) Zollkodex entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn in anderen als den in
Art. 203 Zollkodex genannten Fällen eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer
einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehenden Verwahrung oder aus der
Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie überführt worden ist, ergeben. Da im
Streitfall ein Entziehen einfuhrabgabenpflichtiger Waren aus der zollamtlichen
Überwachung (vgl. Art. 203 Zollkodex) ersichtlich nicht vorliegt, ist zu prüfen, ob die
Klägerin eine Pflichtverletzung begangen hat. Das ist vorliegend der Fall.
Die Waren wurden nach Ankunft im Hafen Hamburg beim Zollamt ... gestellt, wo
Versandverfahren eröffnet wurden. Zur Beendigung der Versandverfahren gab die
Klägerin summarische Anmeldungen ab. Bis zum Erhalt einer zollrechtlichen Bestimmung
galten die Waren nach Art. 50 Zollkodex als vorübergehend verwahrt. Nach Art. 48
Zollkodex war die Klägerin verpflichtet, die Waren innerhalb der gesetzten Frist einer
zulässigen zollrechtliche Bestimmung zuzuführen. Der Beklagte hat gemäß Art. 49 Abs. 1
lit. b) Zollkodex eine Frist von 20 Tagen ab dem Tag der summarischen Anmeldung
festgesetzt, die unstreitig am 28.11.2011 ablief. Ebenfalls unstreitig hat die Klägerin die
Waren innerhalb dieser Frist weder in den freien Verkehr noch sonst in ein Zollverfahren
überführt. Diese von der Klägerin begangene Pflichtverletzung lässt gemäß Art. 204 Abs.
1 lit. a), Abs. 2 Zollkodex eine Zollschuld entstehen (vgl. nur Witte in Witte, Art. 204
Zollkodex, Rn. 8), was die Klägerin auch grundsätzlich nicht in Abrede stellt.
Dabei kann offen bleiben, ob eine Pflichtverletzung im Sinne von Art. 204 Abs. 1 lit. a)
Zollkodex auch dann vorläge, wenn der Beklagte die Frist zu Unrecht nach Art. 49 Abs. 1
lit. b) Zollkodex auf 20 Tage und nicht gemäß Art. 49 Abs. 1 lit. a) Zollkodex auf 45 Tage
festgesetzt hätte. Im Streitfall kam nämlich die Frist von 20 Tagen zur Anwendung. Die
Frist von 45 Tagen bemisst sich ab dem Tag der summarischen Anmeldung für auf dem
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Seeweg beförderte Waren, während die Frist von 20 Tagen für auf andere Weise
beförderte Waren gilt. Die Frist von 45 Tagen gilt nur für Waren, die (unmittelbar) nach
einer Seefracht gestellt werden, weil die Abwicklungsdauer im Containerverkehr mehr
Zeit benötigt (Kampf in Witte, Art. 49 Zollkodex, Rn. 2) und sie schließt sich an eine
summarische Anmeldung an. Nach dem Wortlaut sowie nach Sinn und Zweck dieser
Bestimmung kann es nicht darauf ankommen, ob die Waren einen Teil des
Transportweges als Seefracht befördert wurden, auch wenn es sich dabei um den weitaus
größten Teil gehandelt hat, vielmehr kommt es auf die Art der Beförderung vor Abgabe der
summarischen Anmeldung an. Die Klägerin hat jedoch nach der Seefracht, also nach
Ankunft der Waren im Hafen Hamburg, unstreitig keine summarische Anmeldung
abgegeben, sondern ein Versandverfahren eröffnet. Eine summarische Anmeldung hat
sie erstmals nach Beendigung des Versandverfahrens, innerhalb dessen die Waren per
Lkw befördert wurden, abgegeben. Insofern konnte nur die Frist von 20 Tagen zur
Anwendung kommen. Ob die Klägerin die Fracht möglicherweise in
zollverfahrensrechtlicher Hinsicht auch anders hätte gestalten können, ist unerheblich.
Allerdings entsteht nach Art. 204 Abs. 1 letzter Halbsatz Zollkodex eine Einfuhrzollschuld
trotz Pflichtverletzung nicht, wenn sich die Verfehlung nachweislich auf die
ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden
Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt hat. Eine Aufzählung der Fälle, in denen sich die
Verfehlungen auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung
oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben und die als
Ausnahme zu der Regel, dass eine Zollschuld bei Nichterfüllung einer der sich aus der
vorübergehenden Verwahrung einer Ware ergebenden Pflichten entsteht, keine
Zollschuld begründen, enthält Art. 859 ZK-DVO; diese Aufzählung ist abschließend
(EuGH, Urteil vom 11.11.1999, C-48/98). Im Streitfall kommt allein Art. 859 Anstrich 3 Ziff.
