Urteil des FG Baden-Württemberg vom 28.02.2007

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FG Baden-Württemberg Urteil vom 28.2.2007, 2 K 285/05
Steuerbefreiung für den Erwerb eines Grundstücks aus Anlass der Übertragung von öffentlichen Aufgaben
Tatbestand
1
Streitig ist, ob der Beklagte (das Finanzamt - FA) zu Recht die Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes
(GrEStG) versagt hat.
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Mit notariellem Kaufvertrag vom 22. April 2005 erwarb der Kläger, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (KöR), von der Bundesanstalt für
Immobilienaufgaben (BImA) - Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) - zwei jeweils mit einem Gebäude bebaute Grundstücke in X, die der
Unterbringung von Asylbewerbern dienen. Das Eigentum an den Grundstücke war gemäß § 2 des Gesetzes zur Gründung der Bundesanstalt für
Immobilenaufgaben (BImA Errichtungsgesetz) vom 1. Januar 2005 von der Bundesrepublik Deutschland auf die BImA übergegangen.
Ausweislich der Regelung in § 6 Nr. 1 des notariellen Kaufvertrages hatte der Kläger die Grundstücke nebst Gebäuden bereits seit Jahren zum
Zwecke der Unterbringung von Asylbewerbern angemietet. Der Kläger beantragte Befreiung von der Grunderwerbsteuer (GrESt) nach § 4 Nr. 1
GrEStG.
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Das FA setzte mit Bescheid vom 19. Mai 2005 nach einer Gegenleistung von 830.000 Euro GrESt in Höhe von 29.050 Euro fest.
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Mit Schreiben vom 31. Mai 2005 erhob der Kläger Einspruch. Zur Begründung machte er geltend, dass er die Grundstücke ausschließlich zur
Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen und Spätaussiedlern erworben habe. Durch das Gesetz zur Neuregelung des
Flüchtlingsaufnahmerechts und zur Änderung des Eingliederungsgesetzes vom 11. März 2004 (GBl. 2004, 99) sei mit Wirkung vom 1. April 2004
die Zuständigkeit für die Errichtung, Verwaltung und des Betriebs von Einrichtungen zur vorläufigen Unterbringung von Asylbewerbern und
sonstigen Flüchtlingen sowie von Spätaussiedlern von dem Land Baden-Württemberg auf ihn übergegangen. Das Land Baden-Württemberg
habe die Unterkunft bisher von der Bundesrepublik Deutschland angemietet. Durch die Zuständigkeitsänderung sei er in die Position des Landes
eingetreten. Da ihm seitens der Bundesrepublik Deutschland als Grundstückseigentümerin aufgrund einer dort bestehenden
Veräußerungsvorgabe eine Fortsetzung des Mietverhältnisses verweigert worden sei, sei der Erwerb der Grundstücke zwingend erforderlich
gewesen, um seine neuen Aufgaben erfüllen zu können. Trotz der fehlenden Identität zwischen der das Eigentum an dem Grundstück
übertragenden Körperschaft (Bund) und der die Aufgaben übertragenden Körperschaft (Land) bestehe im Streitfall ein unmittelbarer
Zusammenhang zwischen Aufgaben- und Grundstücksübertragung.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 22. November 2005 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.
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Mit der beim FA am 23. Dezember 2005 eingegangenen Klage macht der Kläger geltend, dass § 4 Nr. 1 GrEStG nicht zu entnehmen sei, dass
der Aufgabenübergang zwischen den gleichen juristischen Personen wie der Grundstückserwerb erfolgen müsse. Voraussetzung sei lediglich,
dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Aufgaben- und der Grundstücksübertragung bestehe. Über die Identität der beteiligten
Körperschaften treffe das Gesetz keine Aussage. Eine Differenzierung zwischen Fällen, in denen die das Grundstück übertragende auch die die
Aufgaben übertragende Körperschaft sei und Fällen, bei denen diesbezüglich keine Identität herrsche, sei auch nicht sachgerecht. Sinn und
Zweck der Regelung sei es, dass eine Körperschaft, die durch die Übertragung von zusätzlichen Aufgaben belastet werde, nicht noch eine
weitere Belastung durch den Fiskus bei der Erfüllung der neuen Aufgaben erfahren solle. Das Bedürfnis nach einer solchen Entlastung bestehe
gleichermaßen bei Körperschaften, die das Grundstück von der die Aufgaben übergebenden Körperschaft erworben habe und bei
Körperschaften, denen das Grundstück (aus Anlass der Aufgabenübertragung) von einer anderen Körperschaft übertragen worden sei. Würde
man diese Fälle unterschiedlich behandeln, käme man zu dem nicht nachvollziehbaren Ergebnis, dass der Kläger letztlich nur besteuert werde,
weil das Land Baden-Württemberg nicht schon seinerzeit, als es selbst noch für die Aufgabenerfüllung zuständig war, die Grundstücke von der
Bundesrepublik Deutschland erworben habe.
