Urteil des EuGH vom 08.06.2000

EuGH: portugal, juristische person, quellensteuer, auswärtige angelegenheiten, republik, mitgliedstaat, tochtergesellschaft, kommission, regierung, ausnahme

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
8. Juni 2000
„Harmonisierung des Steuerrechts - Mutter- und Tochtergesellschaften - Befreiung der
Gewinnausschüttungen einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft von der Quellensteuer im
Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft“
In der Rechtssache C-375/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom portugiesischen
Supremo Tribunal Administrativo in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Ministério Público
Fazenda Pública
gegen
Epson Europe BV
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 5 Absatz 4 der Richtlinie
90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und
Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward sowie der Richter L. Sevón, P. J. G. Kapteyn, P. Jann
(Berichterstatter) und M. Wathelet,
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Fazenda Pública, vertreten durch M. Aldina Moreira, Juristin in der Rechtsabteilung der
Generaldirektion des Finanzministeriums für Steuern, als Bevollmächtigte,
- der Epson Europe BV, vertreten durch Rechtsanwalt J. Carvalho Esteves, Porto,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes, Direktor des Juristischen Dienstes der
Generaldirektion für Gemeinschaftsangelegenheiten des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, und
Â. Seiça Neves, Angehöriger desselben Dienstes, als Bevollmächtigte, sowie M. Palha, Rechtsberaterin im
Zentrum für fiskalische Studien der Generaldirektion des Finanzministeriums für Steuern,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch T. Figueira und H. Michard,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Epson Europe BV, vertreten durch Rechtsanwalt J.
Carvalho Esteves, der portugiesischen Regierung, vertreten durch V. B. Guimarães, Jurist im Zentrum für
fiskalische Studien der Generaldirektion desFinanzministeriums für Steuern, als Bevollmächtigten, und der
Kommission, vertreten durch T. Figueira, in der Sitzung vom 16. Dezember 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Februar 2000,
folgendes
Urteil
1.
Das Supremo Tribunal Administrativo hat mit Urteil vom 23. September 1998, beim Gerichtshof
eingegangen am 19. Oktober 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (Artikel 234 EG) eine Frage nach
der Auslegung des Artikels 5 Absatz 4 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das
gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl.
L 225, S. 6; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Fazenda Pública (portugiesische
Finanzverwaltung) und der Epson Europe BV (im folgenden: Epson Europe), einer Gesellschaft
niederländischen Rechts, die eine Beteiligung von mehr als 25 % am Kapital der Gesellschaft
portugiesischen Rechts Epson Portugal SA (im folgenden: Epson Portugal) hält, wegen der
Besteuerung der Gewinnausschüttungen der letzteren an Epson Europe.
3.
Artikel 5 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne sind,
zumindest wenn diese einen Anteil am Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft von wenigstens 25
% besitzt, vom Steuerabzug an der Quelle befreit.
...
(4) Abweichend von Absatz 1 kann die Portugiesische Republik bis zum Ende des achten Jahres nach
Beginn der Anwendung dieser Richtlinie eine Quellensteuer auf Gewinnausschüttungen ihrer
Tochtergesellschaften an Muttergesellschaften eines anderen Mitgliedstaats erheben.
Vorbehaltlich der Bestimmungen in den zwischen Portugal und einem Mitgliedstaat bestehenden
bilateralen Abkommen darf der Satz dieser Quellensteuer während derersten fünf Jahre dieses
Zeitraums [1992 bis 1996] 15 % und während der letzten drei Jahre [1997 bis 1999] 10 % nicht
überschreiten.
Vor Ablauf des achten Jahres beschließt der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig über eine
mögliche Verlängerung der Bestimmungen dieses Absatzes.“
4.
In Artikel 2 der Richtlinie heißt es:
„Im Sinne dieser Richtlinie ist .Gesellschaft eines Mitgliedstaats' jede Gesellschaft
...
c) die ferner ... einer der nachstehenden Steuern
...
- imposto sobre o rendimento das pessoas colectivas [Körperschaftsteuer; im folgenden: IRC] in
Portugal,
...
oder irgendeiner Steuer, die eine dieser Steuern ersetzt, unterliegt ...“
Das nationale Recht
5.
