Urteil des FG Düsseldorf vom 03.11.2010

FG Düsseldorf (strom, anlage, menge, versorgung, gebäude, erdgas, betrieb, annahme, heizöl, person)

Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 880/10 VSt
Datum:
03.11.2010
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 880/10 VSt
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d:
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Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen. Sie betreibt in einem Gebäude
auf ihrem Betriebsgelände das sog. Blockheizkraftwerk....... In dem Gebäude befinden
sich fünf Aggregate zur gekoppelten Erzeugung von Strom und Wärme. Bei den im
Obergeschoß des Gebäudes installierten Aggregaten 1 und 2 handelt es sich um mit
Erdgas betriebene Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von 1.153 kW bzw.
1.397 kW. Bei den Aggregaten 3 und 4, die ebenfalls im Obergeschoß des Gebäudes
untergebracht sind, handelt es sich um mit Heizöl betriebene Anlagen mit einer
elektrischen Nennleistung von jeweils 1.776 kW. Im Untergeschoß des Gebäudes
befindet sich in einem sog. Traforaum das Aggregat 5, das mit Erdgas betrieben wird
und eine elektrische Nennleistung von 780 kW aufweist.
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Die Aggregate 1 und 2 dienen im Grundlastbetrieb zur Strom- und Wasserversorgung,
während die Aggregate 3 und 4 in Spitzenlastzeiten eingesetzt werden. Der mit den
Aggregaten 1 bis 4 erzeugte Strom wird in das Mittelspannungsnetz eingespeist.
Demgegenüber wird der mit dem Aggregat 5 erzeugte Strom in das
Niederspannungsnetz der örtlichen Versorgung eingespeist. Daneben dient das
Aggregat 5 der dauerhaften und unterbrechungsfreien Versorgung des nahe gelegenen
Klinikums ...... mit Strom.
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Die fünf Aggregate verfügen über eine eigene und getrennt regelbare
Brennstoffversorgung mit Erdgas und Heizöl, über eine eigene Rauchgasreinigung und
ein eigenes Abgasrohr, eigene Schaltanlagen zur getrennten Steuerung sowie über
eigene Messeinrichtungen für die Stromerzeugung, die Wärmeabgabe und die
Brennstoffzufuhr.
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Brennstoffzufuhr.
Die Klägerin beantragte am 21. Oktober 1996, ihr eine Erlaubnis zum Bezug und zur
Verwendung von steuerbegünstigtem Mineralöl in den Aggregaten 3 und 4 zu erteilen.
Unter dem 22. Oktober 1997 beantragte sie, ihr eine solche Erlaubnis hinsichtlich der
Aggregate 1 und 2 zu erteilen. Am 25. Januar 2005 beantragte sie, ihr eine Erlaubnis
zum Bezug und zur Verwendung von steuerbegünstigtem Mineralöl in dem Aggregat 5
zu erteilen.
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Die Klägerin gab am 3. April 2008 beim beklagten Hauptzollamt eine
Stromsteueranmeldung für das Kalenderjahr 2007 ab. Darin gab sie eine nach dem
Regelsteuersatz zu versteuernde Menge von 166.992,912 MWh an. Zu dieser Menge
gelangte sie, indem sie die Gesamtmenge von dem Regelsteuersatz unterliegendem
Strom von 181.471,495 MWh um 14.478,583 MWh reduzierte. Die letztgenannte von der
Klägerin ermittelte Menge entfiel auf die Erzeugung von Strom in Blockheizkraftwerken,
die nach ihrer Auffassung steuerfrei war. Von dieser Menge sollte nach den
Berechnungen der Klägerin eine Menge von 3.893,485 MWh mit den "Modulen" 1, 3
und 4 und eine Menge von 3.733,469 MWh mit dem "Modul" 5 des
Blockheizkraftwerks..... erzeugt worden sein.
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Das beklagte Hauptzollamt vertrat die Ansicht, dass es sich bei den Aggregaten 1 bis 5
des Blockheizkraftwerks...... um eine Anlage mit einer elektrischen Nennleistung von
mehr als zwei Megawatt handele, so dass die Klägerin sich nicht mit Erfolg auf die
Steuerbefreiung des § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b des Stromsteuergesetzes (StromStG)
berufen könne. Es setzte deshalb gegen die Klägerin mit Bescheid vom 5. September
2008 die Stromsteuer für das Kalenderjahr 2007 auf insgesamt 4.457.094,92 EUR neu
fest. Dabei legte es der Besteuerung eine dem Regelsteuersatz unterliegende Menge
von 174.619,866 MWh zugrunde (166.992,912 MWh + 3.893,485 MWh + 3.733,469
MWh).
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Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch machte die Klägerin geltend: Bei den
Aggregaten 1 bis 5 des Blockheizkraftwerks...... handele es sich um fünf getrennte
Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von jeweils weniger als zwei Megawatt.
Die Anlagen seien nicht in Modulbauweise unmittelbar miteinander verbunden. Die
Anlage 5 sei im Erdgeschoß des Gebäudes installiert und befinde sich deshalb nicht in
demselben baulichen Objekt. Die Anlagen erzeugten unabhängig voneinander Strom.
Keine der Anlagen sei auf den Betrieb der jeweils anderen Anlage angewiesen. Die
Anlagen dienten zudem unterschiedlichen Zwecken. Sie seien auch zu
unterschiedlichen Zeitpunkten geplant, realisiert und in Betrieb genommen worden. Der
Umstand, dass sich die Anlagen in demselben Gebäude befänden und von derselben
Person betrieben würden, reiche nicht aus, um eine einheitliche Anlage annehmen zu
können.
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Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 10. Februar 2010
zurück und führte aus: Bei den Aggregaten 1 bis 5 des Blockheizkraftwerks..... handele
es sich um eine Anlage mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei
Megawatt. Die Aggregate befänden sich in Modulbauweise in demselben baulichen
Objekt und würden von derselben Person betrieben. Die Klägerin habe die Aggregate in
ihrer Stromsteueranmeldung selbst als "BHKW-Module" bezeichnet. Unerheblich sei,
dass die Aggregate zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Betrieb genommen worden
seien, sich in getrennten Räumen befänden sowie getrennt gesteuert und versorgt
würden.
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Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Die fünf Aggregate des Blockheizkraftwerks.......
seien funktional nicht miteinander verbunden und nicht aufeinander abgestimmt. Die
rein zufällige Unterbringung in einem Gebäude könne nicht die Annahme einer
unmittelbaren Verbundenheit der Anlagen begründen. Abweichend von den Angaben in
ihrer Stromsteueranmeldung sei mit den Anlagen 1 bis 4 im Kalenderjahr 2007 unter
Berücksichtigung von Netzverlusten insgesamt 7.935,851 MWh Strom erzeugt worden.
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Das beklagte Hauptzollamt setzte die Stromsteuer für das Kalenderjahr 2007 wegen
hier nicht streitiger Punkte mit Bescheid vom 21. Juli 2010 auf 4.436.345,75 EUR neu
fest.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid vom 21. Juli 2010 aufzuheben, soweit der in den Aggregaten 1 bis 5
des Blockheizkraftwerks........ im Kalenderjahr 2007 erzeugte Strom dem
Regelsteuersatz unterworfen worden ist.
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Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 21. Juli 2010, der gemäß § 68 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, ist - im
angefochtenen Umfang - rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§
100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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Rechtsgrundlage für den angefochtenen Steuerbescheid ist § 167 Abs. 1 Satz 1 der
Abgabenordnung. Das beklagte Hauptzollamt hat die Steuer hinsichtlich des in den
Aggregaten 1 bis 5 des Blockheizkraftwerks...... im Kalenderjahr 2007 erzeugten Stroms
zu Recht abweichend von der Steueranmeldung der Klägerin festgesetzt. Der in diesen
Aggregaten erzeugte Strom war nicht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b des
Stromsteuergesetzes (StromStG) von der Steuer befreit. Nach dieser Bestimmung ist
Strom, der in Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von bis zu zwei Megawatt
erzeugt wird und von demjenigen, der die Anlage betreibt oder betreiben lässt, an
Letztverbraucher geleistet wird, die den Strom im räumlichen Zusammenhang zu der
Anlage entnehmen, von der Steuer befreit.
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Nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, die dezentrale Stromerzeugung
in Kleinanlagen zu begünstigen, ist von einem funktionsbezogenen Anlagebegriff
auszugehen, der eine isolierte Betrachtung einzelner Module verbietet
(Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 23. Juni 2009 VII R 42/08, BFHE 225, 476). Daher
ist auf die Gesamtheit der einzelnen technischen Einrichtungen und auf den
Funktionszusammenhang abzustellen. Als Kriterien können u.a. die räumliche
Anordnung und Unterbringung der Module, die messtechnische Erfassung der
eingesetzten Energieträger und des erzeugten Stroms sowie der erzeugten Wärme, die
Steuerungsmöglichkeiten oder die Leitungsführung herangezogen werden. Starke,
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wenn auch nicht allein ausschlaggebende Indizien für das Vorliegen einer
Gesamtanlage, sind die räumliche Zusammenfassung mehrerer Aggregate an einem
Standort, z.B. in einem Gebäude, sowie der Betrieb eines Blockheizkraftwerks durch
einen Betreiber und die Versorgung eines bestimmten Abnehmerkreises mit Strom und
Wärme (BFH-Urteil in BFHE 225, 476).
Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Aggregate 1 bis 4 des
Blockheizkraftwerks....... der Klägerin unzweifelhaft als eine oder zumindest als zwei
Anlagen i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG anzusehen. Hierfür spricht bereits die
räumliche Anordnung der Aggregate 1 bis 4 in einem Raum des Obergeschosses des
auf dem Betriebsgelände der Klägerin vorhandenen Gebäudes. Für die Annahme einer
einheitlichen Anlage spricht zudem, dass die Aggregate 1 bis 4 von derselben Person
betrieben werden. Der Umstand, dass die Klägerin diese Aggregate zu
unterschiedlichen Zeitpunkten geplant und in Betrieb genommen hat, ist nach der
Rechtsprechung des BFH kein entscheidungserhebliches Abgrenzungskriterium. Nach
Auffassung des Senats kann es zudem nur auf die tatsächlichen Verhältnisse im
Kalenderjahr der Stromerzeugung ankommen.
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Vor dem Hintergrund der dargestellten Umstände stehen allein die getrennte
messtechnische Erfassung der eingesetzten Energieträger, des erzeugten Stroms sowie
der erzeugten Wärme und die getrennten Steuerungsmöglichkeiten nicht der Annahme
entgegen, dass die Aggregate 1 bis 4 eine oder zumindest zwei einheitliche Anlagen
i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG sind. Hierfür spricht überdies, dass die Leitungen für
die Versorgung der Aggregate 1 bis 4 mit Erdgas und Heizöl überwiegend nicht getrennt
sind. Dem vorliegenden und in der mündlichen Verhandlung in Augenschein
genommenen Lageplan (Bl. 24 Heft I des beklagten Hauptzollamts) lässt sich vielmehr
entnehmen, dass nur eine getrennte Zufuhr jeweils von Erdgas und Heizöl für die im
Obergeschoß installierten Aggregate bis in diesen Raum vorgesehen ist. Erst
unmittelbar vor den jeweiligen Aggregaten ist eine gesonderte Brennstoffzufuhr
vorhanden. Das hat auch der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung bestätigt. Daher sind unter Berücksichtigung der Leitungsführung für die
eingesetzten Energieträger jedenfalls die Aggregate 1 und 2 mit insgesamt 2,550
Megawatt elektrischer Nennleistung (1.153 kW + 1.397 kW) sowie die Aggregate 3 und
4 mit insgesamt 3,552 Megawatt elektrischer Nennleistung (1.776 kW x 2) als zwei
Anlagen mit einer elektrischen Nennleistung von jeweils mehr als zwei Megawatt
anzusehen. Dies steht mit den von der Klägerin verfolgten Zwecken des Betriebs dieser
Aggregate in Einklang. Die Aggregate 1 und 2 dienen im Grundlastbetrieb zur Strom-
und Wasserversorgung, während die Aggregate 3 und 4 in Spitzenlastzeiten eingesetzt
werden.
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Nach Auffassung des Senats rechtfertigt der Umstand, dass die Aggregate 1 bis 4 und
das Aggregat 5 in dem selben Gebäude untergebracht sind, zudem die Annahme, dass
sämtliche fünf Aggregate als eine oder zwei Anlagen mit einer elektrischen
Nennleistung von mehr als zwei Megawatt anzusehen sind. Die Aggregate werden von
der Klägerin am selben Standort betrieben. Das spricht nach dem Sinn und Zweck des §
9 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b StromStG, die dezentrale Stromerzeugung in Kleinanlagen zu
begünstigen, bereits gegen die Beurteilung gesonderter Anlagen. Hinzu kommt, dass
das Aggregat 5 nicht nur der dauerhaften und unterbrechungsfreien Versorgung des
nahe gelegenen Klinikums ....... mit Strom dient. Der mit dem Aggregat 5 erzeugte Strom
wird vielmehr auch in das Niederspannungsnetz der örtlichen Versorgung eingespeist.
Eine dezentrale Stromerzeugung für einen bestimmten Abnehmer oder Abnehmerkreis
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findet mithin auch hinsichtlich des Aggregats 5 nicht statt.
Dahinstehen kann im Streitfall, ob § 12a der Verordnung zur Durchführung des
Stromsteuergesetzes (StromStV), der durch Art. 2 der Verordnung vom 31. Juli 2006
(BGBl I, 1753) mit Wirkung ab dem 4. August 2006 eingefügt worden ist, zu einer für die
Klägerin günstigeren Beurteilung führen kann. Die Regelung enthält lediglich
exemplarische Fiktionen ("gelten") der Fälle, in denen (unwiderlegbar) von einer
einheitlichen Anlage auszugehen ist. Mit § 12a StromStV soll die bislang ergangene
Rechtsprechung des BFH zur Auslegung des Anlagenbegriffs des § 9 Abs. 1 Nr. 3
StromStG jedoch nicht eingeschränkt werden.
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Die Kostentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach §
115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
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