Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

FG Berlin-Brandenburg: schriftliche prüfung, kontrolle, fehlerhaftigkeit, rechtswidrigkeit, sammlung, klausur, bindungswirkung, pauschal, quote, form

1
2
3
4
5
Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 12.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2003
Aktenzeichen:
12 K 2044/04 B
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 12 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG,
Art 19 Abs 4 GG, § 15 StBDV, §
24 StBDV
Behaupteter Verstoß des Steuerberaterprüfungsverfahrens
gegen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Fairness -
Eingeschränkte gerichtliche Kontrolle von
Prüfungsentscheidungen
Tatbestand
An der Steuerberaterprüfung 2002 (Erstprüfung) nahm die Klägerin ohne Erfolg teil,
denn der Prüfungsausschuss bewertete sämtliche Aufsichtsarbeiten mit der Note 5,0
(„mangelhaft“). Auf ihren (erstmaligen) Wiederholungsantrag nahm die Klägerin sodann
an der Steuerberaterprüfung 2003 teil. Durch Bescheid vom 19. Dezember 2003 teilte
die seinerzeit zuständige Oberfinanzdirektion … der Klägerin mit, der zuständige
Prüfungsausschuss habe ihre Aufsichtsarbeiten gemäß § 15 der
Durchführungsverordnung zum Steuerberatungsgesetz (DVStB) mit den Noten 5,0
(erste Aufsichtsarbeit: Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete), 5,5 (zweite
Aufsichtsarbeit: Ertragsteuern) sowie 4,5 (dritte Aufsichtsarbeit: Buchführung und
Bilanzwesen) bewertet. Nachdem die durchschnittliche Gesamtnote für die schriftliche
Prüfung (5,0) die Zahl 4,5 übersteige, sei die Klägerin gemäß § 25 Abs. 2 und 3 DVStB
von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen und die Steuerberaterprüfung 2003 nicht
bestanden.
Insgesamt hatten in … 374 Kandidaten an der betreffenden schriftlichen Prüfung
teilgenommen. Hiervon hatten 281 die schriftliche Prüfung nicht bestanden. Die
Durchfallquoten in … und den anderen Bundesländern schwanken beträchtlich. Im
Durchschnitt der Jahre 1974 bis 2003 erreichte die Quote in … einen Wert von 49,17 vom
Hundert (v. H.) und in einzelnen Ländern bis zu 89,2 v.H..
Nach Klageerhebung hat der Beklagte das Überdenkungsverfahren durchgeführt. In
diesem Zusammenhang hat das Finanzgericht (FG) Berlin durch Beschluss vom 10.
Februar 2004 das Ruhen des Klageverfahrens bis zum Abschluss dieses
verwaltungsinternen Kontrollverfahrens angeordnet. Im Zuge des
Überdenkungsverfahrens erhöhten die Prüfer die Punkte für die von der Klägerin
gefertigten Aufsichtsarbeiten. Hiernach ergaben sich für die erste Aufsichtsarbeit
nunmehr 38,5 Punkte (zuvor: 36,5), für die zweite Aufsichtsarbeit 21,5 Punkte (zuvor:
19,5) sowie für die dritte Aufsichtsarbeit insgesamt 46,0 Punkte (zuvor: 44,5). An den
ursprünglichen Noten für die jeweilige Aufsichtsarbeit änderte diese zusätzliche
Punktevergabe allerdings nichts.
Im Mai 2005 hat der seinerzeitige Vorsitzende des 4. Senats des FG Berlin gegenüber
dem Beklagten die Empfehlung ausgesprochen, generell die Bewertungspunkte
hinsichtlich derjenigen Prüflinge für die ertragsteuerliche Klausur anzuheben, deren
Klagen noch anhängig seien. Daraufhin haben die Prüfungsausschüsse des Landes …
wegen des besonderen Schwierigkeitsgrades der Aufgabenstellung bei der zweiten
Aufsichtsarbeit (Ertragsteuern) beschlossen, den Prüfungsmaßstab dahingehend zu
ändern, dass sie das Punkteschema von 100 auf 80 maximal zu erreichende Punkte
anpassten. Allerdings hat auch die Änderung des Bewertungsmaßstabes auf maximal 80
erreichbare Punkte für die zweite Aufsichtsarbeit zu keiner besseren Bewertung der
betreffenden Arbeit bei der Klägerin geführt. Vielmehr hat sich an der zuvor vergebenen
Gesamtnote von 5,5 insoweit nichts geändert.
