Urteil des EuGH vom 12.01.2017

Europäische Kommission, Klage auf Nichtigerklärung, Rechtsmittelgrund, Aeuv

Vorläufige Fassung
BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
12. Januar 2017(
1
)
„Rechtsmittel – Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Weigerung, einen Gesetzgebungsvorschlag für die Gründung eines Vereins
europäischen Rechts vorzulegen – Nicht anfechtbare Handlung“
In der Rechtssache C‑343/16 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 20. Juni 2016,
Europäischer Tier- und Naturschutz e. V.
Horst Giesen,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt P. Brockmann,
Rechtsmittelführer,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras sowie der Richter J. Malenovský und D. Šváby (Berichterstatter),
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit
Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Mit ihrem Rechtsmittel beantragen der Europäische Tier- und Naturschutz e. V. und Herr Horst Giesen die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts
der Europäischen Union vom 14. Juni 2016, Europäischer Tier- und Naturschutz und Giesen/Kommission (T‑595/15, nicht veröffentlicht, im Folgenden:
angefochtener Beschluss, EU:T:2016:362), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung des Schreibens der Kommission vom 17. August 2015
(im Folgenden: streitiges Schreiben), in dem diese es abgelehnt haben soll, einen die Gründung eines Vereins europäischen Rechts betreffenden
Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen, abgewiesen hat.
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt wird in den Rn. 1 bis 3 des angefochtenen Beschlusses wie folgt dargestellt:
„1 Der Kläger zu 1., der Europäische Tier- und Naturschutz …, ist ein eingetragener Verein deutschen Rechts, dessen Präsident der Kläger zu 2., Herr …
Giesen, ist. Zweck des Vereins ist nach seiner Satzung die weltweite Förderung des Tier- und Naturschutzes und des Umweltschutzes.
2 Mit Schreiben vom 15. Juli 2015 ersuchte Herr H. R. in seiner Eigenschaft als Gründungsmitglied und Präsident eines eingetragenen Vereins
deutschen Rechts namens ‚Rock the Nature e. V.‘ die Europäische Kommission um Auskunft darüber, ob sie beabsichtige, einen
Gesetzgebungsvorschlag zur Gründung eines ‚Vereins europäischen Rechts‘ als Rechtsform vorzulegen, die es ermögliche, privatrechtliche
Vereinigungen ohne Gewinnerzielungsabsicht zu gründen, die grenzüberschreitende Tätigkeiten wahrnähmen …
3 Mit [dem streitigen Schreiben] teilte die Kommission Herrn H. R. mit, dass sie seinem Ersuchen nicht nachkommen könne.“
Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss
Mit Klageschrift, die am 19. Oktober 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, erhoben der Europäische Tier- und Naturschutz und Herr
Giesen eine Klage im Wesentlichen auf Nichtigerklärung des streitigen Schreibens sowie darauf, der Kommission aufzugeben, tätig zu werden.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Gericht die Klage als offensichtlich unzulässig ab.
Es stellte in Rn. 11 des angefochtenen Beschlusses fest, dass die Klage nur auf die Nichtigerklärung des streitigen Schreibens gemäß Art. 263 AEUV
abziele, nicht aber auf die Untätigkeit der Kommission gemäß Art. 265 AEUV, die in der Klageschrift zwar geltend gemacht werde, jedoch ohne diese
Vorschrift zu erwähnen.
In Rn. 13 des angefochtenen Beschlusses führte das Gericht gleichwohl aus, dass die Klage auch dann als offensichtlich unzulässig abzuweisen
gewesen wäre, wenn sie auf Art. 265 Abs. 2 AEUV gestützt worden wäre. Insoweit wies das Gericht zum einen darauf hin, dass das Schreiben vom 15.
Juli 2015 nicht von den Rechtsmittelführern stamme, sondern von einem Dritten und zum anderen darauf, dass die Kommission auf ein
Auskunftsverlangen dieses Dritten zu dessen „Aufforderung zum Tätigwerden“ Stellung genommen und so ihre Untätigkeit beendet habe. Da das
Gericht die Klage der Rechtsmittelführer nicht gemäß Art. 265 AEUV geprüft hat, stellte es in Rn. 14 des angefochtenen Beschlusses fest, dass über
den Antrag der Rechtsmittelführer auf Verpflichtung der Kommission zum Tätigwerden nicht entschieden zu werden brauche.
Was die Nichtigkeitsklage betrifft, stellte das Gericht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der Handlungen oder
Entscheidungen, die mit einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV angefochten werden könnten, Maßnahmen darstellten, die zwingende
Rechtswirkungen hervorriefen, die die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigen könnten, indem sie dessen Rechtsstellung maßgebend
änderten, in Rn. 20 des angefochtenen Beschlusses fest, dass das streitige Schreiben, das im Wesentlichen eine Meinungsäußerung darstelle,
weder die Interessen der Rechtsmittelführer beeinträchtigen, noch ihre Rechtsstellung ändern könne. In diesem Zusammenhang gelangte das
Gericht in Rn. 21 des angefochtenen Beschlusses zu dem Schluss, dass dieses Schreiben keinen anfechtbaren Rechtsakt darstellen könne und die
Klage daher offensichtlich unzulässig sei.
In Rn. 23 des angefochtenen Beschlusses erlegte das Gericht den Rechtsmittelführern die Kosten des Verfahrens auf.
Anträge der Rechtsmittelführer vor dem Gerichtshof
Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Rechtsmittelführer,
– den angefochtenen Beschluss aufzuheben,
– die Sache an das Gericht zurückzuverweisen und
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Zum Rechtsmittel
10
Die Rechtsmittelführer stützen ihr Rechtsmittel auf vier Gründe. Mit dem ersten und dem zweiten Rechtsmittelgrund rügen sie einen
Begründungsmangel des angefochtenen Beschlusses, mit dem dritten Rechtsmittelgrund eine fehlende Prüfung ihrer Klage nach Art. 265 AEUV und
mit dem vierten Rechtsmittelgrund eine schlechte Kostenverteilung.
11
Ist das Rechtsmittel ganz oder teilweise offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, so kann der Gerichtshof es gemäß Art. 181 seiner
Verfahrensordnung jederzeit auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts ganz oder teilweise durch mit Gründen
versehenen Beschluss zurückweisen.
12
Diese Bestimmung ist im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels anzuwenden.
13
Was den ersten und den zweiten Rechtsmittelgrund betrifft, die zusammen zu prüfen sind, machen die Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe
dadurch seine Begründungspflicht verletzt, dass es zum einen die Feststellung der Unanfechtbarkeit des streitigen Schreibens nicht hinreichend
begründet habe. Es habe u. a. seine Überlegungen, diesem Schreiben keine Rechtswirkungen zuzuerkennen, nicht dargelegt. Zum anderen habe es
vor der Verneinung von Rechtswirkungen dieses Schreiben auf die Rechtsmittelführer nicht geprüft, ob die Rechtsmittelführer individuell betroffen
gewesen seien. Das Gericht habe von bestimmten Erklärungen, die die Rechtsmittelführer vorgelegt hätten, keine Kenntnis genommen und sie nicht
beantwortet.
14
Insoweit ist zum einen festzustellen, dass sich im Rechtsmittelverfahren die Kontrolle durch den Gerichtshof insbesondere darauf richtet, zu prüfen,
ob das Gericht auf alle vom Kläger vorgebrachten Argumente rechtlich hinreichend eingegangen ist, und dass zum anderen der Rechtsmittelgrund,
mit dem gerügt wird, dass sich das Gericht mit einem Klagegrund nicht auseinandergesetzt habe, im Wesentlichen auf die Geltendmachung eines
Verstoßes gegen die Begründungspflicht hinausläuft, die sich aus Art. 36 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt, der gemäß
Art. 53 Abs. 1 dieser Satzung und Art. 119 der Verfahrensordnung des Gerichts auch für das Gericht gilt (Beschluss vom 13. Dezember 2012, Alliance
One International/Kommission, C‑593/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:804, Rn. 27). Bei der in Art. 296 AEUV vorgesehenen Begründungspflicht
handelt es sich um ein wesentliches Formerfordernis, das von der sachlichen Richtigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen
Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört (Urteil vom 18. Juni 2015, Ipatau/Rat, C‑535/14 P, EU:C:2015:407, Rn. 37). Nach ständiger
Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt die Begründungspflicht nicht, dass das Gericht bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des
Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend behandelt; daher kann die Begründung implizit erfolgen, sofern sie es den
Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erkennen, aus denen das Gericht ihrer Argumentation nicht gefolgt ist, und dem Gerichtshof ausreichende
Angaben liefert, damit er seine Kontrolle ausüben kann (Beschluss vom 13. Dezember 2012, Alliance One International/Kommission, C‑593/11 P, nicht
veröffentlicht, EU:C:2012:804, Rn. 28).
15
In Bezug auf die Unanfechtbarkeit des streitigen Schreibens ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das Gericht in den Rn. 19 und 20 des
angefochtenen Beschlusses festgestellt hat, dass dieses Schreiben nur eine schriftliche Meinungsäußerung mit im Wesentlichen informativem
Charakter sei. In denselben Randnummern des angefochtenen Beschlusses hat es daraus geschlossen, dass dieses Schreiben nicht nur keine
Rechtswirkungen zu erzeugen vermöge, sondern darauf auch nicht abziele. Daher hat das Gericht in Rn. 21 des angefochtenen Beschlusses
entschieden, dass dieses Schreiben keinen anfechtbaren Rechtsakt darstelle.
16
Was die Prüfung der Stellung der Rechtsmittelführer betrifft, hat das Gericht in Rn. 22 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass die
Klagebefugnis der Rechtsmittelführer nicht geprüft werden müsse, da das streitige Schreiben keinen anfechtbaren Rechtsakt darstelle.
17
Damit hat das Gericht eindeutig dargelegt, aus welchen Gründen seiner Auffassung nach die Klage der Rechtsmittelführer offensichtlich unzulässig
war, und keineswegs gegen seine Begründungspflicht verstoßen.
18
Daher sind der erste und der zweite Rechtsmittelgrund als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
19
Mit dem dritten Rechtsmittelgrund werfen die Rechtsmittelführer dem Gericht vor, nicht hilfsweise ihre Klagen gemäß Art. 265 AEUV geprüft zu haben.
20
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in Rn. 11 des angefochtenen Beschlusses festgestellt hat, dass sowohl aus dem ersten Antrag als
auch aus der Klageschrift insgesamt hervorgehe, dass die Klage der Rechtsmittelführer auf die Nichtigerklärung des angefochtenen Schreibens
gemäß Art. 263 AEUV abziele.
21
Auch wenn die Rechtsmittelführer die Erwägungen des Gerichts für seine Schlussfolgerung, ihre Klage beruhe auf Art. 263 AEUV, in gewisser Weise
rügen, räumen sie in ihrer Rechtsmittelschrift auch ein, dass unter den Umständen des Falles nur eine Nichtigkeitsklage, nicht aber eine
Untätigkeitsklage gemäß Art. 265 AEUV zulässig gewesen sei. Dem vorliegenden Rechtsmittelgrund, wie er in der Rechtsmittelschrift gefasst ist, lässt
sich daher für den Gerichtshof nicht entnehmen, welchen Fehler die Rechtsmittelführer dem Gericht vorwerfen.
22
Der dritte Rechtsmittelgrund ist daher als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen.
23
Was den vierten Rechtsmittelgrund betrifft, mit dem eine schlechte Kostenverteilung gerügt wird, machen die Rechtsmittelführer geltend, dass das
Gericht diese Verteilung falsch beurteilt habe, da es zumindest jeder Partei ihre eigenen Kosten hätte auferlegen müssen.
24
Insoweit genügt der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung Anträge, die die angebliche Rechtswidrigkeit der Kostenentscheidung des
Gerichts betreffen, gemäß Art. 58 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach ein nur gegen die Kostenentscheidung oder
gegen die Kostenfestsetzung gerichtetes Rechtsmittel unzulässig ist, als unzulässig zurückzuweisen sind, wenn alle anderen Rechtsmittelgründe
zurückgewiesen worden sind (Urteil vom 9. Juni 2016, PROAS/Kommission, C‑616/13 P, EU:C:2016:415, Rn. 88).
25
Da die Rechtsmittelführer mit ihren ersten drei Rechtsmittelgründen unterlegen sind, ist der vierte, auf die Verteilung der Kosten bezogene
Rechtsmittelgrund demnach für unzulässig zu erklären.
26
Damit ist das Rechtsmittel insgesamt abzuweisen.
Kosten
27
Nach Art. 137 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist über die
Kosten im Endurteil oder in dem das Verfahren beendenden Beschluss zu entscheiden.
28
Da der vorliegende Beschluss ergeht, bevor die vorliegende Rechtsmittelschrift dem Beklagten zugestellt worden ist und somit bevor diesem Kosten
entstehen konnten, ist zu entscheiden, dass die Rechtsmittelführer ihre eigenen Kosten tragen.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) beschlossen:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Der Europäische Tier- und Naturschutz e. V. und Herr Horst Giesen tragen ihre eigenen Kosten.
Luxemburg, den 12. Januar 2017
Der Kanzler Der Präsident der Achten Kammer
A. Calot Escobar M. Vilaras
1
Verfahrenssprache: Deutsch.