Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 21.12.1993

FG Berlin-Brandenburg: grobes verschulden, kapitalvermögen, einkünfte, grobe fahrlässigkeit, anleihe, erwerb, quellensteuer, neue tatsache, steuerpflichtiger, brasilien

1
2
3
4
Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 9.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahre:
1999, 2000, 2001
Aktenzeichen:
9 K 1081/05 B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 20 Abs 1 Nr 7 EStG 1997, §
173 Abs 1 Nr 2 EStG, § 34c Abs
2 EStG 1990, § 34c Abs 6 EStG
1990 vom 21.12.1993, StMBG
Nachträgliche Berücksichtigung von Stückzinsen als "negative
Einkünfte" aus Kapitalvermögen - Abzug nach dem DBA
anzurechnender fiktiver ausländischer Quellensteuer bei der
Einkünfteermittlung ab dem Veranlagungszeitraum 1994
Leitsatz
1. Ein nicht durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertretener
Steuerpflichtiger handelt nicht "grob schuldhaft" i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977, wenn er
es bei nicht eindeutigen Bankunterlagen versäumt, bereits in seiner ursprünglichen
Einkommensteuererklärung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines festverzinslichen
Wertpapiers gezahlte Stückzinsen als "negative Einkünfte" aus Kapitalvermögen
steuermindernd geltend zu machen.
2. Durch das Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember
1993 (BGBl. I 1993,2310) wurde durch Änderung des § 34 c Abs. 6 Satz 2 EStG der Abzug
fiktiver ausländischer Quellensteuern von der Bemessungsgrundlage als Alternative zur
Anrechnung dieser Quellensteuern bei der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer
untersagt. Das Abzugsverbot gilt nach § 52 Abs. 1 EStG erstmals für Veranlagungszeiträume
ab 1994.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 16. Dezember
2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2005 verpflichtet, einen
geänderten Einkommensteuerbescheid für 2000 zu erlassen, in dem vom Kläger
entrichtete "Stückzinsen" in Höhe von 778,23 DM im Zusammenhang mit dem Erwerb
einer Anleihe der A - Bank als "negative Einnahmen" bei seinen Einkünften aus
Kapitalvermögen berücksichtigt werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 80 v. H. und der Beklagte zu 20 v. H. zu
tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte einen Antrag des Klägers auf
Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1999 bis 2001 zu Recht
abgelehnt hat.
Der Kläger, der seit dem … 2001 dauernd von seiner damaligen Ehefrau getrennt gelebt
hat und inzwischen von ihr geschieden ist, wurde für die Streitjahre - ebenso wie seine
Ehefrau - vom Beklagten zur Einkommensteuer veranlagt. Beide Eheleute sind von Beruf
… . Für die Streitjahre 1999 und 2000 gaben die Eheleute Einkommensteuererklärungen
mit dem Antrag auf Zusammenveranlagung ab (Eingang der
Einkommensteuererklärungen beim Beklagten am 25. August 2000 bzw. 20. August
2001). Für das Streitjahr 2001 (Eingang der Einkommensteuererklärung: 9. Juli 2002)
beantragte der Kläger von vorneherein eine getrennte Veranlagung.
Für das Streitjahr 1999 erklärten die Kläger im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung
keinerlei Einkünfte aus Kapitalvermögen. Solche blieben daher auch im Rahmen des
(endgültigen) Einkommensteuerbescheids 1999 vom 15. September 2000 außer Ansatz.
Das Bundesamt für Finanzen wertete in der Folgezeit die ihm nach § 45 d des
Einkommensteuergesetzes - EStG - übermittelten Angaben über Freistellungsaufträge
zur Überprüfung der rechtmäßigen Inanspruchnahme der steuerlichen Freibeträge aus.
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
zur Überprüfung der rechtmäßigen Inanspruchnahme der steuerlichen Freibeträge aus.
