Urteil des FG Baden-Württemberg vom 07.11.2016

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FG Baden-Württemberg Beschluß vom 7.11.2016, 1 V 2137/16
Zulässigkeit der Vollstreckung ausländischer Steuerforderungen im Inland
Tenor
1. Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juni 2016 wird bis zur Entscheidung des Antragsgegners
über den hiergegen erhobenen Einspruch von der Vollziehung ausgesetzt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1 I. Der Antragsteller wendet sich gegen ein Beitreibungsersuchen des griechischen Staates für
Steuerforderungen, die im Wege der Amtshilfe von der deutschen Finanzverwaltung durch eine Pfändungs-
und Einziehungsverfügung vollstreckt werden.
2 Der Antragsteller ist griechischer Staatsangehöriger und lebt in Deutschland. Er ist geschieden und hat eine
Tochter. Der Antragsteller hatte in den Jahren 2001 und 2002 in Griechenland eine Tankstelle mit Werkstatt
betrieben und kehrte anschließend nach Deutschland zurück.
3 Im Januar 2007 eröffnete das Amtsgericht x das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers.
Das Insolvenzverfahren wurde im September 2007 aufgehoben und dem Antragsteller im Januar 2013 die
Restschuldbefreiung erteilt.
4 Mit E-Mail vom 14. März 2016 schickte das Bundeszentralamt für Steuern ein Amtshilfeersuchen des
griechischen Staates in Gestalt des Local Tax Office of y an den Antragsgegner (Finanzamt -FA- w), in dessen
Bezirk der Antragsteller im November 2015 gezogen war. Vor dem Umzug war das FA x mit der Beitreibung
betraut worden, das den Antragsteller im Oktober 2015 über die vom griechischen Staat gegen ihn geltend
gemachten Forderungen informiert hatte.
5 Das Amtshilfeersuchen beruht auf dem Gesetz vom 7. Dezember 2011 über die Durchführung der Amtshilfe
bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen
zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Bundesgesetzblatt - BGBl - I 2011, 2592,
nachfolgend EUBeitrG) sowie die diesem Gesetz zu Grunde liegenden Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom
16. März 2010 über Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern,
Abgaben und sonstige Maßnahmen (ABl. L 84 vom 31.03.2010, nachfolgend EU-Beitreibungsrichtlinie).
6 Das Amtshilfeersuchen hat die Beitreibung von in Griechenland titulierten Forderungen gegen den
Antragssteller zum Gegenstand (sog. einheitlicher Vollstreckungstitel). Der Vollstreckungstitel betrifft eine
im Jahr 2002 entstandene und am 8. November 2013 festgesetzte Forderung i.H.v. xxx.xxx,xx EUR wegen
Hinterziehung von Umsatz- und Einkommensteuer („Administrative fine of Books & Records Code regarding
tax evasion of VAT and Income Tax“, vgl. Bl. 4 der Vollstreckungsakte) sowie eine im Jahr 2015 entstandene
und am 18. Februar 2015 festgesetzte andere steuerliche Forderung aus „Administrative Enforcement
Expenses“ i.H.v. xx,xx EUR (vgl. Bl. 5 der Vollstreckungsakte). Hieraus ergab sich zusammen mit
Nebenforderungen eine Beitreibungssumme von insgesamt xxx.xxx,xx EUR.
7 Mit Schreiben vom 3. Mai 2016 forderte das FA den Antragsteller auf, den geforderten Betrag bis zum 20.
Mai 2016 zu bezahlen und kündigte bei Nichtzahlung die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen an. Den
Einwand des Antragstellers, dass die angebliche Forderung aus dem Jahr 2002 wegen des
Insolvenzverfahrens und der Restschuldbefreiung im Januar 2013 untergegangen sei, begegnete das FA mit
dem Hinweis, dass Einwendungen gegen die Forderung oder gegen deren Vollstreckbarkeit nur bei der
zuständigen ausländischen Behörde vorgebracht werden könnten.
8 Am 16. Juni 2016 erließ das FA eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung für die Beitreibungsforderung
von xxx.xxx,xx EUR gegen die Volksbank x, wo der Antragsteller ein Konto hat. Die Volksbank x antwortete
in ihrer Drittschuldnererklärung vom 21. Juni 2016, dass das Konto des Antragsstellers als
Pfändungsschutzkonto geführt werde.
