Urteil des FG Hamburg vom 22.05.2014

FG Hamburg: befangenheit, gütliche beilegung, rechtliches gehör, verfügung, form, unparteilichkeit, unternehmen, bemessungsgrundlage, gleichstellung, zivilprozessordnung

Rechtsprechung
Suche
Erweiterte Suche
Gerichte
Rechtsgebiete
Gesetze/Verordnungen
DRUCKEN
WEITEREMPFEHLEN
Finanzgerichtsordnung/Zivilprozessordnung: Keine Befangenheit durch Hinweis- und
Ausschlussfristverfügung
1. Selbst wenn eine sachlich geäußerte richterliche Auffassung (in einer Hinweis- und Ausschlussfrist-Verfügung) unrichtig
sein sollte, lässt sich daraus keine Besorgnis der - auf die Person eines Beteiligten bezogenen - Befangenheit herleiten.
2. Richterliche Hinweise vor Verfahrensabschluss sind naturgemäß nicht als endgültige Festlegung, sondern nur vorläufig
und vorbehaltlich späterer besserer Argumente und Erkenntnisse zu verstehen.
3. Aufgabe eines Berichterstatters ist es, ohne dem Spruchkörper hinsichtlich nur eines Lösungswegs vorzugreifen, vor der
mündlichen Verhandlung alle Anordnungen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer
Verhandlung zu erledigen.
FG Hamburg 3. Senat, Beschluss vom 22.05.2014, 3 K 207/13
§ 51 FGO, § 79 FGO, § 79b FGO, § 42 ZPO, § 45 ZPO
Verfahrensgang
Gründe
A.
...
B.
I.
Zur Hauptnavigation springen
.
Zur Suche springen
.
Zum Inhalt springen
.
Stichwort, Adresse oder Veranstaltung
Suchen
Hamburger Justiz
Justizportal Hamburg
Gerichte
Staatsanwaltschaften
Behörde für
Justiz und Gleichstellung
E-Justice
Impressum
Unternehmen
Sitemap
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Das Gericht entscheidet in der für Richterablehnungen zuständigen Besetzung ohne
Mitwirkung der abgelehnten Richterin, ob eine Ablehnung wegen Befangenheit
gerechtfertigt ist (§ 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 45 Abs. 1, § 46 Abs. 1 ZPO).
II.
Das Ablehnungsgesuch wegen geltend gemachter Besorgnis der Befangenheit wird
gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. §§ 42, 44-46 ZPO als zwar zulässig, aber
unbegründet zurückgewiesen.
Aus dem Ablehnungsgesuch und aus der Stellungnahme zur dienstlichen Äußerung der
abgelehnten Berichterstatterin ergibt sich kein Grund zu ihrer Ablehnung wegen
Besorgnis der Befangenheit; das heißt nach § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO
liegt kein Grund vor, der geeignet wäre, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der
Richterin zu rechtfertigen. Danach bleibt es bei ihrer Zuständigkeit als gesetzliche
Richterin gemäß Gerichts- und Senats-Geschäftsverteilungen nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2
GG i. V. m. §§ 4 ff., §§ 79 ff. FGO, § 21e, § 21f GVG.
1.a) Sachliche Hinweise oder prozessleitende Verfügungen der Berichterstatterin - wie
hier - entsprechen der richterlichen Vorbereitung und Prozessförderung einschließlich der
Pflichten zu Hinweisen, zur Gehörsgewährung und zum Hinwirken auf gütliche Beilegung
(§§ 76, 79, § 79b, 96 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG; ferner § 155 FGO i. V. m. § 139 ZPO; vgl.
Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. A., § 42 Rz. 16
"Anordnung", Rz. 28, 41 "Hinweis", Rz. 44 "Rechtsbeurteilung", Rz. 45 "Sachlichkeit";
Vollkommer in Zöller, ZPO, 29. A., § 42 Rz. 20, 22, 24, 26).
b) Auch eine möglicherweise aus einer richterlichen Äußerung - ggf. in Form eines
Hinweises in einer Verfügung - durch eine Seite entnommene negative Einschätzung der
Verfahrensweise oder der Erfolgsaussicht begründet kein Misstrauen in die
Unparteilichkeit des gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG zur Entscheidung berufenen
gesetzlichen Richters (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO,
71. A., § 42 Rz. 15 "Anfrage", Rz. 45 "Unliebsamkeit", "Vertretbarkeit"; Vollkommer in
Zöller, ZPO, 29. A., § 42 Rz. 28; jeweils m. w. N. der ständ. Rspr.).
c) Selbst wenn eine sachlich geäußerte richterliche Auffassung - auch in Form eines
Hinweises in einer Verfügung - unrichtig sein sollte, ließe sich daraus nach allgemeiner
Auffassung keine Besorgnis der - auf die Person eines Beteiligten bezogenen -
Befangenheit herleiten (Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 51 FGO Rd. 21; Vollkommer
in Zöller, ZPO, 29. A., § 42 Rd. 28; jeweils m. w. N. der ständ. Rspr.).
d) Im Übrigen sind richterliche Hinweise vor Verfahrensabschluss naturgemäß - und
gegenüber einem insoweit rechtskundigen Prozessbevollmächtigten selbstverständlich -
nicht als endgültige Festlegung, sondern nur vorläufig und vorbehaltlich späterer besserer
Argumente und Erkenntnisse zu verstehen. Keineswegs muss ein Richter laufend auf
diese Vorläufigkeit hinweisen oder entsprechende Vorbehalte - wie "eventuell" o. ä. -
anbringen (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. A., § 42
Rz. 45 "Vorläufigkeit"; Vollkommer in Zöller, ZPO, 29. A., § 42 Rz. 28; jeweils m. w. N. der
ständ. Rspr.).
e) Insgesamt ist es für betroffene Beteiligte von großem Vorteil, eine Richterpersönlichkeit
vor sich zu haben, die ihre Überlegungen nicht - wie im Rätsel der Sphinx - bis zur
Entscheidung verschweigt, sondern den Beteiligten wesentlich effektiver rechtliches
Gehör i. S. v. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt, indem sie sich der Auseinandersetzung stellt
und damit zugleich die Beteiligten ehrt (vgl. Hartmann in
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. A., § 42 Rz. 45 "Unliebsamkeit";
insgesamt FG Hamburg, Beschluss vom 11.03.2011 3 V 15/11, Juris).
f) Schon nach diesen allgemeinen Grundsätzen ergibt sich aus dem vorliegenden, das
Verfahren und Rechtsfragen betreffenden Ablehnungsgesuch ohne persönliche
Parteilichkeits-Gesichtspunkte keine Besorgnis der Befangenheit gegenüber der Klägerin;
und zwar unabhängig von der Verständlichkeit, Widerspruchsfreiheit oder Richtigkeit der
richterlichen Hinweise und Verfügungen, sei es auch in Schriftform oder in Verbindung mit
einer Ausschlussfristverfügung.
g) Nach denselben Grundsätzen kann ein Befangenheitsgesuch im nur vorbereitenden
Verfahren nicht umgekehrt darauf gestützt werden, dass ein Richter sich bereits
"entscheiden müsse". Speziell in einer Senatssache i. S. v. § 5 Abs. 3 FGO ist es Aufgabe
eines Berichterstatters, ohne dem Senat hinsichtlich nur eines Lösungswegs vorzugreifen,
gemäß §§ 79 ff. FGO vor der mündlichen Verhandlung alle Anordnungen zu treffen, die -
möglicherweise zugleich in alternative Richtungen - notwendig sind, um den Rechtsstreit
möglichst in einer Verhandlung zu erledigen (§ 79 Abs. 1 FGO).
11
2. Nach dem Ausgeführten lässt sich eine Befangenheit der Berichterstatterin nicht darauf
stützen, dass die Klägerin aufgrund der Hinweise und Aufforderungen der
Berichterstatterin besorgt ist, ob sie hinsichtlich der Frage einer etwaigen
Bemessungsgrundlage von unrichtigen Voraussetzungen ausgeht und auf eine unrichtige
Entscheidung zusteuere. Denn selbst eine unrichtige richterliche Auffassung begründet
nicht ohne weiteres die Besorgnis der Befangenheit (1 c).