Urteil des EuGH vom 22.06.2000

EuGH: marke, verwechslungsgefahr, unterscheidungskraft, haftung aus unerlaubter handlung, mode, auswärtige angelegenheiten, europäisches recht, regierung, verkehrsgeltung, haus

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
22. Juni 2000
„Richtlinie 89/104/EWG - Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b - Marken - Verwechslungsgefahr - Gefahr einer
gedanklichen Verbindung zwischen dem Zeichen und der Marke“
In der Rechtssache C-425/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Hoge Raad der
Nederlanden (Niederlande) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Marca Mode CV
gegen
Adidas AG,
Adidas Benelux BV
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b der
Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida sowie der Richter C. Gulmann
(Berichterstatter), J.-P. Puissochet und G. Hirsch und der Richterin F. Macken,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Marca Mode CV, vertreten durch die Rechtsanwälte O. W. Brouwer, D. W. F. Verkade und D. J. G.
Visser, Amsterdam, und Rechtsanwalt P. Wytinck, Brüssel,
- der Adidas AG und der Adidas Benelux BV, vertreten durch Rechtsanwalt C. Gielen, Amsterdam,
im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Ewing, Treasury Solicitor's Department, als
Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Banks und P. van Nuffel,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Marca Mode CV, vertreten durch Rechtsanwalt D. J. G.
Visser und Rechtsanwalt C. R. A. Swaak, Amsterdam, derAdidas AG und der Adidas Benelux BV, vertreten
durch Rechtsanwalt S. A. Klos, Amsterdam, und der Kommission, vertreten durch H. M. H. Speyart,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 24. November 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Januar 2000,
folgendes
Urteil
1.
Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 6. November 1998, beim Gerichtshof
eingegangen am 26. November 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage
nach der Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates
vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken
(ABl. 1989, L 40, S. 1; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit der Marca Mode CV (im folgenden: Marca Mode) mit Sitz
in Amsterdam (Niederlande) gegen die Adidas AG mit Sitz in Herzogenaurach (Deutschland) und die
Adidas Benelux BV mit Sitz in Etten-Leur (Niederlande) wegen eines für die Adidas AG beim Benelux-
Markenamt eingetragenen Bildzeichens, für das die Adidas AG der Adidas Benelux BV eine
ausschließliche Lizenz für die Beneluxländer erteilt hat.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 5 der Richtlinie („Rechte aus der Marke“) bestimmt in Absatz 1 Buchstabe b:
„Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet
es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr
a) ...
b) ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der
Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfaßten Waren oder
Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt,
daß das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.“
4.
Die meisten Sprachfassungen der Richtlinie verwenden in dieser Vorschrift den Begriff „Risiko“ oder
„Gefahr“ einer Verwechslung oder einer gedanklichen Verbindung. Dieniederländische und die
schwedische Fassung sprechen von der Möglichkeit einer Verwechslung und der Gefahr einer
gedanklichen Verbindung, während die englische Fassung den Begriff „Wahrscheinlichkeit“ einer
Verwechslung oder einer gedanklichen Verbindung verwendet.
5.
Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten können ferner bestimmen, daß es dem Inhaber gestattet ist, Dritten zu verbieten,
ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein mit der Marke identisches oder ihr ähnliches
Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die nicht denen ähnlich sind, für die die Marke
eingetragen ist, wenn diese in dem betreffenden Mitgliedstaat bekannt ist und die Benutzung des
Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marke ohne rechtfertigenden Grund in
unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt.“
6.
Artikel 13 A Nr. 1 Buchstabe b des einheitlichen Benelux-Markengesetzes, der der Umsetzung von
Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie in Benelux-Recht dient, lautet:
„Unbeschadet der Anwendung des allgemeinen Rechts der Haftung aus unerlaubter Handlung kann
sich der Markeninhaber aufgrund seines ausschließlichen Rechts widersetzen
...
b) jeder im geschäftlichen Verkehr erfolgenden Benutzung der Marke oder eines ihr ähnlichen
Zeichens für die Waren, für die die Marke eingetragen ist, oder für ähnliche Waren, wenn dadurch die
Möglichkeit besteht, daß das Publikum das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung bringt.“
Das Ausgangsverfahren
7.