9 Der Antragsteller hat am 18. Juli 2016 einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des
Vollstreckungsersuchens gestellt. Er trägt vor, dass aufgrund der Restschuldbefreiung im Januar 2013 alle
Forderungen sämtlicher Gläubiger untergegangen seien, die im Zeitpunkt der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens im Januar 2007 einen Anspruch gegen ihn gehabt hätten. Hierzu gehörten auch die
angeblichen, im Jahr 2002 entstandenen Forderungen der griechischen Finanzverwaltung. Bis heute liege
ihm kein Steuerbescheid vor, gegen den er sich in Griechenland wehren könnte.
10 Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Vollstreckungsersuchens des Local Tax Office of y bis zu einer Entscheidung im
Klageverfahren in Griechenland ohne Sicherheitsleistung auszusetzen und ihm hierfür Prozesskostenhilfe zu
bewilligen.
11 Das FA beantragt,
den Antrag als unzulässig abzuweisen.
12 Der Antrag sei unzulässig, weil deutsche Behörden einem Zwangsvollstreckungs- oder Beitreibungsersuchen
eines anderen Mitgliedstaates auf der Grundlage der EU-Beitreibungsrichtlinie Folge zu leisten hätten, ohne
dessen inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Der Vollstreckungsstaat habe nach dem EUBeitrG weder die
Forderung noch den Vollstreckungstitel des ausländischen Staates in der Sache selbst zu prüfen. Das könne
allein durch den ausländischen Staat nach Maßgabe seiner Rechtsordnung geschehen.
Entscheidungsgründe
13 II. Der zulässige Aussetzungsantrag ist begründet. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die in der Sache
angefochtene Pfändungs- und Einziehungsverfügung rechtmäßig ist, weil der Vollstreckung der
ausländischen Steuerforderung die im Inland erteilte Restschuldbefreiung entgegenstehen könnte.
14 1. Der Aussetzungsantrag ist zulässig.
15 a) Der Senat geht davon aus, dass der Antragsteller mit seinem gegen das „Vollstreckungsersuchen“
gerichteten Aussetzungsantrag entsprechend § 96 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1, § 113 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) begehrt, dass das Finanzgericht die Vollziehung der Pfändungs- und
Einziehungsverfügung vom 16. Juni 2016 und nicht das ihr zugrunde liegende Vollstreckungsersuchen
aussetzen soll. Denn eine Aussetzung der Vollziehung des ausländischen Vollstreckungsersuchens wäre
rechtlich nicht möglich.
16 aa) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 EUBeitrG werden Forderungen, für die in einem anderen Mitgliedstaat ein
Vollstreckungstitel besteht, wie eine inländische Forderung vollstreckt. Der dem ausländischen
Vollstreckungsersuchen beigefügte einheitliche Vollstreckungstitel, dessen Inhalt im Wesentlichen dem des
ursprünglichen Vollstreckungstitels entspricht (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 EU-Beitreibungsrichtlinie), gilt im Inland
als vollstreckbarer Verwaltungsakt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 EUBeitrG). Gegen diese Fiktion eines Verwaltungsakts
besteht kein inländischer Rechtsschutz. Wie sich aus § 13 Abs. 2 Satz 1 EUBeitrG ergibt, dürfen im
Vollstreckungsstaat weder die Forderung noch der ursprüngliche Vollstreckungstitel oder dessen Bestätigung
durch den einheitlichen Vollstreckungstitel in der Sache selbst nachgeprüft werden. Die Überprüfung erfolgt
durch den Ursprungsstaat und richtet sich nach dessen Rechtsordnung. Dementsprechend enthält § 13 Abs.
2 Satz 2 EUBeitrG nur die Möglichkeit, die Vollstreckung für den Zeitraum auszusetzen, in dem der
Schuldner im Ursprungsstaat gegen den Vollstreckungstitel als solchen oder dessen Bestätigung durch den
einheitlichen Vollstreckungstitel vorgeht. Ob der Sachentscheidung im Ursprungsstaat ein Verfahrensverstoß
zu Grunde liegt, weil beispielsweise der ursprüngliche Vollstreckungstitel - wie im Streitfall vom
Antragsteller behauptet - nicht zugestellt wurde, darf im Vollstreckungsstaat nicht geprüft werden. Solange
die Bestätigung des ursprünglichen Vollstreckungstitels als einheitlicher Vollstreckungstitel durch den
Ursprungsstaat nicht aufgehoben wurde, ist die Vollstreckung durchzuführen. Es kann daher vorkommen,
dass der Schuldner - wie möglicherweise im Streitfall der Antragsteller - erst im Zuge der Vollstreckung von
der Existenz des ursprünglichen Vollstreckungstitels informiert wird. Dies hat der Gesetzgeber offenbar im
Vertrauen auf die Rechtsstaatlichkeit der Verwaltung und die ordnungsgemäße Rechtspflege in den
Mitgliedstaaten in Kauf genommen. Dieses Vertrauen beinhaltet, dass nur das Gericht des Ursprungsstaates
beurteilen darf, ob die Voraussetzungen für die Bestätigung des Vollstreckungstitels als einheitlicher
Vollstreckungstitel vorliegen.
17 bb) Der Ausschluss inländischen Rechtschutzes gegen die der Vollstreckung zugrunde liegende Forderung
(Vollstreckungstitel) schließt aber nicht den inländischen Rechtsschutz gegen die Vollstreckung selbst aus.
Ebenso wie nach inländischen Recht Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt
außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsmitteln zu verfolgen sind (§ 256
AO), kann der Betroffene eines Beitreibungsersuchens im ersuchenden Staat gegen den Vollstreckungstitel
und im vollstreckenden Staat gegen die Vollstreckungsmaßnahme aufgrund des Beitreibungsersuchens
vorgehen. Die anfechtbare Vollstreckungsmaßnahme ist daher allein die Pfändungs- und
Einziehungsverfügung vom 16. Juni 2016.
18 Der Antragsteller wendet sich nach dem Wortlaut seines Antrags zwar gegen das „Vollstreckungsersuchen“.
In seiner Antragsbegründung verweist er aber auch auf „seine Einwendungen gegenüber der
Pfändungsverfügung“. Der Antragsteller hat damit hinreichend deutlich gemacht, dass er sich gegen die
Pfändungs- und Einziehungsverfügung zur Umsetzung des Vollstreckungsersuchens wendet. Dass das
Vollstreckungsersuchen selbst ebenso wie die dem Ersuchen zugrunde liegende ausländische
Steuerforderung im Inland nicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, war dem Antragsteller
aufgrund der Hinweise des FA bekannt. Von dem gegen das Vollstreckungsersuchen gerichteten
Rechtschutzbegehren ist daher die auf das Ersuchen im Wege der Amtshilfe ausgeführte
Vollstreckungsmaßnahme in Form der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juni 2016 mit umfasst.
19 b) Der sachdienlich ausgelegte Aussetzungsantrag ist zulässig. Die Pfändungsverfügung nach § 309 AO ist
ebenso wie die Einziehungsverfügung nach § 314 AO ein vollziehbarer Verwaltungsakt, der nach § 69 Abs. 3
Satz 1 i. V. m. § 69 Abs. 2 Satz 2 bis 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vom Finanzgericht als Gericht der
Hauptsache aussetzt werden kann. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden (§ 69
Abs. 3 Satz 2 FGO).
20 aa) Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juni 2016 ist ein „angefochtener“ Verwaltungsakt i.
S. von § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO, gegen den als Vollstreckungsmaßnahme nach § 69 Abs. 4
Satz 2 Nr. 2 FGO ohne vorherigen Antrag bei der Finanzbehörde unmittelbar beim Finanzgericht die
Aussetzung begehrt werden kann. Denn eine Vollstreckung droht jedenfalls dann, wenn sich der
Aussetzungsantrag unmittelbar gegen einen Verwaltungsakt im Vollstreckungsverfahren richtet.
21 Der Antragsteller hat die dem Drittschuldner am 18. Juni 2016 zugestellte Pfändungs- und
Einziehungsverfügung vom 16. Juni 2016 nach Lage der vorliegenden Vollstreckungsakte zwar nicht
gegenüber dem Antragsgegner mit Einspruch angefochten. Der am 18. Juli 2016 beim Finanzgericht
gestellte Aussetzungsantrag ist aber ebenso wie der Aussetzungsantrag selbst rechtsschutzgewährend als
ein Einspruch gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. Juni 2016 auszulegen, weil sich der
Antragsteller auch gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung wendet.
