Urteil des FG Düsseldorf vom 15.12.2010

FG Düsseldorf (steuersatz, verwendung, energiesteuer, richtlinie, kennzeichnung, heizöl, auslegung, motorenbenzin, benzin, linie)

Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 219/10 VE
Datum:
15.12.2010
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 219/10 VE
Tenor:
Der Steuerbescheid des Beklagten vom 01.12.2008 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 18.12.2009 und der Steuerbescheid des
Beklagten vom 07.12.2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 29.12.2009 werden aufgehoben, soweit mehr als 25 EUR/1.000 kg
gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 des Energiesteuergesetzes festgesetzt worden
sind.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für
notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die
Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die "..." gegründete Klägerin bietet als Serviceunternehmen thermische
Oberflächenbeschichtungen für verschiedene Bereiche der Industrie an.
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Das dazu von der Klägerin angewandte Hochgeschwindigkeitsflammspritzen ("...") ist
ein thermisches Beschichtungsverfahren insbesondere für "Matarialart-" Schichten.
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Die dabei verwandten wassergekühlten HVOF-Brenner (High Velocity Oxy Fuel –
Hochgeschwindigkeitsflammspritzen) bestanden im Wesentlichen aus einer
Brennkammer und einer Düse. In der Brennkammer wurden Sauerstoff und Testbenzin
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der Qualität 180/210 (Unterpos. 2710 1121 KN) oder anderes, der gleichen
Unterposition der KN zuzuweisendes Leichtöl (Exxsol D 60) zur Zündung gebracht.
Dabei entstand ein Gasstrahl (ca. 3.000 °C), der über eine Lavaldüse expandiert wurde.
In den Gasstrahl wurde das Beschichtungspulver ("Matarialart-") an zwei Positionen
eingedüst, angeschmolzen und auf ca. dreifache Schallgeschwindigkeit beschleunigt.
Diese hochbeschleunigten Materialpartikel trafen auf die Werkstückoberfläche auf und
erzeugten dort außerordentlich dichte Schichten von sehr hoher Haftfestigkeit.
Um Verzug und Gefügeänderungen zu vermeiden, wurde das jeweilige Werkstück mit
CO2 oder Druckluft gekühlt. Es konnte aber bis zu 100°C warm werden.
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Nach Angaben der Klägerin kommt es beim Hochgeschwindigkeitsflammspritzen auf
die hohe Gas- und Partikelgeschwindigkeit an, während die Wärmeentwicklung eher
unerwünscht ist.
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Die Klägerin bezog das Testbenzin ohne Versteuerung in handelsüblichen 220 l
Fässern.
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Nach Sachverhaltsermittlungen auch durch eine Steueraufsichtsmaßnahme nahm der
Beklagte die Klägerin mit Steuerbescheid vom 01.12.2008 für "..." EUR Energiesteuer
und mit weiterem Steuerbescheid vom 07.12.2009 für "..." EUR Energiesteuer in
Anspruch.
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Dazu führte er aus, anders als unter Geltung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG)
stelle die von der Klägerin vorgenommene Verwendung des Testbenzins ein Verheizen
dar. Die Wärme werde nämlich dazu genutzt, das Beschichtungspulver zu schmelzen
und umzuwandeln. Das gelte auch dann, wenn das Verbrennen in erster Linie der
Gewinnung kinetischer Energie diene, denn die thermische Energie werde zur
Stoffumwandlung genutzt. Damit sei eine steuerfreie Verwendung nach § 25 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) ausgeschlossen. Zudem scheide
eine Steuerentlastung nach den §§ 51, 54 und 55 EnergieStG aus.
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Von den in § 2 Abs. 1 und 3 EnergieStG genannten Energieerzeugnissen stünden die
verwendeten Produkte dem Benzin der Unterpositionen 2710 1141 bis 2710 1149 der
Kombinierten Nomenklatur (KN) am nächsten, so dass auf die verwendeten Produkte
der Steuersatz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EnergieStG anzuwenden sei.