1 ZK-DVO in Betracht, wonach als im vorstehenden Sinne heilbare Verfehlung die
Überschreitung der Frist angeführt wird, vor deren Ablauf die Waren eine der im Rahmen
der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens vorgesehenen
zollrechtlichen Bestimmungen erhalten haben müssen, wenn eine Fristverlängerung
gewährt worden wäre, sofern sie rechtzeitig beantragt worden wäre. Vorliegend ist mithin
zu prüfen, ob die Frist zum Erhalt einer zollrechtlichen Bestimmung gemäß Art. 49 Abs. 2
Zollkodex verlängert worden wäre, wenn sie rechtzeitig beantragt worden wäre. Diese
Prüfung fällt zu Ungunsten der Klägerin aus:
Eine Fristverlängerung darf nach Art. 49 Abs. 2 Zollkodex nur gewährt werden, wenn die
Umstände dies rechtfertigen, wobei die Vorschrift nicht besagt, welche Umstände zu einer
Fristverlängerung führen können. Aus dem Zweck des Art. 49 Abs. 1 Zollkodex, die
gestellten Waren zügig einer zollrechtlichen Bestimmung zuzuführen, lässt sich jedenfalls
ableiten, dass nicht beliebige Umstände eine Fristverlängerung rechtfertigen können. Der
Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 11.11.1999 (C-48/98)
hinsichtlich der Auslegung des Begriffs „Umstände“ ausgeführt, dass die Vorschrift des
Art. 49 Abs. 2 Zollkodex solche Umstände meint, die den Antragsteller in eine Lage
versetzen können, die im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche
Tätigkeit ausüben, außergewöhnlich ist. Außergewöhnliche Umstände in diesem Sinne
können deshalb nur solche sein, die nicht zu den Ereignissen gehören, denen jeder
Wirtschaftsteilnehmer - wie etwa die plötzliche Erkrankung von Mitarbeitern, die
Urlaubsabwesenheit des zuständigen Sachbearbeiters, die Einarbeitung neuer
Mitarbeiter oder Probleme mit der Anwendung eines zur Zollabwicklung entwickelten
EDV-Systems - bei der Ausübung seines Gewerbes ausgesetzt ist. Im Streitfall hat die
Klägerin, die gemäß Art. 860 ZK-DVO hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen
des Art. 859 Ziff. 1 ZK-DVO darlegungs- und beweispflichtig ist, nichts vorgetragen, was
eine Fristverlängerung nach Art. 49 Abs. 2 Zollkodex hätte rechtfertigen können.
Die Klägerin hat insoweit vorgetragen, dass sowohl die Leiterin als auch der
stellvertretende Leiter ihrer aus insgesamt drei Mitarbeitern bestehenden Zollabteilung in
dem Zeitraum, in dem die Waren eine zollrechtliche Bestimmung hätten erhalten müssen,
erkrankt gewesen seien. Der verbliebene einzige Mitarbeiter habe die fristgerechte
Abgabe der Zollanmeldungen auch deswegen versäumt, weil er infolge der für einen
neuen Großkunden erforderlichen Arbeit überlastet gewesen sei. Diese Einlassung der
Klägerin beschreibt keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art. 49 Abs. 2
Zollkodex.
