Urteil des FG Hamburg vom 13.06.2014

FG Hamburg: rechtliches gehör, vollziehung, fahrzeug, gespräch, aussetzung, ermessensfehler, vollstreckung, adv, rücknahme, unternehmen

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einstweilige Anordnung: Antrag auf Insolvenzeröffnung
1. Ermessensfehlgebrauch liegt nicht bereits deswegen vor, weil die Vollstreckungsrückstände noch nicht bestandskräftig
sind, auch dann nicht, wenn es sich hierbei um Schätzungsbescheide handelt.
2. Ein sehr zügig, d. h. bereits drei Monate nach Fälligkeit der Steuerschulden, gestellter Antrag Eröffnung des
Insolvenzverfahrens ist nicht zwangsläufig rechtsmissbräuchlich. Entscheidend ist, ob noch erfolgversprechende
Vollstreckungsmöglichkeiten bestehen.
FG Hamburg 6. Senat, Beschluss vom 13.06.2014, 6 V 76/14
§ 114 FGO
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, den
Antragsgegner (das Finanzamt -FA) zur Rücknahme eines Antrags auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens zu verpflichten.
Der Antragsteller arbeitete bis zu seiner Abmeldung am ... 2012 als selbstständiger
Fuhrunternehmer. Er hatte keine Angestellten.
Am 31.07.2013 übersandte der Antragsgegner eine Prüfungsanordnung. Anschließend
führte er eine Betriebsprüfung durch.
Der Antragsteller hatte in den Jahren 2009 bis 2012 keine Einkommensteuererklärungen
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abgegeben. Am 29.11.2013 erließ das FA für 2009 bis 2012 gem. § 162 AO
Einkommensteuerbescheide und schätzte hierbei jährliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb
in Höhe von ... €. Die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2009 bis 2012 wurden gem. §
164 Abs. 2 AO geändert. Das FA versagte die Berücksichtigung von
Vorsteuerabzugsbeträgen, da der Antragsteller keine diesbezüglichen Rechnungen
vorgelegt hatte.
Der Antragsteller legte gegen die Bescheide Einspruch ein und beantragte die
Aussetzung der Vollziehung. Mit Schreiben vom 20.02.2014 lehnte das FA den AdV-
Antrag ab. Die Einsprüche wurden durch Einspruchsentscheidung vom 16.06.2014 als
unbegründet zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist dem Prozessbevollmächtigten des
Antragstellers am 13.06.2014 zugefaxt worden.
Der Antragsgegner leitete Vollstreckungsmaßnahmen ein. Insbesondere erließ er am ...
2014 für die ihm bekannten Bankverbindungen Pfändungs- und Einziehungsverfügungen.
Diese waren erfolglos. Ein Vollziehungsbeamter versuchte am ... 2014, am ... 2014 und
am ... 2014 beim Antragsteller zu vollstrecken. Am ... 2014 erstellte der
Vollziehungsbeamte ein fruchtloses Pfändungsprotokoll. Dabei stellt er fest, dass der
Antragsteller in einem kleinen Zimmer ... wohnte und von der Unterstützung ... lebte. Die
dem Antragsgegner bekannten Kraftfahrzeuge konnten nicht aufgefunden werden.
Am ... 2014 beantragte der Antragsgegner beim Amtsgericht A unter der
Geschäftsnummer ... die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In diesem Zusammenhang
berief sich der Antragsgegner auf Abgabenrückstände in Höhe von 87.476,85 €.
Das Insolvenzgericht forderte den Antragsteller am 16.04.2014 (zugestellt am 23.04.2014)
auf binnen 14 Tagen zur Stellungnahme auf.
Durch den Beschluss des Amtsgerichts A vom ... 2014 wurde zur Aufklärung des
Sachverhalts die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet.
Der beauftragte Sachverständige meldete sich durch sein Schreiben vom 20.05.2014
beim Antragsteller und forderte ihn auf, diverse Unterlagen einzureichen. Am 02.06.2014
erinnerte der Sachverständige den Antragsteller an seine Verpflichtung zur Mitwirkung.
Am 05.05.2014 beantragte der Antragsteller eine einstweilige Anordnung beim
Finanzgericht.
