Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 07.11.2007

FG Berlin-Brandenburg: zessionar, rücknahme der klage, abtretung, zedent, rückforderung, geschäftsführer, rückzahlung, vorsteuerabzug, vollstreckung, einspruch

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Gericht:
Finanzgericht Berlin-
Brandenburg 5.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2001
Aktenzeichen:
5 K 5253/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 37 Abs 2 S 3 AO, § 46 Abs 5
AO, § 46 Abs 3 AO, § 44 AO, § 5
AO
(Rückforderung eines abgetretenen
Umsatzsteuererstattungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO vom
Zedenten: bei unwirksamer Abtretung, Rangverhältnis zwischen
Zessionar und Zedent)
Tenor
Der Abrechnungsbescheid vom 7.11.2007 wird unter Aufhebung der
Einspruchsentscheidung vom 24.8.2009 dahingehend geändert, dass eine
Umsatzsteuerschuld 2001 von 0,00 € festgestellt wird.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
zu erstattenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin machte in ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für das IV. Quartal 2001 einen
Vorsteuerabzug in Höhe von 115.328 DM (58.966,68 €) aus einer Rechnung der X-GbR
vom 13.11.2001 geltend und legte eine Abtretungsanzeige vom 7.1./14.1.2002
zugunsten der X-GbR vor. Die Abtretungsanzeige war nur von dem Geschäftsführer A
der persönlich haftenden Gesellschafterin der Klägerin, der Y-GmbH, unterschrieben,
obgleich die GmbH nur durch die Geschäftsführer A und B gemeinsam oder durch einen
Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen vertreten werden konnte. Der
abgetretene Betrag von 58.966,68 € wurde am 1.3.2002 an den Zessionar ausgezahlt.
Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung
versagte der Beklagte den Vorsteuerabzug aus der Rechnung vom 13.11.2001 mangels
hinreichender Bezeichnung des Leistungsgegenstands und setzte die Umsatzsteuer
2001 geändert auf -78,23 € fest. Der Umsatzsteuerbescheid 2001 ist nach Rücknahme
der unter dem Aktenzeichen 5 K 5252/09 anhängigen Klage bestandskräftig geworden.
Auf Antrag der Klägerin erließ der Beklagte am 7.11.2007 einen Abrechnungsbescheid,
der eine Forderung gegen die Klägerin in Höhe von 58.720,34 € auswies. Mit ihrem
hiergegen gerichteten Einspruch machte die Klägerin die Unwirksamkeit der
Abtretungserklärung geltend, da diese nur von einem der beiden Geschäftsführer der
persönlich haftenden Y-GmbH unterschrieben sei. Nachdem der Beklagte den
ausgezahlten Betrag von 58.966,68 € ohne Erfolg von der X-GbR zurückgefordert hatte,
wies er den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Er vertrat unter Hinweis auf §
37 Abs. 2 Satz 3 Abgabenordnung (AO) die Auffassung, dass die Inanspruchnahme der
Klägerin als Zedentin neben der – erfolglosen – Inanspruchnahme der Zessionarin
zulässig sei.
Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin aus, der Rückforderungsanspruch des
Beklagten möge zwar verfahrensrechtlich begründet sein, materiell-rechtlich sei er
jedoch nicht begründet. Der Beklagte habe sein Ermessen insofern fehlerhaft ausgeübt,
als er vor ihrer – der Klägerin – Inanspruchnahme nicht den Ausgang des
Klageverfahrens der X-GbR gegen den Rückforderungsbescheid abgewartet habe.
den Abrechnungsbescheid vom 7.11.2007 unter
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 24.8.2009 dahingehend zu
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Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 24.8.2009 dahingehend zu
ändern, dass eine Umsatzsteuerschuld 2001 von 0,00 € festgestellt wird.
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, zwischen Zessionar und Zedent bestehe eine gleichrangige
Gesamtschuldnerschaft mit der Folge, dass die Klägerin nicht nur nachrangig in
Anspruch genommen werden dürfe. Aber selbst wenn dem so wäre, hätte er – der
Beklagte – sein Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt, da - wie in der
Einspruchsentscheidung ausgeführt - zunächst die X-GbR in Anspruch genommen
worden und diesbezügliche Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos geblieben seien.
Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte ein Band
Vertragsakten und jeweils eine Heftung Rechtsbehelfsverfahren Umsatzsteuer 2001,
Umsatzsteuer 2002 und Abrechnungsbescheid vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig. Der Beklagte hat keinen
Anspruch auf Rückzahlung der Umsatzsteuer für 2001 gegen die Klägerin.