Die Klägerin begründet ihre Klage wie folgt: Das Prüfungsverfahren habe gegen die
Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Fairness verstoßen, demnach habe die
Prüfung die in Artikel (Art.) 12 und 3 Grundgesetz (GG) verankerten Grundrechte
verletzt. Die Aufgabenstellungen seien völlig überfrachtet gewesen. In der vorgegebenen
Zeit sei es nicht möglich gewesen, die Klausuren in angemessener Weise zu bearbeiten.
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
Das fehlerhafte Prüfverfahren werde auch durch die überaus hohe Durchfallquote in …
indiziert. Während in anderen Ländern die Durchfallquote ca. 50 v. H. betragen habe,
habe sich diese Quote in … auf rund 85 v. H. bei der schriftlichen Prüfung belaufen.
Insoweit genüge auch allein das durch den Prüfungsausschuss konkret durchgeführte
Anheben des Prüfungsmaßstabs für die zweite Aufsichtsarbeit nicht. Vielmehr hätte der
Maßstab für alle drei Arbeiten pauschal angehoben werden müssen.
Die Fehlerhaftigkeit des Prüfverfahrens komme auch in den großen Abweichungen
zwischen dem Erst- und dem Zweitkorrektor zum Ausdruck. Im Übrigen seien zahlreiche
Prüferentscheidungen nicht in hinreichender Weise nachvollziehbar. Dies lege die
Vermutung nahe, dass die Prüfer ihr Prüferermessen nicht hinreichend ausgeübt hätten.
Auch das Überdenkungsverfahren sei nicht ernsthaft durchgeführt worden und daher
fehlerhaft. Insgesamt hätten jedenfalls die Prüfer den Notenrahmen nicht voll
ausgeschöpft. Schließlich gehe auch das Punkteschema von völlig überspannten
Anforderungen aus. Dies hätten die Prüfer bei der Korrektur beachten und sachgemäße
Abweichungen von dem Punkteschema im Rahmen ihrer unabhängigen
Prüfungsentscheidung in Betracht ziehen müssen.
Die Aufgabenstellung für die erste Aufsichtsarbeit erweise sich als zu komplex. Zudem
handele es sich bei der angesprochenen Steuerhinterziehung um einen Themenkreis,
der in einer Steuerberaterprüfung nichts zu suchen habe. In zahlreichen Einzelpunkten
habe sie, die Klägerin, zudem sachlich zutreffende Ausführungen gemacht, die die
Vergabe weiterer einzelner Punkte erfordere. Statt der zunächst vergebenen 36,5
Punkte hätten demzufolge 61,5 Punkte zuerkannt werden müssen.
Bei der zweiten Aufsichtsarbeit liege angesichts der Komplexität und Stofffülle ebenfalls
ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor. Auch insoweit hätten die
Prüfer angesichts der zutreffenden oder zumindest vertretbaren Ausführungen weitere
Punkte, insgesamt 75,5 zuerkennen müssen.
Im Hinblick auf die dritte Aufsichtsarbeit sei die geforderte erschöpfende Darstellung
durch die Prüflinge unmöglich gewesen. Im Übrigen hätten statt der zuerkannten 45
Punkte tatsächlich 72,5 Punkte vergeben werden müssen.
den Bescheid vom 19.12.2003 aufzuheben und den
Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts die drei Aufsichtsarbeiten unter Anhebung der Gesamtnote von 0,5
bis 1,5 Notenpunkten neu zu bewerten und zu bescheiden und die Klägerin
zur mündlichen Prüfung zuzulassen.
die Klage abzuweisen.
Nach Auffassung des Beklagten besagt die hohe Durchfallquote allein nichts zur
angeblichen Rechtswidrigkeit des Prüfungsverfahrens. Tatsächlich seien die Klausuren
anspruchsvoll, insgesamt aber gleichwohl angemessen gewesen. Dem Umstand der
hohen Durchfallquote hätten die Prüfungskommissionen immerhin insoweit Rechnung
getragen, als sie für die Ertragsteuerklausur die Anforderungen gesenkt hätten.
Angesichts der von den Prüfern übersandten Einzelbegründungen komme eine Vergabe
weiterer Punkte, wie von der Klägerin gefordert, nicht in Betracht.