Zwischen den Beteiligten haben nach Antragstellung beim Finanzgericht diverse
Verhandlungen stattgefunden. Der Antragsteller bat deshalb um Fristverlängerung, um
eine einvernehmliche Lösung mit dem FA zu finden. Am ... 2014 fand ein Gespräch an
Amtsstelle statt. Bei diesem Gespräch wurde eine tatsächliche Verständigung über die
streitigen Besteuerungsgrundlagen erzielt. Diese Verständigung wurde durch die
Änderungsbescheide vom 16.06.2014 umgesetzt. Die entsprechenden Bescheide sind
dem Prozessbevollmächtigten am 13.06.2014 zugefaxt worden. Hiernach ergaben sich
Rückstände von insgesamt 46.575,39 €.
Die ebenfalls am ... 2014 besprochene Ratenzahlungsvereinbarung kam nicht zustande,
weil sich anschließend ergab, dass die Steuerrückstände wegen bereits zurückgezahlter
Vorsteuern in Höhe von 22.777,99 € wesentlich höher waren. Dieser Umstand war von
keinem der anwesenden Beteiligten im Gespräch berücksichtigt worden. Außerdem
stellte sich nach dem Gespräch heraus, dass das vom Antragsteller als Sicherheit
angebotene Fahrzeug-1 bereits veräußert gewesen war.
Mit Schreiben vom 02.06.2014 lehnte der Antragsgegner den AdV-Antrag, den
Stundungsantrag und den Antrag auf Vollstreckungsaufschub ab.
Am 05.06.2014 teilte der Antragsteller mit, dass er nunmehr doch um eine gerichtliche
Entscheidung bitte.
Zur Begründung seines Antrags trägt der Antragsteller vor, dass das Stellen des
Insolvenzantrags ermessensfehlerhaft gewesen sei, denn das FA habe sein Ermessen
nicht ausgeübt. Dies sei insbesondere daran ersichtlich, dass der Sachbearbeiter des
Antragstellers, Herr B seinem Prozessbevollmächtigten telefonisch mitgeteilt habe, dass
ihn der Sachverhalt nicht interessiere und für ihn ausschließlich entscheidend sei, dass
die festgesetzten Steuer nicht bezahlt worden seien.
Das FA sei verpflichtet, die sich aus dem jeweiligen konkreten Steuerrechtsverhältnis
ergebenden Besonderheiten umfassend zu würdigen. Hierbei sei einzubeziehen, dass
zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht über die Einsprüche oder den AdV-Antrag
entschieden worden sei. Auch sei es nicht möglich, dass sich die Rückstände erhöhten,
da er, der Antragsteller, seinem Gewerbe zurzeit nicht nachgehen könne.
Es sei auch mit dem FA eine Vereinbarung getroffen worden, die das FA binde. Hierbei
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seien die Beteiligten übereinstimmend von Steuerschulden in Höhe von 19.000 €
ausgegangen. Auch deshalb sei die Aufrechterhaltung des Insolvenzantrages
ermessenswidrig.
Das FA sei auch nicht an der Beitreibung der Steuerrückstände interessiert, sondern
wolle ihn nur in ein Insolvenzverfahren treiben. Auch verhindere das FA bewusst die
Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit, denn die Wiederanmeldung seiner gewerblichen
Tätigkeit scheitere an dem Fehlen der Unbedenklichkeitsbescheinigung, die ihm das FA
verweigere.
Der Antragsgegner habe bereits kurz nach Bekanntgabe der Steuerbescheide
angefangen zu vollstrecken. Der Vollziehungsbeamte habe nicht bezweckt bei ihm zu
vollstrecken, sondern er habe von Anfang an nur das fruchtlose Pfändungsprotokoll
erstellen wollen. Der Insolvenzantrag sei deswegen auch unverzüglich nur zwei
Arbeitstage nach dem Vollstreckungsversuch gestellt worden.
Das FA habe auch die ihm angebotenen Zahlungen abgelehnt.
Zudem sei er Eigentümer eines Fahrzeug-1 nebst ... Auch verfüge er über weitere
Vermögensgegenstände.
Durch den Schriftsatz vom 05.06.2014 teilte der Antragsteller mit, dass er auch nach der
Veräußerung des Fahrzeug-1 noch über ausreichende Sicherheiten verfüge, da er einen
Trailer im Werte von ca. 6.500 € und einen Pkw im Wert von ca. 13.575 € habe.
