Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

FG Berlin-Brandenburg: behinderung, einkünfte, objektive unmöglichkeit, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, erwerbstätigkeit, berufsausbildung, bestreitung, eltern, dienstanweisung, arbeitsmarkt

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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 4.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2005
Aktenzeichen:
4 K 10515/06 B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 32 Abs 4 S 1 Nr 3 EStG 2002, §
33b Abs 3 S 2 EStG 2002, § 32
Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst a EStG
2002, § 32 Abs 4 S 2 EStG 2002
(Kindergeld für behindertes Kind: behinderungsbedingte
Unfähigkeit zum Selbstunterhalt, keine Minderung der Einkünfte
und Bezüge i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG um
Behindertenpauschbetrag)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage der Anspruchsberechtigung von Kindergeld für
das Jahr 2005.
Der Kläger ist Vater seiner am 7. August 1985 geborenen Tochter A... , welche im
Anschluss an die Schulausbildung im September 2005 mit ihrer Ausbildung zur
Reiseverkehrskauffrau begann. Neben der dortigen monatlichen Bruttovergütung in
Höhe von ... ,- € erhielt die Tochter aus einer ganzjährigen Aushilfstätigkeit im elterlichen
Betrieb monatlich weitere ... ,- €. Ferner erhielt sie im Kalenderjahr 2005 aufgrund eines
im Jahre 2000 erlittenen Sportunfalls in der Schule eine Verletztenrente der Unfallkasse
Berlin in Höhe von monatlich ... ,.. €. Ausweislich eines seitens des Klägers vorgelegten
Bescheides der Unfallkasse Berlin vom 1. November 2005 über die vollständige Abhilfe
eines Widerspruches bestand im Streitjahr weiterhin ein Anspruch auf die Rente wegen
einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - von 25 %. Die zunächst zum 1. August
2005 eingestellte Rentenzahlung wurde aufgrund des erfolgreichen Widerspruches ab
Dezember 2005 wieder aufgenommen. Die Nachzahlung für den Zeitraum August bis
November 2005 erfolgte im November in Höhe von ... ,- €.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 18. August 2006 die Kindergeldfestsetzung für die
Tochter A... für den Zeitraum Januar bis Dezember 2005 wegen Überschreitens der
Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz - EStG - gemäß
§ 70 Abs. 4 EStG auf.
Der hiergegen fristgemäß eingelegte Einspruch, mit dem der Kläger neben erhöhten
Werbungskosten die Berücksichtigung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs
mindestens in Höhe des Behindertenpauschbetrages nach § 33 b Abs. 3 EStG bei der
Ermittlung der Einkünfte und Bezüge begehrte, wurde mit Einspruchsentscheidung vom
25. September 2006 als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte führte zur
Begründung aus, dass auch unter Berücksichtigung der erhöhten Werbungskosten die
Einkünfte des Kindes in Höhe von insgesamt ... ,.. € den für das Streitjahr geltenden
Grenzbetrag gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in Höhe von 7680,- € überstiegen, so dass
kein Kindergeldanspruch bestehe. Ein behinderungsbedingter Mehraufwand sei nicht zu
berücksichtigen, weil das Kind nicht als behindertes Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 3 EStG zu berücksichtigen gewesen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
Mit seiner fristgemäß erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Unter
Berücksichtigung des Behindertenpauschbetrages in Höhe von 310,- € würden die
ansonsten zutreffend seitens des Beklagten ermittelten Einkünfte und Bezüge des
Kindes den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nicht überschreiten. Die
Nichtberücksichtigung komme einer Ungleichbehandlung seines Kindes gegenüber
anderen behinderten/erwerbsgeminderten Kindern gleich. Insbesondere ändere der
Anlass, aus dem ein Kind zu berücksichtigen sei, ob nun aufgrund einer
Berufsausbildung oder als behindertes Kind, nichts an dem Umstand, dass das Kind
nachweislich erwerbsgemindert/behindert sei. Insoweit sei es nicht verständlich, dass die
Beklagte einem Kind, welches als behindertes Kind berücksichtigt werde, einen
behinderungsbedingten Mehraufwand zugestehe im Gegensatz zu einem - geringer -
behinderten Kind, welches für einen Beruf ausgebildet werde. So habe auch der
Bundesfinanzhof - BFH - in seinem Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97 bereits
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Bundesfinanzhof - BFH - in seinem Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97 bereits
ausgeführt, dass der Gesetzgeber in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einen Grenzbetrag
bestimmt habe, weil dieser Regelung die Wertung zugrunde gelegen habe, dass nicht
behinderte Kinder im Falle der Grenzwertüberschreitung über eine hinreichende
Leistungsfähigkeit verfügten und eine Entlastung bei den Eltern nicht mehr geboten sei.