Der Senat verweist im Übrigen auf den weiteren Inhalt der übersandten Akten und
nimmt Bezug insbesondere auf die eingereichten Schriftsätze sowie die einzelnen
Stellungnahmen der Prüfer.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet. Die Prüfungsentscheidung verletzt die Klägerin nicht in
ihren Rechten. Der Beklagte ist daher nicht verpflichtet, die Aufsichtsarbeiten unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bewerten und die Klägerin zur
mündlichen Prüfung zuzulassen (§ 101 Finanzgerichtsordnung [FGO]).
I.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bilden
Prüfungsentscheidungen im Grundsatz höchstpersönliche Werturteile, die nur in
eingeschränktem Umfang einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind, vgl. etwa
Urteil vom 30. Januar 1979 – VII R 13/78, Bundessteuerblatt (BStBl.) II 1979, 417 (418);
Urteil vom 03.02.2004 - VII R 32/01, BStBl. II 2004, 842 (843). Hiernach kann ein Gericht
lediglich überprüfen, ob die Prüfungsentscheidung an fachlichen Mängeln leidet, ob der
Prüfungsausschuss oder die einzelnen Prüfer gegen allgemeingültige
18
19
20
21
22
Prüfungsausschuss oder die einzelnen Prüfer gegen allgemeingültige
Bewertungsgrundsätze verstoßen, insbesondere den prüferischen Bewertungsspielraum
überschritten haben und ob die für die Prüfung maßgebenden Verfahrensbestimmungen
eingehalten worden sind.
I.2. Die Klägerin macht zunächst generell eine Überspannung der
Prüfungsanforderungen im Zusammenhang mit der Aufgabenstellung sowie der
Klausurenbewertung geltend. Auf diese Weise misst die Klägerin dem Merkmal der
Überspannung von Prüfungsanforderungen einen eigenständigen Wert bei und hält
dieses Merkmal einer isolierten gerichtlichen Überprüfung für zugänglich. In gleicher
Weise sieht sie die Einordnung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabenstellung als für
das Gericht überprüfbar an.
Diese Erwägungen vermögen der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Allein hohe
Prüfungsanforderungen, die sich im Einzelfall auch in besonders hohen Durchfallquoten
niederschlagen können, vermögen regelmäßig einen derartigen Prüfungsmangel nicht
zu begründen (ebenso im Ergebnis: BFH, Beschluss vom 20.12.2005 – VII B 254/05,
Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH [BFH/NV], 2006, 832
[833]; FG Hamburg, Urteil vom 31. August 2005 – V 2/04, Entscheidungen der
Finanzgerichte [EFG] 2006, 217 [218 f]; Hessisches FG, Urteil vom 26. April 2005 – 13 K
427/04, nicht veröffentlicht (n. v.), Seite (S.) 8). Eine hohe Misserfolgsquote ist für sich
genommen nicht geeignet, eine angegriffene Prüfungsentscheidung mit Erfolg als
rechtswidrig zu beanstanden (in diesem Sinne auch: BFH, Urteil vom 08.02.2000 – VII R
52/99, BFH/NV 2000, 755 [757 f] mit weiteren Nachweisen [m. w. N.]).
In diesem Zusammenhang ist entscheidend zu berücksichtigen, dass die
Aufgabenstellungen zwangsläufig in jedem Jahr in ihrem Schwierigkeitsgrad schwanken.
Stofffülle, Schwerpunktbildung wie auch die Gesamtgestaltung in einem Jahr lassen
einen Klausurensatz praktisch nie vergleichbar ausfallen mit den Aufsichtsarbeiten eines
anderen Jahres. Dementsprechend müssen auch die Prüfer in jedem Jahr ihre
Anforderungen an die jeweiligen Aufgabenstellungen anpassen. Gleichwohl sind zum Teil
erhebliche Schwankungen bei den Bewertungsergebnissen nicht zu vermeiden.
Diesbezügliche - zum Teil auch erhebliche - Unterschiede in den Anforderungen sind
Ausfluss des Prüfungssystems und begründen regelmäßig nicht die Rechtswidrigkeit von
Prüfungsentscheidungen. Hiernach beinhaltet der Klausurensatz der
Steuerberaterprüfung 2003 eine besonders anspruchsvolle Aufgabenstellung. Allerdings
ist der Bereich der zulässigen Prüfungsanforderungen nicht überschritten. Dies kommt
auch in dem Umstand zum Ausdruck, dass bei den zu dieser Prüfung ergangenen
veröffentlichten Gerichtsentscheidungen kein Gericht die Auffassung vertreten hat, die
Aufgabenstellungen als solche hätten gegen anerkannte Prüfungsgrundsätze
verstoßen.