Die Prüfungsanordnung sei rechtswidrig, da sie nicht an ihn, den Antragsteller, sondern
an seine Empfangsbevollmächtigten habe ergehen müssen. Zwar sei diese
Empfangsvollmacht von der C Unternehmensberatung widerrufen worden, dieser
Widerruf sei aber nicht beim FA angekommen.
Er sei davon ausgegangen, dass die C Unternehmensberatung sich um die
Betriebsprüfung kümmern werde und habe sich deshalb nicht um diese Angelegenheit
gekümmert. Anfang November habe er dann seine Buchhaltungsunterlagen zu seinem
Steuerberater bringen wollen. Nachdem er die Unterlagen in seinem Fahrzeug-1
deponiert habe, sei das Fahrzeug-1 gestohlen worden. In diesem Zusammenhang legt
der Antragsteller die Kopie der Diebstahlsanzeige vor.
Die Schätzungsbescheide bzw. die Änderungsbescheide vom 29.11.2013 seien
rechtswidrig, denn ihm sei vor Erlass kein rechtliches Gehör gewährt worden. Zudem
habe das FA nicht seinen Amtsermittlungspflichten entsprochen. Er, der Antragsteller
könne nichts dafür, dass ihm die Buchhaltungsunterlagen gestohlen worden seien.
Insbesondere hätte ihm die Gelegenheit gewährt werden müssen, Zweitbelege
anzufordern. Die Höhe der Schätzung sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Er wohne ...
und bräuchte daher nicht viel Geld zum Leben.
Die Entscheidung des Insolvenzgerichtes stehe unmittelbar bevor. Es müsse davon
ausgegangen werden, dass das Insolvenzverfahren durchgeführt werde und im Rahmen
des Insolvenzverfahrens die Fahrzeuge veräußert und sein Unternehmen aufgelöst
werde. Er könne keinen Eigenantrag stellen, da die Steuerschulden zu Unrecht
beständen, so dass er auch nicht die Möglichkeit habe, eine Restschuldbefreiung zu
erlangen.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den
Insolvenzantrag an das Amtsgericht A vom ... 2014 - Geschäftsnummer ... -
zurückzunehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Der Antragsgegner trägt vor, der Antrag auf Insolvenzeröffnung sei ermessensgerecht
gewesen. Der Antragsteller sei überschuldet. In den Jahren 2003 bis 2012 habe der
Antragsteller insgesamt Verluste in Höhe von 163.156 € generiert. Nach der Umsetzung
der tatsächlichen Verständigung beständen immer noch erhebliche Steuerschulden des
Antragstellers. Seit dem 02.01.2014 habe der Antragsteller keine Zahlungen geleistet.
Ausreichendes pfändbares Vermögen sei nicht vorhanden. Das zunächst als Sicherheit
angebotene Fahrzeug-1 sei bereits veräußert worden. Diesen Umstand habe der
Antragsteller bei der Besprechung am ... 2014 verschwiegen. Auch habe der
Antragsgegner aus dieser Veräußerung keine Zahlungen erhalten. Es sei zudem nicht
auszuschließen, dass noch weitere Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern
bestehen.
Die vom Antragsteller angebotenen Ratenzahlungen und sein vorhandenes Vermögen
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seien nicht ausreichend, um einen Vollstreckungsaufschub gewähren zu können.
Die Behauptung des Antragstellers, ihm seien die Buchhaltungsunterlagen gestohlen
worden, sei nicht glaubhaft, denn in der vorgelegten Diebstahlsanzeige seien die
Buchhaltungsunterlagen gerade nicht erwähnt.
Dem Gericht liegen die Vollstreckungsakten Bd. I zur Steuernummer .../.../... vor.
Entscheidungsgründe
II. Die Entscheidung ergeht wegen der besonderen Eilbedürftigkeit gem. § 114 Abs. 2
Satz 3 FGO durch die Vorsitzende.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Insbesondere ist der Finanzrechtsweg gegeben. Unabhängig davon, dass gegen den
Eröffnungsbeschluss und gegen die Abweisung des Insolvenzantrags Rechtsmittel zu
den ordentlichen Gerichten gegeben sind (§ 34 Abs. 2, §§ 6 und 7 InsO), gehört die
Rechtsfrage, ob das Finanzamt im Rahmen seiner Verwaltungstätigkeit eine fehlerfreie
Ermessensentscheidung getroffen hat, in die Zuständigkeit der Finanzgerichte (FG
Hamburg, Beschluss vom 18.08.2011 6 V 102/11, zitiert nach juris unter Hinweis auf BFH
Urteile vom 19.12.1989 VII R 30/89, BFH/NV 1990, 710; vom 11.12.1990 VII B 94/90,
BFH/NV 1991, 787; Beschluss vom 25.02.2011 VII B 226/10, BFH/NV 2011, 1017).
b) Da das Begehren des Antragstellers auf ein schlichtes Verwaltungshandeln
(Rücknahme eines Antrags) gerichtet ist (vgl. BFH Beschluss vom 28.02.2011 VII B
224/10, BFH/NV 2011, 763), ist im Hauptsacheverfahren die sonstige Leistungsklage in
der Form einer Unterlassungsklage gegeben (vgl. BFH Urteil vom 04.04.1984 I R 269/81,
BFHE 140, 509, BStBl II 1984, 563) und folglich im Verfahren zur Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes ein Antrag nach § 114 FGO (FG Hamburg, Beschluss vom 18.08.2011 6
V 102/11, zitiert nach juris).
c) Im Streitfall liegt auch das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf einstweilige
Anordnung mit dem Ziel der Rücknahme des Insolvenzantrags seitens des Finanzamtes
vor. Dieses ist für die Anrufung des Finanzgericht jedenfalls solange gegeben, bis das
Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen oder den
Eröffnungsantrag des Finanzamts mangels kostendeckender Masse rechtskräftig
abgelehnt hat und mit dieser Entscheidung des Insolvenzgerichts der Insolvenzantrag des
Finanzamts seine Erledigung gefunden hat, vgl. § 13 Abs. 2 InsO; danach kann der
Antrag nicht mehr zurückgenommen werden (BFH Beschluss vom 25.02.2011 VII B
226/10, BFH/NV 2011, 1017). Im Streitfall hat das Amtsgericht A das Insolvenzverfahren
über das Vermögen des Antragstellers noch nicht eröffnet.
2. Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Gestalt
der einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO ist jedoch unbegründet.
Eine einstweilige Anordnung kann nur unter besonderen, eng umschriebenen
Voraussetzungen ergehen. Diese gehen über die Anforderungen hinaus, die für die
Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts gestellt werden; dies ist
verfassungsrechtlich jedoch unbedenklich (BVerfG Beschluss vom 02.03.1984 1 BvR
255/84, HFR 1984, 239; BFH Beschluss vom 14.12.1987 IV B 97/87, BFH/NV 1988, 716).
Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese
Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile
abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig
erscheint (sog. Regelungsanordnung).
Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag ist, dass der Antragsteller den Anspruch,
aus dem er sein Begehren herleitet (sog. Anordnungsanspruch), und einen Grund für die
zu treffende Regelung (sog. Anordnungsgrund) schlüssig darlegt und deren tatsächlichen
Voraussetzungen glaubhaft macht. Fehlt es an einer der beiden Voraussetzungen, kann
die einstweilige Anordnung nicht ergehen (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der
Zivilprozessordnung; BFH Beschlüsse vom 25.02.1997 VII B 231/96, BFH/NV 1997, 428;
vom 07.01.1999 VII B 170/98, BFH/NV 1999, 818).
Im Streitfall hat der Antragsteller den Anordnungsanspruch nicht ausreichend glaubhaft
gemacht.
aa) Dazu hätte der Antragsteller substantiiert vortragen müssen, dass die Stellung des
Insolvenzantrags als eine in das pflichtgemäße Ermessen der Finanzbehörde gestellte
Vollstreckungsmaßnahme (vgl. § 249 Abs. 1, § 251 Abs. 1 AO) ermessensfehlerhaft (§
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102 FGO) erfolgt sei (BFH Beschluss vom 25.02.2011 VII B 226/10, BFH/NV 2011, 1017).
Ermessensfehler liegen insbesondere vor, wenn für den Antrag die gesetzlichen
Voraussetzungen nicht gegeben sind oder der Antrag aus sachfremden Erwägungen oder
unter missbräuchlicher Ausnutzung einer Rechtsstellung gestellt wurde (vgl. BFH
Beschluss vom 11.12.1990 VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787). Ein solcher Ermessensfehler
kann im Streitfall bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen
summarischen Prüfung nicht festgestellt werden.
Dabei ist die Entscheidung des Antragsgegners gemäß § 102 FGO gerichtlich nur darauf
überprüfbar, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen
in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht
worden ist.
Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann gestellt werden, wenn dem
Finanzamt ein Anspruch zusteht, der ihm im Insolvenzverfahren die Stellung eines
Insolvenzgläubigers vermittelt, und wenn ein Insolvenzgrund vorliegt (§ 14 Abs. 1 InsO).
Ein solcher Antrag darf nicht rechtsmissbräuchlich und aus sachfremden Erwägungen
gestellt werden.
bb) Im vorliegenden Fall ist nach summarischer Prüfung ein Ermessensfehler nicht
anzunehmen.
Zwar hat der Antragsteller vorgetragen, dass ein Ermessensnichtgebrauch bzw. -
fehlgebrauch vorliegt. Hiervon ist das Gericht jedoch nicht überzeugt.
aaa) Das Gericht geht nicht davon aus, dass ein Ermessensnichtgebrauch stattgefunden
hat, denn der Antragsgegner hat zuerst die alternativen und vorrangigen
Vollstreckungsmöglichkeiten ausgeschöpft.
bbb) Der Antragsgegner hat auch nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen eines
Insolvenzantrags verkannt. Er konnte im Streitfall von der Zahlungsunfähigkeit des
Antragstellers ausgehen. Soweit sich der Antragsgegner in seinem letzten Schriftsatz
zusätzlich auf eine mögliche Überschuldung beruft, ist dieses unschädlich.
Nach §§ 16, 17 InsO kann das Insolvenzverfahren bei Zahlungsunfähigkeit eröffnet
werden. Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 17 Abs. 2 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in
der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, und ist in der Regel
anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Danach stellt sich die
Zahlungsunfähigkeit als ein auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhendes dauerndes
Unvermögen des Schuldners dar, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden zu berichtigen
(FG Hamburg, Beschluss vom 18.08.2011 6 V 102/11, zitiert nach juris unter Hinweis auf
BFH Beschluss vom 23.07.1985 VII B 29/85, BFH/NV 1986, 41, 43).
Der Antragsgegner betreibt das Insolvenzverfahren wegen vollziehbarer
Steuerforderungen. Bei Antragstellung betrugen diese 87.476,85 €. Dabei ist es
unerheblich, dass es sich hierbei um Schätzungsbescheide handelte.
Mittlerweile haben sich die Beteiligten auf abweichende Besteuerungsgrundlagen
verständigt. Nach den Änderungsbescheiden vom 16.06.2014 sind immer noch
Rückstände von über 40.000 € verblieben. Anders als der Antragsteller meint, konnte
diese Verständigung nicht über die Steuern, sondern nur über die
Besteuerungsgrundlagen erfolgen. D. h. aus dem Umstand, dass am ... 2014 keiner der
Beteiligten einbezogen hat, dass eine erhebliche Auszahlung von Vorsteuern
stattgefunden hatte, kann nicht gefolgert werden, dass dieser Umstand unberücksichtigt
bleiben muss, denn ein Vergleich über die Steuer ist unzulässig. Möglich ist nur die
Verständigung über den Tatbestand, hier also über die Besteuerungsgrundlagen.
Vollstreckungsversuche blieben ohne Erfolg. Die Pfändungs- und
Einziehungsverfügungen gegenüber den dem FA bekannten Banken verliefen fruchtlos.
Auch der Pfändungsversuch des Vollziehungsbeamten gegenüber dem Antragsteller
führte nicht zum Erfolg. Sofern der Antragsteller vorträgt, der Vollziehungsbeamte habe
gar nicht versucht zu vollstrecken, kann er hiermit nicht überzeugen, denn der
Antragsteller hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, die Rückstände zu begleichen,
entweder durch Zahlung oder durch Übereignung von Gegenständen. Dieses hat er aber
nicht getan.
ccc) Entgegen der Ansicht des Antragstellers stellt es auch keinen Ermessensfehler dar,
dass der Antragsgegner das Insolvenzverfahren aufgrund noch nicht bestandskräftiger,
aber vollstreckbarer Steuerforderungen betreibt.