Gemäß § 218 Abs. 2 AO entscheidet die Finanzbehörde durch Verwaltungsakt über
Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis
betreffen. Dies gilt auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2
AO) betrifft. Obwohl der Abrechnungsbescheid lediglich die Frage der rechtmäßigen
Steuererhebung betrifft, gehört zu seinem Regelungsgegenstand auch die vorrangige
Frage, ob überhaupt und welche Zahlungsverpflichtungen wirksam begründet worden
sind (Klein/Rüsken AO § 218 Rz. 13).
Durch den Umsatzsteuerbescheid für 2001 vom 25.7.2005 wurde ein Anspruch
gegenüber der Klägerin in Höhe von 58.720,34 € wirksam begründet. Dies ist zwischen
den Beteiligten nach Rücknahme der Klage zum Aktenzeichen 5 K 5252/09 unstreitig.
Gleichwohl ist die Klägerin nicht zur Rückzahlung dieses Betrages verpflichtet, wovon der
Beklagte aber rechtsfehlerhaft in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid
ausgegangen ist.
Die Rückforderung der an die Zessionarin ausgezahlten Vorsteuererstattung richtet sich
nach § 37 Abs. 2 AO. Ist danach eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt
worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist – hier der
Beklagte – gegen den Leistungsempfänger – hier die X-GbR – einen Anspruch auf
Erstattung des gezahlten Betrages. Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund für
die Zahlung später wegfällt. Im Fall der Abtretung richtet sich der Anspruch nach § 37
Abs. 2 Satz 3 AO auch gegen den Abtretenden – hier die Klägerin. Mit der Anfügung des
Satzes 3 in § 37 Abs. 2 AO durch das Jahressteuergesetz 1996 sind Zessionar und
Zedent zu Gesamtschuldnern gemäß § 44 AO bestimmt worden. Die Finanzbehörde hat
also ein Auswahlermessen dahingehend auszuüben und spätestens in der
Einspruchsentscheidung zu begründen, wen sie in Anspruch nimmt. Streitig ist
allerdings, ob die Finanzbehörde dabei grundsätzlich zunächst den Zessionar in
Anspruch nehmen muss. Nach der Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf (Urteil vom
2.3.2007 18 K 4115/06, EFG 2000, 403), lässt sich dies weder aus dem Gesetzeswortlaut
noch aus der Gesetzesbegründung oder aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3
Grundgesetz entnehmen. Demgegenüber bejaht die überwiegende Auffassung in der
Literatur eine nur nachrangige Inanspruchnahme des Zedenten und begründet dies mit
der Rechtsprechung des BFH zur früheren Rechtslage (vor 1996), wonach allein der
Zessionar Leistungsempfänger sei, weil die Finanzbehörde nur an diesen habe zahlen
wollen und auch gezahlt habe. Da der Zedent somit nicht Leistungsempfänger sei,
könne der Rückforderungsanspruch grundsätzlich (nur) gegenüber dem Zessionar
geltend gemacht werden (Klein/Brockmeyer/Ratschow AO § 37 Rz. 30, 31; Schmieszek in
Beermann/Gosch AO § 37 Rz. 81; Drüen in Tipke/Kruse AO § 37 Tz. 118, jeweils unter
Hinweis auf Rechtsprechung des BFH). Etwas anderes soll allerdings dann gelten, wenn
der Leistungsempfänger zahlungsunfähig ist oder sich aus der Rückforderung beim
Leistungsempfänger nachteilige Folgen für den Abtretenden ergeben (Drüen in
Tipke/Kruse a.a.O. Tz. 119 unter Hinweis auf BR-Drucks. 304/95). Die Rechtsprechung ist
demgegenüber uneinheitlich. Einerseits bejaht der BFH im Urteil vom 19.8.2008 (VII R
36/07, BStBl II 2009, 90, 94) den Vorrang der Inanspruchnahme des Zessionars auch
nach der neuen Gesetzeslage (ebenso Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 25.11.2005 II
258/04, EFG 2006, 462; Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24.2.2005 2
K 739/01, EFG 2005, 1574), andererseits stellt er im Urteil vom 17.3.2009 (VII R 38/08,
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K 739/01, EFG 2005, 1574), andererseits stellt er im Urteil vom 17.3.2009 (VII R 38/08,
BStBl II 2009, 953) fest, dass das Finanzamt im Falle der Uneinbringlichkeit der
Forderung beim Zedenten berechtigt ist, diese gegenüber dem Zessionar geltend zu
machen, ohne dies jedoch näher zu begründen. Dies spricht gegen die grundsätzliche
Nachrangigkeit der Inanspruchnahme des Zedenten, vielmehr sogar für dessen
vorrangige Inanspruchnahme.