Die Umsetzung der Richtlinie in das portugiesische Recht erfolgte hinsichtlich des IRC durch das
Decreto-Lei Nr. 123/92 vom 2. Juli 1992 ( I, Serie A, Nr. 150, S. 3148), durch das
Artikel 69 Absatz 2 Buchstabe c des Código do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Colectivas
(Körperschaftsteuergesetz) wie folgt neu gefaßt wurde:
„Bei Einkünften von juristischen Personen, die weder ihren Sitz noch ihre tatsächliche Leitung im
portugiesischen Hoheitsgebiet haben und die dort auch keine feste Niederlassung besitzen, der diese
Einkünfte zugerechnet werden können, beträgt der IRC-Satz 25 %, außer bei folgenden Einkünften:
...
c) den Gewinnen, die eine juristische Person, die im portugiesischen Hoheitsgebiet ansässig ist und
den in Artikel 2 der Richtlinie 90/435/EWG vom 23. Juli 1990 festgelegten Bedingungen genügt, an eine
in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften ansässige juristische Person
ausschüttet, die sich in derselben Lage befindet und während zweier aufeinanderfolgender Jahre oder
seit der Gründung der erstgenannten Gesellschaft an deren Kapital eine direkte Beteiligung von nicht
weniger als 25 % hält, vorausgesetzt, daß im letzteren Fall die Beteiligung während dieses Zeitraums
aufrechterhalten wird, wobei der IRC-Satz unbeschadet der Bestimmungen geltender bilateraler
Abkommen biszum 31. Dezember 1996 15 % und vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 1999 10 %
beträgt.“
6.
Unverändert blieben jedoch bei der Umsetzung der Richtlinie die Artikel 182 und 184 des Código do
Imposto Municipal da Sisa e do Imposto sobre as Sucessões e Doações (Gesetz über die
Gemeindesteuer auf Übertragungen und über die Erbschaft- und Schenkungsteuer; im folgenden:
Cimsisd), die bei unentgeltlicher Übertragung von Aktien eine Erbschaft- und Schenkungsteuer (im
folgenden: ISD) vorsehen, die bei jeder Gewinnausschüttung auf die Dividenden erhoben wird, die von
Gesellschaften mit Sitz in Portugal gezahlt werden.
7.
Artikel 182 Cimsisd bestimmt insoweit:
Die Steuer auf unentgeltliche Übertragungen
...
c) der Aktien von Gesellschaften, die ihren Sitz in Portugal haben, ist vorab im Wege des Abzugs von
den Erträgen der Wertpapiere zu entrichten.
Einziger Absatz
Die Steuer auf die Übertragung von Wertpapieren, die keinen Anspruch auf Erträge begründen, wird
nach den allgemeinen Rechtsvorschriften erhoben.
8.
In Artikel 184 Cimsisd mit der Überschrift „Steuersatz. Abzug an der Quelle“ heißt es:
„Die pauschale Steuer beträgt 5 % der Zinsen, der Dividenden oder der anderen Erträge der
Wertpapiere und ist von den Stellen, die die betreffende Zahlung vorzunehmen haben, von diesen
Erträgen einzubehalten.
...“
Der Ausgangsrechtsstreit und die Vorabentscheidungsfrage
9.
Epson Portugal beschloß am 31. März 1993, Dividenden in Höhe von 80 000 000 PTE, d. h. 1 066,66
PTE pro Aktie, auszuschütten. Die an Epson Europe ausgeschütteten Dividenden betrugen 40 795
733 PTE. Sie wurden unter Abzug von IRC zum Satz von 15 %, d. h. von 6 119 360 PTE, und eines
weiteren Betrages von 2 039 786 PTE, der dem ISD zum Satz von 5 % entsprach, ausgezahlt.
10.
Da Epson Europe der Auffassung war, daß sie deshalb zu Unrecht dem ISD unterworfen worden sei,
weil die Richtlinie es seit dem 1. Januar 1992 verbiete, Dividenden, die von in Portugal ansässigen
Tochtergesellschaften vonMuttergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet würden,
mit mehr als 15 % Quellensteuer zu belasten, erhob sie beim Tribunal Tributário de Primeira Instância
do Porto Klage auf Erstattung der rechtsgrundlos für diese Steuer gezahlten Beträge.
11.