Hieraus lasse sich schließen, dass bezüglich des Grenzwertes sehr wohl zwischen Eltern
mit Kindern gänzlich ohne Behinderung und solchen mit nur in geringem Umfang
behinderten Kindern zu unterscheiden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des
Vorbringens wird auf die Klageschrift vom 17. Oktober 2006 sowie den Schriftsatz vom 6.
Dezember 2006 Bezug genommen.
den Bescheid vom 18. August 2006 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 25. September 2006 aufzuheben.
die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf ihre Einspruchsentscheidung ergänzt die Beklagte ihr Vorbringen
dahingehend, dass ein behinderungsbedingter Mehraufwand aufgrund der
Gesetzessystematik nicht berücksichtigt werden könne. Für Kinder, die nach § 32 Abs. 4
Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG für Kindergeld berücksichtigt werden könnten, gelte die - starre -
Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, welche eine individuelle
Betrachtungsweise des kindbezogenen Jahresbedarfs nicht zulasse. Demgegenüber
gelte der Grenzbetrag nicht für die Berücksichtigung eines Kindes im Sinne des § 32 Abs.
4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Nur hier sei ein Grundbedarf in Höhe des Existenzminimums
zuzüglich eines behinderungsbedingten, individuellen Mehraufwandes zu ermitteln und
sodann der Höhe der tatsächlich erzielten Einkünfte und Bezüge gegenüberzustellen.
Die Voraussetzung der Berücksichtigung der Tochter A... als behindertes Kind im Sinne
des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG lägen nicht vor, da nach der Dienstanweisung
DAFamEStG 63.3.6.3.1 Abs. 1 die Ursächlichkeit der Behinderung für die Unfähigkeit des
Kindes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit und damit zum Selbstunterhalt bei einem
Grad der Behinderung unter 50 % grundsätzlich verneint werde, sofern keine
besonderen Umstände ersichtlich seien, nach denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden könne.
Dem Gericht hat bei der Entscheidung ein Band der bei der Beklagten für den Kläger
geführten Kindergeldakte zur KG-Nr. ... vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 18. August 2006, mit dem die Beklagte das Kindergeld für den
Zeitraum Januar bis Dezember 2005 aufgehoben hat, in Gestalt der hierzu ergangenen
Einspruchsentscheidung vom 5. September 2006, ist rechtswidrig und verletzt den
Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs.1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG
besteht für ein Kind, welches das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf
Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung
außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Das Tatbestandsmerkmal "außerstande ist,
sich selbst zu unterhalten" ist im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach ständiger
Rechtsprechung des BFH ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu
unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann und dies ihm wegen
der Behinderung objektiv unmöglich ist (so z.B. Beschluss des BFH vom 14. Dezember
2001 VI B 178/01, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2002, 486). Dies ist z.B. der Fall, wenn
die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht und das Kind über keine anderen
Einkünfte und Bezüge verfügt (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 12. November 1996 III R 53/95,
Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1997, 343, und vom 14. Juni 1996 III
R 13/94, BStBl II 1997, 173). Andererseits kann Kindergeld nicht nur mit der Begründung
versagt werden, dass die Behinderung einer normalen Berufsausbildung nicht im Wege
stehe (so ausdrücklich Beschluss des BFH vom 14. Dezember 2001 VI B 178/01, a.a.O.
unter Hinweis auf den Beschluss vom 22. Februar 2001 VI B 307/00, BFH/NV 2001, 781).
