Urteil des EuGH vom 14.05.2002

EuGH: marke, ware, inhaber, verkehr, herkunft, regierung, kauf, produktion, kennzeichnung, gefahr

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
14. Mai 200
„Rechtsangleichung - Marken - Richtlinie 89/104/EWG - Artikel 5 Absatz 1 - Umfang des
Ausschließlichkeitsrechts des Markeninhabers - Dritte - Benutzung der Marke nur zu
Kennzeichnungszwecken“
In der Rechtssache C-2/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) in dem
bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Michael Hölterhoff
gegen
Ulrich Freiesleben
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 5 Absatz 1 Buchstaben a und
b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten der Fünften Kammer P. Jann in Wahrnehmung der Aufgaben des
Präsidenten, der Kammerpräsidentinnen F. Macken und N. Colneric, des Kammerpräsidenten S. von Bahr
sowie der Richter C. Gulmann (Berichterstatter), A. La Pergola, J.-P. Puissochet, M. Wathelet und V. Skouris,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von Herrn Hölterhoff, vertreten durch Rechtsanwalt M. Samer,
- von Herrn Freiesleben, vertreten durch Rechtsanwalt E. Keller,
- der französischen Regierung, vertreten durch R. Abraham und A. Maitrepierre als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch G. Amodeo als Bevollmächtigte im Beistand
von D. Alexander, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Banks als Bevollmächtigte im
Beistand der Rechtsanwälte I. Brinker und W. Berg,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Freiesleben, der französischen Regierung und der
Kommission in der Sitzung vom 12. Juni 2001,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. September 2001,
folgendes
Urteil
1.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Beschluss vom 23. Dezember 1999, beim Gerichtshof
eingegangen am 5. Januar 2000, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung des Artikels 5
Absatz 1 Buchstaben a und b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1, im
Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Freiesleben, Inhaber zweier
eingetragener Marken, und Herrn Hölterhoff, in dem es darum geht, dass dieser die Marken im
geschäftlichen Verkehr zu Kennzeichnungszwecken benutzt.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt:
„Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet
es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr
a) ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit
denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist;
b) ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der
Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfassten Waren oder
Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt,
dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.“
4.
Die Richtlinie ist in Deutschland durch das Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen
Kennzeichen vom 25. Oktober 1994 (BGBl. 1994 I S. 3082) (MarkenG) umgesetzt worden. Sein § 14
Absatz 2 übernimmt die Bestimmungen des Artikels 5 Absatz 1 Buchstaben a und b der Richtlinie
nahezu wortgleich.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
5.
Herr Freiesleben ist Inhaber zweier Marken, Spirit Sun und Context Cut, die in Deutschland für
„Diamanten zur Weiterverarbeitung als Schmuckwaren“ und für „Edelsteine zur Weiterverarbeitung als
Schmuckwaren“ eingetragen sind.
6.
Die beiden Arten von Erzeugnissen, die unter diesen Marken vertrieben werden, zeichnen sich
durch einen besonderen Schliff aus. Die Marke Spirit Sun wird für einen runden Schliff mit vom
Mittelpunkt ausgehenden Facetten und die Marke Context Cut für einen quadratischen Schliff mit
einem spitz zulaufenden diagonalen Kreuz verwendet.
7.
Herr Hölterhoff handelt mit Edelsteinen aller Art, die er selbst schleift oder bei anderen Händlern
zukauft. Er vertreibt sowohl Steine aus eigener Herstellung als auch zugekaufte Produkte.
8.
Am 3. Juli 1997 bot er einer Juwelierin im Rahmen eines Verkaufsgesprächs Halb- und
Farbedelsteine, für die er die Bezeichnungen „Spirit Sun“ und „Context Cut“ verwendete, zum Kauf an.
Die Juwelierin bestellte bei ihm zwei Steine „im Schliff Spirit Sun“. Auf dem Lieferschein und der
Rechnung für den Kauf dieser Steine wurde nicht auf die Marken Spirit Sun und Context Cut Bezug
genommen, und die Waren wurden als „Rhodoliten“ bezeichnet.
9.
Nach diesem Verkauf erhob Herr Freiesleben gemäß § 14 MarkenG Klage beim Landgericht
Düsseldorf wegen Verletzung seiner eingetragenen Marken. Mit Urteil vom 19. August 1998 gab das
Landgericht der Klage statt. Herr Hölterhoff legte beim Oberlandesgericht Düsseldorf Berufung ein,
deren Zurückweisung Herr Freiesleben beantragte.
10.
Das vorlegende Gericht hält es für erwiesen, dass Herr Hölterhoff im Verkaufsgespräch vom 3. Juli
1997 die Bezeichnungen „Spirit Sun“ und „Context Cut“ lediglich dazu verwendet hat, die
Beschaffenheit, und zwar die Art des Schliffs der zum Kauf angebotenen Edelsteine, zu kennzeichnen,
und dass diese Bezeichnungen folglich nicht als Hinweis auf die Herkunft der Steine aus dem Betrieb
von Herrn Freiesleben verstanden werden sollten.
