Urteil des FG Düsseldorf vom 02.11.2010

FG Düsseldorf (jugendhilfe, wirtschaftliche tätigkeit, träger, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, tätigkeit, aufgaben, betrieb, juristische person, öffentliche aufgabe, öffentlich)

Finanzgericht Düsseldorf, 6 K 2138/08 K
Datum:
02.11.2010
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 K 2138/08 K
Tenor:
Der Körperschaftsteuerbescheid 2005 vom 10.12.2007 und die
Einspruchsentscheidung vom 20.05.2008 werden aufgehoben
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Klägerin ist eine kreisfreie Kommune. Sie unterhält als Trägerin der öffentlichen
Jugendhilfe eigene Kindertagesstätten (Kindergärten). Die Mehrzahl der Kindergärten
im Stadtgebiet werden von freien Trägern der Jugendhilfe (Kirchen,
Wohlfahrtsverbänden, frei gemeinnützigen Trägern) betrieben. Vereinzelt bieten auch
gewerbliche Unternehmen die Kindertagesbetreuung an. Die Nutzungsverhältnisse
kommunaler Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen sind nicht einheitlich
geregelt. Der Besuch der kommunalen Kindergärten kann aufgrund eines öffentlich-
rechtlichen Benutzungsverhältnisses (vgl. z.B. § 2 Abs. 4 der kommunalen
Benutzungsordnung der Stadt Köln vom 20.10.2008) oder auf privatrechtlicher
Grundlage (vgl. die privatrechtliche Benutzungsordnung der Stadt Bielefeld für
Kindertageseinrichtungen in Trägerschaft der Stadt vom 5.05.2008) erfolgen. Die
Klägerin hat keine Benutzungsordnung für ihre Kindertageseinrichtungen erlassen. Für
die Aufnahme der Kinder findet ein Mustervertrag Anwendung, der privatrechtlich
ausgestaltet ist.
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Für den Besuch der kommunalen oder von freien Trägern der Jugendhilfe betriebenen
Kindertagesstätten hatten die Eltern im Streitjahr (2005) nach § 90 Sozialgesetzbuch -
Achtes Buch -- SGB VIII -- in Verbindung mit § 17 des im Streitjahr noch anwendbaren
Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder vom 29.10.1991, GV.NW 1991, 380 (GTK
NW) entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gestaffelte öffentlich-
rechtliche Beiträge zu den Jahresbetriebskosten zu entrichten, wobei die Beitragspflicht
ab dem zweiten Kind entfiel. Die Elternbeiträge wurden von der Klägerin durch
Verwaltungsakt festgesetzt und in den kommunalen Haushalt eingestellt. Mit der zum
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1.08. 2006 in Kraft getretenen Neufassung des § 17 GTK NW, der insoweit dem seit
dem 1.08.2008 geltenden § 23 des Gesetzes zur frühen Bildung und Förderung von
Kindern (Kinderbildungsgesetz– Viertes Gesetz zur Ausführung des SGB VIII – vom
30.10.2007 (GV.NW 2007, 462) –KiBiz– entspricht, wurde das Elternbeitragsrecht
kommunalisiert. Seither entscheiden in Nordrhein-Westfalen die örtlichen Träger der
öffentlichen Jugendhilfe in eigener Zuständigkeit über die Beitragspflicht im Rahmen
des kommunalen Satzungsrechts. Eine Verpflichtung zur Erhebung von Elternbeiträgen
besteht nicht mehr. Seit "Jahr A" erhebt die von der Klägerin für die Betreuung von
Kindern über 3 Jahre bis zum Eintritt in die Schule insoweit keine Beiträge mehr (vgl.
Anlage zur Satzung "...").
Erstmals mit Schreiben vom 25.10.2007 vertrat der Beklagte die Auffassung, dass es
sich bei den von der Klägerin unterhaltenen Kindergärten um einen Betrieb
gewerblicher Art handelt. Nachdem er die Klägerin erfolglos zur Abgabe von
Steuererklärungen für das Streitjahr (2005) aufgefordert hatte, setzte er unter Ansatz
eines geschätzten Steuerbilanzgewinns von 5.000 EUR die Körperschaftsteuer für das
Streitjahr auf 291 EUR fest.