I.3. Angesichts dieser Besonderheiten einer schriftlichen Steuerberaterprüfung stellt
auch die überdurchschnittlich hohe Durchfallquote bei der Prüfung des Jahres 2003
keinen zwingenden Grund dar, den schwerwiegenden Verstoß gegen sachgerechte
Prüfungsanforderungen zu bejahen. Denn den Prüfern war das anspruchsvolle Niveau
der Aufsichtsarbeiten bekannt. In diesem Zusammenhang hat der Senat auch den
Umstand beachtet, dass das seinerzeit zuständige Finanzgericht Berlin eine pauschale
Herabsetzung des Prüfungsmaßstabs angeregt hat. Indem die Prüfungsausschüsse
diese Anregung aufgenommen haben, haben sie in besonderer Weise dem hohen
Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellung bei der Steuerberaterprüfung 2003 Rechnung
getragen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Modifizieren des Prüfungsschemas um
eine geeignete Möglichkeit, dem besonderen Schwierigkeitsgrad einer Aufsichtsarbeit
Rechnung zu tragen (ebenso: Hessisches FG, Urteil vom 26. April 2005 – 13 K 427/04, n.
v., S. 11; FG Hamburg, Urteil vom 31.05.1999 - V 47/96, n. v., S. 6). Entgegen der
Auffassung der Klägerin konnten die Prüfungsausschüsse diese Modifikation wählen und
waren nicht etwa gezwungen, pauschal jede Klausurbewertung um 0,5 Punkte
anzuheben. Denn eine derartige pauschale Anhebung hätte gleichermaßen zu
(mindestens ebenso) gravierenden Verwerfungen bei der Notenvergabe geführt wie das
Herabsetzen der maximalen Punktzahl. Im Ergebnis hat - wie der Beklagtenvertreter in
der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat - diese Änderung des Prüfungsmaßstabes
bei zahlreichen Prüflingen dazu geführt, dass die Bewertung der Klausurleistungen
anzuheben war. Vor diesem Hintergrund konnten die Prüfer ohne Rechtsverstoß die
Leistungen der Klägerin im Ergebnis als nicht ausreichend ansehen, um die schriftliche
Prüfung zu bestehen.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die hohe Durchfallquote ebenfalls nicht den
Schluss auf eine fehlerhafte Konzeption der Klausuren rechtfertigt. Bundesweit nämlich
schwanken die Durchfallquoten zwischen 45 und 80 v. H. im Laufe der Jahre.
23
24
25
schwanken die Durchfallquoten zwischen 45 und 80 v. H. im Laufe der Jahre.
Maßgebliche Bedeutung für das Ergebnis einer Prüfung und demzufolge für die Höhe der
Durchfallquote kann etwa auch das unterschiedliche Leistungsniveau der Bewerber
haben. Deren Zusammensetzung schwankt in den einzelnen Bundesländern von Jahr zu
Jahr und unterscheidet sich innerhalb eines Jahres etwa auch nach der Anzahl der
Wiederholer, die möglicherweise zu einer eher leistungsschwächeren Gruppe rechnen.
Hiernach vermag allein eine hohe Durchfallquote, die auf einer ganzen Reihe von
Ursachen beruhen kann, die Fehlerhaftigkeit der Konzeption der Aufgabenstellung nicht
zu begründen.
II.1. Entgegen den Ausführungen der Klägerin hat der Beklagte rechtsfehlerfrei die
Klägerin nicht zur mündlichen Prüfung zugelassen. Bei der Bewertung der schriftlichen
Aufsichtsarbeiten hat der zuständige Prüfungsausschuss die Grenzen des ihm
zustehenden Bewertungsspielraums gewahrt. Die gerichtliche Kontrolle von
Prüfungsentscheidungen verlangt nach der zutreffenden Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, zwischen dem Überprüfen fachlicher Fragen einerseits und
der Kontrollprüfung spezifischer Wertungen andererseits zu unterscheiden
(Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 17. April 1991 1 BVR 419/81,
213/83, Neue Juristische Wochenschrift [NJW] 1991, 2005 [2007]; Beschluss vom 17. April
1991 1 BVR 1529/84, 138/87, NJW 1991, 2008 [2010]). Das in Art. 12 Abs. 1 GG
verankerte Grundrecht auf freie Berufswahl, das durch die Zulassungsprüfung zum Beruf
des Steuerberaters eingeschränkt wird, gebietet eine gerichtliche Kontrolle von
Prüfungsentscheidungen, wobei das Durchsetzen des Rechts auf gerichtliche
Überprüfung durch das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet wird.