11.
Da die Entscheidung des Rechtsstreits nach Ansicht des Oberlandesgerichts von der Auslegung
des Artikels 5 Absatz 1 der Richtlinie abhängt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Liegt eine Markenverletzung im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a und b der
Markenrechtsrichtlinie auch dann vor, wenn der Beklagte die Herkunft der Ware aus seiner eigenen
Produktion offenbart und er das für den Kläger geschützte Zeichen ausschließlich zur Kennzeichnung
der besonderen Eigenschaften der von ihm angebotenen Ware verwendet, so dass zweifelsfrei
ausgeschlossen ist, dass die benutzte Marke im Verkehr als betriebliches Herkunftszeichen aufgefasst
wird?
12.
Die dem Gerichtshof vorgelegte Auslegungsfrage betrifft Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie, wonach es
dem Inhaber einer Marke gestattet ist, Dritten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr ein mit der
Marke identisches Zeichen für Waren zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie
eingetragen ist (Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a), oder ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der
Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der
betreffenden Waren für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht (Artikel 5 Absatz 1
Buchstabe b).
13.
Die Vorlagefrage geht im Wesentlichen dahin, ob der Inhaber der Marke einem Dritten gemäß
Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie in einem Fall, wie ihn das vorlegende Gericht präzise beschreibt, die
Benutzung dieser Marke verbieten kann.
14.
Es steht fest, dass in einem solchen Fall die Marke im geschäftlichen Verkehr für Waren benutzt
wird, die mit denjenigen identisch oder ähnlich sind, für die diese Marke eingetragen ist.
15.
Folglich soll mit der Vorlagefrage geklärt werden, ob eine Benutzung der Marke, wie sie im
Ausgangsverfahren in Rede steht, einen der in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie erwähnten Fälle einer
Benutzung darstellt, durch die das Ausschließlichkeitsrecht des Inhabers dieser Marke verletzt wird.
16.
Dazu genügt die Feststellung, dass in einem Fall wie dem vom Vorlagegericht beschriebenen die
Benutzung der Marke keines der Interessen beeinträchtigt, deren Schutz Artikel 5 Absatz 1 bezweckt.
Diese Interessen werden nämlich nicht berührt, wenn
- der Dritte im Rahmen eines Verkaufsgesprächs mit einem potenziellen Kunden, der Fachmann für
Juwelierwaren ist, auf die Marke Bezug nimmt,
- die Bezugnahme ausschließlich zu Kennzeichnungszwecken erfolgt, nämlich um über die Merkmale
der Ware zu informieren, die dem potenziellen Kunden, der die Merkmale der Waren der betreffenden
Marke kennt, zum Kauf angeboten wird,
- die Bezugnahme auf die Marke vom potenziellen Kunden nicht als Hinweis auf die Herkunft der
Ware verstanden werden kann.
17.
Somit ist, ohne dass im Rahmen der vorliegenden Rechtssache weiter ausgeführt werden müsste,
was unter Benutzung einer Marke im Sinne von Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a und b der Richtlinie zu
verstehen ist, auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie dahin
auszulegen ist, dass sich der Inhaber einer Marke nicht auf sein Ausschließlichkeitsrecht berufen
kann, wenn ein Dritter im Rahmen eines Verkaufsgesprächs die Herkunft der Ware aus seiner eigenen
Produktion offenbart und er das betreffende Zeichen ausschließlich zur Kennzeichnung der
besonderen Eigenschaften der von ihm angebotenen Ware verwendet, so dass ausgeschlossen ist,
dass die benutzte Marke im Verkehr als betriebliches Herkunftszeichen aufgefasst wird.
Kosten
18.
Die Auslagen der französischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie
der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig.
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses
Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 23. Dezember 1999 vorgelegte
Frage für Recht erkannt:
Artikel 5 Absatz 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin
auszulegen, dass sich der Inhaber einer Marke nicht auf sein Ausschließlichkeitsrecht
berufen kann, wenn ein Dritter im Rahmen eines Verkaufsgesprächs die Herkunft der
Ware aus seiner eigenen Produktion offenbart
und er das betreffende Zeichen ausschließlich zur Kennzeichnung der besonderen
Eigenschaften der von ihm angebotenen Ware verwendet, so dass ausgeschlossen ist,
dass die benutzte Marke im Verkehr als betriebliches Herkunftszeichen aufgefasst wird.
Jann Macken Colneric
von Bahr Gulmann La Pergola
Puissochet Wathelet Skouris
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Mai 2002.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Deutsch.