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Gegen diesen Schätzungsbescheid hat die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage
erhoben. Sie hält daran fest, dass sie als Betreiberin von Kindergärten keine
wirtschaftliche Tätigkeit zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen ausübe, die die
Annahme eines Betriebs gewerblicher Art im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 6 bzw. § 4 Abs. 1
Körperschaftsteuergesetz (KStG) rechtfertigen könnte. Zudem sei die Schätzung eines
Gewinns von 5.000 EUR offensichtlich willkürlich. Ausweislich der kameralistischen
Jahresrechnung habe sie im Streitjahr im Bereich der Kindertagesstätten eine
Unterdeckung von rd. "X" Mio. Euro erwirtschaftet. Dies mache zugleich deutlich, dass
eine Besteuerungsnotwendigkeit nach § 4 Abs. 1 KStG aus Gründen der Vermeidung
von Wettbewerbsverzerrungen nicht bestehen könne.
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Die Klägerin beantragt,
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den Körperschaftsteuerbescheid 2005 vom 10.12.2007 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 20.05.2008 aufzuheben, hilfsweise die Revision
zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen, hilfsweise Zulassung der Revision
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Zur Begründung verweist der Beklagte im wesentlichen auf die Ausführungen in der
Einspruchsentscheidung:
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Die Klägerin habe durch die Unterhaltung der Kindergärten einen Betrieb gewerblicher
Art begründet. Sie habe hiermit eine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung
von Einnahmen ausgeübt und ausweislich der eingereichten kameralistischen
Jahresrechnung 2005 Elternbeiträge und Verpflegungsentgelte von mehr als "Y" Mio
EUR vereinnahmt.
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Auch wenn die Elternbeiträge durch Verwaltungsakt festgesetzt und unmittelbar an die
Kommune entrichtet würden, stellten sie ein Entgelt und damit auch eine Einnahme für
die Betreuung der Kinder in den Tageseinrichtungen dar. Dass die Beiträge nicht an die
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jeweilige Einrichtung gezahlt würden, könne den ursächlichen Zusammenhang
zwischen dem Beitrag und der in Anspruch genommenen "Betreuungsleistung” nicht
aufheben. Die Beitragspflicht entstehe für die Inanspruchnahme der Dienstleistung.
Werde das Kind nicht in einer Kindertagesstätte untergebracht, seien auch keine
Beiträge zu entrichten. Dies gelte umso mehr, als die Klägerin als örtlicher Träger der
öffentlichen Jugendhilfe nach § 17 Abs.1 Satz 1 GTK NW zur Erhebung von
Elternbeiträgen nicht verpflichtet sei. Mache sie von dieser Möglichkeit jedoch
Gebrauch, so stünden die hierdurch erzielten Einnahmen im ursächlichen
Zusammenhang mit den durch den Betrieb der Kindertageseinrichtungen erbrachten
Leistungen. Allein die Höhe der Einnahmen von rund "Y"Mio. im Streitjahr indiziere das
Vorliegen einer Einrichtung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG (Hinweis auf R 6 Abs.
4 Satz 2 KStR 2004). Die Voraussetzungen für die Annahme eines Betriebes
gewerblicher Art seien damit erfüllt.
Die Klägerin übe insoweit auch keine hoheitliche Tätigkeit aus. Nach der
Rechtsprechung sei eine Ausübung öffentlicher Gewalt ausgeschlossen, wenn sich die
Körperschaft durch ihre Einrichtungen in den allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr
einschalte und eine Tätigkeit entfalte, die sich ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines
privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheide (Hinweis auf BFH-
Urteil vom 25.01.2005, I R 63/03, BStBl II 2005, 501). Zwar bestehe nach § 24 Abs. 1
SGV VIII ein Rechtsanspruch des Kindes auf einen Platz in einer Tageseinrichtung ab
Vollendung des dritten Lebensjahres bis zum Schuleintritt. Dieser Anspruch richte sich
auch gegen die Klägerin als dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (§ 11
Abs. 1 GTK NW). Die Kommunen seien jedoch in ihrer Entscheidung, ob sie diese
Aufgabe durch eine eigene Einrichtung oder andere Anbieter durchführen lassen, frei.
