Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

FG Berlin-Brandenburg: buchführungspflicht, unternehmer, einspruch, abgabenordnung, 1919, sammlung, steuerpflichtiger, einkünfte, mittelstand, quelle

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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 8.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2007
Aktenzeichen:
8 K 8132/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 141 Abs 1 S 1 Nr 1 AO
Buchführungspflicht - Umsatzgrenze - Einbeziehung auch der
nach dem UStG nicht steuerbaren Umsätze
Tatbestand
Der Kläger ist ein Verein, dessen Zweck die weltweite Pflege, Verbreitung und Förderung
des ...spiels ist. Der unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Kläger, der Einkünfte aus
Gewerbebetrieb erzielt, ermittelte den Gewinn bisher durch Einnahme-Überschuss-
rechnung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz - EStG -.
Im Jahr 2004 erzielte der Kläger ausweislich seiner Einnahme-Überschussrechnung ...,.. €
umsatzsteuerpflichtige Umsatzerlöse und nicht umsatzsteuerbare Erlöse in Höhe von
...,.. €. Bei den letztgenannten Umsatzerlösen handelte es sich um Umsätze aus
Europa- und Weltmeisterschaftsturnieren, die der Kläger im Ausland veranstaltet hatte.
Der Beklagte forderte im Jahr 2006 den Kläger im Erläuterungstext zum Körperschaft-
steuerbescheid 2004 unter Hinweis auf die Höhe der Umsätze auf, ab dem
Veranlagungs-zeitraum 2005 Bücher zu führen und eine Bilanz auf den 31.12.2005
einzureichen.
Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Unter Hinweis auf § 141 Abgabenordnung -
AO - begründete er seinen Einspruch damit, dass Auslandsumsätze bei der Prüfung der
Umsatzgrenze nicht einzubeziehen seien. Im Übrigen könne wegen der Aufforderung
des Beklagten aus dem Jahr 2006 die Verpflichtung erst zum 01.01.2007 auferlegt
werden.
Der Beklagte änderte daraufhin die Mitteilung zur Buchführungspflicht und forderte den
Kläger zur Buchführung ab dem 1.01.2007 auf.
Der Beklagte wies den Einspruch unter Hinweis auf § 141 AO, Tz. 3 Satz 3 des
Anwendungserlasses zur Abgabenordnung - AEAO - als unbegründet zurück.
In der hiergegen erhobenen Klage trägt der Kläger vor, dass die belastende
Verwaltungsanweisung im AEAO nicht durch ein Gesetz legitimiert sei; es bestünde aber
ein Gesetzesvorbehalt. Nicht umsatzsteuerbare Auslandsumsätze seien nicht in die
Berechnung der Umsatzgrenze des § 141 AO einzubeziehen. Hätte der Gesetzgeber die
Einbeziehung der Umsätze gewünscht, hätte er die nicht steuerbaren Umsätze ebenso
wie die steuerfreien Umsätze ausdrücklich erwähnen müssen. Darüber hinaus müsse die
Vorschrift auch im Kontext zu den aktuellen Bestrebungen, die eine Entlastung des
Mittelstandes von unnötiger Bürokratie beabsichtigen, ausgelegt werden.
Der Kläger beantragt, den Bescheid über die Mitteilung zur
Buchführungspflicht vom 05.07.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 03.05.2007 aufzuheben sowie hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass die Auslandsumsätze in die Umsatzgrenze des § 141 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 AO einzubeziehen seien. Die explizite Erwähnung der steuerfreien Umsätze
erfolge nur wegen der Ausnahmen nach § 4 Nr. 8 bis 10 Umsatzsteuergesetz - UStG -
und biete keinen Grund dafür, steuerbare und nichtsteuerbare Umsätze zu
unterscheiden. Hätte der Gesetzgeber gewollt, die nicht steuerbaren Umsätze außer
Acht zu lassen, hätte er dies ebenso wie bei den als Ausnahmetatbestand geregelten
steuerfreien Umsätzen des § 4 Nr. 8 bis 10 UStG ausdrücklich erwähnt.
Der Kläger hat beim Gericht wegen der Mitteilung zur Buchführungspflicht einen Antrag
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Der Kläger hat beim Gericht wegen der Mitteilung zur Buchführungspflicht einen Antrag
auf Aussetzung der Vollziehung gestellt. Der Antrag wurde durch den Senat mit
Beschluss vom 14. August 2007 zum Aktenzeichen 8 V 8133/07, juris, zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid über die Mitteilung zur
Buchführungspflicht ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten
(§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Beklagte hat den Kläger
gemäß § 141 Abs. 2 AO zutreffend auf den Beginn der Buchführungspflicht hingewiesen.
Denn der Kläger hat die für die Buchführungspflicht maßgebliche Grenze des § 141
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO überschritten.
Gemäß § 141 Abs. 2 AO ist ein gewerblich tätiger Steuerpflichtige zur Buchführung
verpflichtet, wenn er mindestens eine der Buchführungsgrenzen des § 141 Abs. 1 AO
überschritten und das Finanzamt ihn durch eine Mitteilung darauf hingewiesen hat. § 141
AO begründet eine selbständige steuerrechtliche Buchführungs- und
Aufzeichnungspflicht für Steuerpflichtige, die nicht bereits nach § 140 AO
buchführungspflichtig sind. Nach § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in der im Streitjahr
maßgeblichen Fassung sind gewerbliche Unternehmer unter anderem dann
buchführungspflichtig, wenn sie nach den Feststellungen der Finanzbehörde für den
einzelnen Betrieb gehabt haben:
Der Beklagte hat zutreffend die nach dem Umsatzsteuergesetz nichtsteuerbaren
Umsätze in die Ermittlung der Buchführungsgrenze einbezogen. Denn der Wortlaut der
Vorschrift erfasst sämtliche steuerpflichtigen, steuerfreien und nicht steuerbaren
Umsätze im Sinne des UStG. Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 140 ff. AO ist
nämlich die Auferlegung von Pflichten, deren Erfüllung den Steuerpflichtigen in die Lage
versetzen sollen, seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nachkommen zu können. Die
Regelungen sind zeitlich und systematisch der Steuererklärungspflicht vorgelagert. Mit
den Büchern und Aufzeichnungen kann und soll der Steuerpflichtige die für seine
Besteuerung erheblichen Tatsachen offen legen und nachweisen (so auch Drüen in
Tipke/ Kruse, a.a.O. vor § 140 Tz. 5).
Der Unternehmer hat als unbeschränkt Steuerpflichtiger nach dem
Einkommensteuergesetz - EStG - gemäß §§ 1, 2 EStG beziehungsweise § 1
Körperschaftsteuergesetz sein Welteinkommen zu erklären. Auch nach dem UStG nicht
steuerbare Auslandsumsätze sind im Rahmen der ertragsteuerlichen Steuererklärung
anzusetzen. Der Umfang der Prüfung durch die Finanzbehörden erstreckt sich
demzufolge auf das gesamte Welteinkommen und deshalb entspricht es dem Sinn und
Zweck der Buchführungsregelungen nach der AO, für Sachverhalte unabhängig ob im
Inland oder Ausland verwirklicht, bei einer bestimmten Größenordnung dem
Steuerpflichtigen eine Buchführungspflicht aufzuerlegen, damit er effektiv seinen
Steuererklärungs- und Mitwirkungspflichten nachkommen kann.
Diese Interpretation der Regelung wird auch durch die Grundsätze im Zusammenhang
mit der Besteuerung von beschränkt Steuerpflichtigen bestätigt. Denn auch die
Buchführungspflicht und die Prüfung der Buchführungsgrenzen beschränkt
Steuerpflichtiger ist nur auf die nach Ertragsteuerrecht für die Besteuerung
maßgeblichen, im Inland steuerbaren, Einkünfte begrenzt (vergleiche Traskalik in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO-Kommentar, § 141 Rz. 9, Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O.,
§ 141, Tz. 6 unter Hinweis auf Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.12.1997, I R 95/96,
Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs 185, 16, Bundessteuerblatt II
1998, 260). Die Auslegung des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nach dem Wortlaut aber
auch nach dem Gesetzeszweck gebietet deshalb, auch ausländische Umsätze
einzubeziehen, da diese für die inländische Besteuerung zu berücksichtigen sind.
Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass im Hinblick auf die
ausdrückliche Erwähnung der steuerfreien Umsätze nach § 4 Nr. 8 bis 10 UStG in § 141
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die nicht steuerbaren Umsätze bei der Ermittlung der
Umsatzgrenze außer Ansatz zu lassen sind. Zwar könnte eine entsprechende Auslegung
durch den Rückgriff auf § 164 Reichsabgabenordnung – RAO – 1919 (vergleiche
Reichsgesetzblatt - RGBl. - I 1919, 1993) für die Auffassung des Klägers sprechen. Nach
dieser Vorschrift, die aus § 161 RAO hervorgegangen ist (siehe Reichsgesetz vom
22.05.1931, RGBl. I 1931, 161), bestand eine Buchführungspflicht bei einem
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Bei dieser Formulierung fehlt die Ausnahmeregelung für bestimmte steuerfreie
Umsätze. Dieser Umstand könnte daher den Schluss zulassen, dass zu ihrer
Berücksichtigung die nicht steuerbaren Umsätze hätten ebenfalls in § 161 RAO
ausdrücklich erwähnt werden müssen. Jedoch kann diese Wertung der historischen
Vorschrift allein nach dem Wortlaut nicht auf die aktuelle Formulierung des § 141 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 AO übertragen werden. Denn sie berücksichtigt nicht, dass der geänderten
Formulierung ein anderer Gesetzeszweck zugrunde liegt. Die RAO verstand als
Adressaten der Buchführungspflicht noch Unternehmer im Sinne des
Umsatzsteuergesetzes (vergleiche Drüen in Tipke/Kruse, AO-Kommentar, § 141 Tz. 2).
Dieses Verständnis hat sich in der AO durch eine geänderte Formulierung des
Eingangsatzes der Vorschrift gewandelt. Vielmehr ist nach der AO als Adressat des
§ 141 AO der gewerbliche Unternehmer im ertragsteuerlichen Sinn gemeint.
Ferner liegt ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz nicht vor, da die Vorschrift
des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auslegungsfähig ist (vergleiche Tipke/Lang,
Steuerrechtsordnung, 16. Auflage, § 4 Tz. 151,184).
Der Beklagte konnte nicht von der Mitteilung zur Buchführungspflicht aus eigenem
Ermessen absehen. § 141 Abs. 2 AO sieht zwingend die Mitteilung zur
Buchführungspflicht vor, sobald das Finanzamt erkennt, dass die Buchführungsgrenzen
überschritten sind. Die Buchführungsgrenzen sind deswegen auch schematisch
anzuwenden, damit die Buchführungspflicht einfach und rechtsicher bestimmt werden
kann (vergleiche Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O. § 141 Tz. 12). Es ist dem Beklagten daher
nicht möglich, von der gesetzlichen Regelung abzuweichen. Die Bestrebungen des
Gesetzgebers, den Mittelstand vor unnötiger Bürokratie zu entlasten, haben zwar zuletzt
in der Anhebung der Buchführungsgrenzen Niederschlag gefunden. Ob und inwiefern
dem Kläger durch den Beklagten im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß § 148
AO Erleichterungen bei der Buchführungspflicht aufgegeben werden können, ist jedoch
nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Schließlich ist unbeachtlich, dass der nach § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO maßgebliche
Betrag mit Gesetz vom 22.08.2006, Bundesgesetzblatt I 2006, 1970 bzw. Artikel 97 § 19
Abs. 6 Einführungsgesetz zur Abgabenordnung auf 500.000 € erhöht wurde. Denn die
Grenze wird ebenfalls vom Kläger überschritten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen
grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da es sich um eine aus rechtsystematischen
Gründen bedeutsame Frage handelt, die das Interesse der Allgemeinheit an der
einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.
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