Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017

FG Berlin: gesellschafter, negatives interesse, rechtsschein, gesellschaftsvertrag, einspruch, handelsrecht, steuerfestsetzung, kaufmann, sammlung, personengesellschaft

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Gericht:
FG Berlin 1. Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahre:
1991, 1992
Aktenzeichen:
1 K 1386/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 421 BGB, § 427 BGB, § 128
HGB
Haftung des Gesellschafters einer GbR für deren
Steuerschulden aufgrund eines von ihm hinsichtlich seiner
Gesellschafterstellung erzeugten Rechtsscheins bei
rechtzeitiger Beseitigung dieses Scheins
Tatbestand
Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte die Klägerin zu Recht als
Mitgesellschafterin einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts wegen Steuerschulden der
Gesellschaft als Haftende in Anspruch nehmen durfte bzw., ob er dies aus dem Grund
eines von der Klägerin hinsichtlich ihrer Gesellschafterstellung erzeugten Rechtsscheins
durfte.
Am 14. Juni 1991 ging beim Beklagten die Mitteilung über die Gewerbeanmeldung einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts -GbR- Hxxx x xxx gegenüber dem Bezirksamt Kxxx ein.
Diese GbR sollte sich aus der Klägerin und der Beigeladenen des Klageverfahrens 1 K
1xxx/04 (wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
1991), Frau xxx Hxxx, zusammensetzen. Der zweimaligen Aufforderung des Beklagten
an die Klägerin, eine steuerliche Anmeldung einzureichen, folgte diese nicht.
Nach der im Oktober 1993 erfolgten Mitteilung über die zwischenzeitlich erfolgte
Gewerbeabmeldung schrieb der Beklagte im Juni 1994 an die Klägerin, dass sie nach den
Mitteilungen des Bezirksamts in der Zeit vom 28. Januar 1991 bis zum 31. Januar 1992
an der GbR Hxxx x xxx beteiligt gewesen sei. Gleichzeitig wurde sie gebeten, die noch
ausstehenden steuerlichen Erklärungen für 1991 einzureichen. Auch dieser Aufforderung
kam die Klägerin nicht nach.
Am 13. September 1994 erließ der Beklagte einen Bescheid über Umsatzsteuer für
1991 gegenüber der "GbR Hxxx x xxx" und gab ihn in jeweils einer Ausfertigung der
Klägerin wie auch ihrer - angeblichen - Mitgesellschafterin Hxxx bekannt. Dabei wurden
die Besteuerungsgrundlagen mangels Abgabe einer Steuererklärung geschätzt, mit 71
600,00 DM an steuerpflichtigen Lieferungen, sonstigen Leistungen und Eigenverbrauch
und einer hierauf entfallenden Umsatzsteuer in Höhe von 14 %, entsprechend 10 024,00
DM. Hiervon zog der Beklagte 200,00 DM an Vorsteuerbeträgen ab sowie einen
Kürzungsbetrag nach § 13 Berlinförderungsgesetz -BerlinFG- in Höhe von 720,00 DM und
setzte somit eine Umsatzsteuer von 9 104,00 DM fest.
Am 15. September 1994 erließ er einen Bescheid auch für 1992 mit einer
Steuerfestsetzung von 1 166,00 DM, auch insoweit nach geschätzten
Besteuerungsgrundlagen.
Einsprüche wurden gegen diese Steuerbescheide nicht eingelegt.
Für die GbR wurden im streitbefangenen Zeitraum 1991/Anfang 1992 auch keine
Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Für 1991 wie auch 1992 setzte der Beklagte
deshalb Umsatzsteuervorauszahlungen aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen
fest, quartalsweise für 1991 und monatsweise für 1992, jedoch nach dem Inhalt der erst
im Verhandlungstermin vom 14. Juli 2005 vorgelegten Umsatzsteuer-
Voranmeldungsakte erstmals für den Voranmeldungszeitraum August 1992 gegenüber
der GbR Hanke & Fels (durch Bescheid vom 16. November 1992), während die
Bescheide für vorangegangene Zeiträume eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts "Hxxx,
Axxx u. Oxxx, Axxx" betrafen.