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG stellt nicht ausschließlich darauf ab, dass ein Kind
körperlich, geistig oder seelisch behindert ist; zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung
ist es weiter unverzichtbar, dass es wegen seiner Behinderung außerstande sei, sich
selbst zu unterhalten. Ist das Kind trotz seiner Behinderung (z.B. aufgrund hoher
Einkünfte oder Bezüge) in der Lage, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, kommt
der Behinderung keine Bedeutung zu. Diese Auslegung spiegelt den gesetzgeberischen
Willen wider, bei hinreichender Leistungsfähigkeit des behinderten Kindes kein Kindergeld
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Willen wider, bei hinreichender Leistungsfähigkeit des behinderten Kindes kein Kindergeld
bzw. keinen Kinderfreibetrag zu gewähren (ebenso BFH-Urteil vom 4. November 2003 VIII
R 43/02 BFH/NV 2004, 405 m.w.N.).
Positiv ausgedrückt ist ein behindertes Kind dann imstande, sich selbst zu unterhalten,
wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines
gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreicht (vgl. BFH-Urteile jeweils vom 15.
Oktober 1999 VI R 183/97, BStBl II 2000, 72, und VI R 40/98, BStBl II 2000, 75). Die
Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist danach anhand eines Vergleichs zweier
Bezugsgrößen, nämlich des gesamten Lebensbedarfs des Kindes einerseits und seiner
finanziellen Mittel andererseits, zu prüfen. Sobald sich daraus eine ausreichende
Leistungsfähigkeit des Kindes ergibt, kann davon ausgegangen werden, dass den Eltern
kein zusätzlicher Aufwand erwächst, der ihre steuerrechtliche Leistungsfähigkeit mindert
(vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 29. Mai 1990 1 BvL
20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BStBl II 1990, 653, 658). Dann ist es aber auch
gerechtfertigt, für diese behinderten Kinder kein Kindergeld und keinen Kinderfreibetrag
mehr zu gewähren.
Der gesamte existentielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich
typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen
behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen (vgl. BFH vom 15. Oktober 1999 VI R
183/97, a.a.O.). Für das Jahr 2005 ist der Grundbedarf mit 7680,- € zu bemessen,
entsprechend dem in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG genannten Jahresgrenzbetrag. Hinzu
kommt ein individueller behinderungsbedingter Mehraufwand, den gesunde Kinder nicht
haben. Erbringt der Steuerpflichtige insoweit keinen Einzelnachweis, kann der
maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 1 bis 3 EStG) als Anhalt für den
betreffenden Mehrbedarf dienen (BFH-Urteile vom 19. August 2002 VIII R 17/02, BStBl II
2003, 88; VIII R 51/01, BStBl II 2003, 91).
In Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze, denen sich der erkennende Senat
vollinhaltlich anschließt, ist zunächst festzustellen, dass die Tochter des Klägers im Jahr
2005 nicht über ausreichende Mittel verfügte, um ihren gesamten existenziellen
Lebensbedarf zu decken. Den ermittelten Einkünften und Bezügen des Kindes in Höhe
von ...,.. € steht ein existenzieller Lebensbedarf in Höhe von 7990,- € gegenüber (7680,-
€ Grundbedarf und 310,- € behinderungsbedingter Mehrbedarf). Diese Deckungslücke
zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und notwendigem Lebensbedarf ist
ausschließlich auf die Behinderung zurückzuführen.