Dabei wurde festgestellt, dass für das Streitjahr 1999 auf Grund der erteilten
Freistellungsaufträge höhere Kapitalerträge als gesetzlich zulässig vom Steuerabzug
freigestellt wurden (13.786,00 DM statt 12.200,00 DM). Diesen Sachverhalt teilte der
Beklagte den Klägern mit Schreiben vom 22. Juni 2001 mit.
Daraufhin reichten die Kläger beim Beklagten mit Schreiben vom 2. August 2001
mehrere Bescheinigungen der B - Bank bzw. der C - Bank über ihre Kapitaleinkünfte im
Streitjahr 1999 ein.
Der Beklagte erließ am 3. September 2001 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977
geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1999, in dem er bei den
Besteuerungsgrundlagen die folgenden nachträglich erklärten Einkünfte aus
Kapitalvermögen berücksichtigte:
Außerdem wurde im Hinblick auf die Erträgnisaufstellung der B - Bank im sog.
Anrechnungsteil des Steuerbescheids Kapitalertragsteuer in Höhe von 44,00 DM
steuermindernd angerechnet.
Im Rahmen der von vorneherein der Einkommensteuererklärung 2000 beigefügten
Anlage "KAP" differenzierte der Kläger nicht zwischen seinen inländischen und
ausländischen Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern erklärte diese einheitlich als
inländische Einkünfte aus Kapitalvermögen. Allerdings waren der
Einkommensteuererklärung die Original-Bankabrechnungen sowohl über die inländischen
als auch über folgende ausländische Kapitalerträge beigefügt:
Für das Streitjahr 2001 erklärte der Kläger im Rahmen der Anlage "KAP" zu seiner
Einkommensteuererklärung zwar ausdrücklich zusätzlich ausländische Einkünfte aus
Kapitalvermögen in Höhe von insgesamt 7.027,00 DM, fügte aber die einschlägige
Anlage "AUS" nicht ausgefüllt bei. Allerdings waren der Einkommensteuererklärung wie in
den Vorjahren die Original-Bankabrechnungen der C - Bank über die betreffenden
ausländischen Einkünfte aus Kapitalvermögen beigefügt:
Der Beklagte berücksichtigte im Rahmen seiner erstmaligen und endgültigen
Einkommensteuerbescheide vom 19. Dezember 2001 (betr. 2000) bzw. vom 7. August
2002 (betr. 2001) folgende Einkünfte des separat veranlagten Klägers aus
Kapitalvermögen:
In den sog. Anrechnungsteilen dieser beiden Steuerbescheide berücksichtigte der
Beklagte u.a. Kapitalertragsteuer in Höhe von 1.278,00 DM (2000) bzw. 528,00 DM
(2001) sowie für das Streitjahr 2001 darüber hinaus noch "Zinsabschlag" in Höhe von
1.092,00 DM, der sich wie folgt zusammensetzt: 183,30 DM Zinsabschlag betr.
inländische Kapitaleinkünfte + 908,25 DM Zinsabschlag betr. ausländische
Kapitaleinkünfte.
Aus nicht streitgegenständlichen Gründen ergingen am 25. März 2004 nach § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 AO 1977 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1999,
2000 und 2001.
Mit Schreiben vom 14. November 2004 beantragte der Kläger unter Beifügung von drei
Anlagen "AUS" eine Neufestsetzung der Einkommensteuer 1999 bis 2001 mit der
21
22
23
24
25
Anlagen "AUS" eine Neufestsetzung der Einkommensteuer 1999 bis 2001 mit der
Begründung, dass die auf Kapitalerträgen beruhenden Einkünfte jener Jahre nicht
zutreffend angesetzt worden seien. Hinsichtlich des Veranlagungszeitraumes 2000 trug
er zusätzlich vor, dass bislang nicht geltend gemachte negative Stückzinsen zu
berücksichtigen seien, was ihm nicht bekannt gewesen sei.