Insoweit bestehe unter anderem ein Wettbewerb zu den vergleichbaren Angeboten der
Wohlfahrtsverbände. Dies gelte umso mehr, als nach § 4 Abs. 1 SGB VIII die Träger der
öffentlichen Jugendhilfe nach dem Gedanken der Subsidiarität zur Zusammenarbeit mit
der freien Jugendhilfe verpflichtet seien. § 4 Abs. 2 SGB VIII formuliere einen Vorrang
der freien vor der öffentlichen Jugendhilfe. Soweit anerkannte Träger der freien
Jugendhilfe geeignete Einrichtungen betreiben oder rechtzeitig schaffen können, solle
die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen. Eine Errichtungs- und
Betriebsverpflichtung begründe § 11 Abs. 3 GTK NW für die örtlichen Träger der
öffentlichen Jugendhilfe nur in den Fällen, in denen die anerkannten Träger der freien
Jugendhilfe hierzu nicht in der Lage seien. Schon wegen dieses gesetzlich statuierten
Vorrangs der Träger der freien Jugendhilfe sei die tatsächliche Durchführung der
Versorgung mit Plätzen in Tageseinrichtungen der öffentlichen Hand nicht eigentümlich
und vorbehalten.
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Entscheidend sei zudem, dass die Klägerin mit dem Betrieb ihrer Kindergärten den
Bereich der unternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung tangiere. Der
Beklagtenvertreter hat hierzu in der mündlichen Verhandlung einen Internet-Ausdruck
(www."G".de) über das Angebot der "G" GmbH & Co KG vorgelegt, die in "E-Stadt" zwei
Kindergärten betreibt, um zu belegen, dass eine zumindest potentielle
Wettbewerbsbeeinträchtigung gewerblicher Unternehmer nicht ausgeschlossen werden
könne.
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Da die Klägerin mit dem Einkommen ihres Betriebs gewerblicher Art
"Kindergärten/Kindertagesstätten” nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG unbeschränkt
körperschaftsteuerpflichtig und ihrer Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärung für
das Streitjahr nach § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 25 Abs. 3 EStG trotz Aufforderung
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nicht nachgekommen sei, hätten die Besteuerungsgrundlagen im Schätzungswege
ermittelt werden müssen. Eine den steuerlichen Vorschriften entsprechende
Gewinnermittlung (§ 60 Abs. 4 EStDV) habe die Klägerin bis heute nicht eingereicht.
Der vorgelegte Auszug aus der kameralistischen Jahresrechnung 2005 habe der
Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen schon deshalb nicht zugrunde gelegt werden
können, weil es sich hierbei um keine den steuerlichen Vorschriften entsprechende
Gewinnermittlung handele. Der vollständige Ansatz aller Betriebseinnahmen und die
zutreffende Zuordnung der damit im Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben sei
aus dieser Jahresrechnung nicht zu entnehmen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist begründet.
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Die von der Klägerin betriebenen Kindergärten dienen ganz oder zumindest weit
überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt; eine Behandlung als Betrieb
gewerblicher Art scheidet damit nach § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG aus. Zudem tritt die
Klägerin mit diesen Einrichtungen nicht in Wettbewerb zu anderen Anbietern.
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1. Unter Ausübung öffentlicher Gewalt sind nach ständiger Rechtsprechung Tätigkeiten
zu verstehen, die der juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und
vorbehalten sind. Kennzeichnend dafür ist die Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher
Aufgaben, die aus der Staatsgewalt abgeleitet sind, staatlichen Zwecken dienen und zu
deren Annahme der Leistungsempfänger aufgrund gesetzlicher oder behördlicher
Anordnung verpflichtet ist (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 25.01.2005 I
R 63/03, BStBl II 2005, 501 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
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a) Mit der Einrichtung und Unterhaltung ihrer Kindergärten nimmt die Klägerin eine
Aufgabe wahr, die ihr als öffentlich rechtlicher Körperschaft eigentümlich und
vorbehalten ist.
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aa) Mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz vom 26.06.1990 (BGBl I 1990, 1163) wurde
in § 24 SGB VIII erstmals normiert, dass alle Kinder, für deren Wohl eine Förderung in
Tageseinrichtungen oder in Tagespflege erforderlich ist, eine entsprechende Hilfe
erhalten sollen. Den Ländern wurde die Aufgabe übertragen, für einen bedarfsgerechten
Ausbau Sorge zu tragen.
