Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

FG Berlin-Brandenburg: urkunde, grundstück, anbieter, abtretung, verfügung, rechtsgeschäft, sammlung, ersetzung, auflage, quelle

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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 11.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 K 1222/05 B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 Abs 1 Nr 6 GrEStG 1997, § 1
Abs 1 Nr 7 GrEStG 1997, § 1 Abs
1 Nr 1 GrEStG 1997, § 367 AO
(Annahme eines Kaufangebots kein Übereignungsanspruch i.S.
des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG - Kein Austausch eines
Lebensachverhalts im Einspruchsverfahren)
Leitsatz
Falscher Sachverhalt im Grunderwerbsteuerbescheid
Wird im Grunderwerbsteuerbescheid ein falscher Sachverhalt zugrunde gelegt, kann dieser
Fehler nicht durch die Einspruchsentscheidung oder durch Berichtigung des Steuerbescheides
geheilt werden.
Tatbestand
In der notariellen Verhandlung vom 1. November 2002 (UR-Nr. … des Notars B. bot die
Eigentümerin des Grundstücks Z., der A-GmbH oder Dritten den Abschluss eines
Kaufvertrages über das Grundstück an.
Der Vertrag enthält u.a. folgende Vereinbarungen:
"An dieses Angebot hält sich der Anbieter unwiderruflich bis zum Ablauf des 15. Januar
2004 gebunden. Der Vertrag kommt zustande, wenn der Angebotsempfänger oder
Dritte … während des Bestands des Angebots dieses zu notarieller Urkunde annimmt,
ohne dass es auf den Zeitpunkt des Zugangs der Annahmeerklärung beim Anbieter
ankommt. … Der Anbieter erteilt dem Angebotsempfänger über den Tod des
Vollmachtgebers hinaus und mit dem Recht zur Erteilung von Untervollmacht sowie
unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB auf den Kaufgegenstand
bezogene Vollmacht ab dem Tag der Beurkundung: … Vereinbarungen mit
Versorgungsunternehmen zu treffen und die Erschließung des Grundstücks zu
betreiben, … Baugenehmigungsverfahren einzuleiten und zu betreiben, …
Mit Annahme des Angebots durch den Angebotsempfänger oder Dritte kommt ein
dieser Urkunde als Anlage angefügter Grundstückskaufvertrag zwischen dem
Anbieter/Verkäufer einerseits und dem Angebotsempfänger/Käufer andererseits
zustande, wobei der Angebotsempfänger oder Dritte berechtigt sein sollen, den
Vertragsgegenstand dahin abzuändern bzw. neu zu bestimmen, dass an die Stelle des
bisherigen Vertragsgegenstandes Trennstücke des angebotenen Grundstückes, soweit
teilungsrechtlich zulässig, oder Miteigentumsanteile treten können."
Ferner heißt es in der notariellen Urkunde, dass die Klägerin unwiderruflich verpflichtet
ist, die nicht bis zum 15. Januar 2004 durch Dritte erworbenen Teilflächen bis zu diesem
Zeitpunkt selbst zu notarieller Urkunde anzunehmen. Ferner verpflichtete sich die
Grundstückseigentümerin, bis zum Ablauf der Angebotsfrist sich jeglicher anderweitiger
rechtsgeschäftlicher Verfügung über den in der Anlage bezeichneten Grundbesitz zu
enthalten. Außerdem wurde der Vertreter der Klägerin ab dem 1. November 2002
ermächtigt, befreit von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -
zur Eintragung in das vorbezeichnete Grundbuch beschränkt persönliche
Dienstbarkeiten usw. zu bewilligen und zu beantragen, die der Entwicklung des
Grundstücks dienen und für die Durchführung der Erschließung und Bebauung
erforderlich sind.