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Der Steuerbescheid vom 01.12.2008 betraf den Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum
31.10.2008 und der Steuerbescheid vom 07.12.2009 den Zeitraum vom 01.11. bis zum
31.12.2008.
11
Zur Begründung der gegen die beiden Steuerbescheide fristgerecht eingelegten
Einsprüche trug die Klägerin vor, ihr stehe die Steuerbefreiung nach § 51 EnergieStG
zu, so dass schon deshalb für die Steuererhebung kein Raum sei.
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Zudem habe der Beklagte einen unrichtigen Steuersatz angewandt. Nach § 2 Abs. 4
Satz 1 EnergieStG sei der für Heizöl vorgesehene Steuersatz anzuwenden, da das
Testbenzin mehr dem Heizöl als dem vom Beklagten angenommenen Motorenbenzin
entspreche.
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Mit Einspruchsentscheidungen vom 18.12.2009 zum Bescheid vom 01.12.2008 und
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vom 29.12.2009 zum Bescheid vom 07.12.2009 wies der Beklagte die Einsprüche als
unbegründet zurück. Dazu führte er aus: Der steuerfreie Einsatz von
Energieerzeugnissen nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG sei schon durch das
Verheizen des Testbenzins ausgeschlossen.
Zur Ermittlung des Steuersatzes sei auf die Beschaffenheit und den Verwendungszweck
des Energieerzeugnisses abzustellen. Bei der Beschaffenheit komme dem
Siedeverhalten eine herausragende Bedeutung zu, da dieses Merkmal für die
unterschiedlichen Steuersätze des § 2 EnergieStG maßgebend sei. Aufgrund seines
Destillationsverlaufs stehe Testbenzin dem Benzin der Unterpositionen 2710 1141 bis
2710 1149 KN näher als Gasöl der Unterpositionen 2710 1941 bis 2710 1949 KN. Blei-
und Schwefelgehalt sowie Flammpunkt und Oktanzahl seien für den Steuertarif
unerheblich.
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Das Testbenzin sei auch kein Heizstoff, denn dazu hätte ein vergleichbares
Energieerzeugnis sowohl in § 2 Abs. 1 und 2 EnergieStG als auch in § 2 Abs. 3 Nr. 1
EnergieStG aufgeführt werden müssen.
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Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren, einen
niedrigeren Steuersatz anzuwenden, weiter. Hierzu trägt sie vor: Das von ihr
verwendete Testbenzin sei als Energieerzeugnis grundsätzlich zu versteuern, wobei
sich der Steuersatz nach § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG an Beschaffenheit und
Verwendungszweck zu orientieren habe. Hier diene das Testbenzin einem Heizzweck
und stehe damit den Energieerzeugnissen nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b EnergieStG
am nächsten. Die Beschaffenheit von Energieerzeugnissen richte sich vor allem nach
ihrer Dichte, dem Siedeverlauf und dem Flammpunkt und könne auch mangels anderer
Bestimmungen für die Wertung nach § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG übernommen
werden, ohne dass es auf die Differenzierung nach der KN ankomme. Danach
entspreche Testbenzin sowohl hinsichtlich Dichte, Siedebeginn und Flammpunkt mehr
dem Gasöl (HEL) als dem Motorenbenzin. Bei Motorenbenzin liege der Flammpunkt so
niedrig, dass eine Verwendung des Motorenbenzins für ihre Zwecke ausscheide.
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§ 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG sei vom Gesetzgeber bewusst offen und nicht in
Anpassung an die KN formuliert worden. Damit sei auch eine entsprechende
Berücksichtigung von Sonderfällen möglich und gerade auch des Verwendungszwecks
geboten.
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Die bis zum 31.07.2006 nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 MinöStG mögliche steuerfreie
Verwendung des Testbenzins sei durch die Änderung des Begriffs des Verheizens nicht
mehr möglich, so dass der Gesetzgeber diese Fälle im Einklang mit der Richtlinie (EG)
2003/96 des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur
Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom vom 27.10.2003 (ABl.
EU Nr. L 283/51) – RL 2003/96 – mit der Regelung des § 51 EnergieStG habe
auffangen wollen.