22 bb) Der Einspruch ist fristgerecht. Das Finanzgericht hat den als Einspruch auszulegenden
Antragsschriftsatz vom 18. Juli 2016 am 19. Juli 2016 dem Antragsgegner per Fax weitergeleitet. Die
Monatsfrist zur Einlegung des Einspruch gegen die dem Antragsteller als „Ausfertigung für den
Vollstreckungsschuldner“ mit Datum vom 16. Juni 2016 bekannt gegebene Pfändungs- und
Einziehungsverfügung (Bl. 25 der Gerichtsakte) ist daher gewahrt. Gemäß § 122 Abs. 2 der
Abgabenordnung (AO) gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten
Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren
Zeitpunkt zugegangen ist. Der dritte Tag nach einer frühestens am 16. Juni 2016 zu unterstellenden
Postaufgabe wäre der 19. Juni 2016 (Sonntag). Die Einspruchsfrist konnte daher frühestens am 20. Juli 2016
ablaufen, einen Tag nachdem der Antragsgegner vom Finanzgericht über das Rechtsschutzbegehren
informiert worden war.
23 2. Der Aussetzungsantrag ist begründet.
24 a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung
eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt
werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2
FGO). Das ist der Fall, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage
treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder
Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl.
z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Juni 2003 IX B 16/03, BFHE 202, 53, BStBl II 2003,
663, m.w.N.). Dabei brauchen die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Bedenken
nicht zu überwiegen (BFH-Beschluss vom 28. November 1974 V B 44/74, BStBI. II 1975, 240). Ist die Sach-
und Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden,
sondern zumindest im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH-Beschluss vom 3. Februar 2005 I B
208/04, BStBl II 2005, 351).
25 b) Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung ist ernstlich zweifelhaft,
weil der Vollstreckung die dem Antragsteller erteilte Restschuldbefreiung entgegen stehen könnte.
26 aa) Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung (§§ 309 und 314 AO) beruht auf dem einheitlichen
Vollstreckungstitel des griechischen Fiskus und damit auf einem vollstreckbaren Verwaltungsakt (§ 251 Abs.
1 AO i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 EUBeitrG). Zu den Forderungen, die im Wege der Amtshilfe beigetrieben
werden können, gehören nicht nur Steuerforderungen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EUBeitrG), sondern auch
Geldstrafen, Geldbußen, Gebühren und Zuschläge in Bezug auf diese Forderungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1
EUBeitrG). Weil der einheitliche Vollstreckungstitel „die alleinige Grundlage für die … zu ergreifenden
Beitreibungs- und Sicherungsmaßnahme ist“ (§ 10 Abs. 3 Satz 1 EUBeitrG), bedarf es keines
Leistungsgebots i.S. des § 254 Abs. 1 AO (FG Köln, Urteil vom 30. September 2015 14 K 2097/13, EFG
2016, 494; vgl. auch BFH-Beschluss vom 30. August 2010 VII B 48/10, BFH/NV 2010, 2235 zur
Nichtanfechtbarkeit einer inländischen Zahlungsaufforderung bei der Vollstreckung ausländischer
Forderungen).
27 bb) Obwohl die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach § 251 Abs. 1 AO gegeben sind, könnte der
Vollstreckung die Restschuldbefreiung des Antragstellers entgegenstehen, weil nach § 251 Abs. 2 Satz 1 AO
die Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) unberührt bleiben.
28 Die dem Antragsteller erteilte Restschuldbefreiung wirkt gemäß § 286 und § 301 Abs. 1 Satz 1 InsO gegen
alle Insolvenzgläubiger, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten
Vermögensanspruch gegen den Schuldner hatten. Dies gilt auch für Gläubiger, die ihre Forderungen nicht
angemeldet haben (§ 301 Abs. 1 Satz 2 InsO). Wird dem Schuldner durch Beschluss gemäß § 300 InsO
Restschuldbefreiung erteilt, wandeln sich die Insolvenzforderungen in unvollkommene Verbindlichkeiten, die
weiterhin erfüllbar, aber nicht mehr erzwingbar sind. Eine Vollstreckung ist unzulässig.
29 Diese Rechtswirkung der Restschuldbefreiung bindet auch ausländische Gläubiger. Nach Art. 16 Abs. 1 der
Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO, Amtsblatt
der Europäischen Union -ABlEU- Nr. L 160/1) wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach
Art. 3 der Verordnung zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt,
sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Ohne weitere Förmlichkeiten werden
die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen ebenfalls
anerkannt, wenn diese von einem Gericht getroffen worden sind, dessen Eröffnungsentscheidung nach Art.