Mit einem Schreiben vom 22. November 1994 kündigte der Beklagte an, die Klägerin
wegen der rückständigen Steuerschulden und Nebenleistungen als Gesellschafterin der
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wegen der rückständigen Steuerschulden und Nebenleistungen als Gesellschafterin der
GbR gemäß §§ 427, 421 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- in Haftung nehmen zu wollen
und gab ihr Gelegenheit, sich hierzu binnen drei Wochen zu äußern.
Daraufhin erwiderte die Klägerin mit einem Schreiben ihrer damaligen Bevollmächtigten,
dass sie von Frau Hxxx lediglich eine Vergütung für die Hingabe ihres Meistertitels
erhalten habe, sodass es sich (bei dem Steuerpflichtigen) nicht um eine Gesellschaft
bürgerlichen Rechts gehandelt habe, sondern um ein Einzelunternehmen, weshalb sie
nicht zur Haftung herangezogen werden könne.
Der Beklagte folgte dem nicht und erließ am 8. Juni 1995 einen Haftungsbescheid
gegenüber der Klägerin über insgesamt 14 787,81 DM betreffend die Steuern und
steuerlichen Nebenleistungen, die im Einzelnen in einer Anlage aufgeführt waren, die
Bestandteil des Haftungsbescheides war (s. Bl. 60 ff., 62 d. Umsatzsteuerakten) und auf
die Bezug genommen wird.
Zur Begründung gab der Beklagte an, dass sehr wohl von einer GbR auszugehen sei, da
ohne die Beteiligung der Klägerin unter Berücksichtigung der Handwerksordnung das
Friseurgeschäft gar nicht zu betreiben gewesen wäre. Die weitere Gesamtschuldnerin
Hxxx werde in Anspruch genommen, sobald deren Aufenthaltsort ermittelt worden sei.
Den hiergegen fristgerecht eingelegten Einspruch begründete die Klägerin damit, dass
ihre Haftung nach einem Zusatzvertrag vom 5. Februar 1991 zum Gesellschaftsvertrag
ausgeschlossen sei.
Hinsichtlich der Vertragstexte des Gesellschaftsvertrags wie auch des Zusatzvertrags
wird auf Bl. 36 ff. der Streitakte sowie auf Bl. 71 der Umsatzsteuerakte verwiesen, wobei
der von der Klägerin in Kopie vorgelegte Gesellschaftsvertrag eine offenbar später
vorgenommene Umschreibung auf einen anderen Vertragspartner enthält, die für das
vorliegende Verfahren unbeachtlich ist.
Die Klägerin führt hierzu aus, sie habe nur ihren Meistertitel zur Verfügung gestellt, wie
bei Friseurbetrieben durchaus üblich. Erst als man die streitgegenständlichen Steuern
bei Frau Hxxx nicht habe beitreiben können, habe das Finanzamt nach einer weiteren
Steuerschuldnerin gesucht. Erst dann habe man mit der Auskunft des Bezirksamts Kxxx
gemeint, eine gesamtschuldnerische Haftung gegenüber der Klägerin begründen zu
können. Diese Vorgehensweise sei rechtlich fehlerhaft. Die von der Klägerin geleistete
Hilfestellung dahingehend, Frau Hxxx die Zulassung zum Betreiben eines
Friseurfachgeschäfts nach der Handwerksordnung zu verschaffen, könne isoliert
betrachtet rechtswidrig gewesen sein. Ordnungswidrigkeiten nach der
Handwerksordnung könnten jedoch nicht automatisch auch eine gesamtschuldnerische
Haftung in steuerrechtlicher Hinsicht begründen. Die Klägerin habe die vertragliche
Vereinbarung mit Frau Hxxx nur zur Vorlage beim Bezirksamt unterzeichnet und danach
sofort eine Aufhebungsvereinbarung getätigt, bevor Frau Hxxx überhaupt in der Lage
gewesen wäre, das streitgegenständliche Friseurfachgeschäft zu betreiben und
steuerpflichtige Rechtsgeschäfte auszulösen. Die Klägerin habe noch nicht einmal einen
Rechtsschein gesetzt, aus dem heraus der Beklagte bei Entstehen der
streitgegenständlichen Steuerschulden davon habe ausgehen müssen bzw. können,
dass auch die Klägerin neben Frau Hxxx Geschäftsinhaberin gewesen sei.