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Die Besteuerung des Testbenzins nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b EnergieStG bei der
von ihr vorgenommenen Verwendung entspreche auch den Zielen des EnergieStG, wie
die Gesetzesbegründung zu § 51 EnergieStG zeige.
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Die Klägerin beantragt,
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den Steuerbescheid des Beklagten vom 01.12.2008 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 18.12.2009 insoweit aufzuheben, als mehr als 25
EUR gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 des EnergieStG festgesetzt worden ist und
22
den Steuerbescheid des Beklagten vom 07.12.2009 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 29.12.2009 aufzuheben, soweit mehr als 25 EUR
Energiesteuer gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 des EnergieStG festgesetzt worden ist,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
24
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
26
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
27
Dazu führt er Bezug nehmend auf seine Einspruchsentscheidungen aus: Der sich aus
§ 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG ergebende Steuersatz könne nicht frei in entsprechender
Anwendung der Begriffe Beschaffenheit und Verwendungszweck bestimmt werden,
sondern müsse sich an der auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben beruhenden
Struktur des EnergieStG und am Aufbau der steuerlichen Regelungen orientieren. Der
Tarif in § 2 EnergieStG folge in seinem Aufbau den Beschaffenheitskriterien der im
Regelfall steuerbaren Energieerzeugnissen und räume damit der Beschaffenheit eine
besondere Bedeutung ein. Dies zeige sich auch an der Struktur des Kapitels 27, dessen
zusätzliche Anmerkungen dem Siedeverhalten eine besondere Bedeutung zugemessen
hätten. Deshalb sei dieser Umstand im Rahmen der nach § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG
vorzunehmenden Gesamtbetrachtung besonders zu würdigen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Mit den angefochtenen Bescheiden in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen hat
der Beklagte die Klägerin zu Unrecht für die darin festgesetzte Energiesteuer in
Anspruch genommen. Die Klägerin wird dadurch in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1
der Finanzgerichtsordnung (FGO), soweit mehr als 25 EUR/1.000 kg gemäß § 2 Abs. 3
Nr. 2 EnergieStG festgesetzt worden sind.
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Aufgrund der von ihr vorgenommene Verwendung des Testbenzins und des Exxsol D
60 ist die Klägerin Schuldnerin der Energiesteuer nach § 23 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2
EnergieStG geworden. Nach diesen Vorschriften entsteht die Energiesteuer für andere
als in § 4 EnergieStG genannte Energieerzeugnisse, die nicht als Heizstoffe abgegeben
werden, dadurch, dass sie als Heizstoff verwendet werden. Steuerschuldner ist der
Verwender.
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Testbenzin und Exxsol D 60, die als Leichtöle der Unterposition 2710 11 21 KN (s. § 1
Abs. 4 EnergieStG) zuzuweisen sind, sind im Streitfall keine Energieerzeugnisse im
Sinne des § 4 EnergieStG. Das wären sie nur, wenn sie lose befördert worden wären,
§ 4 Nr. 3 EnergieStG. Hier aber hat die Klägerin diese Waren nicht lose bezogen,
sondern in handelsüblichen 220 l Fässern. Soweit vertreten wird, ein lose Beförderung
sei auch bei einer Behältergröße von mehr als 210 l gegeben (Schröer-Schallenberg in
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Bongartz, Energiesteuer, Stromsteuer, Zolltarif § 25 Rz. 11 im Anschluss an einen
unveröffentlichten BMF-Erlass), folgt der Senat dem mangels gesetzlicher Grundlage
nicht.
Feststellungen dazu, dass beide Produkte vorher oder zumindest der Klägerin als Kraft-
oder Heizstoff abgegeben wurden, hat der Beklagte nicht getroffen.
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Die Klägerin hat das Testbenzin und Exxsol D 60 als Heizstoffe verwendet, denn sie hat
sie zur Wärmeerzeugung verbrannt, § 2 Abs. 6 EnergieStG in der seinerzeit geltenden
Fassung. Die Verbrennung diente dem Anschmelzen der Beschichtungspartikel und der
Erzeugung der hohen Gasgeschwindigkeit.
