Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

FG Berlin-Brandenburg: öffentliches interesse, selbstanzeige, versuch, steuerhinterziehung, steuergeheimnis, disziplinarverfahren, sammlung, auflage, unterliegen, festschrift

1
2
3
4
5
6
7
Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 V 7060/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 125c BRRG, § 386 Abs 1 AO, §
30 Abs 1 AO, § 114 Abs 1 FGO, §
30 Abs 4 Nr 5 AO
(Steuerhinterziehung durch Finanzbeamtin - Voraussetzungen
für eine Mitteilung der nach Selbstanzeige im
Steuerstrafverfahren gewonnenen Erkenntnisse an den
Dienstvorgesetzten gemäß § 125c BRRG im Hinblick auf § 30
AO)
Tatbestand
I. Die Antragstellerin ist Beamtin der Finanzverwaltung.
Neben ihrer dienstlichen Tätigkeit übte sie eine freiberufliche Tätigkeit als Dozentin aus,
durch die sie seit 1997 von verschiedenen Auftraggebern Honorare erzielte, die zu
Einnahmen und Einkünften aus selbstständiger Arbeit in 2001 in Höhe von XXX DM bzw.
XXX DM , in 2002 in Höhe von XXX € bzw. XXX €, in 2003 in Höhe von XXX € bzw. XXX €
und in 2004 in Höhe von XXX € bzw. XXX € führten. Von diesen Einnahmen hatte die
Antragstellerin in ihren Einkommensteuererklärungen zunächst nur XXX DM in 2001, XXX
€ in 2002, XXX € in 2003 und XXX € in 2004 erklärt. Die Einkommensteuerveranlagungen
1997 bis 2003 wurden - offenbar erklärungsgemäß - durchgeführt. Die
Einkommensteuererklärung 2004 ging am 26.06.2006 beim Antragsgegner ein und
wurde zunächst noch nicht veranlagt.
Vorliegende Kontrollmitteilungen (die jedoch nur einen Bruchteil der erklärten
Einnahmen auswiesen) gaben dem für die Antragstellerin zuständigen Finanzamt L
Anlass, zu den Nebeneinkünften Anfragen an die Antragstellerin zu richten. Daraufhin
erklärte diese am 02.07. und 12.08.2006 die bisher noch nicht erklärten Nebeneinkünfte
der Jahre 1997 bis 2004 nach. Das Finanzamt L erließ in der Folge geänderte
Einkommensteuerbescheide, für die Jahre 2001 bis 2004 am 14.09.2006. Die darin
enthaltenen Abrechnungen wiesen nur für die Jahre 2001 und 2002 Nachzahlungen aus,
im Übrigen Guthaben.
Am 13.09.2006 leitete das Finanzamt L das Strafverfahren wegen Einkommensteuer
1997 bis 2004 ein und gab den Vorgang an den Antragsgegner ab. Dieser stellte am
29.09.2006 das Strafverfahren wegen der Jahre 1997 bis 2000 nach § 170 Abs. 2
Strafprozessordnung - StPO - wegen eingetretener Strafverfolgungsverjährung ein. Für
die Jahre 2001, 2003 und 2004 stellte er das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO in
Verbindung mit § 371 Abgabenordnung - AO - ein, da zu diesem Zeitpunkt auch die
Einkommensteuer 2001 getilgt war. Mit Verfügung vom 09.10.2006 teilte der
Antragsgegner der Antragstellerin die Einleitung des Strafverfahrens mit und gab ihr auf,
die noch offene Einkommensteuer 2002 bis zum 18.10.2006 zu tilgen. Ferner kündigte
er an, dem Dienstvorgesetzten der Antragstellerin Mitteilungen über ihre Verfehlungen
zu machen.
Die Einkommensteuer 2002 wurde fristgerecht gezahlt, worauf der Antragsgegner am
21.12.2006 das Strafverfahren einstellte.
Gegen die beabsichtigte Mitteilung an den Dienstvorgesetzten erhob die Antragstellerin
am 11.12.2006 gegenüber dem Antragsgegner Einwendungen, die dieser unter Hinweis
auf Textziffer - Tz. - 8.6 des Anwendungserlasses zu § 30 AO zurückwies, da die
Antragstellerin zum Teil Steuerverkürzungen von mehr als 2.500,00 € pro Jahr bewirkt
habe.