Mit Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2000 minderte der Beklagte die
Haftungssumme auf 12 868,00 DM hinsichtlich der bis dahin von der Haftung mit
umfassten Teilbeträge wegen Umsatzsteuer 1990, Verspätungszuschlag zur
Umsatzsteuer 1990 sowie Verspätungszuschläge zur Umsatzsteuer für die Monate ab
Februar 1992.
Im Übrigen wies er den Einspruch als unbegründet zurück, weil die Klägerin als
Gesellschafterin der GbR zivilrechtlich aus den §§ 421 und 427 BGB hafte. Sie müsse
demnach für die Umsatz- und Lohnsteuerschulden der Gesellschaft einstehen, die vom
28. Januar 1991 bis zum 31. Januar 1992 entstanden seien. Eine Vereinbarung der
Gesellschafter untereinander, dass ein Gesellschafter ganz oder teilweise aus der
Haftung genommen werde, sei Dritten gegenüber unwirksam, da gemäß § 421 BGB alle
Gesellschafter zur Bewirkung der Leistung verpflichtet seien. Derartige Vereinbarungen
berührten nur das Innenverhältnis der Gesellschaft. Das Finanzamt könne die Leistung
nach seinem Belieben von jeder der ehemaligen Gesellschafterinnen der GbR ganz oder
zum Teil fordern.
Die Behauptung der Klägerin, sie sei nie Gesellschafterin einer GbR gewesen, sei durch
den vorgelegten Ergänzungsvertrag zum Gesellschaftsvertrag und durch das Verhalten
der Klägerin gegenüber dem Finanzamt bis zum Erlass des Haftungsbescheides
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der Klägerin gegenüber dem Finanzamt bis zum Erlass des Haftungsbescheides
widerlegt. In dem den Gesellschaftsvertrag ergänzenden Vertrag werde die Klägerin als
Gesellschafterin bezeichnet. Weiterhin werde dort ein Gewinnanteil der Klägerin
vereinbart. Ferner heiße es dort, dass Änderungen des Vertrages der Schriftform
bedürften. Eine Aufhebungsvereinbarung sei jedoch nie vorgelegt worden. Auch spreche
das Verhalten der Klägerin gegenüber dem Finanzamt gegen ihre Behauptung, nie
Gesellschafterin gewesen zu sein, da sie selbst nach Erhalt des Feststellungsbescheides
für 1991 zwar Einspruch eingelegt, nicht jedoch - so sinngemäß - der Annahme einer
BGB-Gesellschaft und ihrer Behandlung als Gesellschafterin widersprochen habe. Erst
bei der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid habe sie vorgetragen, nie
Gesellschafterin gewesen zu sein. Derjenige, der dem Finanzamt gegenüber als
Gesellschafter einer Personengesellschaft auftrete, müsse sich nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -BFH- nach dem Maß des von ihm erweckten
Rechtsscheins als Gesellschafter behandeln lassen, was auch hinsichtlich der Haftung
gelte. Der Beklagte bezieht sich hierzu auf zwei Entscheidungen des BFH vom 20. Januar
1977, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1977, 364 und vom 4. März 1986, Sammlung amtlich
nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1986, 646.