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In den angefochtenen Bescheiden ist der Beklagte jedoch von einem unzutreffenden
Steuersatz ausgegangen. Dieser kann § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG in
richtlinienkonformer Auslegung des Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 und 3 RL 2003/96 nur § 2
Abs. 3 Nr. 2 EnergieStG entnommen werden.
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§ 2 Abs. 4 Satz 1 und 3 EnergieStG bestimmt zwar den Steuersatz, wenn die zu
beurteilenden Energieerzeugnisse - wie das Testbenzin und Exxsol D 60 - nicht in § 2
Abs. 1 bis 3 EnergieStG aufgeführt sind, widerspricht aber mit seinen Regelungen Art. 2
Abs. 3 Unterabs. 1 und 3 RL 2003/96 und verstößt damit gegen Unionsrecht.
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Nach Art. 2 Abs. 3 RL 2003/96 bestimmt sich der Steuersatz in erster Linie nach der
Verwendung des Energieerzeugnisses, hier also aufgrund der Verwendung zum
Verheizen, Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 RL 2003/96. Dies trägt dem Umstand Rechnung,
dass es sich bei der Energiesteuer um eine verwendungsorientierte Verbrauchsteuer
handelt (s. BFH Urteil vom 11.11.2008 VII R 33/07, BFH/NV 2009, 610).
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Erst in einem zweiten Schritt ist bei Kohlenwasserstoffen, die wie die streitbefangenen
Energieerzeugnisse zu Heizzwecken verwendet werden, auf den Steuersatz
abzustellen, der für ein gleichwertiges Energieerzeugnis erhoben wird, Art. 2 Abs. 3
Unterabs. 3 RL 2003/96.
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Dem gegenüber geht § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG davon aus, dass der Steuersatz der
Energieerzeugnisse anzuwenden ist, denen die zu beurteilenden Energieerzeugnisse
nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Verwendungszweck am nächsten stehen.
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Zudem führt die Regelung in § 2 Abs. 4 Satz 3 EnergieStG dazu, dass die Anwendung
der Steuersatzes für einen bedeutsamen Heizstoff, nämlich nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
EnergieStG für ordnungsgemäß gekennzeichnetes Heizöl, erheblich eingeschränkt,
wenn nicht sogar praktisch unmöglich gemacht wird. Hierfür sind durch Art. 2 Abs. 3 RL
2003/96 oder die Richtlinie 95/60/EG des Rates vom 27.11.2995 über die steuerliche
Kennzeichnung von Gasöl und Kerosin (ABl. EG Nr. L 291/46) RL 95/60 – erkennbare
Gründe nicht ersichtlich. Die Kennzeichnung ist nämlich nur für bestimmte begünstigt
verwendbare Energieerzeugnisse vorgesehen (3. Erwägungsgrund RL 95/60). Nach § 2
Abs. 4 Satz 3 EnergieStG kommt der Heizölsteuersatz aber nur dann in Betracht, wenn
das nicht besonders genannte Energieerzeugnis seinerseits ordnungsgemäß
gekennzeichnet ist. Auch wenn § 8 der Verordnung zur Durchführung des
Energiesteuergesetzes (Energiesteuer-Durchführungsverordnung – EnergieStV) eine
Kennzeichnung nicht genannter Energieerzeugnisse nach § 2 Abs. 4 EnergieStG
ermöglicht, sind derartige gekennzeichnete Energieerzeugnisse üblicherweise nicht
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erhältlich. Sind auch wie im Streitfall Testbenzin und Exxsol D 60 in der bezogenen
Form schon keine Energieerzeugnisse nach § 4 EnergieStG, gibt es für sie regelmäßig
keine begünstigte Verwendung wie das Verheizen, zu deren Schutz eine
Kennzeichnung erforderlich sein könnte. Schließlich wäre diese Kennzeichnung bei
einer Steuerentstehung erst durch Verwendung des Energieerzeugnisses wie im
Streitfall in einem Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem es darauf nicht mehr ankommt, weil
das Energieerzeugnis mit der Verwendung verbrannt wird.