Die Frage danach, ob der Zedent überhaupt oder jedenfalls bei einer Uneinbringlichkeit
der Forderung beim Zessionar – die der Beklagte für den vorliegenden Fall behauptet –
in Anspruch genommen werden darf, kann im vorliegenden Fall letztendlich
unbeantwortet bleiben. Denn die Unzulässigkeit der Rückforderung des an die X-GbR
ausgezahlten Betrages gegenüber der Klägerin ergibt sich bereits daraus, dass die
Abtretung unstreitig formell unwirksam war. Dieser Rechtsmangel betrifft somit sowohl
das Verhältnis Zedent – Finanzamt als auch das Verhältnis Finanzamt – Zessionar. Dies
führt – auch bezogen auf den Anspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 3 AO – dazu, dass nur der
Zessionar die Leistung empfangen hat, weil die Finanzbehörde wegen der Unwirksamkeit
der Abtretung an den vermeintlichen Zessionar nicht mit befreiender Wirkung hat leisten
können. Die Rückzahlung kann sie deshalb nur von dem Zessionar verlangen
(Schmieszek in Beermann/Gosch a.a.O. Rz. 79; Klein/Brockmeyer/Ratschow a.a.O. Rz.
31, 26; Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 24.2.2005 2 K 739/01, EFG
2005, 1574).
Dem steht auch § 46 Abs. 5 AO nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung müssen
Abtretender und Abtretungsempfänger der Finanzbehörde gegenüber die angezeigte
Abtretung gegen sich gelten lassen, auch wenn sie nicht erfolgt oder nicht wirksam oder
wegen Verstoßes gegen Abs. 4 der Vorschrift nichtig ist. Danach wird das Finanzamt
zwar zwecks Erleichterung der Bearbeitung von Erstattungsanträgen von der
Überprüfung der Wirksamkeit der Abtretung entbunden, so dass es grundsätzlich auch
dann mit befreiender Wirkung an den Zessionar leisten kann, wenn es positiv weiß, dass
die Abtretungsanzeige nicht der vorgeschriebenen Form entspricht oder die Abtretung
aus sonstigen Gründen unwirksam ist. Der Schutzgedanke dieser Vorschrift gilt indes
nicht gegenüber dem Zessionar, sondern ist auf das Verhältnis Finanzamt – Zedent
beschränkt (so auch BFH, Urteil vom 6.12.1988 VII R 206/83, BStBl II 1989, 223). § 46
Abs. 5 AO begründet lediglich eine Einrede der Finanzbehörde „gegen“ den Zedenten
(Klein/Ratschow a.a.O. § 46 Rz. 24), d. h. gegen eine Forderung des Zedenten, den an
den vermeintlichen Zessionar bereits ausgezahlten Betrag (nochmals) an ihn
auszuzahlen. Im vorliegenden Fall geht es demgegenüber um die umgekehrte
Konstellation, nämlich die Rückforderung eines an den vermeintlichen Zessionar
ausgezahlten Betrages. Diese Konstellation erfasst der Schutzzweck des § 46 Abs. 5 AO
nicht.
Zu berücksichtigen ist im Streitfall außerdem, dass der Beklagte eine Prüfung der
formellen Wirksamkeit der Abtretung unterlassen hat, obgleich dies ohne großen
Aufwand möglich gewesen wäre. Ob die Abtretungsanzeige formell wirksam ist,
insbesondere ob der Zedent bei der Abtretungserklärung wirksam vertreten war, gehört
zu den essentiellen Voraussetzungen der Abtretung, deren Überprüfung durch das
Finanzamt auch in einem Massenverfahren wie dem Umsatzsteuer-
Voranmeldungsverfahren zumutbar ist. Verzichtete man hierauf, würde dies auch den
Sinn und Zweck der nach § 46 Abs. 3 AO formalisierten Erklärung konterkarieren.
Unterläßt daher das Finanzamt – wie im Streitfall der Beklagte – die Prüfung der
formellen Wirksamkeitserfordernisse, so kann er sich nicht auf die Schutzfunktion des §
46 Abs. 5 AO berufen (so auch Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 29.1.2008
1 K 98/04, EFG 2008, 750; für die Pflicht zur Überprüfung des Mindestinhalts der
Abtretung auch Klein/Ratschow a.a.O. § 46 Rz. 24).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung –FGO–. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §151 Abs.1 und 3 FGO
i.V.m. den §§ 708 Nr.10, 711 Zivilprozeßordnung.
Die Revision war angesichts der uneinheitlichen Rechtsauffassungen in Rechtsprechung
und Literatur zur Frage der Inanspruchnahme des Zedenten generell und im Falle der
unwirksamen Abtretung im Besonderen gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.
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