Urteil des FG Düsseldorf vom 24.03.2010

FG Düsseldorf (strom, beleuchtung, betrieb, entsorgung, verbindung, vorverfahren, entwässerung, gebäude, sicherheitsleistung, anlage)

Finanzgericht Düsseldorf, 4 K 2523/09 VSt
Datum:
24.03.2010
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 2523/09 VSt
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 27.10.2008 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 16.06.2009 wird aufgehoben, soweit darin
für Strom, der für Beleuchtung und Klimatisierung eingesetzt wurde,
40.957,57 EUR Stromsteuer und für Strom, der für die Gipsabscheidung
eingesetzt wurde, 5.987,64 EUR Stromsteuer festgesetzt worden sind.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war
notwendig.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig
vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die
Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin betrieb u.a. eine Müll- und Klärschlammverbrennungsanlage (MKVA), die
Strom erzeugt und über eine Rauchgasreinigungsanlage (RRA) verfügte.
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Im Kesselgebäude der MKVA waren zahlreiche technische Schalt- und
Regelungsanlagen untergebracht, deren Umgebungstemperatur für einen
störungsfreien Betrieb der MKVA und der RRA höchstens 40°C betragen durfte. Zudem
befanden sich in diesem Gebäude fensterlose Räume, in denen sich das
Bedienungspersonal rund um die Uhr aufhielt und die aus arbeitsmedizinischen und
sicherheitstechnischen Gründen zu beleuchten und zu klimatisieren waren. Im
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Einzelnen handelte es sich um die Schaltanlagen, die Warte, den Gleichrichterraum,
den Batterieraum, den Relaisraum und die Arbeits- und Sozialräume des im Drei-
Schichten-Betrieb arbeitenden Bedienungspersonals.
Die RRA erzeugte beim Filtern in der Rauchgasreinigung eine Gipssuspension mit
einem Wasseranteil von 70%, der nach der der Klägerin erteilten Betriebsgenehmigung
zur fachgerechten Entsorgung auf einen Wasseranteil von 20% vermindert werden
musste. Dazu setzte die Klägerin zwei elektrisch betriebene Zentrifugen ein. Den so
hergestellten Gips durfte die Klägerin nicht verwerten, sondern hatte ihn auf einer
Sondermülldeponie zu entsorgen. Ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil
hinsichtlich der diesbezüglichen Nebenbestimmungen ihrer Betriebsgenehmigung wies
das Oberverwaltungsgericht mit rechtskräftigem Urteil vom ...... ab.
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Auf Anordnung des Beklagten fand bei der Klägerin eine Außenprüfung u.a. der
Stromsteuer für die Jahre 2005 und 2006 statt, deren Ergebnis im Prüfungsbericht vom
15.09.2008 zusammengefasst wurde. In dem Bericht stellte der Prüfungsbeamte fest,
dass die Klägerin in den beiden Jahren jeweils 998,965 MWh Strom zur Beleuchtung
und Klimatisierung der Räume im Gebäude der MKVA einsetzte. Weiter setzte die
Klägerin in beiden Jahren jeweils 146.040 MWh Strom zum Betrieb zweier Zentrifugen
ein, mit denen sie die Gipssuspension aus der RRA entwässerte. Nach Auffassung des
Prüfungsbeamten waren diese Stromverwendungen, die die Klägerin in ihren
Stromsteueranmeldungen nicht angemeldet hatte, nicht mehr der Stromerzeugung im
technischen Sinne zuzuordnen.
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Der Beklagte schloss sich den Feststellungen und Wertungen des Prüfungsberichts mit
Bescheid vom 27.10.2008 an und erhob u.a. für den Strom, der für Beleuchtung und
Klimatisierung eingesetzt wurde, 40.957,57 EUR Stromsteuer und für den Strom, der für
die Gipsabscheidung eingesetzt wurde, 5.987,64 EUR Stromsteuer nach.
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Zur Begründung des gegen diesen Bescheid fristgerecht eingelegten Einspruchs trug
die Klägerin vor, die Verwendung des Stroms für Beleuchtung und Klimatisierung und
für die Gipsabscheidung sei nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 des Stromsteuergesetzes StromStG
in Verbindung mit § 12 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des
Stromsteuergesetzes (Stromsteuer-Durchführungsverordnung – StromStV)
stromsteuerfrei.
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Die MKVA sei für eine ordnungsgemäße Funktion und zur Einhaltung rechtlicher
Vorschriften zu beleuchten und zu klimatisieren. Dabei gehe es nicht um die bloße
Unterhaltung des Kraftwerks, wie etwa bei Büroräumen, Lagern oder Werkstätten.
Zudem werde in den fensterlosen Räumen, für deren Beleuchtung und Klimatisierung
sie den Strom verwendet habe, ununterbrochen im mehreren Schichten gearbeitet, so
dass Beleuchtung und Klimatisierung zwingend erforderlich seien.