Diese umfassende gerichtliche Kontrolle beschränkt sich aber nur auf die fachlichen
Fragen. Unter Fachfragen, die im prüfungsrechtlichen finanzgerichtlichen Verfahren
voller gerichtlicher Prüfung unterliegen, sind alle Fragen zu verstehen, die
fachwissenschaftlicher Erörterung zugänglich sind. Hierunter fallen sowohl Fragen, die
fachwissenschaftlich geklärt sind, als auch solche, die in der Fachwissenschaft kontrovers
behandelt werden (vgl. hierzu: FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 19.02.2003 – 2 K
316/02, EFG 2003, 731, m. w. N.). Soweit die Prüfer hingegen prüfungsspezifische Fragen
beurteilen, steht ihnen ein Bewertungsspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt
überprüfbar ist. Die Prüfer haben bei der Benotung nämlich nicht nur die fachliche
Richtigkeit der Antwort zu bewerten, sondern auch Einschätzungen und Erfahrungen zu
berücksichtigen, die sich insbesondere aus ihren bisherigen Prüfungen sowie aus dem
Vergleich des betreffenden Kandidaten mit seinen Mitbewerbern ergeben. Prüfungsnoten
stehen daher in einem Bezugssystem, das durch die persönlichen Erfahrungen und
Vorstellungen der Prüfer mit beeinflusst wird (zum Nachweis, vgl. FG des Landes
Brandenburg, am angegebenen Ort [a. a. O.], S. 231). Der Prüfer kann so beispielsweise
die Leistungen des Kandidaten gegenüber den Fähigkeiten der anderen Kandidaten
einordnen oder aber einschätzen, welchen Schwierigkeitsgrad die Aufgabenstellung
aufweist und wie sie von der Gesamtheit der Kandidaten verstanden wurde. Die Prüfer
dürfen auch in der Steuerberaterprüfung Klarheit und Systematik der Darstellung sowie
der Vollständigkeit und Prägnanz der Begründung richtiger Lösungen wesentliches
Gewicht beimessen. Ihre diesbezügliche Beurteilung liegt maßgeblich nicht auf
fachwissenschaftlichem Gebiet und kann von dem FG nur dann beanstandet werden,
wenn sie offensichtlich nicht vertretbar ist. Im Rahmen des sogenannten
Überdenkungsverfahrens haben die Prüfer die Einwände eines Prüflings gegen
Bewertungen seiner Prüfungsleistungen nach denselben Kriterien zu überdenken, die
auch für die ersten - von einem Bewerber beanstandeten - Bewertungen gegolten
haben. Führen die Einwände des Prüflings gegen die Bewertung seiner
Prüfungsleistungen im verwaltungsinternen Kontrollverfahren nicht zum Erfolg und damit
nicht zu einer Änderung des Prüfungsergebnisses, so hat das Gericht in dem
anschließenden Klageverfahren nur eine (zusätzliche) Rechtmäßigkeitskontrolle der
Prüfungsentscheidung vorzunehmen (FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 19.
Februar 2003, a. a. O., S. 231).
Ob und in welcher Weise bei Anwendung eines Punkteschemas Punkte jeweils zu
vergeben und wie einzelne Prüfungsbestandteile zu gewichten sind, ist hiernach in
weitgehendem Umfang der finanzgerichtlichen Kontrolle entzogen. Bei der Vergabe von
Punkten verbleibt dem Prüfer ein weiter Beurteilungsspielraum (ebenso: BFH, Urteil vom
21. Mai 1999 – VII R 34/98, BStBl. II 1999, 573 [574]). Eine von der Prüfungsbehörde
erstellte Musterlösung und die in ihr für die einzelnen Lösungsschritte vorgeschlagenen
Punkte sind keine für die Prüfer verbindlichen Vorgaben, die deren höchstpersönlichen
Bewertungsspielraum einschränkten. Ob missverständliche, fragmentarische, unpräzise,
mehr oder weniger falsche Antworten (noch) einen Punkt verdienen, ist der Kontrolle
seitens der Gerichte entzogen (BFH, Beschluss vom 09. März 1999 – VII S 14/98, BFH/NV
1999, 1133 [1135]).