Das für die Adidas AG beim Benelux-Markenamt eingetragene Bildzeichen besteht aus drei parallel
laufenden Streifen. Es betrifft insbesondere Sportkleidung und sonstige Sportartikel.
8.
Marca Mode verkaufte in ihrer Niederlassung in Breda (Niederlande) eine Kollektion Sportkleidung,
bei der einige Kleidungsstücke an den Seiten zwei in Längsrichtung parallel laufende Streifen
aufwiesen. Diese Kleidungsstücke waren weiß mit schwarzen Streifen oder schwarz mit weißen
Streifen.
9.
Marca Mode brachte auch ein T-Shirt in Weiß und Orange auf den Markt, das in der Mitte auf der
Vorderseite über die ganze Länge drei schwarze, senkrecht und parallel laufende Streifen mit einem
schmalen weißen Rand an der Außenseite aufwies, die auf der Vorderseite durch ein Medaillon mit
dem Bild einer Katze und der Aufschrift „TIM“ unterbrochen waren.
10.
Am 26. Juni 1996 luden die Adidas AG und die Adidas Benelux BV (im folgenden zusammen: Adidas)
Marca Mode im Verfahren der einstweiligen Verfügung vor den Präsidenten der Rechtbank Breda. Mit
der Begründung, daß Marca Mode ihr Drei-Streifen-Bildzeichen verletzt habe, beantragte Adidas,
Marca Mode zu untersagen, künftig in den Beneluxländern die aus zwei oder drei Streifen
bestehenden Zeichen zu benutzen.
11.
Der Präsident gab diesem Antrag für sieben Kleidungsstücke und für das T-Shirt mit der Aufschrift
„TIM“ statt.
12.
Der Gerechtshof 's-Hertogenbosch bestätigte diesen Beschluß.
13.
Marca Mode legte daraufhin gegen das Urteil des Gerechtshof Kassationsbeschwerde beim Hoge
Raad der Nederlanden ein.
14.
Vor diesem Gericht rügte sie insbesondere, das Berufungsgericht habe Artikel 13 A Nr. 1 Buchstabe
b des einheitlichen Benelux-Markengesetzes falsch angewandt, da es seine Entscheidung lediglich auf
die Feststellung gestützt habe, daß die Gefahr bestehe, daß das betreffende Publikum die streitigen
Zeichen mit der eingetragenen Marke gedanklich in Verbindung bringe. Unter Berufung auf das Urteil
vom 11. November 1997 in der Rechtssache C-251/95 (Sabèl, Slg. 1997, I-6191) machte sie geltend,
der Gerechtshof hätte seine Entscheidung gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie auf die
Feststellung stützen müssen, daß eine Verwechslungsgefahr bestehe.
15.
Der Hoge Raad ist der Auffassung, daß im Licht des Urteils Sabèl, insbesondere der Randnummern
18, 22 und 24, der Schluß gezogen werden könnte, daß die Feststellung der Gefahr einer
gedanklichen Verbindung ausreiche, um ein Verbot der Benutzung der streitigen Zeichen zu
rechtfertigen, wenn aufgrund besonderer Umstände, wie der besonderen Unterscheidungskraft, die
der Marke entweder von Haus aus oder kraft Verkehrsgeltung zukomme, anzunehmen sei, daß eine
Verwechslungsgefahr nicht ausgeschlossen sei.
16.