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In § 24 SGB VIII 1992 wurde für Kinder vom vollendeten dritten Lebensjahr an ein
Anspruch auf den Besuch eines Kindergartens nach Maßgabe des Landesrechts
geschaffen. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, zu denen § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB
VIII 1991 die Kreise und kreisfreien Städte bestimmt hatte, hatten darauf hinzuwirken,
dass für jedes Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr an bis zum Schuleintritt ein
Kindergartenplatz zur Verfügung steht und dass das Betreuungsangebot nach § 24 Abs.
1 Satz 2 SGB VIII 1992 bedarfsgerecht ausgebaut wird. Für Kinder im Alter unter drei
Jahren und Kinder im schulpflichtigen Alter waren nach Bedarf u.a. Plätze in
Tageseinrichtungen vorzuhalten Das am 1.01.2005 in Kraft getretene Gesetz zum
qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder
(Tagesbetreuungsausbaugesetz -TAG-) vom 27.12.2004 hat § 24 SGB VIII dahingehend
ergänzt, dass für Kinder unter drei Jahren unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. im
Fall von erwerbstätigen Erziehungsberechtigten) Plätze in Tageseinrichtungen und in
Kindertagespflege vorzuhalten sind (vgl. § 24 Abs. 3 SGB VIII 2005). Seit dem 1.
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Oktober 2010 sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet, insoweit ein
bestimmtes Mindestangebot vorzuhalten (§ 24a Abs. 3 SGB VIII).
bb) Dass § 4 Abs. 2 SGB VIII einen Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe (Kirchen,
Wohlfahrtsverbände und frei gemeinnützige Träger) anordnet, stellt die Qualifizierung
des Betriebs von Kindergärten als hoheitliche Tätigkeit nicht in Frage. Die Vorschrift
bringt lediglich das im Jugendhilferecht geltende Subsidiaritätsprinzip zum Ausdruck
und stellt klar, dass die Klägerin als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe von eigenen
Maßnahmen absehen soll, soweit Kindergärten von nicht kommunalen Träger betrieben
oder rechtzeitig geschaffen werden. Diese Träger nehmen jedoch ähnlich einem
beliehenen Unternehmer die nach dem SGB VIII öffentlichen wie privaten Trägern der
Jugendhilfe gleichermaßen zugewiesenen Aufgaben als quasi hoheitliche Aufgaben
wahr. Dies verkennt die Verwaltung, wenn sie Kindergärten öffentlich-rechtlicher
Religionsgemeinschaften – im Gegensatz zu den von ihr als Betrieb gewerblicher Art
qualifizierten kommunalen Kindergärten – im Hinblick auf den verfassungsrechtlich
anerkannten Verkündigungsauftrag der Kirchen als (kirchliche) Hoheitsbetrieb
behandelt (OFD Düsseldorf, Verfügung vom 26.11.2002 S 2706 A – St 134, juris). Denn
kirchliche Kindergärten nehmen– wie auch die Kindergärten der übrigen Träger der
freien Jugendhilfe – öffentliche Aufgaben im Sinne staatlicher Aufgaben wahr (vgl. auch
Schön, DStZ 1999, 701,706), so dass der Rückgriff auf den kirchlichen
Verkündigungsauftrag zur Begründung eines (kirchlichen) Hoheitsbetriebs und die
damit verbundene sachwidrige Differenzierung zwischen Einrichtungen, die
trägerunabhängig dieselben Aufgaben erfüllen, entbehrlich ist.
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cc) Der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber hat auf der Grundlage der
bundesgesetzlichen Regelungen das GTK NW erlassen, das am 1.08.2008 durch das
KiBiz abgelöst wurde. § 2 Abs. 1 GTK NW definiert den Kindergarten als
sozialpädagogische Einrichtung, die neben der Betreuungsaufgabe einen
eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag hat und erklärt den Kindergarten damit
zum wichtigen Bestandteil des Elementarbereich des Bildungssystems. Wesentliche
Funktion und Aufgabe der Kindergärten ist damit die vorschulische Erziehung und die
frühzeitige Vorbereitung der Kinder auf den Schulbesuch. Der Kindergarten als
"Vorschule" ist insoweit der allgemeinbildenden Schule vergleichbar, bei der nach
einhelliger Auffassung in der Kommentarliteratur die Erziehung und Bildung der Jugend
in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt (z.B. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die
Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rdnr. 142 "Schulen"; Bott in Ernst & Young, KStG, § 4
Rdnr. 260; Mai in Frotscher/Maas, KStG, § 4 Rdnr. 23 "Schulen", Blümich/Erhard, § 4
KStG Rz. 111 "Schulen"). Dass die Klägerin mit der Unterhaltung von
Kindertagesstätten öffentliche Aufgaben erfüllt, verdeutlicht nicht zuletzt das Urteil des
nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs vom 12.10.2008 VerfGH 12/09,
wonach die den Kommunen ohne Kostenausgleich übertragene Verpflichtung, auch für
Kinder unter drei Jahren Kindertagesstätten bereitzustellen, das Konnexitätsprinzip des
Art. 78 Abs. 3 der Landesverfassung NW verletzt.
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c) Unabhängig von der Qualifizierung der Tätigkeit der Klägerin als einer ihr
vorbehaltenen und eigentümlichen öffentliche Aufgabe hält es der Senat zudem für
ernstlich zweifelhaft, ob die in § 4 Abs. 1 KStG normierten Tatbestandsmerkmale des
Betriebs gewerblicher Art erfüllt sind und es sich bei den kommunalen Kindergärten um
Einrichtungen handelt, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung
von Einnahmen dienen.
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Diese Zweifel ergeben sich allerdings nicht schon daraus, dass die Elternbeiträge von
der Klägerin auf der Grundlage des GTK NW durch Gebührenbescheid erhoben worden
sind. Der Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass es nicht auf Art und Bezeichnung
der erzielten Einnahmen ankommt und hierzu grundsätzlich auch auf öffentlich-
rechtlicher Rechtsgrundlage erhobene Gebühren und Beiträge rechnen (so schon BFH-
Urteil vom 26.02.1957 I 327/56 U, BStBl III 1957, 146). Richtig ist auch sein Hinweis,
dass die Elternbeiträge ohne Besuch des – kommunalen – Kindergartens nicht
angefallen wären. Zwischen den von der Klägerin betriebenen Kindergärten und den
Elternbeiträgen besteht gleichwohl kein hinreichender sachlicher und wirtschaftlicher
Zusammenhang. Denn die Elternbeiträge waren von der Klägerin unabhängig davon zu
erheben, ob der Kindergarten von ihr selbst oder einem freien Träger der Jugendhilfe
betrieben wurde. Im Hinblick auf den in § 4 Abs. 2 SGB VIII angeordneten Vorrang der
Träger der freien Jugendhilfe war die Klägerin zudem nur berechtigt, als Trägerin der
öffentlichen Jugendhilfe aber zugleich auch verpflichtet, eigene Kindergartenplätze zur
Sicherstellung eines bedarfsgerechten Angebots zu schaffen. Die Einrichtungen der
Klägerin dienen damit vorrangig der Schließung der durch das Angebot der freien
Träger nicht gedeckten Bedarfslücken und nicht der Erzielung von Einnahmen, die ohne
diese Einrichtungen nicht erzielt worden wären. Ob und in welcher Höhe Elternbeiträge
erhoben werden, hängt damit nicht davon ab, ob und in welchem Umfang die Klägerin
selbst Kindergärten betreibt, sondern ist eine hiervon losgelöste sozial- und
haushaltspolitische Frage. Dass die Klägerin mit ihren Kindergärten keine
wirtschaftliche Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen ausübt, verdeutlicht nicht zuletzt
der Umstand, dass sie seit "Jahr A" für Kinder ab drei Jahren auf die Erhebung von
Elternbeiträgen gänzlich verzichtet.