Mit der fristgerecht erhobenen Klage macht die Klägerin weiter geltend, nicht
Gesellschafterin einer GbR Hxxx x xxx gewesen zu sein.
Die Klägerin hat beantragt,
den Haftungsbescheid vom 8. Juni 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 13. Juli 2000 aufzuheben,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen,
sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für
notwendig zu erklären.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf die Gründe der Einspruchsentscheidung und verweist auf den von der
Klägerin unterschriebenen Gesellschaftsvertrag. Außerdem hat er schriftsätzlich erklärt,
dass er ergänzend nach § 102 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- darauf hinweise,
dass die Haftungsinanspruchnahme innerhalb der nach § 5 Abgabenordnung -AO- zu
beachtenden Ermessensgrenzen erfolgt sei. Da die Tilgung der Rückstände durch die
Steuerschuldnerin nicht habe erreicht werden können insbesondere deshalb, weil die
GbR zum 31. Januar 1992 aufgelöst worden sei, sei es ermessensgerecht gewesen, die
Klägerin mit dem vollen Betrag zur Haftung heranzuziehen. Sie sei lt.
Gesellschaftsvertrag vom 21. Januar 1991 zu 30 v. H. und damit zu einem wesentlichen
Teil an der GbR beteiligt gewesen und habe somit bestimmenden Einfluss auf die
Geschäftsführung ausüben können.
Eine Überprüfung der Haftungsinanspruchnahme der anderen Gesellschafterin habe erst
nach der erfolgreichen Ermittlung der Postanschrift erfolgen können. Insoweit seien die
Ausführungen in der Einspruchsentscheidung, wonach das Finanzamt die Leistung nach
seinem Belieben von jeder der ehemaligen Gesellschafterinnen der GbR ganz oder zum
Teil fordern könnte, lediglich das Zitat der haftungsbegründenden Gesetzesnorm und
keine abschließende Ermessenserwägung.
Dem Senat haben bei seiner Entscheidung drei Bände der vom Beklagten zur
Steuernummer xxx (früher: xxx) geführten Steuerakten (je ein Band Feststellungs-,
Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerakten) vorgelegen sowie ein Band
Umsatzsteuervoranmeldungsakten zur Steuernummer xxx.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und auch begründet.
Die Klägerin ist durch die Inanspruchnahme mit Haftungsbescheid vom 8. Juni 1995 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2000 in ihren Rechten verletzt.
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Nach ständiger Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit haftet der Gesellschafter einer
Gesellschaft bürgerlichen Rechts für die Steuerschulden der Gesellschaft auf der
Rechtsgrundlage der §§ 421, 427 BGB bzw. nach neuerer Auffassung nach § 128
Handelsgesetzbuch -HGB- analog.
Im Streitfall ist eine Haftung der Klägerin als Gesellschafterin aber deshalb
ausgeschlossen, weil keine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zustande gekommen ist,
wie dies der Senat in seinem Urteil vom selben Tag in Sachen der Klägerin wegen
einheitlicher und gesonderter Einkünftefeststellung 1 K 1xxx/04 im Einzelnen ausgeführt
hat. Auf die Gründe jenes Urteils, dort Bl. 6 - 7, die dem vorliegenden Urteil nochmals
beigeheftet sind, wird insoweit verwiesen.
Eine Inanspruchnahme der Klägerin wegen Haftung könnte sich deshalb nur auf
Rechtsscheingesichtspunkte gründen, die der Beklagte in der Einspruchsentscheidung
mit angeführt hat. Die Voraussetzungen einer Rechtsscheinhaftung liegen nach
Auffassung des Senats im Streitfall jedoch nicht vor.