Mit Bescheid vom 16. Dezember 2004 lehnte der Beklagte eine Änderung der
Einkommensteuerbescheide vom 25. März 2004 ab. Zur Begründung führte er aus, dass
die Bescheide vom 25. März 2004 zwar fehlerhaft, aber inzwischen bestandskräftig seien
und dass die Änderungsvorschriften der §§ 172 ff. AO 1977 tatbestandlich nicht
eingreifen würden. Auf den hiergegen fristgerecht erhobenen Einspruch des Klägers hin
erließ der Beklagte am 9. Februar 2005 eine Einspruchsentscheidung, mit der er den
Einspruch als unbegründet zurückwies. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus,
dass die Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 im vorliegenden Fall nicht
anwendbar sei. Zum einen sei die Tatsache, dass der Kläger in den Streitjahren neben
inländischen Einkünften aus Kapitalvermögen auch ausländische Einkünfte aus
Kapitalvermögen erzielt habe, nicht "neu" im Sinne dieser Vorschrift, da diese Tatsache
aus den ihm, dem Beklagten, von Anfang an vorliegenden Originalbescheinigungen der
C - Bank ohne weiteres ersichtlich gewesen sei. Die Nichtberücksichtigung der mit den
ausländischen Kapitalerträgen zusammenhängenden fiktiven Quellensteuern beruhe
nicht auf einer mangelnden Tatsachenkenntnis des Sachbearbeiters der
Veranlagungsstelle, sondern vielmehr auf einer unzutreffenden Rechtsanwendung auf
der Grundlage eines bekannten Sachverhalts.
Die vom Kläger im Rahmen seines Änderungsantrags nunmehr erstmals geltend
gemachten und belegten Stückzinsen in Höhe von 778,23 DM in Bezug auf die am 26.
Mai 2000 von ihm erworbene Anleihe der A - Bank seien zwar eine "neue Tatsache" im
Sinne von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Gleichwohl sei eine Änderung des
Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2000 nicht möglich, weil den Kläger ein "grobes
Verschulden" daran treffe, dass er diese Tatsache ihm, dem Beklagten, nicht bereits vor
dem Erlass des Einkommensteuerbescheids vom 25. März 2004 mitgeteilt hat. Der
Kläger sei verpflichtet, seine Einkünfte in der Einkommensteuererklärung vollständig und
richtig zu erklären. Dabei auftretende Zweifel wegen Unkenntnis bestimmter
banktechnischer Fachbegriffe wie "Stückzinsen" oder "Quellensteuer" müsse er aus
eigenem Antrieb klären und die den Steuererklärungsformularen beigefügten
Erläuterungen mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt lesen. So sei in den vom
Bundesfinanzministerium herausgegebenen "Anleitungen zur
Einkommensteuererklärung 1999 bis 2001" speziell zum Ausfüllen der Anlage KAP
ausgeführt, dass Stückzinsen "negative Einnahmen" seien. Im Zweifel hätte der Kläger
den fachlichen Rat eines Steuerberaters einholen können und müssen.
Mit seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass
der Beklagte hinsichtlich aller drei Streitjahre zu Unrecht die Anrechnung der fiktiven
Quellensteuern verweigere. Außerdem seien die von ihm für das Streitjahr 2000
nachträglich erklärten Stückzinsen einkünftemindernd zu berücksichtigen, weil ihn
gerade kein grobes Verschulden an der verzögerten Geltendmachung dieser
steuermindernden Tatsache treffe. Er habe in den einschlägigen Bankunterlagen
keinerlei Hinweis darauf gefunden, dass im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anleihe
der A - Bank durch ihn "Stückzinsen" angefallen seien. Ihm könne also im
Zusammenhang mit der Erstellung und Einreichung der Einkommensteuererklärung
2000 nicht vorgeworfen werden, er sei schuldhaft einer offenen steuerrechtlichen Frage
nicht nachgegangen (z.B. durch Einholung der Rechtsauskunft eines Angehörigen der
steuerberatenden Berufe).
den Beklagten unter Aufhebung des
ablehnenden Bescheids vom 16. Dezember 2004 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 9. Februar 2005 zu verpflichten,
Änderungsbescheide betr. Einkommensteuer 1999 bis 2001 zu erlassen, in
denen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ausländische
Quellensteuern für die Jahre 1999 und 2001 in Höhe von 1.102,75 DM sowie
für das Jahr 2000 in Höhe von 901,50 DM einkünftemindernd angerechnet
und außerdem im Jahr 2000 im Zusammenhang mit dem Erwerb einer
Anleihe der A - Bank entrichtete Stückzinsen in Höhe von 778,23 DM als
"negative Einnahmen" in Abzug gebracht werden; hilfsweise festzustellen,
dass er einen Anspruch auf Berücksichtigung der (fiktiven) ausländischen
Quellensteuern wegen offen gebliebener/unvollständiger
Verwaltungsverfahren aus rechtzeitigen Anträgen habe.
die Klage abzuweisen.
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
Er verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der angefochtenen
Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus, der Kläger müsse bedenken, dass die
Quellensteuer nur insoweit angerechnet werden könne, als sie der inländischen
Einkommensteuer entspreche, die Werbungskosten und der Sparerfreibetrag bei dieser
Berechnung anteilig aufgeteilt würden und sich daher die erklärten Beträge nicht ohne
Weiteres in den Steuerbescheiden bzw. in den Prüfberechnungen wiederfinden ließen.
Die Prozessbeteiligten haben sich mit einer Entscheidung des erkennenden Senats ohne
mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Dem Senat haben bei seiner Entscheidung zwei Bände Steuerakten betr. den Kläger und
seine Ehefrau (StNr.: … und …) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des
Sachverhalts sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist bis auf den Hilfsantrag zulässig. Dessen Zulässigkeit ist im Hinblick auf die
Regelung in § 41 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - (Grundsatz der Subsidiarität
der Feststellungsklage) zu verneinen, weil der Kläger sein Ziel der steuermindernden
Berücksichtigung ausländischer Quellensteuern durch die Erhebung einer
Verpflichtungsklage - wie hier mit dem Hauptantrag geschehen - auf Erlass geänderter
Einkommensteuerbescheide, in denen eine entsprechende Steuerminderung nach § 34
c Abs. 1 bzw. 2 EStG vorgenommen wird, verfolgen kann.
Die Klage ist nur zum Teil begründet. Anders als hinsichtlich des Streitjahres 2000 hat
der Kläger keinen verfahrensrechtlichen Anspruch auf den Erlass von
Änderungsbescheiden betr. Einkommensteuer 1999 und 2001.
1. Die vom Kläger mit Schreiben vom 14. November 2004 begehrte Berücksichtigung
der von ihm im Zusammenhang mit dem Erwerb der Anleihe der A - Bank am 26. Mai
2000 gezahlten Stückzinsen als negative Einnahmen bei seinen Einkünften aus
Kapitalvermögen ist durch § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) legitimiert.
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern,
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer
niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran
trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Diese
Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Dem Beklagten ist die ihm bislang unbekannte "Tatsache" der Entrichtung von
Stückzinsen in Höhe von 778,23 DM im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Anleihe
der A - Bank unstreitig erst "nachträglich", nämlich durch sein Antragsschreiben vom 14.
November 2004 mit der beigefügten Abrechnung der C -Bank über den Wertpapierkauf
vom 26. Mai 2000 bekannt geworden.
Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu
vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach
seinen persönlichen Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in
nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
20. November 2008, III R 107/06, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten
Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2009, 545 m. w. N.). Ob ein Beteiligter in diesem
Sinne grob fahrlässig gehandelt hat, ist nach Ansicht des BFH im Wesentlichen eine
Tatfrage.