Nach Ansicht des Hoge Raad könnte eine solche Auslegung Absatz 1 Buchstabe b mit Absatz 2 des
Artikels 5 der Richtlinie in bezug auf bekannte Marken in Einklang bringen, da die letztgenannte
Vorschrift den Mitgliedstaaten erlaube, bekannten Marken Schutz vor nichtähnlichen Waren oder
Dienstleistungen zu gewähren, „wenn ... die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder
die Wertschätzung der Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder
beeinträchtigt“. Die vorgeschlagene Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie
würde bekannten Marken auch Schutz davor bieten, daß die Verwendung des Zeichens für gleiche
oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen die besondere Unterscheidungskraft der Marke ausnutze
oder beeinträchtige.
17.
Das vorlegende Gericht kommt zu dem Ergebnis, daß, wenn seine Auslegung des Urteils Sabèl
zutreffend sei, der von Marca Mode geltend gemachte Kassationsgrundnicht zur Aufhebung des Urteils
des Gerechtshof führen könne. In diesem Urteil sei nicht nur festgestellt worden, daß die Möglichkeit
einer gedanklichen Verbindung zwischen dem Zeichen von Marca Mode und der Marke von Adidas
bestehe, sondern auch, daß diese Marke allgemein bekannt sei. Aufgrund des letztgenannten
Umstands lasse sich nicht ausschließen, daß die Möglichkeit einer gedanklichen Verbindung zu einer
Verwechslung führen könne. Der Unterlassungsanspruch von Adidas könnte daher nach dem
festgestellten Sachverhalt gerechtfertigt sein.
18.
Aufgrund dieser Überlegungen hat der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und
dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/104 dahin auszulegen, daß für den Fall,
a) daß eine Marke entweder von Haus aus oder kraft Verkehrsgeltung eine besondere
Unterscheidungskraft besitzt und
b) ein Dritter ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr für gleiche oder
ähnliche Waren oder Dienstleistungen wie die, für die die Marke eingetragen ist, ein Zeichen benutzt,
das so weit mit der Marke übereinstimmt, daß dadurch die Möglichkeit einer gedanklichen Verbindung
mit der Marke besteht,
der Markeninhaber aufgrund seines Ausschließlichkeitsrechts diesem Dritten die Benutzung des
Zeichens untersagen kann, wenn aufgrund der Unterscheidungskraft der Marke nicht
ausgeschlossen ist, daß diese gedankliche Verbindung zu einer Verwechslung führen kann?
19.
Mit demselben Urteil hat der Hoge Raad auch dem Benelux-Gerichtshof mehrere Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt. Nach den Angaben von Marca Mode hat dieses Gericht mit Beschluß
vom 18. Januar 1999 die Prüfung der vorgelegten Fragen bis zum Erlaß des Urteils des Gerichtshofes
ausgesetzt.
Zur Vorabentscheidungsfrage
20.
Adidas ersucht den Gerichtshof, sich zur Auslegung des Artikels 5 Absatz 2 der Richtlinie zu äußern.
21.
Nach ständiger Rechtsprechung ist im Rahmen der Verteilung der richterlichen Aufgaben zwischen
den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof nach Artikel 177 des Vertrages das nationale Gericht,
das allein über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts und der von den Parteien vorgetragenen
Argumente verfügt und das die Verantwortung für die zu erlassende Entscheidung zu tragen hat,
besser in der Lage, in voller Sachkenntnis zu beurteilen, ob die Rechtsfragen, die durch den bei ihm
anhängigen Rechtsstreit aufgeworfen werden, erheblich sind und ob für den Erlaß seines Urteils eine
Vorabentscheidung erforderlich ist. Dem Gerichtshof bleibt jedochvorbehalten, bei ungenau
formulierten Fragen aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere
der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Gemeinschaftsrechts
herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung
bedürfen (vgl. u. a. Urteil vom 29. November 1978 in der Rechtssache 83/78, Redmond, Slg. 1978,
2347, Randnrn. 25 und 26).
22.