26
27
28
29
30
Hiernach ist bei einer gerichtlichen Kontrolle zunächst der entscheidungserhebliche
Sachverhalt festzustellen. Dazu gehört insbesondere zu ermitteln, was bei der Lösung
der Prüfungsaufgaben richtig oder falsch war. Ferner, ob der Prüfling die von ihm danach
geforderten Antworten gegeben hat und wie gegebenenfalls seine schriftlichen
Darlegungen unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu verstehen sind; welche
Vorzüge und Mängel die Leistung des Prüflings sonst im einzelnen aufweist; schließlich,
wie die Leistungen des Prüflings von den Prüfern beurteilt und bewertet worden sind,
welche Antworten diese zum Beispiel als falsch beanstandet haben, welche Mängel sie
sonst gerügt und welches Gewicht sie denselben für die Gesamtbewertung der
Prüfungsleistung beigelegt haben; endlich, welches Gewicht die Prüfer einzelnen Teilen
der Aufgabe aufgrund ihres prüfungsspezifischen Bewertungsvorrechts zumessen
durften und ob sie bei der Bewertung der Mängel und Vorzüge der Leistungen des
einzelnen Prüflings die Grenzen ihres prüferischen Beurteilungsspielraums beachtet
haben (FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 19.02.2003, a. a. O., S. 731 [732] m.
N.).
In diesem Zusammenhang ist es insbesondere nicht zu beanstanden, wenn Prüfer
zutreffende Ausführungen zu relevanten Einzelpunkten deshalb nicht oder allenfalls als
unbedeutende Leistung bewerten, weil sie nicht sinnvoll geordnet oder nicht prägnant
bzw. sogar zusammenhanglos dargestellt und ohne deutlichen Bezug zur geforderten
Falllösung erscheinen. Ein Bewertungsfehler kann daher insbesondere nicht durch eine in
die Einzelpunkte aufgegliederte Gegenüberstellung von Teilen der Musterlösung und der
Klausurbearbeitung nachgewiesen werden. Die in der Musterlösung vorgeschlagenen
Punkte bilden lediglich die Grundlage dafür, einzelne Teile der Aufgabenstellung zu
gewichten. Die in der Musterlösung vorgeschlagenen Punkte sollen demnach den
Abgleich einzelner Teile der Aufgabenstellung nach ihrer Bedeutung und Schwierigkeit
erleichtern helfen (ebenso: BFH, Urteil vom 21. Mai 1999 – VII R 34/98, BStBl. II 1999,
573 [574]). Folglich kann die Vergabe eines Punktes nicht bereits dann beansprucht
werden, wenn ein Prüfling sich irgendwie zu dem Lösungsweg geäußert hat, der in der
Musterlösung angesprochen ist. Vielmehr dürfen die Prüfer Klarheit und Systematik der
Darstellung sowie die Vollständigkeit und Prägnanz der Begründung richtiger Lösungen
bei der Zumessung der in der Musterlösung nur in Form von Höchstwerten
ausgewiesenen „Wertpunkte“ wesentliches Gewicht beimessen. Dabei liegt die
diesbezügliche Beurteilung der Prüfungsleistung im Wesentlichen nicht auf
fachwissenschaftlichem Gebiet. Im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle der
Prüfungsentscheidung kann diese Beurteilung nur beanstandet werden, wenn sie
offensichtlich nicht vertretbar ist, insbesondere weil die Prüfer für ihre Bewertung
vernünftige Gründe nicht angeführt haben oder die Prüfer einzelne richtige Teile der
Bearbeitung ersichtlich überhaupt nicht bewertet haben (ebenso: FG des Landes
Brandenburg, Urteil vom 19.02.2003, a. a. O., S. 732 m. w. N.).
II.2. Ausgehend von diesen Grundsätzen vermag der Senat vor allem hinsichtlich des
nach Klageerhebung durchgeführten verwaltungsinternen Kontrollverfahrens keine
entscheidungserheblichen prüfungsrelevanten Fehler bei der (Nach-)Bewertung der
substantiiert in Frage gestellten Prüfungsleistungen zu erkennen.