Die im Gesetz vorgesehene Kausalitätsprüfung zwischen Behinderung und
Unmöglichkeit des Selbstunterhalts setzt voraus, dass auszuschließen ist, dass die
Unmöglichkeit des Selbstunterhalts nicht (auch) auf andere, subjektive Umstände in der
Person des Kindes zurückzuführen ist. So ist beispielsweise in den Fällen, in denen das
Kind keiner Erwerbstätigkeit oder nur einer zeitlich eingeschränkten Erwerbstätigkeit
nachgeht, insbesondere der Frage nachzugehen, ob die insoweit fehlenden
ausreichenden Beschäftigungsentgelte ihre Ursache in der Schwere der Behinderung
und den dadurch bedingten Beschränkungen haben oder ob diese darin begründet sind,
dass keine oder nur eingeschränkte Arbeitsbemühungen unternommen wurden, obwohl
hierzu die körperlichen, geistigen und seelischen Voraussetzungen gegeben waren. Im
Streitfall hatte sich die Tochter des Klägers am allgemeinen Arbeitsmarkt um eine
Ausbildungsstelle bemüht und diese auch erhalten. Sie verdiente ebenso wie ihre
nichtbehinderten Ausbildungskollegen ein entsprechendes Ausbildungsentgelt. Die
mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt rührt allein daher, dass sie gegenüber ihren
nichtbehinderten Ausbildungskollegen einen erhöhten existenziellen Lebensbedarf
aufgrund der Behinderung hatte, der durch die Einkünfte und Bezüge nicht gedeckt
werden konnte. Die objektive Unmöglichkeit, durch eigene Erwerbstätigkeit seinen
Lebensunterhalt bestreiten zu können, setzt entgegen der offenbar von der Beklagten
vertretenen Rechtsauffassung dagegen nicht voraus, dass das Kind ggf. in einem
anderen gewählten Ausbildungsberuf höhere Einkünfte hätte erzielen können oder nach
Abschluss der Ausbildung ggf. in einem sich anschließenden Beschäftigungsverhältnis
auch höhere Einkünfte erzielen wird. Denn eine derartige Betrachtungsweise verstieße
im erstgenannten Fall gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2
Grundgesetz - GG - sowie gegen Art. 12 Abs. 1 GG und würde im letztgenannten Fall
dem Monatsprinzip, nach dem das Kindergeld in §§ 66 Abs. 1, 71 EStG als ein
Monatsbetrag bezeichnet und nach § 66 Abs. 2 EStG vom Beginn des Monats an
gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in
dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen, widersprechen. Das Kind des Klägers war
trotz der betriebenen Vollzeitausbildung nicht in der Lage, aus dieser Tätigkeit seinen
erhöhten Lebensbedarf zu decken, während es - wäre es nicht behindert gewesen - den
notwendigen Lebensbedarf aus seinen Einkünften und Bezügen hätte bestreiten können.
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notwendigen Lebensbedarf aus seinen Einkünften und Bezügen hätte bestreiten können.
Hierin zeigt sich die für einen Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG
erforderliche Kausalität. Auch der BFH hat im Übrigen in seinem Beschluss vom 14.
Dezember 2001 VI B 178/01, BStBl II 2002, 486 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
für ein behindertes Kind Kindergeld nicht mit der Begründung versagt werden könne, die
Behinderung habe einer normalen Berufsausbildung nicht im Wege gestanden.
Soweit sich die Beklagte in ihrem Klageabweisungsantrag auf die sie bindende
Dienstanweisung bezieht und zwar insbesondere auf DA FamEStG 63.3.6.3.1 Abs. 1, ist
das Gericht hieran nicht gebunden. Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass sich
die dortigen Ausführungen gerade nicht mit dem hier zu entscheidenden Fall einer
Vollzeitausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigen, sondern die Fälle
betrifft, in denen eine verminderte oder keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird und hierzu
Abgrenzungskriterien aufgestellt werden, wann ggf. typisierend gleichwohl eine
Ursächlichkeit der Behinderung für die bestehende Unfähigkeit zum Selbstunterhalt
angenommen werden könne und wann grundsätzlich diese Kausalität abzulehnen sei.
Ferner ist auch in der DAFamEStG in 63.3.6.1 Abs. 4 geregelt, dass bei behinderten
Kindern in Berufsausbildung zunächst zu prüfen ist, ob diese bereits nach § 32 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG berücksichtigt werden können und erst danach eine Prüfung
nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG vorzunehmen sei. Danach schließt aber auch die
Dienstanweisung der Beklagten nicht aus, dass ein behindertes Kind in einer normalen
Berufsausbildung gleichwohl außerstande sein kann, sich selbst zu unterhalten.
Die Tochter des Klägers war allein aufgrund ihrer Behinderung objektiv außerstande, sich
selbst zu unterhalten, so dass die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den
Streitzeitraum rechtswidrig und der Klage stattzugeben ist.
Eine Berücksichtigung bereits als in Ausbildung befindliches Kind gem. § 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 2 Buchst. a EStG scheidet dagegen nach Auffassung des Senats aus. Die Einkünfte
und Bezüge der Tochter übersteigen den in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG genannten Betrag.
Die Einkünfte und Bezüge sind auch vollumfänglich zu berücksichtigen, da sie zur
Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeignet und bestimmt sind. Dies
gilt auch für die Unterhaltsrente aus der Unfallversicherung. Mit ihr sollen gerade die
durch die Erwerbsminderung eingetretenen Beschränkungen zur Bestreitung des
Unterhalts aufgefangen werden.
Eine Minderung der Einkünfte und Bezüge um die behinderungsbedingten
Mehraufwendungen im Umfang des Behindertenpauschbetrages kommt aufgrund der
Gesetzessystematik nicht in Betracht. Denn insoweit handelt es sich um im Rahmen der
gem. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durchzuführenden Einkünfteermittlung ausdrücklich außer
Betracht zu lassende außergewöhnliche Belastungen im steuerlichen Sinne (vgl. Urteil
des BFH vom 21. Juli 2000 VI R 153/99, BStBl II 2000, 566 m.w.N.). Eine Vergleichbarkeit
mit den Beiträgen zur Sozialversicherung, die nach der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02, Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - 112, 164) als steuerrechtliche Sonderausgaben
gleichwohl bei der Ermittlung der Einkünfte im Rahmen der Grenzbetragsberechnung
außer Ansatz bleiben, ist nicht gegeben. Während das Kind über die gesetzlichen
Sozialversicherungsbeiträge von vornherein nicht verfügen und nicht in die Dispositionen
über seinen Lebensunterhalt mit einbeziehen kann, fließen dem behinderten Kind die
übrigen Einkünfte zunächst allesamt zu und stehen für die Bestreitung des
Lebensunterhalts zur Verfügung, auch wenn ein Teil der Aufwendungen zwangsläufig für
den Ausgleich der behinderungsbedingten Einschränkungen verwendet werden muss.
Wie dies erfolgt und welche Aufwendungen getätigt werden, steht indes weiter in der
Verfügungsmacht des Betroffenen. Allein aufgrund der Zwangsläufigkeit hier zu
tätigender Aufwendungen besteht kein Anlass, weiter von dem steuerlich einheitlichen
Begriff der Einkünfte abzuweichen. Denn insoweit hat der Kindergeldberechtigte - anders
als in den Fällen der Sozialversicherungsbeiträge - die Möglichkeit, diesen
behinderungsbedingten erhöhten Unterhaltsbedarf und -aufwand im Rahmen einer auf §
32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG gestützten Antragstellung zu berücksichtigen. Insoweit ist
der Fall auch nicht vergleichbar mit der Entscheidung des FG Hamburg vom 7. August
2007 1 K 15/05, Steuer-Eildienst - StE - 2007, 674, in welchem das Gericht den
Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG um einen unfallbedingten Mehrbedarf des
Kindes in Höhe tatsächlich angefallener Unfallfolgekosten erhöht hat.
Die Revision hat das Gericht gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung
mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
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