In der vorliegenden Rechtssache geht aus dem Vorlageurteil hervor, daß der Hoge Raad lediglich
um eine Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie ersucht und daß die
Entscheidung des Ausgangsverfahrens davon abhängt, ob der Gerechtshof zu Recht entschieden hat,
daß die in dieser Gemeinschaftsvorschrift genannte Voraussetzung einer „Gefahr von Verwechslungen
..., die die Gefahr einschließt, daß das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht
wird“, erfüllt war.
23.
Im übrigen ergibt sich aus dem Vorlageurteil nicht, daß Adidas im Ausgangsverfahren behauptet
hätte, daß durch die Benutzung der streitigen Zeichen die Unterscheidungskraft oder die
Wertschätzung des für sie eingetragenen Bildzeichens ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer
Weise ausgenutzt oder beeinträchtigt werde, was Voraussetzung für die Anwendung der
Umsetzungsvorschrift des Artikels 5 Absatz 2 der Richtlinie wäre. Der Hoge Raad erwähnt diesen
Artikel nicht deswegen, weil sich der Rechtsstreit tatsächlich auf die darin genannte spezielle
Beeinträchtigung der Marke bezöge, sondern als Argument dafür, daß die im Vorlageurteil
befürwortete Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie für eine gewisse Kohärenz
zwischen den durch diese beiden Vorschriften geregelten Fällen sorgen würde.
24.
Um dem nationalen Gericht eine zweckdienliche Antwort geben zu können, braucht somit die Frage
der Auslegung des Artikels 5 Absatz 2 der Richtlinie nicht geprüft zu werden.
25.
Was die Frage des Hoge Raad betrifft, so erlaubt Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie dem
Inhaber einer Marke unter bestimmten Voraussetzungen, Dritten zu verbieten, ein Zeichen zu
benutzen, wenn für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt,
daß das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.
26.
Im wesentlichen die gleichen Ausdrücke werden in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie
gebraucht, der die Gründe nennt, aus denen eine Marke von der Eintragung ausgeschlossen sein
oder im Fall der Eintragung der Ungültigerklärung unterliegen kann.
27.
Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie ist vom Gerichtshof insbesondere im Urteil Sabèl
ausgelegt worden.
28.
Diese Auslegung muß daher auch für Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie gelten.
29.
Nach Auffassung des Hoge Raad schließt die Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht aus, daß die
Gefahr einer Verwechslung zwischen der Marke und dem Zeichen vermutet werden könne, wenn die
Marke insbesondere wegen ihrer Bekanntheit besondere Unterscheidungskraft besitze und das
Zeichen, das von dem Dritten für gleiche oder ähnliche Waren benutzt werde, so weit mit der Marke
übereinstimme, daß dadurch die Möglichkeit einer gedanklichen Verbindung bestehe.
30.
Mit seiner Frage möchte der Hoge Raad somit wissen, ob Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der
Richtlinie dahin auszulegen ist, daß der Markeninhaber unter derartigen Umständen einem Dritten die
Benutzung des Zeichens untersagen kann, wenn aufgrund der Unterscheidungskraft der Marke nicht
ausgeschlossen ist, daß die beim Publikum entstehende gedankliche Verbindung zwischen dem
Zeichen und der Marke zu einer Verwechslung führen kann.
31.
Marca Mode, die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die
Kommission machen unter Bezugnahme auf das Urteil Sabèl geltend, daß der durch Artikel 5 Absatz 1
Buchstabe b der Richtlinie gewährte Schutz ebenso wie der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der
Richtlinie vorgesehene stets vom positiven Nachweis einer Verwechslungsgefahr abhänge. Selbst bei
bekannten Marken genüge es nicht, daß, wenn lediglich die Gefahr einer gedanklichen Verbindung
bestehe, eine Verwechslungsgefahr nicht ausgeschlossen sei.
32.