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2. Den kommunalen Kindergärten kommt auch keine Wettbewerbsrelevanz zu, die nach
Auffassung des BFH die Annahme eines Hoheitsbetrieb generell ausschließt. Sie
stehen zu den Kindertageseinrichtungen der kirchlichen und frei gemeinnützigen Träger
sowie der gewerblichen Anbietern in keinem marktwirtschaftlichen Wettbewerb, der
durch eine steuerliche Ungleichbehandlung tatsächlich oder potentiell beeinträchtigt
werden könnte.
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a) Die höchstrichterliche Rechtsprechung verneint trotz Erfüllung spezifisch öffentlich-
rechtlicher Aufgaben das Vorliegen eines Hoheitsbetriebs, falls sich die Körperschaft
des öffentlichen Rechts mit ihrer Einrichtung in den allgemeinen wirtschaftlichen
Verkehr einschaltet und hierbei eine Tätigkeit entfaltet, die sich ihrem Inhalt nach von
der Tätigkeit eines privaten gewerblichen Unternehmens nicht wesentlich unterscheidet.
(ständige Rechtsprechung; z.B. BFH-Urteile 29.10.2008 I R 51/07, BStBl II 2009, 1022
und vom 25.01.2005 I R 63/03, BStBl II 2005, 501). Dies soll der Fall sein, wenn sich die
juristische Person des öffentlichen Rechts in Bereichen der unternehmerischen Berufs-
und Gewerbeausübung bewegt. Hier sollen private Unternehmer durch den Wettbewerb
mit (grundsätzlich nicht steuerpflichtigen) Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht
benachteiligt werden dürfen.
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b) Eine steuerschädliche privatwirtschaftliche Wettbewerbssituation zwischen den
Kindertagesstätten der Klägerin und den auf der Grundlage des § 22 SGB VIII in
Verbindung mit § 1 GTK NW betriebenen vergleichbaren Einrichtungen der Kirchen und
frei gemeinnützigen Träger ist jedoch schon deshalb nicht zu befürchten, weil beide die
ihnen nach dem Jugendhilferecht übertragenen öffentlichen Aufgaben erfüllen.
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c) Was die gewerblichen Kindertagesstätten betrifft, so fehlt es bereits an der
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Vergleichbarkeit der Einrichtungen. Die Ungleichbehandlung kommunaler, kirchlicher
und frei gemeinnütziger Träger auf der einen und gewerblicher Betreiber von
Kindergärten auf der anderen Seite ist im Jugendhilferecht angelegt. Zwar ist die
Jugendhilfe nach § 3 SGB VIII gekennzeichnet durch die Vielfalt von Trägern
unterschiedlicher Wertorientierungen. Gewerbliche Unternehmen sind jedoch keine
Träger der freien Jugendhilfe und können auch nicht als solche behandelt werden.
Damit sind für sie auch die Förderungsgrundsätze des § 22 SGB VIII und des § 2 GTK
NW (nunmehr § 3 KiBiz) nicht verpflichtend. Sie müssen den Kindergarten nicht als
sozialpädagogische Einrichtung betreiben, die neben der Betreuungsaufgabe einen
eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag hat. Diese Aufgabe obliegt
ausschließlich der Klägerin und den freien Trägern der Jugendhilfe, deren Tätigkeit sich
damit ihrem Inhalt nach wesentlich von der Tätigkeit eines gewerblichen Betreiber einer
Kindestagesstätte unterscheidet. Folgerichtig sind gewerbliche Unternehmen im
Gegensatz zu den anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe auch nicht in die Planung
der Klägerin für die Einrichtung neuer Kindertagestätten einbezogen und werden bei der
Aufstellung des Bedarfsplans nicht berücksichtigt (vgl. hierzu § 10 GTK NW).
Hiervon abgesehen beruhen "Wettbewerbsnachteile" der gewerblicher Anbieter bei der
Preisgestaltung gegenüber den freien Trägern der Jugendhilfe, die eine öffentlichen
Zuschuss von bis zu 96 v.H. zu den Betriebskosten erhalten (vgl. § 18 Abs. 4 GTK NW),
jedenfalls nicht auf einer unterschiedlichen steuerlichen Behandlung, sondern auf dem
System der staatlichen Förderung von Kindertageseinrichtungen, das sich nicht nach
markt- und erwerbswirtschaftlichen Kriterien orientiert.