II.2.1 Ohne Erfolg wendet sich die Klägerin gegen den Umstand, dass zwischen den Erst-
und Zweitkorrektoren zum Teil erhebliche Punktdifferenzen vorlagen. Insoweit ist ein
gewichtiger prüfungsrelevanter Fehler der Prüfer nicht erkennbar. Unterschiedliche
Punktevergaben sind vielmehr Ausdruck für das intensive Befassen mit den schriftlichen
Prüfungsleistungen der Klägerin. Tatsächlich sprechen die im Einzelfall deutlichen
Abweichungen für das eigenständige Bewerten der Aufsichtsarbeiten durch die jeweiligen
Prüfer. Zudem sind - auch beachtliche - Abweichungen zwischen den einzelnen
Bewertungen zwangsläufige Folge der Tatsache, dass mehrere Prüfer mit durchaus
unterschiedlichen Präferenzen an dem Bewertungsvorgang teilgenommen haben.
Schließlich kommt in den unterschiedlichen Bewertungen gerade auch die fehlende
Bindungswirkung des Prüfungsschemas zum Ausdruck
II.2.2 Entgegen den Ausführungen der Klägerin haben die Prüfer in ernsthafter Weise das
Überdenkungsverfahren durchgeführt. Sie haben im Zuge dieses Verfahrens weitere
Punkte vergeben und ihre Wertungen mit teilweise recht knapper, jedoch ins Einzelne
gehenden und zumeist differenzierenden Begründungen unterlegt. Dabei sieht der
Senat - entgegen der Einschätzung der Klägerin - gerade auch in den zum Teil mehrere
Seiten umfassenden Stellungnahmen der Prüfer ein gewichtiges Indiz für das ernsthafte
Durchführen des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens. Zudem haben die Prüfer
durchweg im Zuge des Überdenkens weitere Punkte vergeben. Auch dieser Umstand
spricht nachdrücklich für das Bemühen der Prüfer, den Leistungen der Klägerin gerecht
zu werden.
31
32
33
34
35
36
II.3. Zum überwiegenden Teil wendet sich die Klägerin gegen prüfungsspezifische
Entscheidungen der Prüfer, die das Gericht lediglich eingeschränkt überprüfen kann.
Diese nur in begrenztem Umfang zulässige Überprüfung durch den Senat ergibt, dass
die Prüfer die Grenzen des ihnen zustehenden Spielraums nicht überschritten haben.
Die Klägerin hat nämlich nicht in einer für das Gericht nachvollziehbaren und hinreichend
klaren Weise geltend gemacht, dass dem Prüferausschuss fachliche Fehler unterlaufen
seien.
II.3.1 Ohne Erfolg macht die Klägerin zunächst geltend, in der Vergangenheit seien für
allgemeine Ausführungen in der Klausur stets Punkte vergeben worden. Dem Senat ist
bekannt, dass in der Tat die Prüfungsausschüsse auf unterschiedliche Weise derartige
„allgemeine Ausführungen“ bewerten. Allerdings stellt es nach allgemeinen Grundsätzen
keinen Rechtsverstoß dar, wenn ein Prüfungsausschuss angesichts der konkreten
Fragestellungen für allgemeine Ausführungen keine (weiteren) Punkte vergibt.
II.3.2 Soweit die Klägerin unter Hinweis auf das Punkteschema die Vergabe weiterer
Punkte verlangt, kann sie hiermit nicht durchdringen. Das Punkteschema ist keine
geeignete Grundlage, die Vergabe einzelner Punkte zu erzwingen. Hiergegen spricht
insbesondere der nicht bindende Charakter des Schemas. Dementsprechend kann der
Vortrag der Klägerin auch nicht durchgreifen, die Prüfer hätten die Lösungsansätze in
den Klausuren, auch soweit sie von der Musterlösung abwichen, als Alternativlösungen
zulassen und durch die Vergabe von Punkten honorieren müssen. Die fehlende Bindung
an das Punkteschema lässt zunächst den Umstand irrelevant erscheinen, dass die
Musterlösungen selbst keine Alternativwertungen enthielten. Zudem ist für den Senat
nicht erkennbar, dass die Prüfer die - im vorstehenden Sinne alternativen -
Ausführungen der Klägerin bei der Klausurbearbeitung nicht nachvollzogen und willkürlich
keine Punkte vergeben hätten. Vielmehr haben sich die Prüfer in zulässiger Weise mit
den einzelnen Gesichtspunkten auseinandergesetzt, die die Klägerin ausgeführt hat.
Ohne Rechtsverstoß konnten die Prüfer zu der Wertung gelangen, dass die
Klausurbearbeitungen der Klägerin die Vergabe weiterer ganzer oder halber Punkte nicht
erzwinge.