Grob fahrlässiges Handeln liegt nach der Rechtsprechung des BFH insbesondere vor,
wenn ein Steuerpflichtiger eine in einem Steuererklärungsformular ausdrücklich
gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht, schlecht und
unvollständig oder falsch beantwortet (vgl. dazu die zahlreichen
Rechtsprechungsnachweise bei Loose, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-
Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 173 AO Rz. 76 a). Einen solchen Fehler haben der
Kläger oder seine mit ihm zusammen veranlagte Ehefrau unstreitig nicht begangen: In
dem Steuererklärungsformular betr. die (inländischen) Einkünfte aus Kapitalvermögen
(= Anlage KAP) wird nämlich unstreitig nicht speziell nach der Bezifferung von
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für "Stückzinsen" o. ä. m. gefragt, sondern es ist
nur ganz allgemein ein Eintragungsfeld für etwaige "Werbungskosten zu den inländischen
Kapitalerträgen" vorhanden.
Grob fahrlässiges Handeln liegt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor, wenn
ein Steuerpflichtiger es unterlässt, die zur Einkommensteuererklärung dazugehörige,
37
38
39
40
41
ein Steuerpflichtiger es unterlässt, die zur Einkommensteuererklärung dazugehörige,
vom Bundesfinanzministerium herausgegebene "Anleitung zur
Einkommensteuererklärung" im Einzelnen durchzulesen und die darin enthaltenen
Erläuterungen zu beachten. Das gilt nach Ansicht des BFH jedenfalls dann, wenn die
Anforderungen an die Mitwirkung klar erkennbar und die Erläuterungen hierzu leicht
verständlich abgefasst sind und auf die besondere Situation eingehen, an die die
Mitwirkungspflicht anknüpft (vgl. dazu BFH-Urteile vom 23. Januar 2001, XI R 42/00,
Bundessteuerblatt - BStBl - II 2001, 379 und vom 21. Januar 2004, VIII R 15/02, BFH/NV
2004, 910 betr. "Merkblatt über Kindergeld"; Loose, a.a.O., § 173 Rz. 77, Rüsken, in:
Klein, AO, 10. Aufl., § 173 Rz. 112). Zwar ist in der "Anleitungen zur Anlage KAP 2000"
ausgeführt, dass beim Erwerb gezahlte "Stückzinsen" als "negative Einkünfte" zu
betrachten seien. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine "leicht verständliche
Erläuterung" i. S. der o. g. BFH-Rechtsprechung, denn welcher steuerrechtliche Laie weiß
schon, was "Stückzinsen" bzw. was "negative Einkünfte" bedeuten und wo diese ggf. in
der Anlage KAP einzutragen sind (es gibt für die Geltendmachung von "negativen
Einnahmen" in der Anlage KAP keine gesonderte Rubrik!).
Insbesondere liegt hier nicht der in der "Anleitung zur Anlage KAP" ausdrücklich
erläuterte Fallsituation vor, dass "das Kreditinstitut in der Abrechnung die positiven
Einnahmen (z.B. Zinsen…) bereits mit negativen Einnahmen (z. B. gezahlte Stückzinsen
…) verrechnet" hat mit der Folge, dass nur noch der Unterschiedsbetrag als
Zinseinnahmen aus festverzinslichen Wertpapieren in Zeile 6 der Anlage KAP
eingetragen werden soll. Denn in der "Zinsgutschrift als Steuerbescheinigung" der C -
Bank vom 29. Dezember 2000 sind die bei Erwerb der Anleihe am 26. Mai 2000
gezahlten Stückzinsen in Höhe von 778,23 DM - anders als bei der Kaufabrechnung vom
26. Mai 2000 - überhaupt gar nicht aufgeführt und erst recht nicht im Sinne der o. g.
Anleitung von den Jahres-Zinseinnahmen des Klägers aufgrund dieser Anleihe in Abzug
gebracht worden.