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Die Entsorgung von Reststoffen aus der Anlage und vom Betriebsgrundstück sei ein
wesentlicher Bestandteil eines genehmigungsfähigen Betriebsablaufs. Die
Rauchgasreinigung ende erst mit dem Abtransport der Reststoffe zur Entsorgung. Sie
habe den Gips nicht veredeln, nämlich verkaufsfertig machen dürfen, sondern müsse ihn
entsorgen.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 16.06.2009 wies der Beklagte den Einspruch als
unbegründet zurück, da nach den eng auszulegenden Bestimmungen des § 9 Abs. 1
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Nr. 2 StromStG in Verbindung mit § 12 Abs. 1 StromStV nur die Anlagen steuerfrei
betrieben werden dürften, die für die Stromerzeugung unentbehrlich seien und in einem
direkten technischen Zusammenhang mit der Stromerzeugung stünden.
Das gelte für Beleuchtung und Belüftung ebenso wie für die Gipsentwässerung. Diese
Aufbereitung diene nach erfolgter Stromerzeugung nur dem leichteren Abtransport. Sie
stehe in keinem technischen Zusammenhang mit der Stromerzeugung. Auch ende die
Rauchgasreinigung mit der Entnahme der Suspension aus der RRA.
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Mit ihrer fristgerecht erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und
beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 27.10.2008 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 16.06.2009 aufzuheben, soweit darin für Strom, der
für Beleuchtung und Klimatisierung eingesetzt wurde, 40.957,57 EUR Stromsteuer
und für Strom, der für die Gipsabscheidung eingesetzt wurde, 5.987,64 EUR
Stromsteuer festgesetzt worden sind.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen,
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und verweist auf seine Einspruchsentscheidung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27.10.2008 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 16.06.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten, soweit darin für Strom, der für Beleuchtung und Klimatisierung eingesetzt
wurde, 40.957,57 EUR Stromsteuer und für Strom, der für die Gipsabscheidung
eingesetzt wurde, 5.987,64 EUR Stromsteuer festgesetzt worden sind, § 100 Abs. 1 S.1
der Finanzgerichtsordnung FGO –.
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§ 9 Abs.1 Nr. 2 StromStG in Verbindung mit § 12 Abs. 1 Nr. 1 StromStV befreit zwar nur
denjenigen Strom von der Stromsteuer, der zur Stromerzeugung in Neben- und
Hilfsanlagen der Stromerzeugungseinheit im technischen Sinne verbraucht wird. Dies
ist aber im Streitfall sowohl für den Strom, der für Beleuchtung und Klimatisierung als
auch für die beiden Zentrifugen eingesetzt wird, der Fall.
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Im technischen Sinne verbraucht wird der Strom, ohne den die Stromerzeugungsanlage
technisch nicht ordnungsgemäß betrieben werden kann. Damit ist der Strom für
Beleuchtung und Klimatisierung der vom Bedienungspersonal genutzten Räume des
Kesselhauses zwingend zu befreien.
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Ohne Beleuchtung der Arbeits- und Aufenthaltsräume des Kesselhauses ist ein Betrieb
der MKVA, für deren Betrieb die Klägerin dort Personal rund um die Uhr einsetzt, das
die Anlage ständig zu beaufsichtigen hat, schlechthin unmöglich. Ohne die aus
arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Gründen notwendige Beleuchtung
kann die Klägerin die MKVA nicht betreiben.
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Gleiches gilt auch für den Strom, der für die Klimatisierung eingesetzt wird. Aufgrund der
hohen Heiztemperaturen im Kesselhaus, auf die die Klägerin in der mündlichen
Verhandlung hingewiesen hat, muss sie nicht nur dafür sorgen, dass die verwendeten
Schaltanlagen hinreichend gekühlt werden, um funktionsfähig zu bleiben, sondern auch,
dass das ständig anwesende Bedienungspersonal in einer unter arbeitsmedizinischen
und sicherheitstechnischen Gesichtspunkten ordnungsgemäßen Arbeitsumgebung tätig
werden kann. Deren Gewährleistung ist betriebsnotwendig.
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Der für den Betrieb der Zentrifugen verwendete Strom gehört im Streitfall untrennbar zur
Rauchgasreinigung, die nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StromStV eine Neben- oder Hilfsanlage
einer Stromerzeugungseinheit ist. Die zum Betrieb der MKVA notwendige
Rauchgasreinigung erschöpft sich nämlich nicht in der bloßen Reinigung des
Rauchgases, sondern umfasst den dauerhaften Betrieb der RRA selbst und aller
weiteren dafür notwendigen Anlagen. Fallen wie hier beim Betrieb der RRA in großem
Umfang Abfallstoffe wie die Gipssuspension an, können diese nicht in der MKVA
verbleiben, sondern müssen beseitigt werden. Da der Klägerin in der
Betriebsgenehmigung die Beseitigung selbst durch Entwässerung und mit der
vergeblich angefochtenen Vorgabe der Abfallklassifikation des Gipses dessen
Entsorgung auf einer Sondermülldeponie vorgeschrieben war, musste sie diese
Verfahren anwenden, um die RRA und mit ihr die MKVA überhaupt betreiben zu
können. Insoweit war die Entwässerung des Gipses für den ordnungsgemäßen
technischen Betrieb der MKVA notwendig und damit Teil der Stromerzeugung im
technischen Sinne.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, diejenige über die Hinzuziehung
eines Bevollmächtigten im Vorverfahren aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155
FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO
nicht erkennbar war.
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