Adidas trägt dagegen insbesondere unter Berufung auf Randnummer 24 des Urteils Sabèl vor, daß
bei bekannten Marken die Gefahr einer gedanklichen Verbindung ausreiche, um ein Verbot zu
rechtfertigen, wenn eine Verwechslungsgefahr nicht ausgeschlossen sei. Anders ausgedrückt, führe
bei solchen Marken die Gefahr einer gedanklichen Verbindung dazu, daß eine Verwechslungsgefahr
vermutet werde.
33.
Dazu ist festzustellen, daß selbst unter besonderen Umständen, wie sie der Hoge Raad in seinem
Vorlageurteil anführt, eine Verwechslungsgefahr nicht vermutet werden kann.
34.
Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie ist nämlich nur dann anwendbar, wenn wegen der
Identität oder Ähnlichkeit sowohl der Marken als auch der gekennzeichneten Waren oder
Dienstleistungen „für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr
einschließt, daß das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird“. Aus diesem
Wortlaut ergibt sich, daß der Begriff der Gefahr einer gedanklichen Verbindung keine Alternative zum
Begriff der Verwechslungsgefahr darstellt, sondern dessen Umfang genauer bestimmen soll. Bereits
nach ihrem Wortlaut ist diese Bestimmung daher nicht anwendbar, wenn für das Publikum keine
Verwechslungsgefahr besteht (vgl. zu Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie Urteil Sabèl,
Randnr. 18). Der Schutz einer eingetragenen Marke hängt also gemäß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b
der Richtlinie vom Vorliegen einerVerwechslungsgefahr ab (vgl. zu Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der
Richtlinie Urteil vom 29. September 1998 in der Rechtssache C-39/97, Canon, Slg. 1998, I-5507,
Randnr. 18).
35.
Für diese Auslegung spricht außerdem die zehnte Begründungserwägung der Richtlinie, wonach
„die Verwechslungsgefahr ... die spezifische Voraussetzung für den Schutz dar[stellt]“ (Urteil Sabèl,
Randnr. 19).
36.
Diese Auslegung wird auch nicht durch Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie widerlegt, der für bekannte
Marken einen Schutz einführt, dessen Durchführung nicht das Bestehen einer Verwechslungsgefahr
verlangt. Diese Vorschrift gilt nämlich für Fälle, in denen die spezifische Voraussetzung für den Schutz
in einer Benutzung des streitigen Zeichens besteht, die die Unterscheidungskraft oder die
Wertschätzung der Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder
beeinträchtigt.
37.
Adidas kann sich nicht mit Erfolg auf Randnummer 24 des Urteils Sabèl berufen.
38.
In dieser Randnummer hat der Gerichtshof festgestellt, daß die Verwechslungsgefahr um so größer
ist, je größer sich die Unterscheidungskraft der älteren Marke darstellt, und daß daher nicht
auszuschließen ist, daß bei einer Ähnlichkeit in der Bedeutung, die sich daraus ergibt, daß bei zwei
Marken Bilder benutzt werden, die in ihrem Sinngehalt übereinstimmen, eine Verwechslungsgefahr
dann bestehen kann, wenn der älteren Marke entweder von Haus aus oder kraft Verkehrsgeltung
eine besondere Unterscheidungskraft zukommt.
39.
Der Gerichtshof hat somit festgestellt, daß die besondere Unterscheidungskraft der älteren Marke
die Verwechslungsgefahr erhöhen und bei einer Ähnlichkeit in der Bedeutung zwischen der Marke und
dem Zeichen zur Entstehung einer solchen Gefahr beitragen kann. Mit der negativen Formulierung in
Randnummer 24 des Urteils Sabèl, daß eine Verwechslungsgefahr nicht auszuschließen ist, wird
lediglich die Möglichkeit hervorgehoben, daß aus der Verbindung der beiden untersuchten Faktoren
eine Gefahr entsteht. Diese Formulierung impliziert keineswegs die Vermutung einer
Verwechslungsgefahr, die sich aus dem Bestehen einer Gefahr der gedanklichen Verbindung im
engeren Sinne ergeben würde. Mit dieser Formulierung hat der Gerichtshof stillschweigend auf die
Beweiswürdigung verwiesen, die das nationale Gericht in jedem bei ihm anhängigen Verfahren
vorzunehmen hat. Er hat das nationale Gericht nicht von der Notwendigkeit befreit, das Bestehen
einer Verwechslungsgefahr, für die der Beweis zu erbringen ist, positiv festzustellen.
40.
Es ist daran zu erinnern, daß die Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung aller relevanten
Umstände des konkreten Falles umfassend zu beurteilen ist (Urteil Sabèl, Randnr. 22). Die
umfassende Beurteilung impliziert eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den in Betracht
gezogenen Faktoren (Urteil Canon, Randnr. 17). Zum Beispiel kann trotz eines eher geringen Grades
der Ähnlichkeit zwischen den gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen eine
Verwechslungsgefahr festgestelltwerden, wenn die Ähnlichkeit zwischen den Marken groß und die
Unterscheidungskraft der älteren Marke, insbesondere ihr Bekanntheitsgrad, hoch ist (Urteil Canon,
Randnr. 19).
41.
Die Bekanntheit einer Marke ist somit, sofern sie nachgewiesen ist, ein Gesichtspunkt, der - unter
anderen - eine gewisse Bedeutung haben kann. Insoweit genießen Marken, die insbesondere wegen
ihrer Bekanntheit eine hohe Unterscheidungskraft besitzen, einen umfassenderen Schutz als Marken
mit geringerer Unterscheidungskraft (Urteil Canon, Randnr. 18). Doch kann nicht aufgrund der
Bekanntheit einer Marke das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr vermutet werden, nur weil die
Gefahr einer gedanklichen Verbindung im engeren Sinne besteht.
42.
Auf die Vorabentscheidungsfrage ist somit zu antworten, daß Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der
Richtlinie nicht dahin ausgelegt werden kann, daß,
- wenn eine Marke entweder von Haus aus oder kraft Verkehrsgeltung eine besondere
Unterscheidungskraft besitzt und
- ein Dritter ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr für gleiche oder
ähnliche Waren oder Dienstleistungen wie die, für die die Marke eingetragen ist, ein Zeichen
verwendet, das so weit mit der Marke übereinstimmt, daß dadurch die Möglichkeit einer gedanklichen
Verbindung mit der Marke besteht,
der Markeninhaber aufgrund seines Ausschließlichkeitsrechts diesem Dritten die Verwendung des
Zeichens untersagen kann, wenn aufgrund der Unterscheidungskraft der Marke nicht
ausgeschlossen ist, daß diese gedankliche Verbindung zu einer Verwechslung führen kann.
Kosten
43.
Die Auslagen der niederländischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben
haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung
ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 6. November 1998 vorgelegte Frage für
Recht erkannt:
Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21.
Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Marken kann nicht dahin ausgelegt werden, daß,
- wenn eine Marke entweder von Haus aus oder kraft Verkehrsgeltung eine besondere
Unterscheidungskraft besitzt und
- ein Dritter ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr für gleiche
oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen wie die, für die die Marke eingetragen ist, ein
Zeichen verwendet, das so weit mit der Marke übereinstimmt, daß dadurch die
Möglichkeit einer gedanklichen Verbindung mit der Marke besteht,
der Markeninhaber aufgrund seines Ausschließlichkeitsrechts diesem Dritten die
Verwendung des Zeichens untersagen kann, wenn aufgrund der Unterscheidungskraft
der Marke nicht ausgeschlossen ist, daß diese gedankliche Verbindung zu einer
Verwechslung führen kann.
Moitinho de Almeida
Gulmann
Puissochet
Hirsch Macken
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. Juni 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
J. C. Moitinho de Almeida
Verfahrenssprache: Niederländisch.