Dieses Gericht gab der Klage in vollem Umfang mit der Begründung statt, die Grenze, bis zu der die
Portugiesische Republik aufgrund der in Artikel 5 Absatz 4 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahme
Steuer habe erheben dürfen, sei durch den Abzug des IRC an der Quelle zu Lasten von Epson Europe
erreicht und eine zusätzliche Erhebung von ISD nehme der Richtlinie jede tatsächliche Wirkung.
12.
Die Fazenda Pública legte gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel zum Supremo Tribunal Administrativo
ein. Dieser äußerte Zweifel daran, ob die Richtlinie auch den ISD erfasse und ob der Portugiesischen
Republik folglich bei der Umsetzung der Richtlinie insofern ein Fehler unterlaufen sei, als sie die
Richtlinie nur bei der Belastung ausgeschütteter Gewinne mit IRC und nicht bei der Belastung mit ISD
beachtet habe. Auch bei dem letzteren sei Besteuerungsgrundlage das Einkommen, denn er werde in
Form einer Quellensteuer von 5 % auf die Dividenden oder jeden anderen Wertpapierertrag erhoben.
In Wirklichkeit stelle der ISD also trotz seiner Bezeichnung als Erbschaft- und Schenkungsteuer
ebenfalls eine Einkommensteuer dar, die neben dem IRC bestehe.
13.
Aus den Akten ergibt sich, daß das Verhältnis zwischen Epson Europe und Epson Portugal als
Mutter- und Tochtergesellschaft vom Geltungsbereich der Richtlinie umfaßt wird, da alle
Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
14.
Deshalb hat das Supremo Tribunal Administrativo das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Artikel 5 Absatz 4 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame
Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, soweit er die
Grenzen der Ausnahmeregelung für Portugal auf 15 % und 10 % festsetzt, dahin auszulegen, daß sich
diese Begrenzung nur auf den Imposto sobre o rendimento das pessoas colectivas
(Körperschaftsteuer) in Portugal bezieht, oder betrifft sie jede auf Dividenden angewandte
Besteuerung der Erträge von Aktien unabhängig davon, in welcher rechtlichen Regelung sie
vorgesehen ist?
15.
Die Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob sich die Ausnahmeregelung des Artikel 5 Absatz
4 der Richtlinie, soweit er die Quellensteuer auf Gewinnausschüttungen in Portugal ansässiger
Tochtergesellschaften an Muttergesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat auf 15 % und 10 %
begrenzt, nicht nur auf die Körperschaftsteuer bezieht, sondern jede Besteuerung in Form einer
Quellensteuer auf die von den genannten Tochtergesellschaften ausgeschütteten Dividenden
unabhängig von ihrer Natur oder Bezeichnung betrifft.
16.
Epson Europe und die Kommission tragen vor, daß der ISD in den Geltungsbereich der Richtlinie
falle und folglich nicht erhoben werden dürfe. Artikel 5 Absatz 4 der Richtlinie, der ausdrücklich auf die
„Quellensteuer“ und nicht nur auf die Besteuerung des Einkommens oder der Gewinne als solche
Bezug nehme, betreffe jeden Steuerabzug an der Quelle bei Dividendenausschüttungen einer in
Portugal ansässigen Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat.
Der ISD sei aufgrund seiner Merkmale eine wirkliche Einkommensteuer und nicht eine Besteuerung
der Übertragung von Vermögen. Zwar möge er historisch durch die Unmöglichkeit der Besteuerung
der Übertragung von Wertpapieren gerechtfertigt gewesen sein; doch sei er heutzutage als
Substitutionssteuer überflüssig und im portugiesischen Steuersystem selbst wohl ein Fremdkörper.
17.
Die Kommission fügt hinzu, die Richtlinie wolle entsprechend dem Grundsatz der steuerlichen
Neutralität eine Doppelbesteuerung im Verhältnis zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften, die in
zwei verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig seien, verhindern, was es zum einen den Unternehmen
ermögliche, sich den Anforderungen des Gemeinsamen Marktes anzupassen, und zum anderen den
Zusammenschluß von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten erleichtere. Die Belastung der
Dividenden mit dem ISD sei jedoch geeignet, dieses Ziel zunichte zu machen, und nehme der Richtlinie
jede praktische Wirksamkeit.
18.