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Die Tatsache, dass das Land nicht gezwungen gewesen sei, das Gebäude zu erwerben, weil die Bundesrepublik Deutschland es ihm zur Miete
angeboten habe, dürfe nicht zu einer Benachteiligung des Klägers bei der Festsetzung der Grunderwerbsteuer führen. Immerhin sei zu
berücksichtigen, dass der Kläger bereits durch die Verpflichtung zum Erwerb der Grundstücke eine Belastung habe hinnehmen müssen, die dem
Land seinerzeit von der Bundesrepublik Deutschland nicht auferlegt worden sei.
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Der Kläger beantragt, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 31. Mai 2005 und die Einspruchsentscheidung vom 22. November 2005
aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Klage abzuweisen.
10 Zur Begründung verweist es auf die Einspruchsentscheidung.
11 Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die dem Gericht vorliegenden
Steuerakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
12 Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid vom 31. Mai 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).
13 Das FA hat zu Recht die Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 GrEStG versagt. Danach ist der Erwerb eines Grundstücks durch eine
juristische Person des öffentlichen Rechts von der Besteuerung ausgenommen, wenn das Grundstück aus Anlass des Übergangs öffentlicher
Aufgaben von der einen auf die andere juristische Person übergeht und nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dient.
14 Mit dem gesetzlich nicht definierten Begriff der juristischen Person des öffentlichen Rechts werden rechtsfähige Gebilde bezeichnet, die ihre
Rechtsfähigkeit sowie ihre Gestaltung aus dem öffentlichen Recht des Bundes oder eines Bundeslandes herleiten. Dazu gehören nicht nur die
KöR (insbesondere die Gebietskörperschaften, wie der Kläger) sondern insbesondere auch die AöR (Franz in Pahlke/Franz,
Grunderwerbsteuergesetz, 3. Aufl. 2005, § 4 RdNr. 5).
15 Ein Übergang von öffentlich-rechtlichen Aufgaben liegt vor, wenn die übernehmende juristische Person des öffentlichen Rechts die zuvor von der
Übertragenden wahrgenommenen öffentlich-rechtlichen Aufgaben übernimmt. Nach ihrem aus dem Wortlaut ersichtlichen Sinn und Zweck soll
sie den Wechsel des Trägers einer öffentlichen Aufgabe von Grunderwerbsteuer freihalten, sofern mit diesem Trägerwechsel auch ein
(rechtsgeschäftlicher oder gesetzlicher) Übergang des Eigentums an Grundstücken verbunden ist (BFH-Urteil vom 17. Mai 1989 II R 98/86,
BFH/NV 1990, 263).
16 Im Streitfall hat der Kläger die Grundstücke zwar unstreitig aus Anlass des Übergangs öffentlich-rechtlicher Aufgaben erworben. Jedoch hat er sie
nicht von der die Aufgabe übergebenden, sondern von einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts erhalten. Entgegen der
Auffassung des Klägers ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, dass die Aufgabenübertragung und der Eigentumsübergang
zwischen den identischen juristischen Person des öffentlichen Rechts erfolgen muss. Denn § 4 Nr. 1 GrEStG regelt, dass das Grundstück aus
Anlass des Übergangs öffentlich-rechtlicher Aufgaben von der einen auf die andere juristischen Person des öffentlichen Rechts übergegangen
sein muss. Hätte der Gesetzgeber jeden lediglich aus Anlass des Übergangs öffentlich-rechtlicher Aufgaben zwischen zwei beliebigen
juristischen Personen des öffentlichen Rechts vereinbarten Grundstückserwerb von der Grunderwerbsteuer befreien wollen, hätte er dies
entsprechend geregelt (Übertragung eines Grundstücks aus Anlass des Übergangs öffentlich-rechtlicher Aufgaben von einer auf eine andere
juristische Person). Mit der Neufassung von § 4 Abs. 1 GrEStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2001 wollte der Gesetzgeber die
zuvor nur für KöR geltende Regelung einerseits auf alle juristische Personen des öffentlichen Rechts, also auch auf AöR und Stiftungen,
erstrecken und andererseits auf solche Grundstücke beschränken, die überwiegend öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen (vgl. BT-Drucks.
14/443, Seite 42 und 43).
17 Der Kläger hat weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass der Gesetzgeber auch den lediglich aus Anlass des Übergangs öffentlicher
Aufgaben erfolgten Erwerb eines Grundstücks von einer anderen als der die Aufgabe abgebenden juristischen Person des öffentlichen Rechts
regeln wollte. Dann hätte es im Übrigen auch nahe gelegen, jeden zum Zwecke der Erfüllung (bestimmter) öffentlicher Aufgaben von einer
juristischen Person des öffentlichen Rechts vorgenommenen Erwerb eines Grundstücks von der Besteuerung auszunehmen, wie es zum
Beispiel das vor dem Inkrafttreten des GrEStG in Baden-Württemberg geltende Landesrecht (vgl. § 4 Abs. 1 GrEStG BW) vorsah. Der
Gesetzgeber hat diesen Weg jedoch bewusst nicht gewählt, sondern in § 4 Nr. 1 GrEStG nur den bereits zuvor in § 4 Nr. Abs. 1 Nr. 9 GrEStG BW
geregelten Fall des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben übernommen.
18 Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, dass die Befreiungsvorschrift in § 4 Nr. 1 GrEStG seit dem GrEStG 1940
im Wesentlichen unverändert gelte und dies auf einen Willen des Gesetzgebers zu einem weiten Anwendungsbereich schließen lasse, vermag
der Senat dieser Argumentation nicht zu folgen. In Aufbau und Inhalt knüpft das GrEStG 1983 zwar im Wesentlichen an das GrEStG 1940 an.
Auch ist dies eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die eine kontinuierliche Rechtsanwendung ermöglichen sollte (BT-Drucks. 9/251
S. 15). In wesentlichen Einzelfragen kann deshalb bei der Auslegung des GrEStG auf die eingehende Begründung des GrEStG 1940 (RStBl I
1940, S. 387 ff. zurückgegriffen werden (Pahlke in Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz 3. Aufl. 2005, Einl. RdNr. 5). Aus dieser ergibt sich
aber lediglich, dass die Regelung in § 4 Abs. 1 Nr. 5 GrEStG 1940 den § 21 Absatz 2 GrEStG 1927 (RGBl I 1927, 72) ersetzt hat (RStBl I 1940, S.
397). Auf einen Willen des Gesetzgebers, die Regelung über ihren Wortlaut hinaus auf jeden Grundstückserwerb aus Anlass des Übergangs von
öffentlichen Aufgaben anzuwenden, sofern dieser nur von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts erfolgt, kann daraus nicht
geschlossen werden.
19 Im Übrigen war es erklärtes Ziel des Gesetzgebers, durch das GrEStG 1983 das zuvor vorhandene Übermaß an Befreiungsvorschriften zu
beseitigen (BT-Drucks. 9/251 S. 1), und zwar insbesondere auch durch Abschaffung von Befreiungsvorschriften für Grundstückserwerbe im
öffentlichen Interesse, die sich aus den Grunderwerbsteuergesetzen und Einzelgesetzen der Länder sowie den Gesetzen des Bundes ergaben
(BT-Drucks. 9/251 S. 16).
20 Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des klaren und eindeutigen Wortlauts sieht der Senat keinen Raum für eine erweiternde Auslegung
der Regelung in § 4 Nr. 1 GrEStG. Der Kläger macht selbst nicht geltend, dass in Rechtsprechung oder Literatur die Auffassung vertreten werde,
die Beschränkung der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 1 GrEStG auf die in der Vorschrift genannten Voraussetzungen sei verfassungswidrig. Er hat
auch nicht begründet, warum der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum dadurch überschreiten soll, dass juristische
Personen des öffentlichen Rechts für den Erwerb von Grundstücken im Zusammenhang mit der Übernahme öffentlich-rechtlicher Aufgaben dann
Grunderwerbsteuer zu entrichten haben, wenn sie das Grundstück nicht von der die Aufgabe übertragenden, sondern von einer anderen
juristischen Person des öffentlichen Rechts erwerben.
21 Soweit der Kläger geltend macht, dass er dadurch benachteiligt worden sei, dass das Land Baden-Württemberg nicht zuvor die Grundstücke von
der Bundesrepublik Deutschland erworben hat, verkennt er, dass auch der Erwerb der Grundstücke durch das Land Baden-Württemberg
grunderwerbsteuerpflichtig gewesen wäre. Bei der von dem Kläger angesprochenen Gestaltung hätte es zumindest aus Sicht des Landes nahe
gelegen, diese Aufwendungen in Form eines höheren Kaufpreises auf den Kläger abzuwälzen.
22 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.