16 EuInsVO anerkannt wird (Art. 25 Abs. 1 EuInsVO). Die vom Amtsgericht - Insolvenzgericht - x
getroffenen Entscheidung der Restschuldbefreiung ist daher auch für den griechischen Fiskus als
ausländischer Gläubiger grundsätzlich verbindlich (vgl. zum umgekehrten Fall der Anerkennung einer
ausländischen Restschuldbefreiung im Inland, BFH-Beschluss vom 27. Januar 2016 VII B 119/15, BFH/NV
2016, 1586).
30 Für die deswegen nach inländischem Recht zu beantwortenden Frage, ob Steuerforderungen
Insolvenzforderungen sind und damit von der Restschuldbefreiung umfasst sind, ist entscheidend, ob die
Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Es kommt
nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen
Sinne entstanden ist, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der
Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war (BFH-Beschluss vom 6. Oktober 2005 VII B 309/04,
BFH/NV 2006, 369). Daher ist ein Steueranspruch immer dann Insolvenzforderung i.S. des § 38 InsO, wenn
er vor Eröffnung des Verfahrens in der Weise begründet worden ist, dass der zu Grunde liegende
Sachverhalt, der zur Entstehung der Steuerforderung führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
verwirklicht worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 1. April 2008 X B 201/07, BFH/NV 2008, 925).
31 Nach diesem Maßstab war die dem Beitreibungsersuchen und damit der Pfändungs- und
Einziehungsverfügung zugrunde liegende Forderung bereits im Jahr 2002 entstanden, als der Antragsteller
in Griechenland gewerblich tätig war. Die mit dem Beitreibungsersuchen geltend gemachte Forderung war
insolvenzrechtlich daher bereits im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung am 15. Januar 2007 entstanden. Das
ergibt sich auch aus dem Formular des Beitreibungsersuchens, in dem unter dem Textfeld „Beschreibung der
Forderung(en)“ für die am 8. August 2013 festgesetzte Forderung ein Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 31.
Dezember 2002 angegeben ist (vgl. Bl. 13 der Vollstreckungsakte). Dass die zu vollstreckende Forderung
erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung am 17. Januar 2013 in
Griechenland festgesetzt wurde, ändert nichts an der früheren insolvenzrechtlichen Entstehung der
Forderung im Jahr 2002.
32 Die im Jahr 2002 in Griechenland entstandene Forderung würde auch dann an der Restschuldbefreiung im
Jahr 2013 teilhaben, wenn es sich hierbei um eine aus einer Steuerstraftat resultierende Forderung handeln
sollte. Hierzu ist im Formular über den einheitlichen Vollstreckungstitel ergänzend vermerkt (vgl. Bl. 13 der
Vollstreckungsakte), dass die Forderung auf einem Bußgeld bzgl. der Steuerhinterziehung von Umsatz- und
Einkommensteuer beruht und deswegen derzeit eine Strafverfolgung in Griechenland stattfinde. Selbst
wenn es sich bei der Forderung um einen aus einer Steuerhinterziehung entstandenen Anspruch handeln
sollte, würde dies an der Restschuldbefreiung nichts ändern, solange der Antragsteller deswegen nicht
rechtskräftig verurteilt worden ist. Nach § 302 Nr. 1 InsO in der seit 1. Juli 2014 geltenden Fassung durch
das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom
15. Juli 2013 (BGB. I 2013, 2379) werden von der Erteilung der Restschuldbefreiung Verbindlichkeiten des
Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung oder aus einem Steuerschuldverhältnis
nicht berührt, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370,
373 oder § 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist. Ohne eine rechtskräftige Verurteilung schließt der
Zusammenhang mit einer Steuerstraftat die Restschuldbefreiung nicht aus. Hinterzogene Steuern rechnen
allerdings nicht zu den Verbindlichkeiten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (BFH-
Urteil vom 19. August 2008 VII R 6/07, BFHE 222, 199, BStBl II 2008, 947).
33 Wegen der sich aus der Restschuldbefreiung ergebenden Zweifel an der Vollstreckbarkeit der
beizutreibenden Forderung war dem Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung der Pfändungs- und
Einziehungsverfügung zu gewähren. Diese umfasst auch die Forderung aus „Administrative Enforcement
Expenses“ i.H.v. xx,xx EUR. Der Senat geht davon aus, dass diese Forderung mit der geltend gemachten
Hauptforderung aus der Steuerhinterziehung in einem untrennbaren Sachzusammenhang steht.
34 Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.