Daraufhin hat die Antragstellerin am 26.02.2007 bei Gericht einen Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie macht geltend, es habe allenfalls für das Jahr
2002 Anlass bestanden ein Strafverfahren einzuleiten. Für dieses Jahr sei der Betrag von
2.500,00 € verkürzter Steuer nur geringfügig überschritten worden. Dieser Betrag sei
unangemessen niedrig. Der Erlassgeber unterscheide auch zu Unrecht nicht danach, ob
8
9
10
11
12
13
14
15
16
unangemessen niedrig. Der Erlassgeber unterscheide auch zu Unrecht nicht danach, ob
die Steuerverkürzung durch eine Selbstanzeige oder auf anderem Wege aufgedeckt
worden sei. Ferner sei der Betrag, der bereits seit Jahren in ähnlicher Größenordnung
verfügt worden sei, der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen. Die
Auffassung des Antragsgegners führe dazu, dass Beamte faktisch von der Möglichkeit
eine strafbefreiende Selbstanzeige zu erstatten ausgeschlossen würden.
Die Antragstellerin beantragt, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung
aufzugeben, es zu unterlassen, den Dienstvorgesetzten der Antragstellerin über
nacherklärte Steuern zu informieren.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass die beabsichtigte Mitteilung an den Dienstvorgesetzten durch
§ 125c Beamtenrechtsrahmengesetz - BRRG - in Verbindung mit § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO
gerechtfertigt sei. Es bestehe ein zwingendes öffentliches Interesse an der Mitteilung.
Dieses öffentliche Interesse sei zu bejahen, wenn die verkürzte Steuer 2.500,00 € oder
mehr pro Veranlagungszeitraum betrage (Tz. 8.6 des Anwendungserlasses zu § 30 AO).
Daher übe er sein Ermessen ordnungsgemäß aus, weil die verkürzte Steuer für die
Veranlagungszeiträume 2002 und 2004 den Betrag von 2.500,00 € überstiegen und die
Antragstellerin als Beamtin in der Finanzverwaltung tätig sei. Gerade für in der
Finanzverwaltung tätige Beamte, deren Aufgabe es sei, die Steuerehrlichkeit zu
überprüfen und die fiskalischen Belange des Staates zu wahren, bestehe Anlass zu einer
disziplinarischen Überprüfung. Dies gelte ungeachtet der vorliegenden Selbstanzeigen.
Zwar habe die Antragstellerin dadurch ein gewisses Maß an Rechtstreue zum Ausdruck
gebracht, jedoch ändere das nichts an der zuvor gegenüber dem Fiskus bereits
eingetretenen Rechtsbeeinträchtigung. Sie lasse ein vorwerfbares Dienstvergehen nicht
entfallen, sondern könne allenfalls im Rahmen eines Disziplinarverfahrens als
Minderungsgrund herangezogen werden.
Dem Gericht hat die vom Antragsgegner für die Antragstellerin unter dem
Geschäftszeichen XXX geführte Strafakte vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag ist zulässig.
Der Finanzrechtsweg ist gemäß § 33 FGO eröffnet.
Nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist der Finanzrechtsweg gegeben in allen öffentlich-
rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten, soweit die Abgaben der
Gesetzgebung des Bundes unterliegen und durch Landesfinanzbehörden verwaltet
werden. Der Begriff der Abgabenangelegenheiten wird in § 33 Abs. 2 FGO weitergehend
dahingehend definiert, dass es sich um alle mit der Verwaltung der Abgaben
einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der
abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden
Angelegenheiten handelt. Ermittlungsmaßnahmen bei Verdacht von Steuerstraftaten
obliegen nach § 386 Abs. 1 AO grundsätzlich den Finanzbehörden, sofern sie nicht die
Sache an die Staatsanwaltschaft abgeben (§ 368 Abs. 4 AO). Im Rahmen der
Bearbeitung der Strafsachen hat die jeweils zuständige Finanzbehörde auch § 125c
BRRG zu beachten, wonach die Strafverfolgungsbehörden unter bestimmten
Voraussetzungen Mitteilungen an die Dienstvorgesetzten von Beamten machen müssen
oder dürfen. Daher sind die hier streitbefangenen Mitteilungen Teil der über § 386 Abs. 1
AO dem Antragsgegner zugewiesenen Abgabenangelegenheiten und keine
Beamtenrechtsstreitigkeit im Sinne des § 126 Abs. 1 BRRG. Hinzu kommt, dass die
Pflicht zur Wahrung des Steuergeheimnisses in erster Linie den Finanzbehörden obliegt,
um den Steuerpflichtigen vor einer unbefugten Offenbarung seiner Verhältnisse zu
schützen, die er im Besteuerungsverfahren offen legen muss und die sich aus diesem
Verfahren ergeben.
Auch § 33 Abs. 3 FGO steht der Zuständigkeit des Finanzgerichts nicht entgegen. Zwar
finden danach die Vorschriften der FGO auf das Straf- und Bußgeldverfahren keine
Anwendung, jedoch ist im Streitfall das Strafverfahren bereits abgeschlossen, und die
streitbefangenen Mitteilungen stehen nicht in einem funktionalen Verhältnis zum Zweck
des Strafverfahrens, nämlich strafrechtlich relevante Sachverhalte aufzuklären und
gegebenenfalls zu ahnden (vergleiche Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschluss
vom 25.11.1996 3 V 37/96, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1997, 519).
Der Antrag auf einstweilige Anordnung gemäß § 114 FGO ist das statthafte Verfahren.
Insbesondere kommt nicht der nach § 114 Abs. 5 FGO grundsätzlich vorrangige
17
18
19
20
21
22
23
Insbesondere kommt nicht der nach § 114 Abs. 5 FGO grundsätzlich vorrangige
Rechtsschutz in Form des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 FGO in
Betracht. Bei den hier streitigen Mitteilungen handelt es sich um Realakte, gegen die
sich die Antragstellerin im Hauptverfahren im Wege der sonstigen Leistungsklage (§ 40
Abs. 2 FGO) in Gestalt einer vorbeugenden Unterlassungsklage wehren kann (vergleiche
z. B. Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 16.10.1986 V B 3/86, Bundessteuerblatt -
BStBl. - II 1987, 30). Eine solche Hauptsacheklage hat die Antragstellerin bisher zwar
nicht erhoben, jedoch ist dies auch nicht erforderlich (vergleiche Gräber/Koch, FGO, 6.
Auflage, § 114 Rz. 82).
Der Antrag ist begründet.
Denn es besteht die Gefahr, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes
die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt werden könnte (§ 114 Abs. 1
Satz 1 FGO). Im Streitfall ist dies das Recht der Antragstellerin auf Wahrung des
Steuergeheimnisses (§ 30 Abs. 1 AO).
Es besteht ein Anordnungsgrund, weil durch die vom Antragsgegner ursprünglich für
Anfang März 2007 vorgesehene Mitteilung an den Dienstvorgesetzten das Recht der
Antragstellerin auf Wahrung ihres Steuergeheimnisses endgültig und unheilbar verletzt
würde (vergleiche Gräber/Koch, FGO, 6. Auflage, § 114 FGO, Rz. 43).
Es besteht auch ein Anordnungsanspruch, weil eine ernst zu nehmende
Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Antragsgegner zur Offenbarung der in dem bei ihm
anhängig gewesenen Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse nicht befugt ist.
Entgegen der vom Antragsgegner vertretenen Auffassung lässt sich die Befugnis zur
Offenbarung der streitbefangenen Vorgänge nicht aus § 125c BRRG ableiten.