31
3. Auf die umsatzsteuerliche Abgrenzung zwischen hoheitlicher und unternehmerischer
Tätigkeit kommt es für die vorliegende ertragsteuerliche Beurteilung schon deshalb nicht
an, weil sie sich maßgebend nach Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom
17. 5. 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) und damit auf eine für die
Auslegung des § 4 KStG nicht einschlägige Rechtsgrundlage richtet. Schon deshalb
beruft sich der Beklagte ohne Erfolg auf das zur Umsatzsteuer ergangene BFH-Urteil
vom 18.12.2003 V R 66/01, BFH/NV 2004, 985, das eine kommunale Kindertagesstätte
in Baden-Württemberg betraf. Der BFH stellte dort entscheidend darauf ab, dass die
Kommune nach den Feststellungen der Vorinstanz die - entgeltliche - Kinderbetreuung
aufgrund eines – wie im Streitfall -- privatrechtlichen Vertragsverhältnisses durchgeführt
hat.
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Nach Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG gelten Staaten, Länder,
Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als
Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen
im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit
diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben
erheben (Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG). Etwas anderes gilt dann,
wenn eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren
Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Der Wortlaut der Richtlinie steht damit zwar im
Einklang mit der einschränkenden Auslegung des Begriffs der Ausübung öffentlicher
Gewalt durch den Körperschaftsteuersenat des BFH (vgl. zuletzt BFH-Urteil 29.10.2008
I R 51/07, BStBl II 2009, 1022). Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG wird
jedoch vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - verbindlich dahin
ausgelegt, dass es sich bei den Tätigkeiten "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" um
solche Tätigkeiten handelt, die die Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Rahmen
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der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelung ausüben. Nach Ansicht des EuGH
rechnen damit – unabhängig von Wettbewerbsgesichtspunkten – sämtliche Tätigkeiten
zum unternehmerischen Bereich der öffentlichen Hand, die unter den gleichen
rechtlichen Bedingungen ausgeübt werden wie von privaten Wirtschaftsteilnehmern,
d.h. alle Tätigkeiten, die auch in den Formen des Privatrechts erfolgen können (vgl.
BFH-Urteil vom 1.07.2004 V R 64/02, BFH/NV 2005, 252 mit Nachweisen zur
Rechtsprechung des EuGH und zuletzt BFH-Urteil vom 17.03. 2010 XI R 17/08, DStR
2010, 2234). Hiernach ist allein die Form und nicht der Inhalt des Tätigwerdens
entscheidend. Eine ausschließlich auf die formalrechtliche Ausgestaltung der
Leistungsbeziehung abstellende Betrachtungsweise ist jedoch dem Ertragsteuerrecht
fremd.
4. Soweit der AO-Gesetzgeber in § 68 Nr. 1b der Abgabenordnung (AO) wie auch in der
Vorgängerregelung des § 9 Gemeinnützigkeitsverordnung Kindergärten als Beispiel für
Zweckbetrieb aufgeführt hat und damit ersichtlich davon ausgeht, dass es sich um
wirtschaftliche Geschäftsbetriebe handelt (vgl. § 65 AO), ist diese Wertung unbeschadet
der Ähnlichkeit der die Begriffe wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb in § 15 AO und Betrieb
gewerblicher Art in § 4 Abs. 1 KStG konstituierenden Merkmale für die Auslegung des
§ 4 Abs. 1 und 5 KStG nicht maßgebend. Es kommt hinzu, dass sich Aufgabe und
Funktion des Kindergartens, wie vorstehend ausgeführt, spätestens mit Inkrafttreten des
SGB VIII grundlegend geändert haben.
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5. Im Streitfall braucht schließlich nicht der Frage nachgegangen werden, ob die
Klägerin in ihren Kindertageseinrichtungen wirtschaftlich abgrenzbare entgeltliche
Leistungen erbracht hat (z.B. Verpflegung im Rahmen der Ganztagesbetreuung), die für
sich genommen als eigenständiger Betrieb gewerblicher Art behandelt werden könnten,
denn derartige abgrenzbare Tätigkeiten sind nicht Gegenstand des vom Beklagten
angenommenen Betrieb gewerblicher Art "Unterhaltung von Kindertagesstätten" und
damit auch nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheids.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
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7. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2Nr. 1 FGO.
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