Im Hinblick darauf kann eine fehlende Kennzeichnung eines verheizten
Energieerzeugnisses, selbst wenn die Mitgliedstaaten weitergehende
Kennzeichnungspflichten nach Art. 1 Abs. 1 RL 95/60 (Abl. EG Nr. L 291/46 v.
6.12.1995) bestimmen dürfen, nicht dazu führen, eine von Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 3 RL
2003/96 abweichende Regelung zu treffen.
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Dementsprechend kann in richtlinienkonformer Auslegung für die Bestimmung des
Steuersatzes nicht auf die Beschaffenheit des Testbenzin und des Exxsol D 60 als ein
dem Leichtöl ähnliches Energieerzeugnis abgestellt werden (s. zur richtlinienkonformen
Auslegung BFH-Urteil vom 11.02.2003 VII R 8/01, BFHE 201, 359). Die Verpflichtung
des Senats zur richtlinienkonformen Auslegung besteht unabhängig davon, ob sich die
Klägerin auf Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/96 berufen kann (EuGH Urteil
vom 15.06.2000 Rs. C-365/98, Slg. 2000, I-4619 Rz. 39 f.).
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Da Testbenzin und Exxsol D 60 zum Verheizen und nicht zum Antrieb von
Verbrennungsmotoren verwendet worden ist, kann der anzuwendende Steuersatz nur §
2 Abs. 3 Satz 1 EnergieStG entnommen werden. In § 2 Abs. 3 Satz 1 EnergieStG ist
indes kein diesen Erzeugnissen gleichwertiger Heizstoff aufgeführt, wie dies Art. 2 Abs.
3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/96 an sich erfordert. Beiden Erzeugnissen gleichwertig
ist noch nicht einmal Benzin, für das nach § 2 Abs. 3 Satz 1 EnergieStG in
Übereinstimmung mit Anhang I Tabelle C zur Richtlinie 2003/96 kein Steuersatz
vorgesehen ist.
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Der Gesetzgeber hat daher für Fälle der vorliegenden Art keine Regelung getroffen, die
es dem Steuerpflichtigen ermöglicht, dem Gesetzestext seine steuerliche Belastung zu
entnehmen. Gleichwohl muss der Senat der Frage, ob § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG auf
Grund seiner im Streitfall letztlich leerlaufenden Verweisung auf die Steuersätze des § 2
Abs. 3 Satz 1 EnergieStG gegen den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der
Besteuerung verstößt (hierzu etwa Wernsmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 4
Rz. 650), nicht weiter nachgehen. Denn in richtlinienkonformer Auslegung des § 2 Abs.
4 Satz 1 EnergieStG kann in Ermangelung eines in § 2 Abs. 3 Satz 1 EnergieStG
genannten und den streitbefangenen Energieerzeugnissen gleichwertigen Heizstoffes
jedenfalls ein Mindeststeuersatz herangezogen werden, der für Erzeugnisse
vorgesehen ist, die zum Verheizen verwendet werden (s. BFH-Urteil v. 11.02.2003, VII R
8/01 aaO.). Dies entspricht dem Ziel der Richtlinie 2003/96, zur Verwirklichung des
Binnenmarktes eine harmonisierte Mindestverbrauchsteuer zu gewährleisten (Art. 4 ff.
der Richtlinie).
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Nach seiner konkreten Verwendung stehen Testbenzin und Exxsol D 60 dem Heizöl der
Unterpos. 2710 19 61 bis 2710 19 69 KN gleich, für das gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
EnergieStG ein Steuersatz von 25 EUR je 1.000 kg anzuwenden ist. Die besonderen
Beschaffenheitsmerkmale für Heizöl der vorgenannten Unterpositionen nach der
Zusätzlichen Anmerkung 1 Buchst. f zu Kap. 27 KN müssen für die Anwendung des
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vorgenannten Steuersatzes nicht vorliegen, weil es nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 RL
2003/96 nur auf die Verwendung des Erzeugnisses ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155
FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Der Senat hat die
Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.
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