Die Rechtsscheinhaftung hat ihren Ursprung im Handelsrecht. Wird die Eigenschaft als
Kaufmann oder das Bestehen einer (Handels-) Gesellschaft vorgetäuscht, führt dies
nach herrschender Lehre zur sog. Rechtsscheinhaftung (vgl. Baumbach/Hopt, HGB § 5
Tz. 9). Sie ist Teil der Vertrauenshaftung (Hopt a. a. O.), gründet also auf den gesetzten
Rechtsschein, der zu einem berechtigten Vertrauen Dritter in den Scheintatbestand
führt. Die Lehre von der Rechtsscheinhaftung ist von der Rechtsprechung auch für
andere Rechtsgebiete übernommen worden, s. etwa die im Tatbestand angeführten
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BStBl II 1977, 364 und BFH/NV 1986/646) sowie
Finanzgericht München, Urteil 14 K 5376/01 vom 1. April 2004, nicht veröffentlicht, und
Bundessozialgericht, Urteil vom 12. November 1986 IX B RU 8/84. Nach dem
letztzitierten Urteil ist der Rechtsgrundsatz einer Haftung aus Rechtsschein aufgrund
eines zum Schein geschlossenen Gesellschaftsvertrags im Zivilrecht allgemein
anerkannt. Das Rechtsinstitut des Rechtsscheins gelte ebenso im öffentlichen Recht und
sei als haftungsbegründender Tatbestand auch im Sozialrecht anwendbar.
Im Leitsatz des (im BFH-Urteil vom 4. März 1986 VII R 133/80 als Grundsatzurteil
bezeichneten) Urteil des V. Senats des BFH vom 20. Januar 1977 heißt es: "Wer sich
dem Finanzamt gegenüber als Gesellschafter einer Personengesellschaft geriert, muss
sich auch bei Nichtbestehen der Gesellschaft nach dem Maß des von ihm erweckten
Rechtsscheins als Gesellschafter behandeln lassen". Die anderen Urteile aus der
Finanzrechtsprechung folgen dieser Formel.
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung stellt sich die Frage, ob die Klägerin überhaupt
gegenüber dem Finanzamt einen Rechtsschein gesetzt hat und wenn, ob das Maß des
von ihr erweckten Rechtsscheins derart war, dass es eine Haftungsinanspruchnahme
erlaubt oder gebietet.
Der Senat bejaht diese Fragen. Als die Klägerin zusammen mit ihrer Vertragspartnerin
Hxxx eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zum Betriebe des Friseurhandwerks beim
Bezirksamt anmeldete, musste ihr aufgrund ihrer beruflichen Erfahrung klar sein, dass
das Bezirksamt diese Information, wie erkennbar auch tatsächlich geschehen, an die
Finanzverwaltung weiterleiten würde. Nur so ließ sich auch die an sie ergangene
Aufforderung des Beklagten erklären, die GbR steuerlich anzumelden. Mit der an die
Finanzverwaltung weitergeleiteten Gewerbeanmeldung und den geraume Zeit
währenden passiven Verhalten gegenüber dem Beklagten, bei dem sie trotz mehrfach
gegebenen Anlasses nicht richtig stellte, dass es die GbR nicht gab, hat die Klägerin
nach Auffassung des Senats gerade auch gegenüber dem Finanzamt den Rechtsschein
des Bestehens einer GbR gesetzt. Der Senat ist auch der Auffassung, dass die
Verhaltensweise der Klägerin ausreicht, um ein haftungsbegründendes "Maß" des von ihr
erweckten Rechtsscheins im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
zu erfüllen. Dabei geht der Senat davon aus, dass sich ein Maß des erweckten
Rechtsscheins nach der Häufigkeit des diesbezüglichen Handelns (oder Unterlassens),
seiner Nachhaltigkeit und seiner Intensität bestimmen kann. Wenn im vorliegenden
Streitfall die Klägerin auch deutlich weniger an aktivem rechtsscheinbegründendem Tun
entfaltet hat, als dies bei den Sachverhalten der Fall war, die dem Bundesfinanzhof bzw.
dem Finanzgericht München in den bereits zitierten Entscheidungen zur Beurteilung
vorlagen, ist der Senat gleichwohl der Auffassung, dass das Verhalten der Klägerin zur
Begründung einer Haftung aufgrund Rechtsscheins deshalb ausreicht und in der
Besteuerungspraxis ausreichen muss, weil sie den Beklagten gewissermaßen auf die
falsche Schiene gesetzt hat, der zunächst gar keine Veranlassung hatte,
Steuerbescheide gegenüber der Einzelunternehmerin Hxxx zu erlassen anstatt
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Steuerbescheide gegenüber der Einzelunternehmerin Hxxx zu erlassen anstatt
gegenüber der GbR.