Das betreffende Angebot nahmen laut Urkunden vom 1. April 2003 (UR-Nr. … und …
des Notars B.) und vom 21. Mai 2003 (UR-Nr. … des Notars B.) hinsichtlich Teilflächen
drei Erwerbergemeinschaften an. In der notariellen Verhandlung vom 26. Mai 2003 (UR-
Nr. … des Notars B.) erklärte die Eigentümerin gegenüber den Erwerbergemeinschaften,
"das zu vorgenannten Urkunde (richtig: Urkunden) angenommene (geänderte) Angebot
uneingeschränkt wiederum anzunehmen und alle dort abgegebenen Erklärungen zu
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uneingeschränkt wiederum anzunehmen und alle dort abgegebenen Erklärungen zu
genehmigen." Der eben genannten Urkunde war ein Lageplan beigefügt, auf der für jede
Erwerbergemeinschaft ein unvermessenes Trennstück und dessen Größe verzeichnet
sind.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2003 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin einen
Grunderwerbsteuerbescheid über -.- - - € mit einer Bemessungsgrundlage von --.-- €. Als
Sachverhalt ist dort angegeben, dass die Klägerin durch das notarielle Angebot vom 1.
November 2002 und die Annahme vom 26. Mai 2003 (UR-Nr. … des Notars B.) das
streitige Grundstück erworben habe. In den Erläuterungen zu dem Bescheid heißt es:
"Mit dem Vertrag vom 1. November 2002 wurde Ihnen das Angebot zum Abschluss
eines Kaufvertrages unterbreitet. In diesem Vertrag haben Sie sich unwiderruflich
verpflichtet, dieses Angebot ganz oder teilweise anzunehmen, soweit zwischenzeitlich
nicht die Annahme durch Dritte erfolgt ist. Gleichzeitig hat sich die Veräußerin
verpflichtet, sich jeglicher anderweitiger rechtsgeschäftlicher Verfügung über das
Grundstück zu enthalten. Damit wurde ein der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr.
1 unterliegender selbstständiger Anspruch auf Übereignung des Grundstücks durch Sie
begründet."
Hiergegen erhob die Klägerin Einspruch, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung
vom 13. Mai 2005 zurückwies; die Grunderwerbsteuer setzte er aufgrund eines zuvor
erfolgten Verböserungshinweises erhöht auf -.- - - € fest. Zur Begründung führte er aus,
nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 Grunderwerbsteuergesetz - GrEStG - unterliege der
Grunderwerbsteuer ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Abtretung der Rechte aus
einem Kaufangebot begründe, und nach Nr. 7 der genannten Vorschrift die Abtretung
selbst, wenn ihr kein solches Rechtsgeschäft vorausgegangen sei. Zur
Tatbestandsverwirklichung sei erforderlich, dass ein rechtswirksames Kaufangebot
eingeräumt werde, die daraus sich ergebenden Rechte vom Berechtigten an den Dritten
abgetreten würden und der Kauf zwischen diesem und dem Grundstückseigentümer
tatsächlich zustande komme. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Die Veräußerin
des Grundstücks habe der Klägerin oder Dritten ein unwiderrufliches Angebot zum
Abschluss des in der notariellen Urkunde vom 1. November 2002 bezeichneten
Kaufvertrages unterbreitet. Die aus diesem Angebot erwachsenden Rechte habe die
Klägerin zunächst genutzt, um im Zusammenwirken mit der mit ihr verflochtenen C-
GmbH eine Bauplanung für das Grundstück zu erstellen und Käufer für das Bauprojekt
zu suchen. Ihre Rechte habe sie dann weiter dazu genutzt, dass sie nur den ihr bzw. der
C-GmbH angenehmen Käufern - verdeckt - Zugang zum Grundstück verschafft habe.
Diese Käufer hätten das Angebot dann am 1. April/21. Mai 2003 angenommen, sodass
der Grundstückskaufvertrag zwischen ihnen und der Veräußerin zustande gekommen
sei. Damit sei der Steuertatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 6 bzw. 7 GrEStG seinem Wortlaut
nach erfüllt. Darüber hinaus habe die Klägerin mit dem Kaufangebot vom 1. November
2002 eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt. Bei einer Besteuerung nach § 1 Abs. 1
Nr. 6 bzw. 7 GrEStG sei nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG der Grundbesitzwert die
Bemessungsgrunde für die Grunderwerbsteuer. Das Finanzamt … habe diesen zum 1.
November 2002 auf --.-- € ermittelt. Die Grunderwerbsteuer werde daher auf 3,5 % von -
-.-- € = -.- - - € festgesetzt. Die Klägerin sei mit Schreiben vom 28. Februar 2005 auf die
Möglichkeit einer verbösernden Entscheidung hingewiesen worden.
Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage.
Die Klägerin macht insbesondere geltend, sie habe die Grundstücksverkäuferin bzw.
deren Immobilienberater über ihr mangelndes weiteres Interesse an der eigenen
wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks informiert. Außerdem hätten sich dritte
Personen selbstständig mit der Verkäuferin in Verbindung gesetzt. Die ersten Käufer
hätten sich zudem aufgrund eines Verkaufsschildes auf dem Grundstück mit der
Telefonnummer der Grundstückseigentümerin bei dieser selbst gemeldet. Diese habe
einen persönlichen Berater, der in keiner Beziehung zu ihr - der Klägerin - stehe,
beauftragt, die Information an das Notariat B. zu leiten und die betreffenden Personen
als Käufer zu benennen. Sie - die Klägerin - habe keinen Kontakt mit den Käufern gehabt
und auch nicht in anderer Weise am Verkauf mitgewirkt.
den Bescheid vom 13. Oktober 2003 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2005 aufzuheben.
die Klage abzuweisen.
Er meint, es könne dahingestellt bleiben, ob der Steuerbescheid vom 13. Oktober 2003
und die Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 2005 unterschiedliche Lebenssachverhalte
erfassten, wenngleich beide Verwaltungsakte als Lebenssachverhalt auch das Angebot
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erfassten, wenngleich beide Verwaltungsakte als Lebenssachverhalt auch das Angebot
vom 1. November 2002 zugrunde legten. Da die Grunderwerbsteuer mit der
Einspruchsentscheidung höher festgesetzt worden sei, stelle diese Entscheidung auch
einen mögliche Fehler der Festsetzung vom 13. Oktober 2003 berichtigenden
Steuerbescheid dar. Des Weiteren habe die Klägerin mit dem Kaufangebot vom 1.
November 2002 wirtschaftliche Interessen der mit ihr verflochtenen C-GmbH verfolgt. Da
sich die Grundstückseigentümerin bis zum 15. Januar 2004 an das Verkaufsangebot
gebunden habe, hätte die mit der Klägerin zusammenwirkende C-GmbH
Grundstücksbeplanungen durchführen und Interessenten für ihr Bauvorhaben suchen
können. Im Übrigen werde die Klägerin die Verkaufsbemühungen auch bis zum
erfolgreichen Ende begleitet oder der mit ihr verflochtenen C-GmbH übertragen haben,
da sie zum Ankauf der am 15. Januar 2004 noch vorhandenen Teilflächen verpflichtet
gewesen sei. Nur so lasse sich erklären, weshalb die Nacherwerber D. ihr Wohnhaus
ausgerechnet bei der letztgenannten GmbH bestellt hätten.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und
verletzt die Rechte der Klägerin.
Ausschlaggebend ist zum einen, dass der Beklagte mit dem Bescheid vom 13. Oktober
2003 einen falschen Sachverhalt der Besteuerung unterworfen hat. Nicht die Klägerin,
sondern die o.g. Erwerbergemeinschaften haben das Angebot der Eigentümerin vom
1. November 2002 angenommen. Da in dem Bescheid ausdrücklich auf das Angebot
und die (angebliche) Annahme dieses Angebotes am 26. Mai 2003 durch die Klägerin
Bezug genommen und in den Erläuterungen dementsprechend auf den angeblich von
der Klägerin erworbenen Übereignungsanspruch abgestellt wird, hat der Beklagte einen
Sachverhalt zugrunde gelegt, den die Klägerin in keiner Weise verwirklicht hat.
Soweit der Beklagte in der Einspruchsentscheidung auf andere Lebenssachverhalte,
nämlich auf die Abtretung von Rechten aus einem Kaufangebot oder den Anspruch
darauf, "umgeschwenkt" ist, handelt es sich offensichtlich um einen anderen Tatbestand,
der in dem angefochtenen Bescheid in keiner Weise angesprochen wird. Der unter
Umständen steuerbare Handel mit einem Kaufangebot ist in dem fraglichen Bescheid
gerade nicht erwähnt, weil die Verweisung auf Angebot und Annahme vom 26. Mai 2003
sowie auf den Erwerb eines Übereignungsanspruchs eine Konstellation betrifft, die in
keinem Fall unter § 1 Abs. 1 Nr. 6 oder Nr. 7 GrEStG subsumiert werden kann, sondern
ggf. unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG.