Soweit die Klägerin etwa bei der zweiten Aufsichtsarbeit (Ertragsteuern) unter Hinweis
auf das nach ihrer Auffassung fehlerhafte Prüfungsschema die Vergabe weiterer
Wertungspunkt bei den Klausurpunkten Nr. 49 und 50 sowie Nr. 51 bis 55 (Schriftsatz
vom 30.04.2004, S. 11 [Finanzgerichtsakte, Blatt 30]) verlangt, folgt ihr der Senat nicht.
Denn zunächst ist es angesichts der fehlenden Bindungswirkung ohne Bedeutung, ob
das Prüfungsschema einen Fehler enthält oder nicht. Vor allem aber haben die Prüfer in
ihren Stellungnahmen zum Vorbringen der Klägerin deutlich gemacht, dass und aus
welchen Gründen sie die konkreten Ausführungen der Klägerin in den Aufsichtsarbeiten
lediglich mit null Punkten bewerten (Stellungnahmen von Frau … vom 02.06.2004
[Finanzgerichtsakte, Blatt 66] sowie von Frau … vom 15.09.2004, [Finanzgerichtsakte,
Blatt 69]).
Ohne Erfolg verlangt die Klägerin des Weiteren etwa bei der dritten Aufsichtsarbeit, Teil III
zu den Wertungspunkten Nr. 66 und 79 die Vergabe weiterer Punkte (Schriftsatz vom
30.04.2004, S. 17 und 18 [Finanzgerichtsakte, Blatt 36 f]). Es ist nicht zu beanstanden,
wenn etwa der Prüfer Herr …, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, insoweit bei Nr. 66
nur die Vergabe eines (weiteren) halben Punktes zugestanden und wegen des Fehlens
von ergänzenden Ausführungen insbesondere zur Rechtsgrundlage die Vergabe weiterer
Punkte ebenso abgelehnt hat wie bei den Punkten Nr. 79 und 80 (Stellungnahme vom
10.07.2004, S. 4 [Finanzgerichtsakte, Blatt 157]). Es entspricht anerkannten
Prüfungsgrundsätzen, dass ein Prüfer bei unvollständigen Bearbeitungen oder
Bearbeitungen, die sich nur teilweise als zutreffend erweisen, lediglich in
eingeschränktem Umfang Punkte vergibt.
Im Ergebnis verkennt die Klägerin die Grenzen der Überprüfungsmöglichkeiten seitens
des Gerichts, wenn sie die Vergabe von zahllosen weiteren Wertungspunkten unter
Hinweis auf einzelne - ihr zutreffend erscheinende - Ausführungen verlangt. Ein
derartiges „Herauspicken“ einzelner Punkte vor dem Hintergrund einer nicht
verbindlichen Musterlösung erweist sich als nicht zulässig. Denn in erster Linie sind die
Prüfungsausschüsse verpflichtet, aus dem Gesamteindruck sämtlicher Prüflinge deren
Leistungen zu beurteilen. Hierbei ist die Leistung eines Prüflings insgesamt zu
berücksichtigen. Wenn die Ausführungen eines Prüflings - wie häufig - eine kaum
trennbare Mischung aus fehlerhaften, zutreffenden und rechtlich noch vertretbaren
Einzelaspekten darstellen, die zumeist auch noch mit völlig fehlenden Ausführungen zu
einzelnen Gesichtspunkten einhergehen, vermögen regelmäßig lediglich die Prüfer aus
der Gesamtschau einer Klausurenbearbeitung angemessene Bewertungen
37
38
der Gesamtschau einer Klausurenbearbeitung angemessene Bewertungen
vorzunehmen.
In diesem Zusammenhang ist schließlich auch der Umstand zu berücksichtigen, dass
die Klägerin etwa für die zweite Aufsichtsarbeit auch nach Absenken der maximalen
Punktzahl lediglich 21,5 Punkte (Note: 5,0) erzielt hat. Tatsächlich wäre die Vergabe von
weiteren 2,5 Punkten erforderlich gewesen, um mit 24 Punkten die Note 4,5 zu erzielen.
Selbst wenn die Prüfer also einen oder zwei Punkte rechtsfehlerhaft - weil sie zum
Beispiel Ausführungen der Klägerin irrtümlich überlesen oder völlig missverstanden
hätten - nicht vergeben hätten, wäre die von der Klägerin angestrebte Notenanhebung
nicht möglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum