Urteil des FG Hamburg vom 30.10.2012

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Umsatzsteuergesetz: ermäßigter Steuersatz für Wattwagenfahrten?
Wattwagenfahrten zwischen dem Festland und der Insel Neuwerk sind nicht mit dem ermäßigten Steuersatz
von 7 % zu besteuern, weil sie nicht im Rahmen des begünstigten öffentlichen Personennahverkehrs
erfolgen, sondern touristischen Charakter haben.
FG Hamburg 2. Senat, Beschluss vom 30.10.2012, 2 V 240/12
§ 12 Abs 2 Nr 10 Buchst b UStG
Tatbestand
I. Streitig ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, ob auf Erlöse aus dem Betrieb von Wattwagen der
ermäßigte Steuersatz von 7% anzuwenden ist.
Der Antragsteller betreibt auf der Nordseeinsel Neuwerk ein Fuhrunternehmen mit Wattwagen, die Personen
zwischen ... und der Insel Neuwerk befördern. Diese Personenbeförderung wird durch die Hamburgische
Wattwagenverordnung (WattwV) vom 23.08.2005 (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt 2005, 369)
geregelt. Nach § 2 der WattwV dürfen für die Personenbeförderung nur die mit zwei Pferden bespannten Wagen
mit hoch liegendem Gestell (Wattwagen) eingesetzt werden. Der Antragsteller verfügt über die für den Betrieb
von Wattwagen erforderlichen Erlaubnisse.
Der Antragsteller meldete im hier streitigen Zeitraum Juli bis Dezember 2011 die Erlöse aus dem Betrieb der
Wattwagen unter Berufung auf § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) mit dem
ermäßigten Steuersatz von 7 % an. Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung erließ der Antragsgegner am
09.08.2012 Bescheide für die Umsatzsteuervorauszahlungen Juli bis Dezember 2011, in denen der reguläre
Steuersatz für die Wattfahrten in Ansatz gebracht wurde. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom
13.08.2012., mit dem der Antragsteller geltend machte, die Wattfahrten, die der Personen- und
Gepäckbeförderung dienten, seien wie Taxifahrten ermäßigt zu besteuern. Hierüber ist gegenwärtig noch nicht
entschieden worden. Den zeitgleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner
am 17.08.2012 ab.
Am 30.08.2012 hat der Antragsteller die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Gericht beantragt. Der
ermäßigte Steuersatz entsprechend § 12 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG sei anzuwenden, weil die Wattfahrten
in einer Art Linienverkehr zwischen dem Festland und der Insel Neuwerk durchgeführt würden und der
Beförderung von Personen und Gepäck dienten. Nach deutschem und nach Unionsrecht sei die Erbringung
einer Beförderungsleistung das bestimmende Merkmal, während die Art des Beförderungsmittels nicht
entscheidend sei. Das Beförderungsmittel müsse nicht zwingend ein Kraftomnibus oder Personenkraftwagen
sein; nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien auch Schiffe Beförderungsmittel.
Zu beachten sei zudem, dass die Wattwagen wegen ihrer besonderen Bauweise für das Durchqueren des
Watts die geeigneten Fahrzeuge seien, während andere Fahrzeuge hierfür ungeeignet seien, weil sie
einzusinken drohten. Diese einmalige Besonderheit dürfe nicht die Versagung der Begünstigung zur Folge
haben.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlungen
für Juli bis Dezember 2011, jeweils vom 09.08.2012, insoweit von der Vollziehung auszusetzen als die
Umsätze aus dem Betrieb der Wattwagen mit dem regulären Steuersatz von 19 % anstelle des ermäßigten
Steuersatzes von 7 % besteuert worden sind.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen und beruft sich auf die geltende Rechtslage. Weder das
nationale Umsatzsteuergesetz noch die unionsrechtlichen Regelungen sähen eine Besteuerung mit dem
ermäßigten Satz vor.
Entscheidungsgründe
II. Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht Aussetzung der
Vollziehung gewähren, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes
bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben der für die
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Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zu Tage
treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der
Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige Rechtsprechung; Nachweise bei Seer in Tipke/ Kruse, AO FGO §
69, Rz. 89). Dabei muss der Erfolg nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg (z. B. BFH vom 21.12.1993,
VIII B 107/93, BStBl II 1994, 300). Derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen
Steuerfestsetzung bestehen nicht.