Entgegen der Ansicht des Beklagten ist ein Steuerpflichtiger auch nicht verpflichtet, zur
Vermeidung von Fehlern beim Ausfüllen der Steuererklärungsformulare den Rat eines
Angehörigen der steuerberatenden Berufe einzuholen. Er muss aber den sich ihm "beim
Ausfüllen von Steuererklärungen aufdrängenden Zweifelsfragen nachgehen" (vgl. dazu
BFH-Urteil in BStBl II 2001, 379 m. w. N.). Die Einlassung des Klägers, dass er den ihm
von der C - Bank im Zusammenhang mit dem Erwerb der streitgegenständlichen
Anleihe zur Verfügung gestellten schriftlichen Unterlagen an keiner Stelle habe
entnehmen können, dass "Stückzinsen" angefallen seien, erscheint dem erkennenden
Senat glaubhaft (in der Abrechnung vom 26. Mai 2000 ist nur von "Zinsen für 148 Tage"
die Rede). Beruht die unvollständige Steuererklärung aber - wie hier gegeben - auf
einem Rechtsirrtum des Steuerpflichtigen wegen mangelnder Kenntnis steuerrechtlicher
Vorschriften, ist dies dem Steuerpflichtigen nach mittlerweile ständiger BFH-
Rechtsprechung in der Regel nicht als grobes Verschulden anzulasten (vgl. dazu nur
BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 545 m. w. N.).
2. Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine Herabsetzung seiner bisher vom Beklagten
der Besteuerung zugrunde gelegten Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Jahre 1999
bis 2001 durch einen Steuerabzug oder eine Steueranrechnung von Quellensteuern aus
den Ländern Brasilien oder Türkei i. S. von § 34 c EStG nicht möglich. Die
Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 greift nicht ein, weil dem Beklagten
die Tatsache des Ausweises von fiktiven Quellensteuern im Zusammenhang mit der
Erzielung von Kapitaleinkünften im Ausland durch den Kläger im Zeitpunkt des Erlasses
der Einkommensteuerbescheide 1999 bis 2001 unstreitig bekannt gewesen ist mit der
Folge, dass es sich insoweit nicht um "neue" Tatsachen handelt.
Bei den streitgegenständlichen Abgabenbelastungen handelt es sich außerdem
ausschließlich um sog. fiktive Quellensteuern nach Maßgabe von Art. 23 Abs. 1 Buchst. b
des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und
vom Vermögen vom 16. April 1985 (Bundesgesetzblatt - BGBl - 1989 II S. 867) bzw.
nach Maßgabe von Art. 24 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Föderativen Republik Brasilien zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
vom 27. Juni 1975 (BGBl 1975 II S. 2245).
Statt der in den vorgenannten DBA i. V. m. § 34 c Abs. 1 EStG vorgesehenen
Anrechnung dieser (fiktiven) Quellensteuern auf die deutsche Einkommensteuer
erlaubte § 34 c Abs. 2 i. V. m. Abs. 6 EStG a. F. auf Antrag des Steuerpflichtigen einen
Abzug dieser Abgabenbelastungen bereits auf der Ebene der Einkünfteermittlung. Durch
das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1993
42
das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1993
(BGBl. I 1993, 2310) wurde durch Änderung des § 34 c Abs. 6 Satz 2 EStG der Abzug als
Alternative zur fiktiven Steueranrechnung untersagt. Das Abzugsverbot gilt nach § 52
Abs. 1 EStG erstmals für Veranlagungszeiträume ab 1994 (vgl. dazu Wassermeyer, in:
Debatin/Wassermeyer, DBA Türkei, Art. 23 Rz. 36 sowie Wied, in: Blümich,
EStG/KStG/GewStG, § 34 c EStG Rz. 3). Auch eine Anrechnung dieser fiktiven Steuern im
Rahmen der Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer (vgl. dazu allgemein FG
Düsseldorf, Urteil vom 20. Oktober 1998 6 K 3474/94 K, Entscheidungen der
Finanzgerichte - EFG - 1999, 268 sowie R 4 der Einkommensteuerrichtlinien 1999 - 2001)
ist nicht möglich, da es - wie bereits oben gesehen - in der AO 1977 keine
Berichtigungsvorschrift gibt, die eine Stattgabe des Änderungsantrags des Klägers vom
14. November 2004 trotz der bereits bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen
für 1999 bis 2001 erlauben würden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum