Urteil des EuGH vom 22.09.2016

Fürstentum Liechtenstein, Klage auf Nichtigerklärung, Europäische Kommission, Republik

BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)
22. September 2016(
*
)
„Rechtsmittel – Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Nichtigkeitsklage – Klage gegen die Weigerung der Europäischen Kommission, ein
Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten – Antrag auf Erlass einer Anordnung gegenüber einem Organ der Europäischen Union – Antrag auf
Schadensersatz“
In der Rechtssache C‑130/16 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 19. Februar 2016,
Anastasia-Soultana Gaki
Rechtsmittelführerin,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter), des Richters A. Borg Barthet und der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 181 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit
Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Mit ihrem Rechtsmittel begehrt Frau Anastasia-Soultana Gaki die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 16.
Dezember 2015, Gaki/Kommission (T‑547/15, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2015:1021), mit dem das Gericht ihre
Klage abgewiesen hat, die darauf gerichtet war,
– der Europäischen Kommission aufzugeben, die Speicherung von Daten, die Frau Gaki betreffen, im Schengener Informationssystem zu blockieren,
– festzustellen, dass die Kommission es rechtswidrig unterlassen hat, gegen die Bundesrepublik Deutschland, die Hellenische Republik, das
Großherzogtum Luxemburg, die Republik Österreich und das Fürstentum Liechtenstein ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, das die
Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls gegen Frau Gaki durch die griechischen Behörden und die Speicherung von Daten über sie im
Schengener Informationssystem betrifft,
– ihr Schadensersatz zuzusprechen.
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Die Hellenische Republik erließ am 11. Februar 2011 einen Europäischen Haftbefehl gegen die Rechtsmittelführerin. Der Haftbefehl erging im
Rahmen der Verfolgung von Straftaten der Geldwäsche und der Korruption.
Die Rechtsmittelführerin wies die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zurück und rügte bei der von der Hellenischen Republik gemäß Art. 7 Abs. 2
der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die
Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (ABl. 2006, L 381, S. 4) bestimmten Behörde, die den Austausch aller
Zusatzinformationen gewährleistet, dass die griechischen Behörden ihre Vorladungen bewusst an falsche Adressen geschickt und aufgrund des
Ausbleibens einer Antwort auf diese Vorladungen einen Europäischen Haftbefehl gegen sie erlassen hätten. Diese Behörde antwortete am 30.
Dezember 2012, dass sie weder die Aufhebung eines Haftbefehls anordnen noch die Speicherung von Daten im Schengener Informationssystem
aussetzen könne.
Am 23. April 2015 legte die Rechtsmittelführerin bei der Kommission eine Beschwerde ein, mit der sie die Einleitung eines
Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland, die Hellenische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, die Republik
Österreich und das Fürstentum Liechtenstein beantragte, weil diese Staaten den gegen sie erlassenen Haftbefehl in ihr nationales
Informationssystem eingetragen hätten, ohne dass die Eintragung rückgängig gemacht werden könne.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2015 lehnte die Kommission diesen Antrag ab.
Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss
Mit Klageschrift, die am 14. September 2015 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Rechtsmittelführerin Klage beim Gericht.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Gericht die Klage nach Art. 126 seiner Verfahrensordnung mit der Begründung abgewiesen, dass es zum
einen nicht für die Entscheidung über die Klage zuständig oder diese jedenfalls offensichtlich unzulässig sei und dass die Klage zum anderen
offensichtlich unbegründet sei.
Anträge der Rechtsmittelführerin
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin,
– den angefochtenen Beschluss aufzuheben und
– der Kommission aufzugeben, eine neue Entscheidung zu erlassen.
Zum Rechtsmittel
Ist ein Rechtsmittel ganz oder teilweise offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, kann der Gerichtshof es nach Art. 181 seiner
Verfahrensordnung jederzeit auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts ganz oder teilweise durch mit Gründen
versehenen Beschluss zurückweisen.
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Diese Bestimmung ist im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels anzuwenden.
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Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel im Wesentlichen auf fünf Gründe.
Zu den Rechtsmittelgründen 1 bis 4
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Mit ihren Rechtsmittelgründen 1 bis 4, die zusammen zu prüfen sind, macht die Rechtsmittelführerin zum einen geltend, dass sich das Gericht in den
Rn. 5 und 6 des angefochtenen Beschlusses im Rahmen seiner Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Schreibens der Kommission vom 13. Juli 2015 zu
Unrecht für nicht befugt erklärt habe, gegenüber diesem Organ Anordnungen zu erlassen.
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Zum anderen rügt die Rechtsmittelführerin, dass das Gericht in den Rn. 7 und 8 des angefochtenen Beschlusses ihre Klage zu Unrecht als
Untätigkeitsklage eingestuft habe, während es sich um eine Klage auf Nichtigerklärung des genannten Schreibens gehandelt habe, die das Gericht
im Anschluss an die Feststellung, dass die Weigerung der Kommission, tätig zu werden, gegen das Unionsrecht verstoße, für zulässig und begründet
hätte erklären müssen.
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Zu dem Vorbringen, das Gericht habe sich im Rahmen seiner Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Schreibens der Kommission vom 13. Juli 2015 zu
Unrecht für nicht befugt erklärt, gegenüber diesem Organ Anordnungen zu erlassen, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht – wie es in Rn. 6 des
angefochtenen Beschlusses hervorgehoben hat – nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle aufgrund von Art. 263
AEUV nicht befugt ist, gegenüber den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union Anordnungen zu erlassen (Beschlüsse
vom 26. Oktober 1995, Pevasa und Inpesca/Kommission, C‑199/94 P und C‑200/94 P, EU:C:1995:360, Rn. 24, und vom 4. Juni 2015, Mirelta
Ingatlanhasznosító/Kommission und Bürgerbeauftragter, C‑576/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:370, Rn. 15).
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Dem Gericht kann daher nicht vorgeworfen werden, insoweit einen Rechtsfehler begangen zu haben.
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Daher ist das genannte Vorbringen als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
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Hinsichtlich des übrigen Vorbringens der Rechtsmittelführerin ist festzustellen, dass sich natürliche oder juristische Personen, wie das Gericht in
Rn. 7 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt hat, auf Art. 265 Abs. 3 AEUV nur berufen können, um die Feststellung zu erwirken, dass ein Organ,
eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der Union es unter Verletzung des Vertrags unterlassen hat, andere Akte als Empfehlungen oder
Stellungnahmen zu erlassen, deren Rechtmäßigkeit sie mit einer Nichtigkeitsklage anzufechten befugt sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 30.
März 1990, Emrich/Kommission, C‑371/89, EU:C:1990:158, Rn. 5, und Urteil vom 26. November 1991, T. Port, C‑68/95, EU:C:1996:452, Rn. 58 und 59).
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Nach einer vom Gericht in Rn. 8 des angefochtenen Beschlusses angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist hingegen eine Klage,
mit der Einzelne die Weigerung der Kommission angreifen, gegen einen Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, unzulässig
(Beschlüsse vom 12. Juni 1992, Asia Motor France/Kommission, C‑29/92, EU:C:1992:264, Rn. 21, und vom 15. Dezember 2011, Altner/Kommission,
C‑411/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:852, Rn. 8).
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Folglich war in Anbetracht der ständigen Rechtsprechung zu den Art. 263 und 265 AEUV – selbst wenn das Schreiben der Kommission vom 13. Juli
2015 als eine von einem Einzelnen anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV angesehen werden könnte – die von der
Rechtsmittelführerin erhobene Klage jedenfalls unzulässig, unabhängig davon, ob man sie als Untätigkeitsklage oder als Nichtigkeitsklage auffasst
(vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 29. April 2014, Meister, C‑24/14 AJ, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:290, Rn. 12 bis 17).
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Daher ist das Vorbringen, das Gericht habe die von der Rechtsmittelführerin erhobene Klage zu Unrecht als Untätigkeitsklage eingestuft, als ins
Leere gehend zurückzuweisen.
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Nach alledem ist das Vorbringen, das Gericht hätte die von der Rechtsmittelführerin erhobene Nichtigkeitsklage für zulässig erklären und feststellen
müssen, dass die Weigerung der Kommission, tätig zu werden, gegen das Unionsrecht verstoße, als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
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In Anbetracht dessen sind die Rechtsmittelgründe 1 bis 4 als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
Zum fünften Rechtsmittelgrund
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Mit ihrem fünften Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe ihrem Antrag auf Schadensersatz zu Unrecht nicht
stattgegeben, denn sie habe in ihrer Klageschrift Art und Umfang des entstandenen Schadens sowie den Kausalzusammenhang zwischen diesem
Schaden und der Weigerung der Kommission, gegen die betreffenden Mitgliedstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, rechtlich
hinreichend dargelegt.
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Das Gericht hat in Rn. 10 des angefochtenen Beschlusses im Wesentlichen entschieden, dass die Kommission nicht zur Einleitung eines
Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV verpflichtet sei und ihre insoweit an die Rechtsmittelführerin gerichtete Weigerung somit jedenfalls
nicht rechtswidrig sei, so dass eine der nach ständiger Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen für die Entstehung der außervertraglichen
Haftung der Union nicht vorliege (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 13. Mai 1990, Asia Motor France/Kommission, C‑72/90, EU:C:1990:230, Rn. 13
und die dort angeführte Rechtsprechung).
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Wie aus Rn. 23 des vorliegenden Beschlusses hervorgeht, wiederholt die Rechtsmittelführerin mit ihrem fünften Rechtsmittelgrund lediglich ihre
insoweit bereits dem Gericht vorgetragenen Argumente, ohne jedoch Gründe zu nennen, denen entnommen werden kann, dass das Gericht durch
die Zurückweisung dieser Argumente einen Rechtsfehler begangen hätte.
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Folglich ist der fünfte Rechtsmittelgrund als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen.
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Da keiner der von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Rechtsmittelgründe durchgreift, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.
Kosten
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Nach Art. 137 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren anzuwenden ist, wird in dem das Verfahren
beendenden Beschluss über die Kosten entschieden. Da der vorliegende Beschluss erlassen wurde, ohne dass das Rechtsmittel der Beklagten im
ersten Rechtszug zugestellt worden wäre, ist zu entscheiden, dass die Rechtsmittelführerin ihre eigenen Kosten trägt.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) beschlossen:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Frau Anastasia-Soultana Gaki trägt ihre eigenen Kosten.
Unterschriften
*
Verfahrenssprache: Deutsch.