Gleichwohl erachtet der Senat den Haftungsbescheid für rechtswidrig, weil die Klägerin
mit ihrem unter Vorlage der ergänzenden Vereinbarung vom 5. Februar 1991
begründeten Einspruch gegen den Haftungsbescheid diesen Rechtsschein zerstört hat.
Wie bereits in den Gründen des Urteils im Verfahren 1 K 1xxx/04 wegen einheitlicher und
gesonderter Feststellung vom Senat ausgeführt, hätte der Beklagte bei zutreffender
Würdigung dieser ergänzenden Vereinbarung zu dem Schluss gelangen müssen, dass
die beim Bezirksamt angemeldete GbR rechtlich tatsächlich nicht existierte.
Unzweifelhaft wirkt eine solche Beseitigung des Rechtsscheins für die Zukunft. Der Senat
ist der Auffassung, dass darüber hinaus die Beseitigung des Rechtsscheins aber auch
dann für Zeiträume in der Vergangenheit beachtlich ist, wenn und soweit das Finanzamt
verfahrensrechtlich noch in der Lage ist, in angemessener Zeit die zutreffenden
rechtlichen Folgerungen aus der neu gewonnenen Erkenntnis zu ziehen. Da mangels der
Nichtabgabe von Steuererklärungen für den streitbefangenen Zeitraum die
Festsetzungsfristen im Zeitpunkt der Rechtsscheinbeseitigung im November 1995
sämtlich noch mehrere Jahre liefen, hätte der Beklagte keine Schwierigkeiten gehabt,
Steuerbescheide gegenüber der Vertragspartnerin der Klägerin als tatsächlich
handelnder Einzelunternehmerin noch zu erlassen.
Anders könnte der Rechtsfall ggf. beurteilt werden, wenn greifbare Anhaltspunkte dafür
vorlägen, dass die aufgrund des gesetzten Rechtsscheins sich ergebende Verzögerung
bei der Steuerfestsetzung gegenüber dem wahren Steuerschuldner zu einem
Steuerausfall im Erhebungsverfahren führen würde. Nach dem sich aus den vorgelegten
Steuerakten im Streitfall ergebenden Gesamtbild, gab es solche greifbaren
Anhaltspunkte aber gerade nicht: Umsatzsteuervoranmeldungen wurden nicht
abgegeben, auf festgesetzte Umsatzsteuervorauszahlungen wurden keine Zahlungen
mehr geleistet. Das angemeldete Gewerbe wurde nach nur einem Jahr wieder
abgemeldet, die von der Vertragspartnerin Hxxx daraus erzielten Gewinne wurden vom
Beklagten - wohl zu Recht - sehr niedrig geschätzt. Frau Hxxx war offenbar auch
postalisch für den Beklagten über eine längere Zeit nicht erreichbar mangels Kenntnis
einer zutreffenden Adresse.
Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites unbeachtlich ist nach Auffassung
des Senats, dass im Handelsrecht die Rechtsscheinhaftung auf das positive Interesse
geht, d. h. bewirkt, dass sich derjenige, der den Rechtsschein zurechenbar gesetzt hat,
dem gutgläubigen Dritten gegenüber, der sich bei seinem geschäftlichen Verhalten auf
den Rechtsschein verlassen hat, nicht auf die wahre Rechtslage berufen kann. Die
Wirkung des Rechtsscheins beschränkt sich dort also nicht auf den bloßen
Vertrauensschaden (negatives Interesse) (s. Hopt a. a. O. Tz. 14). Diese Ausformung der
Lehre von der Rechtsscheinhaftung erscheint für das Handelsrecht als Teil des
Zivilrechts gerechtfertigt, weil sich dort einander gleichgeordnete Zivilrechtssubjekte
gegenübertreten, die im Rahmen der Vertragsfreiheit grundsätzlich über zwischen ihnen
gewollte Ansprüche und Verbindlichkeiten nach Grund, Höhe und Art selbst bestimmen
können. Wer dort als Kaufmann oder als Gesellschaft auftritt, soll dann aufgrund des
geschaffenen Vertrauenstatbestandes auch für die vereinbarten Rechtsfolgen einstehen
müssen. Diese Überlegungen und Wertungen passen nach Auffassung des Senats aber
nicht auf die gesetzlich begründeten Ansprüche im Steuerrechtsverhältnis. Ein
Einstehenmüssen als Haftender für materiell nicht entstandene Steueransprüche
(gegenüber der GbR) lässt sich nach Auffassung des Senats nur rechtfertigen, wenn
dem Fiskus anderenfalls ein durch den Rechtsscheinsetzenden verursachter und vom
Finanzamt nicht durch Steuerfestsetzung gegenüber dem zutreffenden Steuerpflichtigen
zu beseitigender Schaden entstünde.
Der Senat weist darauf hin, dass der angefochtene Haftungsbescheid in Gestalt der
Einspruchsentscheidung auch dann teilweise hätte aufgehoben werden müssen, wenn
die Klägerin aus Rechtsscheingründen haftete. Aus der Anlage zum Haftungsbescheid ist
ersichtlich, dass sich die Haftungsinanspruchnahme u. a. auf die
Umsatzsteuervorauszahlungen für das II., III. und IV. Quartal 1991 bezog. Diese drei
Vorauszahlungen machen mit den dazu festgesetzten Verspätungszuschlägen schon
bereits den überwiegenden Teil des Gesamthaftungsbetrages aus. Der Blick in die
Umsatzsteuervoranmeldungsakte zeigt dabei, dass diese
Umsatzsteuervorauszahlungen nicht gegenüber der GbR Hxxx x xxx festgesetzt waren,
sondern gegenüber einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bestehend aus Frau Hxxx
und Herrn Axxx Oxxx. Zumindest aus dem Grund der Verschiedenheit der
Steuersubjekte kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass an die Stelle einer
Haftungsinanspruchnahme für Umsatzsteuervorauszahlungen gegenüber dieser
letztgenannten Gesellschaft automatisch eine Inanspruchnahme wegen der
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letztgenannten Gesellschaft automatisch eine Inanspruchnahme wegen der
Umsatzsteuerjahresfestsetzung für 1991 gegenüber der Hxxx x xxx GbR treten könnte
und würde.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er seiner Entscheidung grundsätzliche
Bedeutung im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zumisst, soweit es die Ausführungen zur
rückwirkenden Beseitigung einer Rechtsscheinhaftung angeht, die jedenfalls zumindest
hinsichtlich eines Teils der Haftungsinanspruchnahme (etwa wegen Umsatzsteuer 1992)
im vorliegenden Fall entscheidungserheblich sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO und schließt wegen der insoweit
erfolgten Übertragung nach § 143 Abs. 2 FGO auf den Senat die Kosten des
Revisionsverfahrens mit ein.
Die Entscheidung über die notwendige Hinzuziehung eines Bevollmächtigen zum
Vorverfahren beruht auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
Den Streitwert hat das Gericht gemäß §§ 25, 13 Gerichtskostengesetz -GKG- a. F.
bestimmt.
Die Nebenentscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die
Abwendungsbefugnis des Beklagten ergeben sich aus §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO, 708 Nr.
10 und 711 Zivilprozessordnung -ZPO-.
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