Unter welchen Voraussetzungen das Finanzamt aufgrund von Steuerforderungen im
Rahmen der Vollstreckung einen Insolvenzantrag stellen darf, richtet sich zunächst nach
den Vorschriften der Abgabenordnung (§ 251 Abs. 1 AO); unberührt bleiben dabei die
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Vorschriften der Insolvenzordnung für die Entscheidung über die Insolvenzeröffnung
sowie im Rahmen einer eröffneten Insolvenz (§ 251 Abs. 2 AO). Soweit es sich bei der
Stellung eines Insolvenzantrags um eine Maßnahme der Verwaltung im Rahmen der
Vollstreckung eines Verwaltungsakts handelt, setzt auch diese Art der Vollstreckung
grundsätzlich nur voraus, dass vollziehbare Bescheide vorliegen, d. h. dass die
Vollziehung dieser Steuerverwaltungsakte nicht ausgesetzt ist (§ 361 AO, § 69 FGO). Der
Schutz des Steuerpflichtigen vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme im Wege der
Vollstreckung wird dadurch erreicht, dass der Steuerpflichtige bei Zweifeln an der
Rechtmäßigkeit der Steuerforderungen oder bei unbilliger Härte die Aussetzung der
Vollziehung herbeiführen kann, entweder durch Antrag beim Finanzamt gemäß § 361
Abs. 2 AO bzw. § 69 Abs. 2 FGO oder beim Finanzgericht gemäß § 69 Abs. 3 FGO. Unter
Berücksichtigung dieser Rechtslage kann die Beantragung eines Insolvenzverfahrens
aufgrund vollziehbarer, aber noch nicht bestandskräftiger Steuerforderungen nicht als
ermessensfehlerhaft beanstandet werden (FG Hamburg, Beschluss vom 18.08.2011 6 V
102/11, zitiert nach juris). Erst wenn die Vollziehung ausgesetzt worden ist, könnte sich
ergeben, dass ein gleichwohl gestellter Insolvenzantrag unter Ermessensgesichtspunkten
zu beanstanden ist. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall jedoch nicht gegeben, denn
der Antragsgegner hat die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Im
Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung durch den Antragsgegner
waren die angefochtenen Bescheide nicht ausgesetzt und somit gemäß § 251 Abs. 1 AO
vollstreckbar.
ddd) Im Gegensatz zum Antragsteller ist das Gericht auch nicht davon überzeugt, dass der
Antragsgegner den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Ziel der
Existenzvernichtung rechtsmissbräuchlich gestellt hat.
Zwar beruft sich der Antragsteller auf ein Telefonat mit Herrn B vom FA, in dem dieser
erklärt haben soll, dass ihn der Sachverhalt nicht interessiere. Dieser Vortrag ist jedoch
nicht glaubhaft gemacht worden. Auch widerspricht er dem Aktenvermerk, der sich auf Bl.
62 und 63 der Vollstreckungsakte befindet.
Auch die extrem zügige Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits drei
Monate nach Fälligkeit der Steuerschulden, führt nicht zur Rechtsmissbräuchlichkeit.
Denn der Antragsgegner hatte bereits zu diesem Zeitpunkt alle ersichtlichen
Möglichkeiten ausgeschöpft. Zudem hat der Antragsgegner auch nach Stellung des
Insolvenzantrags mit dem Antragsteller versucht, Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten.
Auch hierbei zeigte sich, dass der Antragsteller nicht in der Lage ist, die rückständigen
Steuern zu begleichen.
Bei der Beurteilung der Rechtsmissbräuchlichkeit ist zu berücksichtigen, dass das
primäre Ziel eines Insolvenzverfahrens nicht die Zerschlagung von Vermögenswerten ist,
sondern die Schuldenbereinigung zur Fortsetzung unternehmerischer Betätigung. Die
zuverlässige Feststellung des Vermögens des Schuldners obliegt dem Insolvenzgericht
(vgl. BFH Beschluss vom 12.12.2005 VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900).
cc) Da bereits wegen des Fehlens eines Anordnungsanspruchs der Antrag des
Antragstellers keinen Erfolg hat, kann es dahingestellt bleiben, ob ein Anordnungsgrund
gegeben ist.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde war nicht
zuzulassen, da die Voraussetzungen der §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO nicht erfüllt sind.