Die Fazenda Pública und die portugiesische Regierung sind dagegen der Ansicht, daß Artikel 5
Absätze 1 und 4 der Richtlinie nicht auf den ISD anwendbar sei. Dieser stelle eine besondere
Steuerart dar, deren Erhebung an den Faktor der Kapitalisierung der Dividenden anknüpfe. Diese
Steuer belaste nicht die Erträge des Wertpapiers, sondern seinen Wert. Sie werde mit Hilfe eines
Kapitalisierungsfaktors berechnet, was nicht das gleiche sei wie die Besteuerung der Erträge von
Wertpapieren. Sie sei somit eine Besteuerung unentgeltlicher Vermögensübertragungen; der
Umstand, daß sie aufgrund der Erträge berechnet werde, ändere nichts an ihrer wirklichen Natur als
Erbschaft- und Schenkungsteuer.
19.
Die portugiesische Regierung trägt außerdem vor, aus den Verhandlungen, die zum Erlaß der
Richtlinie geführt hätten, ergebe sich, daß die Steuer, um die es im Ausgangsverfahren gehe, als vom
Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen angesehen worden sei. Sie beruft sich dazu auf
mehrere Schriftstücke, aus denen hervorgehe, daß sie während der Ausarbeitung der Richtlinie ihren
Wunsch zum Ausdruck gebracht habe, den ISD vom Geltungsbereich der Richtlinie auszunehmen, was
der Rat akzeptiert habe.
20.
Wie sich insbesondere aus der dritten Begründungserwägung der Richtline ergibt, soll diese durch
Schaffung eines gemeinsamen Steuersystems jede Benachteiligung der Zusammenarbeit zwischen
Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten gegenüber der Zusammenarbeit zwischen
Gesellschaften desselben Mitgliedstaats beseitigen und so die Zusammenschlüsse von
Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene erleichtern. Daher sieht Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung vor, daßim Staat der Tochtergesellschaft bei der
Gewinnausschüttung eine Befreiung vom Steuerabzug an der Quelle gewährt wird (Urteil vom 17.
Oktober 1996 in den Rechtssachen C-283/94, C-291/94 und C-292/94, Denkavit u. a., Slg. 1996, I-
5063, Randnr. 22).
21.
Für die Portugiesische Republik galt während einer Übergangszeit insofern eine Ausnahme von der
in Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie aufgestellten Regel, als ihr durch Artikel 5 Absatz 4 gestattet wurde,
bis zum 31. Dezember 1999 eine bestimmte Besteuerung der Gewinnausschüttungen von in Portugal
ansässigen Tochtergesellschaften an Muttergesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat
beizubehalten, nämlich eine Quellensteuer von 15 % während der Jahre 1992 bis 1996 und von 10 %
während der Jahre 1997 bis 1999. Nach der fünften Begründungserwägung der Richtlinie wurde diese
zeitlich begrenzte Ausnahme aus budgetären Gründen vorgesehen. Die Richtlinie enthält keine
weitere Ausnahme für die Portugiesische Republik.
22.
Bei der Prüfung der Frage, ob die Belastung der Gewinnausschüttungen mit ISD unter Artikel 5
Absatz 1 der Richtlinie fällt, ist vor allem auf dessen Wortlaut abzustellen. Der dort verwendete Begriff
„Quellensteuer“ ist nicht auf bestimmte einzelstaatliche Steuerarten beschränkt. So nennt Artikel 2
Buchstabe c der Richtlinie zum Zweck der Bezeichnung der Gesellschaften der Mitgliedstaaten, die von
der Richtlinie erfaßt werden sollen, die einzelstaatlichen Steuern, denen diese Gesellschaften
normalerweise unterliegen, darunter für Portugal den „Imposto sobre o rendimento das pessoas
colectivas“ (IRC). Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, daß andere Steuern, die die gleiche
Wirkung haben, zulässig sind, zumal in Artikel 2 a. E. ausdrücklich von „irgendeiner Steuer, die eine
dieser Steuern ersetzt“, gesprochen wird.
23.
Aus dem Vorlagebeschluß und den gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes
abgegebenen Erkärungen geht hervor, daß der ISD eine Quellensteuer ist, deren auslösender
Tatbestand die Zahlung von Dividenden oder anderen Erträgen von Wertpapieren ist, daß
Bemessungsgrundlage dieser Steuer die Erträge dieser Wertpapiere sind und daß der
Steuerpflichtige der Inhaber dieser Wertpapiere ist. Der ISD hat somit die gleiche Wirkung wie eine
Einkommensteuer. Insoweit ist es unbeachtlich, daß die Steuer als Erbschaft- und Schenkungsteuer
bezeichnet und neben dem IRC erhoben wird.