Die Krankheit von Mitarbeitern - sei sie nun erwartet oder plötzlich - rechtfertigt nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausdrücklich nicht die
Annahme eines außergewöhnlichen Umstandes (Urteil vom 11.11.1999, C-48/98). Ein
Arbeitgeber muss immer damit rechnen, dass ein Mitarbeiter kurzfristig ausfällt, und
sicherstellen, dass eine zuverlässige Vertretung erfolgt; Ausfälle von Arbeitnehmern und
Arbeitsfehler von Vertretern zählen zu den Ereignissen, mit denen jeder
Wirtschaftsteilnehmer bei Ausübung seines Gewerbes rechnen muss und denen er
regelmäßig ausgesetzt ist (FG Hamburg, Urteil vom 03.09.2009, 4 K 8/09). Vor dem
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Hintergrund dieser Rechtsprechung hält der Senat unter Berücksichtigung der
Einzelheiten des Streitfalls auch die Erkrankung von zwei Mitarbeitern einer mit (nur) drei
Mitarbeitern besetzten Zollabteilung noch nicht für einen besonderen Umstand. Selbst
wenn eine solche Situation überraschend eintritt, ist sie jedoch für sich genommen nicht
völlig ungewöhnlich. Auch in einem solchen Fall besteht regelmäßig die Möglichkeit, für
eine sachgerechte Vertretung zu sorgen. Es liegt auf der Hand, dass die
Zollsachbearbeitung besondere Sachkunde erfordert, so dass eine
abteilungsübergreifende Vertretung grundsätzlich problematisch ist. Gleichwohl muss und
kann sie in aller Regel jedenfalls in dem Umfang gewährleistet werden, dass zumindest
die laufenden und grundsätzlich zu priorisierenden Fristsachen bearbeitet werden. Im
Streitfall ging es nicht um die Bearbeitung komplexer zollrechtlicher Fragestellungen,
sondern lediglich um die Überwachung laufender Fristen. Wie die Klägerin selbst
dargelegt hat, hatte die Leiterin der Zollabteilung die Anmeldungen bereits vor ihrer
Erkrankung am 24.11.2011 vorbereitet. Es ging lediglich noch darum, die Anmeldungen
rechtzeitig abzugeben. Es handelt sich also ausschließlich um die Überwachung von
Fristen, die nicht erkennbar aufwändig ist und daher grundsätzlich auch in einem
Vertretungsfall möglich sein muss. Dass das klägerische Unternehmen über derart
wenige Mitarbeiter verfügt, dass niemand in der Lage gewesen wäre, die Fristen im Blick
zu behalten bzw. fertiggestellte Anmeldungen abzugeben, hat die Klägerin nicht
vorgetragen. Letztlich ist das Übersehen der Abgabefrist durch den Sachbearbeiter ein
typischer Arbeitsfehler, der in jedem Unternehmen vorkommen kann.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerin im Einzelnen dargelegten
Umstand, dass sie im Oktober 2011 einen neuen Großkunden gewinnen konnte, was zu
einem erheblichen, den Mitarbeiter der Zollabteilung überfordernden Arbeitsaufkommen
geführt hat. Es mag sein, dass es der Klägerin erst zum 01.12.2011 möglich war, einen
weiteren Mitarbeiter einzustellen. Zu Recht hat der Beklagte jedoch darauf hingewiesen,
dass eine Kausalität zwischen der Betreuung des neuen Kunden und dem Versäumen
der Frist gemäß Art. 49 Abs. 1 Zollkodex nicht überzeugend vorgetragen wurde. Die
nachvollziehbar arbeitsaufwändigen Umfuhren von Waren des Neukunden in das Lager
der Klägerin fanden nach deren eigenem Vortrag zwischen dem 20. und dem 31.10.2011
statt - zu einem Zeitpunkt also, der deutlich vor Ablauf der Verwahrfrist am 28.11.2011 und
sogar vor Abgabe der summarischen Anmeldungen am 07. und 08.11.2011 lag. In jedem
Fall lag zwischen der Akquisition des Neukunden und dem streitgegenständlichen
Fristablauf ein Zeitraum, in dem es hätte möglich sein müssen, organisatorische
Regelungen zu treffen, die die Betreuung dieses Kunden ohne Vernachlässigung der
sonstigen Verpflichtungen der Klägerin gewährleisten.
Unerheblich ist, inwieweit die Frist zur zollrechtlichen Bestimmung der gestellten Waren
nur knapp überschritten worden ist. Art. 859 Ziff. 1 ZK-DVO lässt es nicht zu, bei der
Auslegung des Begriffs „Umstände“ im Sinne des Art. 49 Abs. 2 Zollkodex danach zu
differenzieren, ob die Frist nur um einen Tag oder wenige Tage oder aber erheblich
überschritten worden ist (FG Hamburg, Urteil vom 20.02.2002, IV 193/99).
Da schon die Voraussetzungen des Art. 859 Anstrich 3 Ziff. 1 ZK-DVO nicht vorliegen,
kommt es auf die Frage, ob die Klägerin im Sinne von Art. 859 Anstrich 2 ZK-DVO grob
fahrlässig gehandelt hat, nicht mehr an.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision ist nicht zuzulassen,
weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.