Nach § 125c Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 BRRG sollen Verfahrenseinstellungen
an den Dienstvorgesetzten übermittelt werden, wenn die Kenntnis der Daten aufgrund
der Umstände des Einzelfalls erforderlich ist, um zu prüfen ob dienstrechtliche
Maßnahmen zu ergreifen sind. Da § 125c BRRG als Eingriffsnorm tendenziell eng
auszulegen ist, kann es sich nur um Einstellungen von Verfahren handeln, für deren
Einleitung gemäß § 152 StPO hinreichender Anlass bestand, das heißt, es muss sich
auch um verfolgbare Straftaten handeln (Schoreit in Karlsruher Kommentar zur StPO, §
152 Rz. 27).
Davon ausgehend hat das Finanzamt L zu Unrecht für die Jahre 1997 bis 2000 das
Strafverfahren eingeleitet, weil insoweit Strafverfolgungsverjährung eingetreten war.
Ferner dürfte die Antragstellerin hinsichtlich des Veranlagungszeitraums 2004 gemäß §
24 Strafgesetzbuch - StGB - strafbefreiend vom Versuch der Steuerhinterziehung
zurückgetreten sein. Jedenfalls waren im Zeitpunkt der Einleitung aufgrund des ein
Guthaben ausweisenden Bescheids für 2004 ebenso wie für das Jahr 2003 in Verbindung
mit der strafbefreienden Selbstanzeige gemäß § 371 AO die Voraussetzungen für eine
Einleitung des Strafverfahrens entfallen. Lediglich für die Veranlagungszeiträume 2001
und 2002 konnte im Hinblick auf die seinerzeit noch nicht erfolgten Tilgungen Anlass zur
Einleitung des Strafverfahrens bestehen.
Gleichwohl erscheint insoweit ungeachtet der Vorschrift des § 125c Abs. 6 Satz 1 BRRG
die Mitteilung an den Dienstvorgesetzten nicht als gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift
sind Übermittlungen nach § 125c Abs. 1 bis 3 BRRG auch zulässig, wenn sie dem
Steuergeheimnis unterliegen. Bei der nach § 125c Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2
BRRG vorzunehmenden Prüfung, ob die Kenntnis des Dienstvorgesetzten für
disziplinarische Zwecke erforderlich ist, muss jedoch berücksichtigt werden, inwieweit
dieser die Erkenntnisse noch im Rahmen eines Disziplinarverfahrens verwerten kann.
Insoweit ist von Bedeutung, dass die Steuerverkürzung hinsichtlich der
Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 am 01.11.2002 bzw. 03.12.2003 vollendet
wurde, so dass ein Dienstvergehen nach § 15 Abs. 1 und 2 Bundesdisziplinargesetz -
BDG - (zur Anwendbarkeit s. § 85 BDG) nur noch verfolgbar wäre, wenn auf
Zurückstufung oder Entfernung aus dem Dienst im Disziplinarverfahren erkannt werden
könnte. Angesichts eines steuerlichen Schadens von 4.283,00 € und der in der
Selbstanzeige der Antragstellerin zum Ausdruck kommenden Reue und
Kooperationsbereitschaft, erscheint dies jedoch ausgeschlossen. So hat das
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - OVG NW - bei einer
Konzernbetriebsprüferin der Steuerverwaltung, die über mehrere Jahre hinweg Steuern in
Höhe von rund 45.000,00 DM hinterzogen hatte, unter Berücksichtigung einer
Selbstanzeige nach § 371 AO eine Degradierung um eine Besoldungsstufe für
angemessen gehalten (OVG NW, Urteil vom 13.11.2002 15d A 4131/01.O, juris). Ferner
hat es die Degradierung eines steuerlichen Außenprüfers um zwei Besoldungsstufen für
angemessen gehalten, der bei strafbefreiender Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO
24
25
26
27
28
29
30
angemessen gehalten, der bei strafbefreiender Selbstanzeige im Sinne des § 371 AO
Steuern in einer Gesamthöhe von 134.402,00 DM hinterzogen hatte (OVG NW,
Beschluss vom 25.09.2002, 12d A 3598/00.O, juris).