Der von dem streitigen Grunderwerbsteuerbescheid allein erfasste Lebenssachverhalt
des Erwerbs eines Übereignungsanspruches ist ungeeignet, einen Steueranspruch
gegenüber der Klägerin zu begründen, da sie einen derartigen Anspruch gegenüber der
Eigentümerin nicht erworben hatte. Das Kaufvertragsangebot ist ebenso wenig ein
Verpflichtungsgeschäft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wie der Angebotsvertrag
(siehe z.B. Hofmann, GrEStG, 8. Auflage, § 1 Tz. 66).
Der danach offensichtliche Mangel des Bescheides vom 13. Oktober 2003 kann nicht
dadurch geheilt werden, dass der Einspruchsentscheidung der (möglicherweise)
zutreffende, den Steueranspruch begründende Lebenssachverhalt zugrunde gelegt wird.
Insoweit handelt es sich nicht lediglich um einen Begründungsmangel des
Steuerbescheides. Die Einspruchsentscheidung ist vielmehr rechtswidrig, weil ihr ein
anderer Lebenssachverhalt zugrunde gelegt worden ist als dem Steuerbescheid. Die
dem Finanzamt im Einspruchsverfahren eingeräumte Überprüfungsberechtigung und
damit seine Entscheidungsbefugnis wird durch den angefochtenen Verwaltungsakt
begrenzt (Bundesfinanzhof - BFH - Urteil vom 19. Januar 1994 II R 32/90, Sammlung
amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1994, 758; Urteil vom
28. Juli 1993 II R 50/90, BFH/NV 1993, 712).
Die Auffassung des Beklagten, die Einspruchesentscheidung stelle einen mögliche Fehler
der Festsetzung vom 13. Oktober 2003 berichtigenden Steuerbescheid dar, führt nicht
weiter. Der Beklagte verkennt, dass seine Prüfungsbefugnis und damit auch seine
Änderungsbefugnis nur im Rahmen des dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde
gelegten Lebenssachverhaltes besteht und dass eine Berichtigung eines
Steuerverwaltungsaktes nur im Rahmen der - hier außerdem nicht anwendbaren - §§
129, 172 ff. Abgabenordnung - AO - zu einer "Heilung" eines fehlerhaften oder
rechtswidrigen Verwaltungsaktes führen könnte. Auch die Berufung des Beklagten auf
die zulässige "Ersetzung" eines nichtigen Verwaltungsaktes im Einspruchsverfahren (vgl.
§ 365 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO) schlägt fehl, weil die Änderung oder Ersetzung eines
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§ 365 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO) schlägt fehl, weil die Änderung oder Ersetzung eines
Steuerbescheides im Rechtsbehelfsverfahren nur bei Identität des
Besteuerungstatbestandes möglich ist (s. z.B. Pahlke/Koenig, AO, 2004, § 364 Tz. 24).
Zum anderen lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin mit dem auch ihr gegenüber
gemachten Kaufangebot gehandelt hätte. Der Beklagte hat insbesondere nicht im
Einzelnen dargelegt, dass die Klägerin die betreffenden Erwerbergemeinschaften
gegenüber der Eigentümerin benannt hat und dass die Klägerin eigene oder
wirtschaftliche Interessen eines Dritten, dem gegenüber sie im Hinblick auf die
Ausübung des Benennungsrechts gebunden war, verfolgt hätte (vgl. Boruttau, GrEStG,
16. Aufl., § 1 Tz. 483 f, 484c, 485). Darüber hinaus ist die Einspruchsentscheidung
rechtswidrig, weil zu unbestimmt. Der Beklagte lässt nämlich offen, ob er den
Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 6 oder den des § 1 Abs. 1 Nr. 7 GrEStG oder beide
Tatbestände für verwirklicht hält. Die Verwendung des Wortes "bzw." ist ungenau, weil
dies "oder", aber auch "und" bedeuten kann.
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