a) Nach § 10 Abs. 2 Nr. 10 Buchst. b UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für Beförderungen von Personen
im Schienennahverkehr, im Verkehr mit Oberleitungsomnibussen, im genehmigten Linienverkehr mit
Kraftfahrzeugen, im Verkehr mit Taxen, mit Drahtseilbahnen und sonstigen mechanischen Aufstiegshilfen aller
Art und im genehmigten Linienverkehr mit Schiffen sowie die Beförderungen im Fährverkehr, wenn die
Beförderungsstrecke nicht mehr als 50 Kilometer beträgt. Unionsrechtliche "Grundlage" für diese -bereits vor
Erlass der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(MwStSystRL) und der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG bestehende- Regelung ist Art. 98,
Anhang III Kategorie 5 MwStSystRL. Danach können die Mitgliedsstaaten einen ermäßigten Steuersatz auf die
Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks anwenden. Mit der Steuerbegünstigung sollen die
Beförderungen im öffentlichen Nahverkehr erfasst werden (BFH 10.07.2012 XI R 39/10, DStR 2012, 2128; vom
19.07.2007 V R 68/05, BStBl II 2008, 208; vom 31.05.2007 V R 18/05, BStBl II 2008, 206; Klenk in
Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 12 Rz. 462; Schuhmann in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 12 Rz. 1
ff.). Die ursprünglich im Beförderungsteuergesetz geregelte beförderungsteuerliche Begünstigung des
Sozialverkehrs sollte mit Inkrafttreten des Umsatzsteuergesetzes 1967 beibehalten werden (s. z. B.
Schuhmann in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 12 Rz. 1 ff.). Im Laufe der Zeit sind weitere
Beförderungsmittel in die gesetzliche Begünstigungsregelung aufgenommen worden, z. B. die Aufnahme der
Bergbahnen, Drahtseilbahnen und sonstigen mechanischen Aufstiegshilfen durch das Jahressteuergesetz
2008.
Die in diesem Verfahren streitigen Wattwagen i. S. der WattwV werden zwar auf einer Beförderungsstrecke von
nicht mehr als 50 Kilometern eingesetzt, als Beförderungsmittel unterfallen sie aber nach dem Wortlaut -
unzweifelhaft- keiner der in § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG genannten Verkehrsarten. Die von zwei Pferden
angetriebenen, speziell für den Transport im Watt entwickelten Fahrzeuge können weder als Schiffe bzw.
Fähren, noch als Omnibusse bzw. Kraftfahrzeuge oder Taxen angesehen werden. Insoweit sind die
Bestimmungen des Personenbeförderungsgesetzes (PersBfG) heranzuziehen. Nach § 4 Abs. 3 PersBfG sind
Oberleitungsomnibusse (Obusse) elektrisch angetriebene, nicht an Schienen gebundene Straßenfahrzeuge, die
ihre Antriebsenergie einer Fahrleitung entnehmen. Kraftfahrzeuge sind gem. § 4 Abs. 4 PersBfG
Straßenfahrzeuge, die durch eigene Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Schienen oder eine Fahrleitung
gebunden zu sein. § 47 Abs. 1 PersBfG definiert den Verkehr mit Taxen als Beförderung von Personen mit
Personenkraftwagen, die der Unternehmer an behördlich zugelassenen Stellen bereit hält und mit denen er
Fahrten zu einem vom Fahrgast bestimmten Ziel ausführt. Sämtliche Verkehrsarten stellen somit, der
technischen Entwicklung entsprechend, auf einen elektrischen Antrieb oder Maschinenantrieb ab. Der von zwei
Pferden betriebene Wagen lässt sich danach nicht im Wege der Auslegung unter die begünstigten
Verkehrsmittel des § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG subsumieren. Unabhängig von der Antriebsform kann der
Wattwagen -entgegen der Auffassung des Antragstellers- auch deshalb nicht als Taxi angesehen werden, weil
nicht der Kunde das Fahrziel bestimmt, sondern der Wattwagen vorwiegend planmäßig fährt.
Die MwStSystRL enthält ebenfalls keine Regelung, aus der unmittelbar eine Begünstigung der Wattwagen
hergeleitet werden könnte. Art. 98, Anhang III Kategorie 5 MwStSystRL eröffnet lediglich die Möglichkeit für
den nationalen Gesetzgeber, einen oder zwei ermäßigte Steuersätze bei der Beförderung von Personen
anzuwenden. Die Ausgestaltung im Einzelnen bleibt dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten.
b) Es kann auch nicht festgestellt werden, dass das nationale Umsatzsteuergesetz insoweit eine planwidrige
Lücke enthält, als es auf die Beförderung mittels Wattwagen nicht den ermäßigten Steuersatz anwendet, die im
Wege der Rechtsfortbildung zu schließen wäre. Hierfür wäre es erforderlich, dass der Gesetzgeber einen
bestimmten Plan gehabt hat, einen bestimmten Gesetzeszweck zu realisieren und ihm dies nicht gelungen ist
(vgl. z. B. Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., S. 144, Rz. 54 ff.). Gesetzlicher Zweck des § 12 Abs. 2 Nr. 10
Buchst. b UStG ist es, wie vorstehend dargestellt, die Beförderung von Personen im öffentlichen Nahverkehr
mit bestimmten Verkehrsmitteln zu begünstigen. Jedenfalls im Rahmen dieses summarischen Verfahrens kann
nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Existenz von Wattwagen "übersehen" haben
könnte, in Kenntnis dieses Beförderungsmittels die Wattwagen aber in die Begünstigung einbezogen hätte.
Abgesehen davon, dass begünstigende Vorschriften zwar nicht generell eng aus zu legen sind, sie aber nicht
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im Wege der Auslegung -im Hinblick auf Art 3 des Grundgesetzes- auf andere Steuerpflichtige ausgedehnt
werden können, wenn nach der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers die Begünstigungen auf bestimmte
Gruppen von Steuerpflichtigen beschränkt sind (z. B. BFH vom 04.11.1994 VI R 81/93, BStBl II 1995, 338),
sieht der erkennende Senat jedenfalls bei summarischer Betrachtung den Wattwagen nicht als typisches
Verkehrsmittel des Personennahverkehrs an, dessen Einbeziehung in den Kreis der begünstigten
Verkehrsmittel zwingend geboten erschiene. Die Wattwagen des Klägers befördern zwar Personen von ... am
Festland auf die Insel Neuwerk und umgekehrt nach einem festen, an der Tide orientierten Fahrplan.
Gleichwohl dienen diese Fahrten vornehmlich touristischen Interessen. Die Fahrten mit dem Pferdewagen über
das Watt werden als besonderes Erlebnis werblich herausgestellt; so heißt es auf der internet-homepage des
Antragstellers u. a.:
Ruhe und Beschaulichkeit im Spiel der Gezeiten mitten im Weltnaturerbe Wattenmeer - das ist die Insel
Neuwerk. Hier weht Ihnen ein frischer Wind um die Nase. Einmalig und besonders reizvoll ist eine Fahrt mit
unserem Wattwagen. Sie können mit dem Wattwagen von ... aus nach Neuwerk fahren und mit dem Schiff "..."
zurück oder umgekehrt. Gern können Sie auch eine Inselrundfahrt über die Insel machen (Dauer: eine Stunde)
oder wir organisieren eine Inselführung oder eine Führung ins Deichvorland für Sie.....
Genießen Sie die unterschiedlichen Stimmungen im Watt. Aus jeden Fall ist die An- und Abreise zur Insel
Neuwerk ein kleines Abenteuer.
Die Fahrten mit dem Wattwagen auf die Insel oder von der Insel zurück dürften Teil eines Tagesausflugs mit
Erlebnischarakter sein und unterscheiden sich damit deutlich vom regulären Personennahverkehr. Deshalb
kommt auch unter dem Gesichtspunkt der Neutralität der Umsatzsteuer keine Verletzung des Unionsrechts in
Betracht (vgl. BFH vom 10.07.2012 XI R 39/10, DStR 2012, 2128). Die Wattwagenfahrten stehen nicht im
Wettbewerbsverhältnis zu den übrigen Verkehrsmitteln.
Da die Umsatzsteuer eine allgemeine Verbrauchsteuer ist, werden Steuervergünstigungen grundsätzlich nur im
Interesse des Letztverbrauchers gewährt und grundsätzlich auch nur dann, wenn dies zur Vermeidung sozialer
Härten geboten ist. Aus gesetzgeberischer Sicht wird eine solche Ausnahmesituation auf dem Verkehrssektor
nur für den öffentlichen Personennahverkehr anerkannt und nicht für andere Verkehrsmittel, die weit
überwiegend der Touristik dienen (so Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des
Bundesrates zum Regierungsentwurf des Umsatzsteuergesetzes 1980, Bt-Drs. 8/1779, S. 56 bzgl. der
Nichtbegünstigung von Bergbahnen u. ä.). Wenn der Gesetzgeber gleichwohl weitere Verkehrsmittel in die
Begünstigungsregelung aufnimmt, wie beispielsweise mit dem Jahressteuergesetz 2008 die Berg- und
Drahtseilbahnen, die auch für den Tourismus von Bedeutung sind, liegt dies im Rahmen seines
Gestaltungsspielraumes, -etwa mit der Zielrichtung der Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen gegenüber
Betrieben des benachbarten Auslands (vgl. Bt.-Drs. 16/6739, Rz. 46). Dies berechtigt das Gericht aber nicht,
im Wege der Rechtsfortbildung eigene Begünstigungstatbestände zu schaffen.
Der Antrag kann danach keinen Erfolg haben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Beschwerde ist gem. § 128 Abs. 3 FGO in entsprechender Anwendung von § 115 Abs. 2 FGO nicht
zuzulassen.