Abweichendes ergibt sich nicht daraus, dass nach dem Grundsatz der Einheit des
Dienstvergehens mehrere gleichartige Pflichtverletzungen, auch soweit sie sich über
Jahre erstrecken, als einheitliches Dienstvergehen gelten, für die die
Disziplinarmaßnahmeverbote gemäß § 15 BDG erst mit Vollendung der zeitlich letzten
Pflichtverletzung beginnen (vergleiche Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteile
vom 28.04.1981 1 D 7/80, Sammlung der Entscheidungen des BVerwG - BVerwGE - 73,
166; vom 08.09.1988 1 D 70/87, Recht im Amt - RiA - 1989, 133; vom 23.02.2005 1 D
1/04, Zeitschrift für Beamtenrecht - ZBR - 2005, 315). Zwar dürfte im Hinblick auf die
weiteren von der Antragstellerin unvollständig erklärten Einkünfte eine disziplinarische
Ahndung der Steuerverkürzung betreffend die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002
weiterhin möglich sein. Aber dazu müsste der Dienstherr der Antragstellerin auf die für
die Veranlagungszeiträume 2003 und 2004 verwirklichten bzw. versuchten
Steuerverkürzungen zurückgreifen, worüber der Antragsgegner - wie dargelegt - jedoch
nicht nach § 125c Abs. 3 BRRG Mitteilungen machen darf.
Die beabsichtigte Offenbarung ist auch nicht nach § 125c Abs. 4 in Verbindung mit Abs.
6 BRRG in Verbindung mit § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO zulässig. Nach diesen Vorschriften dürfen
sonstige Tatsachen, die in einem Strafverfahren bekannt werden, mitgeteilt werden,
wenn ihre Kenntnis aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls für dienstrechtliche
Maßnahmen gegen einen Beamten erforderlich ist und soweit nicht für die übermittelnde
Stelle erkennbar ist, dass schutzwürdige Interessen des Beamten an dem Ausschluss
der Übermittlung überwiegen. Dies gilt jedoch nur, soweit für die Offenbarung ein
zwingendes öffentliches Interesse besteht.
Die Vorschriften des § 125c Abs. 4 BRRG und des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO räumen der
Finanzbehörde ein Ermessen für die Offenbarung von Tatsachen an den
Dienstvorgesetzten ein, die ansonsten dem Steuergeheimnis unterliegen. Das Gericht
ist daher nur befugt, im Rahmen der Prüfung nach § 102 FGO die Ordnungsmäßigkeit der
Ermessensausübung zu überprüfen.
Nach Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - besteht ein öffentliches
Interesse an der Offenbarung von Steuerverfehlungen eines Beamten, wenn die
verkürzte Steuer 5.000,00 DM (bzw. ab dem 01.01.2002: 2.500,00 €) oder mehr pro
Veranlagungszeitraum beträgt (Tz. 8.6 Satz 4 des Anwendungserlasses zu § 30 AO,
zuvor BMF-Schreiben vom 10.05.2000, BStBl. I 2000, 494). Angesichts des durch § 125c
Abs. 4 BRRG und § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO eingeräumten Ermessens stellen sich die
Verwaltungsanweisungen des BMF als Ermessensleitlinien dar.
Dabei ist zu würdigen, dass der Antragsgegner mit seiner Antragserwiderung zu
erkennen gegeben hat, dass er sich nicht allein an den durch den Anwendungserlass
vorgegebenen Betragsgrenzen für seine Entscheidung über die Offenbarung orientiert
hat. Vielmehr hat er darüber hinaus darauf abgestellt, dass die Antragstellerin als
Mitglied der Finanzverwaltung in besonderer Weise zur Steuerehrlichkeit verpflichtet sei
und sich ihre unrichtigen Angaben über insgesamt acht Veranlagungszeiträume
erstreckten. Schließlich hat er berücksichtigt, dass die Selbstanzeige als
Minderungsgrund im Rahmen des Disziplinarverfahrens herangezogen werden kann. Die
gegen die Regelung des Tz. 8.6 Satz 4 des Anwendungserlasses zu § 30 AO erhobenen
Einwände, insbesondere sie sei zu weitgehend, zu starr und lasse unberücksichtigt, dass
Selbstanzeigen disziplinarrechtlich als Minderungsgrund angesehen würden (z. B. Joecks
in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 6. Auflage 2004, § 371 Rz. 218e; Drüen in
Tipke/Kruse, AO, § 30 Tz. 141; ders., ZBR 2002, 115 [122 f.]; Tormöhlen in
Beermann/Gosch, AO, § 30 Rz. 137; Brauns in Festschrift für Kohlmann, Köln 2003, S.