24.
Deshalb würde das Ziel der Richtlinie, das, wie in Randnummer 20 dieses Urteils dargelegt, in der
Förderung der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften mehrerer Mitgliedstaaten besteht,
beeinträchtigt, wenn die Mitgliedstaaten die Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten von der in der
Richtlinie enthaltenen Begünstigung ausschließen könnten, indem sie sie mit Steuern belasten, die
die gleiche Wirkung haben wie eine Einkommensteuer, auch wenn sie durch ihre Bezeichnung der
Kategorie der Vermögensteuer zugeordnet werden.
25.
Folglich fällt der ISD, der die Besteuerung der Dividendenausschüttungen von in Portugal
ansässigen Tochtergesellschaften an Muttergesellschaften in einem anderenMitgliedstaat betrifft, in
den Geltungsbereich der Richtlinie. Deshalb hat die Portugiesische Republik zwar das Recht, diese
Steuer, eventuell in Verbindung mit dem IRC, beizubehalten, dies jedoch nur in den Grenzen, die Artikel
5 Absatz 4 für eine Übergangszeit festgesetzt hat, d. h. zu einem Quellensteuersatz, der in den Jahren
1992 bis 1996 15 % und in den Jahren 1997 bis 1999 10 % nicht überschreiten durfte. Wenn diese
Grenzen nicht beachtet würden, würde die Portugiesische Republik in den Genuß einer zusätzlichen, in
der Richtlinie nicht vorgesehenen Ausnahme kommen.
26.
Das Vorbringen der portugiesischen Regierung, aus verschiedenen Schriftstücken, namentlich
einer Erklärung des Rates, ergebe sich, daß der ISD vom Geltungsbereich des Artikels 5 Absatz 1 der
Richtlinie ausgeschlossen worden sei, findet im Wortlaut der Richtlinie keine Stütze. Im übrigen können
nach ständiger Rechtsprechung Erklärungen, die bei vorbereitenden Arbeiten, die zum Erlaß einer
Richtlinie geführt haben, abgegeben worden sind, bei der Auslegung der Richtlinie nicht
berücksichtigt werden, wenn ihr Inhalt im Wortlaut der fraglichen Bestimmung keinen Ausdruck
gefunden hat und sie somit keine rechtliche Bedeutung haben (Urteile vom 26. Februar 1991 in der
Rechtssache C-292/89, Antonissen, Slg. 1991, I-745, Randnr. 18, und vom 13. Februar 1996 in den
Rechtssachen C-197/94 und C-252/94, Bautiaa und Société française maritime, Slg. 1996, I-505,
Randnr. 51).
27.
Dem vorlegenden Gericht ist somit zu antworten, daß sich die Ausnahmeregelung des Artikels 5
Absatz 4 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem
der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, soweit er die Quellensteuer auf
Gewinnausschüttungen in Portugal ansässiger Tochtergesellschaften an Muttergesellschaften in
einem anderen Mitgliedstaat auf 15 % und 10 % begrenzt, nicht nur auf die Körperschaftsteuer
bezieht, sondern jede Besteuerung in Form einer Quellensteuer auf die von den genannten
Tochtergesellschaften ausgeschütteten Dividenden unabhängig von ihrer Natur oder Bezeichnung
betrifft.
Kosten
28.
Die Auslagen der portugiesischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren
ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Supremo Tribunal Administrativo mit Urteil vom 23. September 1998 vorgelegte Frage
für Recht erkannt:
Die Ausnahmeregelung des Artikels 5 Absatz 4 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.
Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften
verschiedener Mitgliedstaaten, der die Quellensteuer auf Gewinnausschüttungen in
Portugal ansässiger Tochtergesellschaften an Muttergesellschaften eines anderen
Mitgliedstaats auf 15 % und 10 % begrenzt, bezieht sich nicht nur auf die
Körperschaftsteuer, sondern betrifft unabhängig von ihrer Natur oder Bezeichnung jede
Besteuerung in Form einer Quellensteuer auf die von den genannten
Tochtergesellschaften ausgeschütteten Dividenden.
Edward
Sevón
Kapteyn
Jann Wathelet
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Juni 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
D. A. O. Edward
Verfahrenssprache: Portugiesisch.