Urteil des FG Hamburg vom 07.05.2014

FG Hamburg: vermietung, hotel, prostitution, nacht, steuersatz, prostituierte, beschränkung, eugh, unternehmer, anteil

Rechtsprechung
Suche
Erweiterte Suche
Gerichte
Rechtsgebiete
Gesetze/Verordnungen
1
2
DRUCKEN
WEITEREMPFEHLEN
Umsatzsteuergesetz: Ermäßigter Steuersatz bei stundenweiser Vermietung von Hotelzimmern
1. Die stundenweise Überlassung von Hotelzimmern unterliegt nicht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz gemäß § 12 Abs. 2
Nr. 11 UStG unabhängig davon, ob die Zimmer an Prostituierte oder deren Kunden vermietet werden.
2. § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG setzt für die "Vermietung von Wohn- und Schlafräumen" grundsätzlich voraus, dass dem Gast die
Nutzungsmöglichkeit des Zimmers für mindestens eine Übernachtung eingeräumt wird.
3. Die stundenweise Überlassung von Hotelzimmern stellt auch keine Vermietung und Verpachtung von Grundstücken i. S. d.
§ 4 Nr. 12 Buchst. a) UStG dar.
Rev., Az.: V R 30/14
FG Hamburg 2. Senat, Urteil vom 07.05.2014, 2 K 293/13
§ 4 Nr 12 UStG, § 12 Abs 2 Nr 11 UStG
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist, ob die Umsätze der Klägerin aus der halbstundenweisen Überlassung von
Hotelzimmern dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen.
Die Klägerin betreibt seit November 2011 ein Hotel .... Das Hotel liegt in einem
Sperrbezirk, in dem die Prostitution untersagt ist. Direkt neben dem Hotel befindet sich ein
"Sex-Shop" mit Videokabinen. In der umliegenden Gegend halten sich oftmals
Betrunkene und Drogendealer auf. Das Hotel war im Streitzeitraum stark
renovierungsbedürftig. Lediglich zwei der 16 Zimmer waren renoviert. Aufgrund des
Zur Hauptnavigation springen
.
Zur Suche springen
.
Zum Inhalt springen
.
Stichwort, Adresse oder Veranstaltung
Suchen
Hamburger Justiz
Justizportal Hamburg
Gerichte
Staatsanwaltschaften
Behörde für
Justiz und Gleichstellung
E-Justice
Impressum
Unternehmen
Sitemap
3
4
5
6
7
8
9
10
11
schlechten Zustands wurde das Hotel nicht beworben.
Nach den Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung verteilen sich die Zimmer über
das Erdgeschoss und das Obergeschoss. Zwei bis drei der Zimmer waren im
Streitzeitraum dauerhaft zu Wohnzwecken vermietet. Die fünf bewohnbaren Zimmer im
Erdgeschoss wurden vornehmlich im Takt von einer halben Stunde vermietet. Auf
Wunsch standen diese Zimmer auch Übernachtungsgästen zur Verfügung. Die Zimmer im
Obergeschoss wurden für Übernachtungsgäste vorgehalten.
Alle Zimmer des Hotels waren wie übliche Hotelzimmer ausgestattet, wobei keines der
Zimmer - auch nicht die renovierten - über eine Toilette verfügte; diese befand sich
ausschließlich auf dem Gang. Es waren auch nicht in allen Zimmern Duschen oder
Badewannen vorhanden. Die halbstundenweise überlassenen Zimmer verfügten über
keinerlei Sonderausstattungen, wie sie sich üblicherweise in einem Bordellbetrieb finden
lassen. Außer dem Wechsel von Bettwäsche und Handtüchern wurden seitens der
Klägerin auch bei einer halbstündigen Anmietung keine Zusatzleistungen erbracht.
Frühstück bot die Klägerin nicht an. Lediglich Getränke und Kondome verkaufte sie an
Gäste. Keines der Zimmer vermietete sie an Prostituierte.
Die Identität der Hotelgäste hielt die Klägerin bei der halbstundenweisen Vermietung
nicht fest. Insbesondere wurden weder die die Zimmer anmietenden männlichen Gäste,
noch die sie begleitenden Frauen danach befragt, ob es in den Zimmern zur Ausübung
von Prostitution komme.
Die zwei renovierten Zimmer kosteten 60 bis 70 € pro Übernachtung. Für die nicht
renovierten Zimmer wurden - je nach Zahlungskraft des Gastes - 25 bis 30 €, manchmal
50 € verlangt. Die Bezahlung wurde im Voraus bar geleistet. Die Tageseinnahmen aus
der stundenweisen Vermietung sowie die Erlöse aus der Überlassung der Zimmer an
Übernachtungsgäste wurden im Streitzeitraum täglich auf jeweils einem DIN A4-Zettel
festgehalten. Das Bargeld wurde in einem Portemonnaie aufbewahrt. Am Ende des
Tages wurden die Tageseinnahmen zusammen gezählt und mit dem Einnahmenzettel
verglichen. Der festgestellte Betrag wurde sodann in ein Kassenbuch übertragen. Die
Einnahmenzettel wurden nicht aufbewahrt. Entgelte aus der halbstundenweisen
Überlassung der Zimmer und aus der Überlassung für eine Nacht oder länger wurden
nicht getrennt verbucht.
Die Klägerin gab ihre Anmeldung zur Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für
das dritte Kalendervierteljahr 2012 am 9. Oktober 2012 ab und berichtigte diese mit
Anmeldung vom 8. Januar 2013. Dabei erklärte sie unter anderem Nettoumsätze zum
ermäßigten Steuersatz i. H. v. ... €.
Der Beklagte führte bei der Klägerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für das vierte
Quartal 2012 bis einschließlich zum zweiten Quartal 2013 durch. Eine
Betriebsbesichtigung fand am ... statt. Ausweislich eines Vermerks des Beklagten habe
die Geschäftsführerin der Klägerin A gegenüber dem Betriebsprüfer B erklärt, fast
sämtliche Umsätze resultierten aus dem Betrieb als Stunden-Hotel. Lediglich zwei
renovierte Zimmer hätten letztmalig vor ca. drei bis vier Monaten an zwei Paare für eine
Nacht vermietet werden können. Die schlechte Lage des Hotels sowie der
heruntergekommene Eindruck mache die anfangs geplante touristische Vermietung so
gut wie unmöglich. Lediglich durch den Betrieb als Stunden-Hotel rentiere sich der
Betrieb. Ein Bordell werde nicht betrieben, man vermiete lediglich Zimmer. Eine
Vermietung der Zimmer ohne Gelegenheit der Prostitution sei nahezu ausgeschlossen.
Auf Grundlage dieser Aussagen und den sonstigen Prüfungsfeststellungen erließ der
Beklagte am 2. September 2013 unter anderem einen geänderten Bescheid über die
Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das dritte Kalendervierteljahr 2012. Die
Vermietung der renovierten Zimmer für eine Nacht an zwei Paare legte er dabei als
einzige Übernachtung in den letzten drei bis vier Monaten zugrunde und folgerte daraus,
dass 99 % der Umsätze der Klägerin aus dem Betrieb als Stunden-Hotel erwirtschaftet
wurden. Bei diesen Umsätzen handele es sich nicht um gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 11 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) ermäßigte Umsätze aus der Vermietung von Wohn- und
Schlafräumen, die ein Unternehmer zu kurzfristigen Beherbergung von Fremden
bereithalte. Bei der halbstundenweisen Zimmerüberlassung stehe nicht die Vermietung
von Wohn- oder Schlafmöglichkeiten im Vordergrund, sondern die Möglichkeit, in diesen
Räumen sexuelle Leistungen gegen Entgelt erbringen und konsumieren zu können. Er
unterwarf daher die nach der Anmeldung der Klägerin ermäßigt zu besteuernden
Umsätze zu 99 % dem Regelsteuersatz von 19 %.
Am 18. September 2013 legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Einspruch ein.
Mit Bescheid vom 28. Oktober 2013 wurde der Einspruch als unbegründet
zurückgewiesen.
12
13
14
15
16
17
18
19
Am 29. November 2013 hat die Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin vor, sie betreibe nicht nur stundenweise
Zimmervermietung. Zu ihrem Gästeprofil gehörten auch Touristen, Studenten,
Arbeitnehmer und Geschäftsleute für jeweils eine bis mehrere Übernachtungen.
Außerdem würden die Zimmer auch von Pärchen sowie Obdachlosen für Körperpflege
und Entspannung benutzt. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Prostituierte Gästen auf das
Zimmer folgten. Dieses geschehe jedoch allein auf Veranlassung des Gastes. Sie, die
Klägerin, habe keinerlei Möglichkeit, eine entsprechende Tätigkeit auf den Zimmern zu
unterbinden. Ihre Geschäftsführerin habe niemals gegenüber dem Betriebsprüfer
geäußert, dass Zweck der Zimmerüberlassung offensichtlich die Ausübung der
Prostitution sei. Auch habe sie dem Prüfer gegenüber zu keinem Zeitpunkt erklärt, dass
eine Vermietung der Zimmer ohne die Möglichkeit der Prostitution ausgeschlossen
werden könne. Die Geschäftsführerin habe lediglich mitgeteilt, dass einige Frauen, die
den die Zimmer anmietenden Männern folgten, dem äußeren Erscheinungsbild nach
möglicherweise der Prostitution nachgingen.
Im Übrigen falle auch die stundenweise Vermietung von Hotelzimmern unter § 12 Abs. 2
Nr. 11 UStG. Der Schwerpunkt der Leistung der Klägerin liege in der Überlassung von
Wohn- und Schlafmöglichkeiten. Zur Ausübung von Prostitution werde kein einziges
Zimmer überlassen. Ob tatsächlich der Prostitution auf dem Zimmer nachgegangen
werde, entziehe sich ihrer Kenntnis und könne von ihr auch nicht ermittelt werden, da
insoweit keiner ihrer Gäste bei Nachfragen wahrheitsgemäß antworten würde. Überhaupt
bestreitet sie, dass ihre Zimmer an "Freier" vermietet worden seien. Auf Grundlage der
Argumentation des Beklagten müsse dann auch Luxushotels der ermäßigte Steuersatz
versagt werden. Auch dort sei es schlicht nicht möglich zu verhindern, dass ein Gast eine
Prostituierte mit auf sein Zimmer nehme. In der Literatur sei zudem anerkannt, dass auch
Stunden-Hotels dem ermäßigten Steuersatz unterlägen. Dagegen spreche auch nicht die
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu bordellähnlichen Betrieben.
Der geschätzte Anteil der auf die stundenweise Vermietung entfallenden Umsätze i. H. v.
99 % sei nicht nachvollziehbar. Nach der Betriebsprüfung habe sie, die Klägerin, die
normalen Übernachtungen getrennt von der stundenweisen Überlassung erfasst. Für
August, September und Oktober 2013 würden sich Umsätze von jeweils ... € für die
reguläre Hotelvermietung sowie von jeweils ... € für die halbstundenweise Überlassung
ergeben. Diese werde zudem durch die für diese Monate eingereichten Passkopien der
Übernachtungsgäste unterlegt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das dritte
Kalendervierteljahr 2012 vom 2. September 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 28. Oktober 2013 dergestalt zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf ... € festgesetzt
wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin könne sich nicht auf § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG berufen. Dieser sei als
Sondertatbestand zu § 4 Nr. 12 Satz 1 UStG anzusehen, der die grundsätzlich steuerfreie
dauerhafte Vermietung von Wohn- und Schlafräumen regele. Das in beiden Tatbeständen
vorhandene Merkmal "Vermietung von Wohn- und Schlafräumen zur kurzfristigen
Beherbergung von Fremden" sei einheitlich auszulegen. Dem Grund und dem Charakter
nach müsse es sich um eine Vermietungsleistung von Wohn- und Schlafräumen handeln,
die grundsätzlich steuerfrei wäre, und sich nur durch das Merkmal der Verweildauer
unterscheide. Dieses sei bei der stundenweisen Überlassung von Räumlichkeiten nicht
der Fall. Innerhalb von einer Stunde oder weniger dienten die Räume nicht zum Wohnen
oder Schlafen, sondern allein zur Ausübung der Prostitution. Dass die Räumlichkeiten
von den Freiern, nicht aber von den Prostituierten angemietet worden seien, sei dabei
unerheblich. Dieses entspreche auch der Literaturauffassung. Die von der Klägerin
angeführte Rechtsprechung des BFH stehe dieser Auslegung nicht entgegen.
Die geschätzte Höhe der auf die stundenweise Vermietung entfallenden Umsätze sei
nicht zu beanstanden. Die Geschäftsführerin der Klägerin habe dem Prüfer gegenüber
erklärt, dass eine tageweise Vermietung an Touristen wegen der schlechten Lage und
des heruntergekommenen Zustands des Hotels so gut wie unmöglich sei. Bestätigt werde
dies zudem durch den im Rahmen der Geschäftsbesichtigung vorgefundenen Zettel über
die Tageseinnahmen am 14. August 2013, in dem ausschließlich Einnahmen aus der
stundenweise Vermietung verzeichnet worden seien. Anderes ergebe sich auch nicht aus
der Behauptung der Klägerin, dass lediglich fünf Zimmern für die halbstundenweise
Überlassung vorgehalten worden seien. Zum einen decke sich dies nicht mit den
Feststellungen des Prüfers, zum anderen sei dieser Vortrag unerheblich, da er noch
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
nichts über die Höhe anderweitiger Einkünfte aussage.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Betriebsprüfers B sowie des
Angestellten der Klägerin und Lebenspartner der Geschäftsführerin C als Zeugen.
Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschriften über den
Erörterungstermin vom 3. April 2014 sowie die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2014
verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
(Rechtsbehelfsakte, Bp-Arbeitsakte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist größtenteils unbegründet.
I. Der Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das dritte
Kalendervierteljahr 2012 vom 2. September 2013 ist teilweise rechtswidrig und verletzt
die Klägerin dadurch in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO). Der Beklagte hat zur Recht die Umsätze aus der stundenweisen
Zimmervermietung dem Regelsteuersatz unterworfen (1.). Der Höhe nach sind diese auf
90 % - nicht wie vom Beklagten angenommen 99 % - der von der Klägerin erklärten
ermäßigt zu besteuernden Nettoumsätze zu schätzen (2.).
1. Bei der halbstundenweisen Überlassung von Hotelzimmern an Gäste handelt es sich
um eine steuerbare sonstige Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abs. 9 UStG.
Diese unterliegt dem Regelsteuersatz. Weder ist der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs.
2 Nr. 11 UStG anzuwenden (a), noch ist die Leistung nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a)
UStG umsatzsteuerfrei (b).
a) Auf die Umsätze der Klägerin aus der halbstundenweisen Überlassung von
Hotelzimmern ist der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 UStG, der mit Wirkung
zum 1. Januar 2010 durch Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung des
Wirtschaftswachstums vom 22.12.2009 (BGBl I 2009, 3950) eingeführt wurde, nicht
anwendbar.
aa) Nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG unterliegt dem ermäßigten Steuersatz von 7 %
die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen
Beherbergung von Fremden bereithält. Dies gilt nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar
der Vermietung dienen, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung
abgegolten sind, § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG.
Als Ausnahmevorschrift zu § 12 Abs. 1 UStG, wonach grundsätzlich jeder steuerbare
Umsatz und damit auch jede sonstige Leistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt
erbringt, mit dem Regelsteuersatz der Umsatzsteuer unterliegen soll, ist § 12 Abs. 2 Nr. 11
UStG eng auszulegen. Dies verdeutlicht auch die Gesetzesbegründung zu dessen
Einführung. Die Ermäßigung soll sowohl die Umsätze des klassischen Hotelgewerbes als
auch kurzfristige Beherbergungen in Pensionen, Fremdenzimmern und vergleichbaren
Einrichtungen umfassen (Gesetzesentwurf zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom
9. November 2005, BT-Drucksache 17/15, unter Begründung A., S. 11). Erfasst werden
sollen allein die reinen Beherbergungsleistungen, nicht jedoch Leistungen, die nicht
unmittelbar der Vermietung dienen (Bericht des Finanzausschusses vom 3. Dezember
2009, BT-Drucksache 17/147, unter B. zu Artikel 5, S. 9, 10).
bb) Vorliegend fehlt es bei dem gebotenen engen Verständnis bereits an einer
"Vermietung" von "Wohn- und Schlafräumen", die zur kurzfristigen "Beherbergung"
bereitgehalten werden.
(a) Es ist davon auszugehen, dass die von der Klägerin halbstundenweise vermieteten
Zimmer keinerlei besondere Ausstattungsmerkmale aufweisen, sondern mit denjenigen
Zimmern vergleichbar sind, die auch für Übernachtungsgäste für ein oder mehrere
Übernachtungen bereitgehalten werden. Es handelt sich mithin um Räumlichkeiten, die
so eingerichtet sind, dass darin gewohnt und geschlafen werden kann und die der
Aufnahme von Personen zur Gewährung von Unterkunft dienen können (vgl. Nieskens in
Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 11, Anm. 51).
(b) Jedoch werden diese Zimmer nicht als Wohn- und Schlafräume zur Beherbergung
überlassen.
In Literatur und Rechtsprechung wurde eine "Vermietung von Wohn- und Schlafräumen"
bisher in Fällen verneint, in denen im Rahmen eines Bordells oder bordellartigen Betriebs
vom Unternehmer Zimmer direkt an Prostituierte vermietet werden, damit diese - unter
32
33
34
35
36
Inanspruchnahme ggf. weiterer Zusatzleistungen in Form der bereitgestellten Infrastruktur
(z. B. Vollverpflegung, Wäscheservice, Videoüberwachung u. ä.) - die Prostitution
ausüben können. Der Schwerpunkt der Leistung liege dann nicht in der Überlassung von
Wohn- oder Schlafmöglichkeiten. Im Vordergrund stehe vielmehr die Möglichkeit, in den
überlassenen Räumen sexuelle Leistungen gegen Entgelt zu erbringen und zu
konsumieren. Die Räume dienten damit nicht der Beherbergung von Personen, sondern
der Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit (vgl. Nieskens in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist,
UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 11, Anm. 53; Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 12 Abs. 2 Nr. 11, Rz.
542; FG Düsseldorf, Urteil vom 1. Juni 2012 - 1 K 2723/10 U, EFG 2012, 1699 ff.; Urteil
vom 1. Juni 2012 - 1 K 2816/10 U, juris; BFH, Urteil vom 22. August 2013 - V R 18/12,
BStBl. II 2013, 1058).
Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall der entgeltlichen Zimmerüberlassung im
Halbstundentakt. Die "Vermietung von Wohn- und Schlafräumen", die zur "Beherbergung"
bereitgehalten werden, setzt nach dem natürlichen Sprachgebrauch bei gebotenem
engen Verständnis voraus, dass die Räumlichkeiten dem Gast für eine gewisse
Mindestdauer überlassen werden. Diese ist jedenfalls bei einer Überlassung von lediglich
einer halben oder ganzen Stunde nicht erreicht, sondern erfordert regelmäßig die
Nutzungsmöglichkeit für einen längeren Zeitraum, mindestens für eine Übernachtung.
Prägend beim "Wohnen und Schlafen" in einem geschützten Rückzugsraum sowie bei
einer "Beherbergung" ist regelmäßig das Verweilen über Nacht. Dieses entspricht auch
dem Verständnis von einem klassischen Hotelbetrieb, der nach der Gesetzesbegründung
gerade privilegiert werden sollte. Wesensmerkmal ist daher die
Mindestverweilmöglichkeit von einer Übernachtung.
Wer hingegen wie die Klägerin von vornherein seine an sich als Wohn- und Schlafraum
ausgestatteten Räumlichkeiten in der Taktung von einer halben Stunde überlässt, richtet
sich schon aufgrund der zeitlichen Beschränkung an einen Kundenkreis, der diese
Räumlichkeiten gerade nicht primär zum Wohnen und Schlafen im Sinn einer
Beherbergung über Nacht benötigt und entsprechend nutzen will. Vielmehr liegt einer
solchen Raumüberlassung regelmäßig eine andere Geschäftsgrundlage zugrunde, die ihr
den Charakter als Vermietung von Wohn-und Schlafräumen nimmt. Bei einem
"Hotelbetrieb", der sich in unmittelbarer Nähe ..., zahlreichen Betrieben der Erotikbranche
sowie in einem Viertel mit - trotz Sperrbezirksverordnung - existierender
Straßenprostitution befindet, zielt ein solches Angebot der halbstündigen
Zimmerüberlassung auch darauf ab, potentielle "Freier" als Kunden zu gewinnen. Soweit
die Klägerin bestreitet, dass überhaupt Zimmer an potentielle Freier vermietet wurden, ist
dies lebensfremd und widersprüchlich zu ihren übrigen Einlassungen, wonach manchen
männlichen Gästen Frauen nachfolgten, die möglicherweise dem äußeren Anschein nach
der Prostitution nachgingen. Letztlich war sie durch den Verkauf von Kondomen an ihre
Kunden auch auf diesen Betrieb eingestellt. Geschäftsgrundlage einer solchen
Überlassung von Räumlichkeiten ist dann aber, dass in den Räumen sexuelle Leistungen
gegen Entgelt erbracht bzw. konsumiert werden.
(c) Dabei ist der Einwand der Klägerin unerheblich, sie betreibe gerade kein Bordell,
stelle keine bordellartige Infrastruktur zur Verfügung und vermiete überdies nicht an
Prostituierte. Allein entscheidend ist, dass aufgrund des zeitlichen Moments der
halbstundenweisen Überlassung von Räumlichkeiten der Zielsetzung und dem Charakter
nach keine "Vermietung von Wohn- und Schlafräumen" vorliegt, da diese eine dem Gast
eingeräumte Nutzungsmöglichkeit von mindestens einer Übernachtung erfordert. Bei
diesem anzulegenden Maßstab geht der Leistungscharakter als "Vermietung von Wohn-
und Schlafräumen" nicht erst durch Überlassung von speziell eingerichteten Zimmern an
Prostituierte zur Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit verloren. Auch die schlichte
Zimmerüberlassung ohne Zusatzleistungen ausschließlich an den männlichen Gast als
Privatmann und nicht die Prostituierte als Gewerbetreibende ist wegen der nur
kurzfristigen Nutzungsmöglichkeit keine begünstigte Beherbergungsleistung.
Auch der Einwand der Klägerin, sie könne nicht kontrollieren, ob ein Gast ein Zimmer
lediglich deshalb anmiete, um sexuelle Dienstleistungen zu konsumieren, weil sie bei
Nachfragen keine ehrliche Antworten von den Gästen erhielte, ist unbeachtlich. Aufgrund
des räumlichen und geschäftlichen Umfelds des Hotels steht zum einen fest, dass die
Klägerin mit dem Angebot der halbstündigen Überlassung von Räumen gerade auf
"Freier" als Kunden abzielte. Dieses wird zudem von dem Umstand gestützt, dass
mangels Erfassung von Namen und Anschrift sowie der Barzahlung der Gast anonym
blieb. Zum anderen ist allein entscheidend, dass auch bei mangelnder
Kontrollmöglichkeit die Überlassung von Räumlichkeiten im Halbstundentakt - im
Rahmen einer Negativabgrenzung - gerade nicht darauf abzielt, eine klassische
Beherbergungsleistung zur Übernachtung anzubieten.
Soweit sich die Klägerin darauf berufen hat, teilweise würden ihre Zimmer auch von
Obdachlosen zur Körperpflege angemietet, bestehen bereits Zweifel, dass dies aufgrund
37
38
39
40
41
42
43
der schlechten sanitären Einrichtungen des Hotels und des Preises von 11 € pro halber
Stunde in nennenswertem Umfang tatsächlich stattgefunden hat. Prägender Charakter
einer solchen Leistung wäre aber ebenfalls nicht die Beherbergung über Nacht, sondern
das Bereitstellen von sanitären Einrichtungen gegen Entgelt, wie dies beispielsweise
auch an größeren Bahnhöfen oder Flughäfen üblich ist, ohne dass eine
Beherbergungsleistung angenommen werden kann.
Die Klägerin kann sich schließlich nicht darauf berufen, auch Luxushotels sei dann der
ermäßigte Steuersatz für ihre Übernachtungsleistungen zu verwehren, da diese auch
nicht ausschließen könnten, dass Hotelgäste Prostituierte mit auf ihr Zimmer nähmen.
Das Geschäftsmodell der Klägerin, das gerade auf eine kurzfristige Überlassung der
Räumlichkeiten für eine halbe oder volle Stunde abzielt, ist damit nicht vergleichbar. Bei
der Vermietung von Wohn- und Schlafräumen für mindestens eine Nacht steht das Ziel
des Hoteliers im Vordergrund, eine klassische Beherbergungsleistung zu erbringen. Er
hält das Zimmer für die Beherbergung für mindestens eine Nacht bereit und vermietet es
damit zu Wohn- und Schlafzwecken. Mit einem entsprechenden Vertragsangebot der
Nutzungsmöglichkeit für mindestens eine Nacht wendet er sich an den Gast, der das
Angebot annimmt und eine solche Nutzungsmöglichkeit erhält. Entsprechend ist der Preis
als Übernachtungspreis kalkuliert und wird nicht bei nur stundenweiser Nutzung durch
den Gast reduziert.
cc) Auch nach den Vorgaben der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November
2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystemrichtlinie -
MwStSystRL-) sind die hier streitigen Umsätze aus der halbstundenweisen Überlassung
von Räumlichkeiten nicht ermäßigt zu besteuern.
Gemäß Titel VIII Kapitel 2 Abschnitt 2 Art. 98 Abs. 2 der MwStSystRL sind ermäßigte
Steuersätze nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleitungen der in Anhang III
genannten Kategorien anwendbar. Gemäß der Kategorie 12 des Anhangs III kann ein
ermäßigter Mehrwertsteuersatz auf die Beherbergung in Hotels und ähnlichen
Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung
von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen angewandt werden.
Die MwStSystRL legt den Schwerpunkt der Befreiung auf das Tatbestandsmerkmal der
Beherbergung in Hotels oder einer einem Hotel ähnlichen Einrichtung. Wesensmerkmal
auch einer dem Hotel ähnlichen Einrichtung ist die Beherbergung für eine gewisse Dauer,
was insbesondere durch die Ergänzungen Ferienunterkünfte, Campingplätze sowie
Abstellplätze für Wohnwagen deutlich wird. All diesen Einrichtungen ist gemein, dass sie
für gewöhnlich für eine Mindestverweildauer von einer Übernachtung aufgesucht werden.
Wie bereits ausgeführt, ist dies bei den von der Klägerin erbrachten Leistungen, soweit es
die Vermietung im Halbstundentakt betrifft, von vornherein nicht angelegt.
b) Die Umsätze der Klägerin aus der Überlassung von Räumlichkeiten im
Halbstundentakt sind auch nicht nach § 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a) UStG von der
Umsatzsteuer befreit.
Nach dieser Vorschrift sind die Umsätze aus der Vermietung und der Verpachtung von
Grundstücken von der Umsatzsteuer befreit. Nicht befreit sind die Vermietung von Wohn-
und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden
bereithält, § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG.
aa) Die Steuerfreiheit scheidet zwar vorliegend nicht bereits aufgrund der
Rückausnahmeregelung des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG aus. Der von § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG
und § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG wortlautidentisch verwendete Tatbestand der
"Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen
Beherbergung von Fremden bereithält" ist einheitlich auszulegen (BFH, Urteil vom 22.
August 2013 - V R 18/12, BStBl. II 2013, 1058). Wie oben gezeigt, erfüllt die
halbstundenweise Vermietung von Räumen diesen Tatbestand nicht.
bb) Die Klägerin erzielt aber keine Umsätze aus der Vermietung oder Ver-pachtung von
Grundstücken. Der Begriff der Grundstücksvermietung ist auf der Grundlage der
MwStSystRL unionrechtskonform auszulegen. Die zivilrechtlichen Bestimmungen der
jeweiligen nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten sind insoweit nicht entscheidend.
Grundsätzlich besteht die Grundstücksvermietung darin, dass der Vermieter dem Mieter
gegen Zahlung des Mietzinses für eine vereinbarte Dauer das Recht überträgt, die
Mietsache in Besitz zu nehmen und gleich einem Eigentümer zu gebrauchen und andere
davon auszuschließen (vgl. Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 4 Nr. 12, Rz. 28 m. w. N.).
Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Steuerbefreiung für Umsätze durch
Grundstücksvermietung eng auszulegen. Dabei ist zu beachten, dass die Dauer der
Grundstücksnutzung ein Hauptelement des steuerfreien Umsatzes ist (vgl. BFH,
Beschluss vom 26. April 2002 - V B 168/01, BFH/NV 2002, 1345). Insbesondere zur
Abgrenzung der Vermietung von Räumlichkeiten nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG kommt es
auf die beabsichtigte Dauer der Nutzungsüberlassung an. Steuerbefreit ist regelmäßig nur
44
45
46
47
48
49
50
eine langfristige Vermietung vom mindestens sechs Monaten (BFH, Urteil vom 8. August
2013 - V R 7/13, BFH/NV 2013, 1952 ff.).
Daneben ist eine Grundstücksvermietung i. S. d. § 4 Nr. 12 Buchst. a) UStG nicht
anzunehmen, wenn nicht die Grundstücksnutzung, sondern die Möglichkeit, eine
bestimmte Betätigung auf dem Grundstück auszuüben, aus der Sicht des
Leistungsempfängers im Vordergrund steht, es sich mithin um einen Vertrag besonderer
Art handelt (vgl. BFH, Beschluss vom 13. September 2002 - V B 51/02, BFH/NV 2003,
212).
cc) Nach diesen Grundsätzen ist die Überlassung von Räumlichkeiten im
Halbstundentakt bereits wegen ihrer zeitlichen Beschränkung keine
Grundstücksvermietung. Wenn zur Abgrenzung der steuerfreien von der steuerpflichtigen
Vermietung aufgrund einer nur kurzfristigen Vermietung von Wohn- und Schlafräumen,
die zur Beherbergung von Fremden bereitgehalten werden (§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG), im
Wesentlichen das zeitliche Element ausschlaggebend ist, so muss dies erst recht für die
vorliegende Überlassung von Hotelzimmern gelten, die wegen der Beschränkung auf nur
eine halben oder ganzen Stunde bereits nicht als Beherbergungsleistung anzusehen ist.
Eine Überlassung von Hotelzimmern im Halbstundentakt ist bereits keine kurzfristige
Vermietung von Wohn- und Schlafräumen und erst Recht keine dauerhafte Vermietung.
Vielmehr steht aufgrund der zeitlichen Beschränkung der Raumüberlassung für den
Leistungsempfänger nicht die (langfristige) Grundstücksnutzung im Vordergrund, sondern
eine bestimmte andere, diese überlagernde Betätigungsmöglichkeit. Für einen "Freier"
als potentiellen Kunden ist dies die Möglichkeit, sexuelle Dienstleistungen zu empfangen.
Für den Obdachlosen ist es die Nutzung der sanitären Einrichtung. Diese überlagernden
Geschäftsgrundlagen führen zu einem Vertrag besonderer Art, der seinem Charakter nach
nicht auf die Grundstücksvermietung abzielt.
dd) Eine Steuerbefreiung der hier streitigen Vermietungsleistungen ergibt sich auch nicht
auf Grundlage der MwStSystRL. Nach Titel IX Kapitel 3 Artikel 135 Abs. 1 Buchst. l) und
Abs. 2 Buchst. a) der MwStSystRL befreien die Mitgliedsstaaten die Umsätze aus der
Vermietung und Verpachtung von Grundstücken von der Umsatzsteuer mit Ausnahme der
Umsätze aus der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe entsprechend den
gesetzlichen Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten oder in Sektoren mit ähnlicher
Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf als Campingplätze
erschlossenen Grundstücken.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft
(EuGH) stellen die im Titel IX vorgesehenen Befreiungen eigenständige Begriffe des
Gemeinschaftsrechts dar, die eine unionsrechtliche Definition erfordern. Die "Vermietung
von Grundstücken" im Sinn dieser Bestimmung ist in verschiedener Hinsicht ein anderer
Begriff als in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen. So bezieht sich die Vorschrift,
z. B. zur Festlegung einer Ausnahme von der Befreiung auf den Beherbergungsvertrag
("Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe"), den bestimmte nationale
Rechtsordnungen wegen des Hauptgewichts der vom Gastwirt erbrachten
Dienstleistungen und seiner Kontrolle über die Raumnutzung durch den Gast nicht als
Mietvertrag ansehen. Dies ändert aber nichts daran, dass in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des BFH zu § 4 Nr. 12 Buchst. a) UStG der Begriff "Vermietung von
Grundstücken" der MwStSystRL ebenfalls eng auszulegen, da er eine Ausnahme von
dem allgemeinen Grundsatz darstellt, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger
gegen Entgelt erbringt, der Umsatzsteuer unterliegt (vgl. EuGH, Urteile vom 12.
September 2000 - C-358/97 "Kommission/Irland", Slg 2000, I-6301 Rz. 51 ff. und vom 4.
Oktober 2001 C-326/99 "Goed Wonen", UR 2001, 484 Rz. 46).
Auch nach Vorgabe der MwStSystRL ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände
anzustellen, unter denen der Umsatz erfolgt, wobei insbesondere der Dauer der
Grundstücksnutzung als Hauptelement eines Mietvertrages besondere Bedeutung
zukommt. (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Januar 2001 - C-150/99 "Stockholm Lindöpark", UR
2001, 153 ff.). Die Dauer der Beherbergung ist auch nach der Rechtsprechung des EuGH
ein geeignetes Kriterium für die Unterscheidung zwischen der Gewährung von Unterkunft
im Hotelgewerbe als steuerpflichtigem Umsatz und der Vermietung von Wohnräumen als
befreitem Umsatz, weil sich eine Hotelbeherbergung gerade hinsichtlich der Verweildauer
von der Wohnraumvermietung unterscheidet (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 1998 - C-
346/95 "Blasi", UR 1998, 189 ff.).
Auch nach diesen Vorgaben ist die Überlassung von Räumlichkeiten im Halbstundentakt
wegen der zeitlichen Beschränkung sowie der damit verbundenen Änderung der
Geschäftsgrundlage und des Charakters der Leistung keine steuerbefreite Vermietung
von Grundstücken.
2. Den Anteil der auf die halbstundenweise Überlassung von Räumlichkeiten schätzt der
Senat auf 90 % der von der Klägerin in ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für das dritte
51
52
53
54
55
56
57
Vierteljahr 2012 erklärten ermäßigt zu besteuernden Umsätze.
a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) sind
Besteuerungsgrundlagen durch das Gericht zu schätzen, soweit es sie nicht ermitteln
oder berechnen kann. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige
Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht
vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung
nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Dies ist
dann der Fall, wenn die Buchführung den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO nicht
entspricht oder im Einzelfall ein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit anzuzweifeln.
Nach § 145 Abs. 1 AO muss die Buchführung so beschaffen sein, dass sie einem
sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die
Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. Die
Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen.
Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen täglich festgehalten werden (§ 146 Abs.
1 Satz 2 AO). Bücher, Aufzeichnungen, Buchungsbelege und sonstige Unterlagen, soweit
sie für die Besteuerung von Bedeutung sind, sind geordnet aufzubewahren (§ 147 Abs. 1
Nr. 1, 4 und 5 AO). Für die Aufteilung von Umsätzen in Umsätze zum Regelsteuersatz und
ermäßigt zu besteuernde Umsätze besteht eine Schätzungsbefugnis, wenn der
Steuerpflichtige im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht keine aussagekräftigen Unterlagen
vorlegt (vgl. BFH, Urteil vom 30. Juni 2011 - V R 18/10, BStBl. II 2013, 246).
Vorliegend ergibt sich die Schätzungsbefugnis daraus, dass die Klägerin die ihrem
Kassenbuch zugrunde liegenden Grundaufzeichnungen, die Tageszettel, nicht
aufbewahrt hat. Durch die Vernichtung der Tageszettel sind für den Streitzeitraum keine
Aufzeichnungen mehr vorhanden, anhand derer die Tageseinnahmen überhaupt
nachvollziehbar, überprüfbar und im Hinblick auf die halbstundenweise Überlassung
aufteilbar wären.
b) Die Wahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts,
wenn es - wie hier - seine eigene Schätzungsbefugnis aus § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m.
§ 162 AO ausübt. Ziel jeder Schätzung muss es sein, Besteuerungsgrundlagen so zu
ermitteln, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe kommen. Schätzergebnisse müssen
darüber hinaus wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (vgl. BFH-Urteil vom 18.
Dezember 1984 - VIII R 195/82, BStBl. II 1986, 226). Bestehen große
Manipulationsmöglichkeiten, wie dies bei Bargeschäften in erheblichem Umfang der Fall
ist, und hat der Steuerpflichtige fehlende Überprüfungsmöglichkeiten zu vertreten, weil er
Belege nicht vorlegt und Aufzeichnungen unrichtig sind, ist lediglich eine grobe
Schätzung geboten (vgl. BFH-Urteil vom 12. April 1988 - VIII R 154/84, BFH/NV 1989,
636). Es liegt in der Natur der Sache, dass das Ergebnis einer Schätzung von den
tatsächlichen Verhältnissen abweichen kann. Solche Abweichungen sind notwendig mit
einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Die
Schätzung muss sich allerdings in dem durch die Umstände des Falles gezogenen
Schätzungsrahmen halten (vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 - IV R 34/90, BStBl. II
1993, 259).
Auf dieser Grundlage begegnet die Schätzung des Beklagten rechtlichen Bedenken.
Dieser Schätzung von lediglich 1 % Prozent Umsätze zum ermäßigten Steuersatz lag
nach Aussage des Betriebsprüfers die Annahme zugrunde, die Vermietung der zwei
renovierten Zimmer für eine Nacht an zwei Pärchen vor drei bis vier Monaten vor dem
Termin der Ortsbesichtigung seien die einzigen Übernachtungen gewesen. Diese
Annahme ist für sich genommen nicht zutreffend, da der Zeitraum "drei bis vier Monate"
vor dem Tag der Betriebsbesichtigung durch den Zeugen am 14. August 2013 bereits
mehr als ein halbes Jahr nach den Streitzeitraum, dem dritten Quartal 2012, liegt.
Als sachgerecht erachtet das Gericht vielmehr einen Umsatz aus Übernachtungen von 10
% auf Grundlage folgender Umstände:
Das Hotel war grundlegend renovierungsbedürftig. Die Zimmer entsprachen ersichtlich
nicht zeitgemäßem Standard. So waren sie teilweise nicht mit Duschen ausgestattet.
Toiletten fanden sich in keinem der Zimmer. Mag ein Gast dies bei halbstündiger
Anmietung noch hinnehmen, so wird sich ein Übernachtungsgast, insbesondere bei
Zimmerpreisen von bis zu 60 bzw. 70 €, damit kaum zufrieden geben. Werbung für das
Hotel wurde nicht gemacht, eine Internetseite war nicht vorhanden, so dass die Klägerin
bei Übernachtungsgästen auf Laufkundschaft - wie auch vom Zeugen C bekundet -
angewiesen war.
Stellt man zusätzlich noch in Rechnung, dass durch Mehrfachbelegung der Zimmer bei
halbstündiger Überlassung der Tagesumsatz aus einem Zimmer leicht ein Vielfaches
eines Übernachtungsumsatzes betragen kann, erscheint die Annahme eines Umsatzes
aus Übernachtungen von 10 % sachgerecht. Berücksichtigt wird dabei, dass bei
Zimmerpreisen von 25 € bis 30 € für die nicht renovierten Zimmer durchaus auch bei
58
59
60
61
62
63
fehlender Werbung für das Hotel ein bestimmter Gästekreis, zum Teil auch als
Stammkunden - z. B. wie die vom Zeugen C bekundeten nicht zahlungskräftigen Arbeiter
und Monteure - angesprochen worden sein könnte. Ein Umsatzanteil von 10 % aus
Übernachtungen bedeutet bei einem von der Klägerin erklärten Bruttoumsatz von ca.
20.000 € im streitgegenständlichen Quartal bei einem Zimmerpreises von 25 € pro
Übernachtung und 13 Wochen im Quartal ca. 6,2 Übernachtungen in der Woche. Der
Einschätzung des Zeugen C, es habe täglich Übernachtungsgäste gegeben, wird damit
nahezu entsprochen.
Aus den weiteren Bekundungen des Zeugen C ergeben sich keine Anhaltpunkte für eine
Schätzung eines höheren Anteils an Übernachtungsumsätzen. Soweit er bekundet hat,
seiner Einschätzung nach seien vor Umgestaltung des Hansaplatzes 50 % bzw. nunmehr
40 % aller Gäste Übernachtungsgäste, lassen sich daraus nur bedingt Rückschlüsse auf
die Umsatzaufteilung ziehen, da die Übernachtungsgäste für sich genommen schon
unterschiedliche Übernachtungsentgelte zu zahlen hatten, die sich wiederum von den
Halbstundenpreisen unterschieden. Überdies ist diese Aussage unglaubhaft. Sie steht im
Widerspruch zu den Aufzeichnungen über die Tageseinnahmen am Tag der
Betriebsbesichtigung. Bereits bis 16:15 Uhr, als der Einnahmenzettel des Tages dem
Betriebsprüfer vorgelegt wurde, waren - je nach Lesart - zehn bis vierzehn Kurzzeitgäste
verteilt auf sechs Zimmer, jedoch kein einziger Übernachtungsgast erfasst. Nach
Bekunden des Zeugen C müssten es aber sechs bis neun (40 % der Gesamtgastzahl)
sein. Bei Annahme noch weiterer Kurzzeitgäste nach 16:15 Uhr und damit auch weiterer
Übernachtungsgäste wäre das Hotel rechnerisch bald überbelegt.
Ein höherer Anteil an Übernachtungsumsätzen ergibt sich auch nicht aus der von der
Klägerin für die Monate August bis Oktober 2013 behaupteten Aufteilung der Umsätze,
die von einem Anteil der Übernachtungsumsätze von ca. 32 % ausgeht. Insoweit hat die
Klägerin nicht vorgetragen, dass die Verhältnisse im Streitzeitraum vergleichbar waren.
Rausgegriffen hat die Klägerin zudem lediglich drei Monate, die bei Betrachtung der
einzelnen Monate wiederum schwanken und kein einheitliches Bild ergeben.
Die jeder Schätzung innewohnenden Ungenauigkeiten hat die Klägerin hinzunehmen, da
diese zum einen die mangelnde Beleglage für den Streitzeitraum zu vertreten hat sowie
die Darlegungs- und Feststellungslast für die ermäßigt besteuerten
Übernachtungsumsätze trägt.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 1 Satz 1
1. Halbsatz, Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
IV. Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, §
115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.