387 [407]), können daher gegen den Antragsgegner nicht erhoben werden.
Gleichwohl tragen die vom Antragsgegner angestellten Erwägungen die von ihm
beabsichtigte Maßnahme nicht. Sie lassen keine ausreichend sachgerechte Ausübung
des dem Antragsgegner eingeräumten Ermessens erkennen.
Bei der Auslegung des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO ist zu berücksichtigen, dass das
Steuergeheimnis durch das Grundrecht des Steuerpflichtigen aus Artikel 2 Abs. 1
Grundgesetz - GG - in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich fundiert
ist (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Urteil vom 17.07.1984 2 BvE 11, 15/83,
Sammlung der Entscheidungen des BVerfG - BVerfGE - 67, 100 [142], BStBl. II 1984,
634). Dem steht allerdings gegenüber, dass dem öffentlichen Interesse an der
Reinhaltung und Aufrechterhaltung der Vertrauenswürdigkeit der Beamtenschaft ein
hoher Rang zuzumessen ist (OVG NW, Beschluss vom 04.05.2000, 12d A 4145/99.O,
31
32
33
34
hoher Rang zuzumessen ist (OVG NW, Beschluss vom 04.05.2000, 12d A 4145/99.O,
Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport - NVwZ-RR - 2001, 775).
Daher erscheint es nicht gerechtfertigt, einem der beiden Rechtsgüter den absoluten
Vorrang einzuräumen. Vielmehr sind sie im Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Dazu
erscheint es im Rahmen des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO als sachgerecht darauf abzustellen, ob
die Vorgänge, deren disziplinare Überprüfung in Rede steht, ihrer Art nach oder aus
Gründen des Einzelfalles von erheblichem disziplinarem Gewicht sind. Dieses Gewicht
muss eine nähere dienstrechtliche Prüfung unabhängig von der Herkunft der zugrunde
liegenden Informationen grundsätzlich unabweisbar erscheinen lassen. Dazu muss die
mitteilende Stelle in einer Art Schlüssigkeitsprüfung bewerten, ob die ihr vorliegenden,
an sich dem Steuergeheimnis unterliegenden Informationen generell geeignet sind, eine
im förmlichen Verfahren zu verhängende Disziplinarmaßnahme von Gewicht zu tragen.
Dabei ist insbesondere an eine reinigenden Maßnahme wie die Entfernung aus dem
Dienst oder zumindest eine Degradierung zu denken (OVG NW in NVwZ-RR 2001, 775;
Urteil vom 20.05.2006 21d A 3905/05.O, ZBR 2006, 420; Drüen, ZBR 2002, 115 [123]).
Eine Kürzung der Dienstbezüge sieht das Gericht nicht als ausreichend an. In diesem
Sinne versteht es auch die vorstehend zitierten Entscheidungen des OVG NW.
Derartige detaillierte Überlegungen zu möglichen disziplinarrechtlichen Folgen hat der
Antragsgegner nach Aktenlage nicht angestellt. Daher erscheint die beabsichtigte
Mitteilung der Erkenntnisse aus dem Steuerstrafverfahren nach Aktenlage als
ermessenswidrig, da sie auf einer unvollständigen Ermittlung und Würdigung des
Sachverhalts beruht. Der Antragsgegner kann sich in diesem Zusammenhang nicht auf
den bei ihm fehlenden Sachverstand berufen. Die Senatsverwaltung für Finanzen leitet
fortlaufend Disziplinarverfahren für die in ihrem Verantwortungsbereich tätigen Beamten
ein und ist daher mit der einschlägigen Rechtsprechung der Disziplinarkammer des
Verwaltungsgerichts bzw. des Disziplinarsenats des Oberverwaltungsgerichts vertraut.
Ggf. muss der Antragsgegner bei der Senatsverwaltung eine Stellungnahme über die zu
erwartenden Disziplinarmaßnahmen einholen.
Jedenfalls erscheint zweifelhaft, dass ein gegen die Antragstellerin eingeleitetes
Disziplinarverfahren zu einer Zurückstufung im Sinne des § 9 BDG oder gar zu einer
Entfernung aus dem Dienstverhältnis gemäß § 10 BDG führen würde. Die insoweit nur
eingeschränkt mögliche Prüfung ist als Wesenszug des summarischen Verfahrens nach
§ 114 FGO hinzunehmen.
Dementsprechend kann das Gericht anhand der vorliegenden Akten nicht genau
ermitteln, wie hoch die hinterzogenen Steuern waren. Die hinterzogene
Einkommensteuer 2001 bis 2003 belief sich auf 5.895,00 €. Für 2004 ist die
Antragstellerin vom Versuch der Steuerhinterziehung in Höhe von 2.710,00 €
zurückgetreten. Für die Vorjahre schätzt das Gericht, dass sich die Einkünfte der
Antragstellerin erst allmählich auf das Niveau der nachfolgenden Jahre erhöht haben, so
dass auch kein so großes Potential für Steuerhinterziehungen bestand. Für die Zwecke
des hiesigen Verfahrens schätzt es den Steuerausfall auf rund 4.000,00 €, so dass sich
ein gesamter eingetretener steuerlicher Schaden von rund 10.000,00 € ergibt. Daneben
dürfte der vom Antragsgegner angenommene Versuch der
Einkommensteuerhinterziehung 2004 nicht von nennenswertem Gewicht sein, weil die
Antragstellerin insoweit strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten ist.
Davon ausgehend ist festzustellen, dass sich in der disziplinargerichtlichen Judikatur der
letzten Jahre, soweit sie für das Gericht zugänglich ist, kaum ein vergleichbarer Fall
findet, in dem die Disziplinargerichte auf eine Zurückstufung oder Entfernung aus dem
Dienst erkannt hätten. Sofern die Disziplinargerichte in Fällen der Steuerhinterziehung
durch Finanzbeamte, die durch Selbstanzeigen im Sinne des § 371 AO bekannt wurden,
auf eine Zurückstufung erkannt haben, lag der steuerliche Schaden in der Regel etwa
um das Doppelte oder das Mehrfache über dem von der Antragstellerin verwirklichten
Schaden (OVG NW, Urteile vom 27.08.2002 15d A 1836/01.O, juris: 100.000,00 DM; vom
27.08.2002 15d A 2517/01.O, juris: 40.000,00 DM; Beschluss vom 25.09.2002 12d A
3598/00.O, juris: 134.000,00 DM; Urteil vom 13.11.2002 15d A 4131/01.O, juris:
41.000,00 DM; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.04.2005 3 A 12188/04, 3 A 12224/04,
ZBR 2005, 430: 154.000,00 DM). Lediglich im Urteil vom 12.11.2001 15d A 5014/99.O,
Der Öffentliche Dienst - DÖD - 2002, 258 hat das OVG NW bei einem als Betriebsprüfer
tätigen Steueramtmann eine Zurückstufung um eine Gehaltsstufe als angemessen
angesehen (kritisch zu dieser Entscheidung Brauns in Festschrift für Kohlmann, Köln
2003, S. 387 [405]). Demgegenüber ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass die
Antragstellerin nicht mit der Verwaltung der Einkommensteuer betraut ist, ... . All dies
legt nahe, dass sich eine disziplinarische Ahndung auf eine Kürzung der Dienstbezüge
gemäß § 8 BDG beschränken würde. Jedenfalls erscheint es zweifelhaft, dass es zu einer
einschneidenderen Disziplinarmaßnahme kommen würde. Damit fehlt es an Gründen,
35
36
37
einschneidenderen Disziplinarmaßnahme kommen würde. Damit fehlt es an Gründen,
die eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses als unabweisbar erscheinen lassen.
Das Gericht hat von einer weitergehenden zeitlichen Begrenzung der
Anordnungswirkung abgesehen, da dem Antragsgegner das Antragsrecht gemäß § 114
Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 926 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO - zusteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Das Gericht hat gemäß § 128 Abs. 3 in Verbindung mit § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die
Beschwerde zugelassen. Die hier aufgeworfenen Rechtsfragen sind höchstrichterlich
ungeklärt.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum