Urteil des EuGH vom 10.04.2003

EuGH: kommission, regierung, stadt, pacta sunt servanda, ablauf der frist, gemeinde, mitgliedstaat, vereinigtes königreich, ausschreibung, niedersachsen

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
10. April 2003
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Zulässigkeit - Rechtsschutzinteresse - Richtlinie 92/50/EWG -
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge - Verhandlungsverfahren ohne vorherige
Vergabebekanntmachung - Voraussetzungen“
In den verbundenen Rechtssachen C-20/01 und C-28/01
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland
Prieß, Rechtsanwalt,
Beklagte,
unterstützt durch
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland
im Beistand von R. Williams, Barrister,
Streithelfer,
wegen zweier Klagen auf Feststellung,
- dass die Bundesrepublik Deutschland bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags
dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 15 Absatz 2 und Artikel 16 Absatz
1 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe
öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) verstoßen hat, dass der Abwasservertrag der
Gemeinde Bockhorn (Deutschland) nicht ausgeschrieben und das Ergebnis des Vergabeverfahrens nicht im
Supplement zum bekannt gemacht wurde,
- dass die Bundesrepublik Deutschland bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags
dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 8 und 11 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 92/50
verstoßen hat, dass die Stadt Braunschweig (Deutschland) einen Müllentsorgungsvertrag im
Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung vergeben hat, obwohl die
Voraussetzungen des genannten Artikels 11 Absatz 3 für die freihändige Vergabe ohne europaweite
Ausschreibung nicht vorlagen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten W. Wathelet sowie der Richter D. A. O. Edward, A. La Pergola, P.
Jann (Berichterstatter) und A. Rosas,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: M.-F. Contet, Verwaltungsrätin,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 10. Oktober 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. November 2002
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschriften, die am 16. und 23.
Januar 2001 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, gemäß Artikel 226 EG zwei Klagen
erhoben auf Feststellung,
- dass die Bundesrepublik Deutschland bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags
dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 15 Absatz 2 und Artikel 16
Absatz 1 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren
zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) verstoßen hat, dass der
Abwasservertrag der Gemeinde Bockhorn (Deutschland) nicht ausgeschrieben und das Ergebnis des
Vergabeverfahrens nicht im Supplement zum bekannt
gemacht wurde;
- dass die Bundesrepublik Deutschland bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags
dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 8 und 11 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie
92/50 verstoßen hat, dass die Stadt Braunschweig (Deutschland) einen Müllentsorgungsvertrag im
Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung vergeben hat, obwohl die
Voraussetzungen des genannten Artikels 11 Absatz 3 für die freihändige Vergabe ohne europaweite
Ausschreibung nicht vorlagen.
Rechtlicher Rahmen
2.
Artikel 8 der Richtlinie 92/50 bestimmt:
„Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen des Anhangs I A sind, werden nach den Vorschriften
der Abschnitte III bis VI vergeben.“
3.
Titel V (Artikel 15 bis 22) der Richtlinie 92/50 enthält gemeinsame Bekanntmachungsvorschriften.
Nach Artikel 15 Absatz 2 der Richtlinie teilen die Auftraggeber, die einen Dienstleistungsauftrag im
Wege eines offenen, eines nicht offenen oder - in den in Artikel 11 dieser Richtlinie genannten Fällen -
eines Verhandlungsverfahrens vergeben wollen, ihre Absicht durch Bekanntmachung mit.
4.
Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 92/50 bestimmt:
„Die Auftraggeber können in folgenden Fällen Dienstleistungsaufträge im Verhandlungsverfahren
ohne vorherige Vergabebekanntmachung vergeben:
...
b) wenn die Dienstleistungen aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des
Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Dienstleistungserbringer
ausgeführt werden können“.
5.
Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 92/50 lautet:
„Die Auftraggeber, die einen Auftrag vergeben, schicken dem Amt für amtliche Veröffentlichungen der
Europäischen Gemeinschaften eine Bekanntmachung über die Ergebnisse des Vergabeverfahrens.“
Sachverhalt und Vorverfahren
6.
Die Gemeinde Bockhorn im Land Niedersachsen schloss mit Wirkung vom 1. Januar 1997 und für
einen Zeitraum von mindestens dreißig Jahren mit dem Energieversorgungsunternehmen Weser-Ems
Aktiengesellschaft (im Folgenden: EWE) einen Vertrag über die Ableitung ihrer Abwässer.
7.
Die Kommission forderte die deutsche Regierung mit Schreiben vom 30. April 1999 auf, zu der Frage
Stellung zu nehmen, ob die Bestimmungen der Richtlinie 92/50 im vorliegenden Fall hätten angewandt
werden müssen.
8.
Die deutsche Regierung räumte in ihrem Antwortschreiben vom 1. Juli 1999 ein, dass der Auftrag
von der Gemeinde Bockhorn nach der Gemeinschaftsregelung hätte vergeben werden müssen.
Außerdem wies sie darauf hin, dass das Innenministerium des Landes Niedersachsen den Vorgang
zum Anlass nehmen werde, die Bezirksregierungen aufzufordern, die Gebietskörperschaften
nachdrücklich auf die strikte Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Vergabevorschriften
hinzuweisen.
9.
Die Kommission richtete am 21. März 2000 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die
Bundesrepublik Deutschland, in der sie geltend machte, dass die Bestimmungen der Richtlinie 92/50
hätten angewandt werden müssen und es rechtlich unerheblich sei, dass der Verstoß gegen die
gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen von Deutschland anerkannt worden sei. Außerdem forderte
sie diesen Mitgliedstaat auf, die in Frage kommenden Behörden alsbald auf die auf diesem Gebiet
geltenden Erfordernisse hinzuweisen und sie für die Zukunft dazu anzuhalten, ihnen nachzukommen.
10.
In einer Mitteilung vom 12. Mai 2000 räumte die deutsche Regierung den ihr zur Last gelegten
Vertragsverstoß erneut ein. Sie führte aus, das Innenministerium des Landes Niedersachsen habe
aufgrund ihrer auf das Mahnschreiben der Kommission folgenden Intervention mit Erlass vom 21. Juni
1999 alle Bezirksregierungen dieses Landes angewiesen, in geeigneter Weise sicherzustellen, dass
die auftragsvergebenden Stellen des Landes die gemeinschaftsrechtlichen Vergabevorschriften strikt
einhielten. Als Reaktion auf die mit Gründen versehene Stellungnahme habe die niedersächsische
Landesregierung erneut eindringlich an die Beachtung dieser Bestimmungen erinnert.
11.
Im Übrigen gebe es nach deutschem Recht kaum eine Möglichkeit, den Verstoß gegen die Richtlinie
92/50 auszuräumen, da zwischen der Gemeinde Bockhorn und EWE seit dem 1. Januar 1997 ein
rechtskräftiger Vertrag bestehe, der nicht gelöst werden könne, ohne dass an EWE Schadensersatz in
beträchtlichem Umfang zu leisten sei. Die Kosten einer solchen Vertragskündigung stünden in keinem
Verhältnis zu dem von der Kommission angestrebten Ziel.
12.
Die ebenfalls im Land Niedersachsen liegende Stadt Braunschweig und die Braunschweigischen
Kohlebergwerke (im Folgenden: BKB) schlossen einen Vertrag, wonach BKB ab Juni/Juli 1999 für die
Dauer von dreißig Jahren Restabfall zur thermischen Behandlung zur Verfügung gestellt werden sollte.
13.
Die zuständigen Behörden der Stadt Braunschweig hielten die Richtlinie 92/50 zwar für anwendbar,
nahmen jedoch unter Berufung auf Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie keine Vergabebekanntmachung
vor und vergaben den Auftrag im Wege des Verhandlungsverfahrens.
14.
Dieser Auslegung trat die Kommission mit ihrem Mahnschreiben vom 20. Juli 1998 entgegen.
15.
Die deutsche Regierung nahm mit Schreiben vom 4. August, 19. Oktober und 15. Dezember 1998 zu
dem Mahnschreiben Stellung und machte geltend, dass die Voraussetzungen des Artikels 11 Absatz 3
Buchstabe b der Richtlinie 92/50 insoweit erfüllt seien, als die thermische Abfallbehandlung aus
technischen Gründen allein BKB habe anvertraut werden können. Die räumliche Nähe der
Verbrennungsanlagen zum Gebiet der Stadt Braunschweig sei ein wesentliches Kriterium für die
Auftragsvergabe gewesen, um größere Transportentfernungen zu vermeiden.
16.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 1998 räumte die deutsche Regierung ein, dass die Stadt
Braunschweig im vorliegenden Fall gegen die Richtlinie 92/50 verstoßen habe, indem sie
unzulässigerweise auf das Verhandlungsverfahren ohne Vergabebekanntmachung zurückgegriffen
habe.
17.
Unter dem 6. März 2000 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die
Bundesrepublik Deutschland, in der sie diese insbesondere aufforderte, die betroffenen Behörden
alsbald auf die einschlägige Regelung hinzuweisen und sie für die Zukunft zur Einhaltung der
anwendbaren Vorschriften anzuhalten.
18.
In einer Mitteilung vom 17. Mai 2000 räumte die deutsche Regierung den ihr zur Last gelegten
Verstoß ein. Sie teilte weiter mit, dass die niedersächsische Landesregierung alle Bezirksregierungen
angewiesen habe, die vergaberechtlichen Bestimmungen einzuhalten. Wie in der Rechtssache C-20/01
könnten auch hier die Folgen des Verstoßes gegen die Richtlinie 92/50 nicht durch eine Kündigung
des Vertrages beseitigt werden. Im Übrigen würde die Stadt Braunschweig durch eine solche
Vertragskündigung verpflichtet, ihrem Vertragspartner sehr hohen Schadensersatz zu leisten. Die
Kosten einer solchen Kündigung wären daher unverhältnismäßig.
19.
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 15. Mai 2001 sind die Rechtssachen C-20/01
und C-28/01 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer
Entscheidung verbunden worden.
20.
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 18. Mai 2001 ist das Vereinigte Königreich
als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Beklagten zugelassen worden.
Zur Zulässigkeit der Klage
21.
Die deutsche Regierung macht in erster Linie geltend, die Klagen seien unzulässig, da es an einer
vom beklagten Mitgliedstaat abzustellenden fortdauernden Vertragsverletzung fehle. Das
gemeinschaftliche Vergaberecht sei nämlich lediglich Verfahrensrecht. Alle Wirkungen des Verstoßes
gegen diese Vorschriften seien mit dessen Begehung bereits erschöpft. Nachdem die Bundesrepublik
Deutschland diesen Verstoß anerkannt habe, bestehe kein objektives Interesse an der Erhebung
einer Vertragsverletzungsklage mehr.
22.
Was das Erfordernis eines objektiven Interesses angeht, stellt die deutsche Regierung das
Vertragsverletzungsverfahren der Untätigkeitsklage nach Artikel 232 EG gegenüber. Diese sei
unzulässig, wenn das betreffende Organ nach vorheriger Aufforderung, tätig zu werden, Stellung
genommen habe. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes lasse schon das Eingeständnis einer
vertragswidrigen Untätigkeit das objektive Interesse an deren Feststellung entfallen.
23.
Das objektive Interesse an der Feststellung der fraglichen Vertragsverletzungen könne sich im
vorliegenden Fall auch nicht aus der Notwendigkeit ergeben, die Grundlage für eine Haftung des
betreffenden Mitgliedstaats zu schaffen. Insbesondere scheide eine Haftung gegenüber Einzelnen
aus, da Einzelne durch die von der Gemeinde Bockhorn und der Stadt Braunschweig geschlossenen
Verträge nicht geschädigt worden seien.
24.
Nach Ansicht der deutschen Regierung, die insoweit von der Regierung des Vereinigten Königreichs
unterstützt wird, genießen die von den öffentlichen Auftraggebern geschlossenen Verträge nach dem
Gemeinschaftsrecht Bestandsschutz. Der Grundsatz pacta sunt servanda sei in der Richtlinie
89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und
Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe
öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) verankert. Indem nämlich Artikel 2 Absatz 6
dieser Richtlinie dem nationalen Recht die Möglichkeit belasse, die Befugnisse der für die
Nachprüfung des Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge zuständigen Stellen auf die
Zuerkennung von Schadensersatz an eine durch einen Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtlichen
Vergabebestimmungen geschädigte Person zu beschränken, verlange er gerade nicht, rechtsgültig
geschlossene Verträge zu kündigen oder nicht zu erfüllen.
25.
Das deutsche Vergaberecht sei von dem Grundsatz geprägt, dass ein unter Verstoß gegen
Vergabevorschriften von einem öffentlichen Auftraggeber geschlossener Vertrag nur aus wichtigem
Grund gekündigt werden könne, wobei dieser Begriff nicht auf Umstände Bezug nehme, die vor dem
Abschluss des Vertrages lägen. Die Nichtigkeit eines solchen Vertrages sei nur in eng begrenzten
Ausnahmefällen vorgesehen, die die im vorliegenden Fall geschlossenen Verträge nicht beträfen.
Hingegen enthalte das nationale Recht die erforderlichen Vorschriften, um geschädigten Personen zu
ermöglichen, Schadensersatz zu verlangen.
26.
Die Kommission macht geltend, für die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226
EG bedürfe es keines besonderen Rechtsschutzinteresses der Kommission. Der Gerichtshof habe das
Vorliegen eines solchen Interesses nur in den Fällen geprüft, in denen ein Mitgliedstaat der mit
Gründen versehenen Stellungnahme erst nach Ablauf der dort gesetzten Frist nachgekommen sei. Ein
solches Interesse könne jedoch nicht nur in der Schaffung einer Grundlage für eine Haftung des
betreffenden Mitgliedstaats, sondern auch in der Klärung essenzieller Gemeinschaftsrechtsfragen und
der Vermeidung einer Wiederholungsgefahr bestehen.
27.
Im vorliegenden Fall erschöpften sich die Wirkungen der gerügten Vertragsverletzung nicht in einem
Verfahrensmangel, und der Verstoß dauere fort. Zum einen seien die konkreten Verstöße nicht durch
die allgemeine Weisung an die Bezirksregierungen beseitigt worden. Zum anderen könne sich ein
Mitgliedstaat nicht auf von ihm selbst geschaffene vollendete Tatsachen berufen, um sich dem
Klageanspruch der Kommission zu entziehen.
28.
Außerdem habe der Gerichtshof zwar eine auf dem Gebiet des Vergaberechts erhobene
Vertragsverletzungsklage mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, dass der Verstoß bei Ablauf
der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht mehr bestanden habe; dieses
Ergebnis sei aber durch die besonderen Umstände des Falles bedingt gewesen. In den vorliegenden
Rechtssachen entfalteten dagegen die gemeinschaftsrechtswidrig zustande gekommenen Verträge
ihre Wirkungen noch jahrzehntelang. Die deutsche Regierung habe den Verstoß also nicht abgestellt.
Die Unmöglichkeit der Aufhebung der fraglichen Verträge habe keinen Einfluss auf die Zulässigkeit
der Klage, da es den Mitgliedstaaten überlassen bleibe, welchen Weg zu einer geeigneten
Wiedergutmachung sie beschritten.
29.
Nach ständiger Rechtsprechung braucht die Kommission bei der Wahrnehmung der ihr in Artikel
226 EG eingeräumten Zuständigkeiten kein spezifisches Rechtsschutzinteresse nachzuweisen. Diese
Bestimmung soll nämlich nicht die eigenen Rechte der Kommission schützen. Dieser fällt kraft ihres
Amtes im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft die Aufgabe zu, die Ausführung des EG-Vertrags
und der auf seiner Grundlage von den Organen erlassenen Vorschriften durch die Mitgliedstaaten zu
überwachen und etwaige Verstöße gegen die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen feststellen zu
lassen, damit sie abgestellt werden (Urteile vom 4. April 1974 in der Rechtssache 167/73,
Kommission/Frankreich, Slg. 1974, 359, Randnr. 15, vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-
431/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2189, Randnr. 21, und vom 5. November 2002 in der
Rechtssache C-476/98, Kommission/Deutschland, Slg. 2002, I-9855, Randnr. 38).
30.
In Anbetracht ihrer Rolle als Hüterin des Vertrages ist daher allein die Kommission für die
Entscheidung zuständig, ob es angebracht ist, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, und
wegen welcher dem betroffenen Mitgliedstaat zuzurechnenden Handlung oder Unterlassung dieses
Verfahren zu eröffnen ist. Sie kann beim Gerichtshof daher die Feststellung einer Vertragsverletzung
mit dem Vorbringen beantragen, dass das mit der Richtlinie bezweckte Ergebnis in einem bestimmten
Fall nicht erreicht worden sei (Urteile vom 11. August 1995, Kommission/Deutschland, Randnr. 22, und
vom 5. November 2002 in der Rechtssache C-471/98, Kommission/Belgien, Slg. 2002, I-9681, Randnr.
39).
31.
Die deutsche Regierung beruft sich allerdings darauf, dass die Vertragsverletzungen in Verstößen
gegen Verfahrensvorschriften bestanden hätten, die alle ihre Wirkungen bereits vor Ablauf der Fristen
erschöpft hätten, die in den mit Gründen versehenen Stellungnahmen gesetzt worden seien, und
dass diese Vertragsverletzungen vor diesem Zeitpunkt von der Bundesrepublik Deutschland als
solche anerkannt worden seien.
32.
Es trifft zu, dass das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen ist, in der
sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme
gesetzt wurde (Urteile vom 27. November 1990 in der Rechtssache C-200/88,
Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-4299, Randnr. 13, vom 31. März 1992 in der Rechtssache C-
362/90, Kommission/Italien, I-2353, Randnr. 10, und vom 7. März 2002 in der Rechtssache C-29/01,
Kommission/Spanien, Slg. 2002, I-2503, Randnr. 11).
33.
Der Gerichtshof hat zwar tatsächlich eine vergaberechtliche Vertragsverletzungsklage für unzulässig
erklärt, dies jedoch damit begründet, dass die streitgegenständliche Ausschreibung bei Ablauf der in
der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist alle ihre Wirkungen erschöpft hatte (Urteil
Kommission/Italien, Randnrn. 11 bis 13).
34.
Dagegen hat er eine Einrede der Unzulässigkeit, die darauf gestützt war, dass der behauptete
Verstoß abgestellt worden sei, in einer Situation zurückgewiesen, in der zwar die Verfahren zur
Vergabe öffentlicher Aufträge vor Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten
Frist vollständig durchgeführt, die Verträge aber vor diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig erfüllt
worden waren (Urteil vom 28. Oktober 1999 in der Rechtssache C-328/96, Kommission/Österreich, Slg.
1999, I-7479, Randnrn. 43 bis 45).
35.
Außerdem enthält die Richtlinie 92/50 zwar im Wesentlichen Verfahrensvorschriften, sie ist jedoch
gleichwohl erlassen worden, um die Hemmnisse für den freien Dienstleistungsverkehr zu beseitigen
und somit die Interessen der in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer zu
schützen, die den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen öffentlichen Auftraggebern
Dienstleistungen anbieten möchten (vgl. insbesondere Urteil vom 18. Oktober 2001 in der
Rechtssache C-19/00, SIAC Construction, Slg. 2001, I-7725, Randnr. 32).
36.
Daher ist festzustellen, dass die durch die Missachtung der Bestimmungen der Richtlinie 92/50
erfolgte Beeinträchtigung des freien Dienstleistungsverkehrs während der gesamten Dauer der
Erfüllung der unter Verstoß gegen diese Richtlinie geschlossenen Verträge fortdauert.
37.
Im vorliegenden Fall wirken die nach Ansicht der Kommission unter Verstoß gegen die
Bestimmungen der Richtlinie 92/50 geschlossenen Verträge jahrzehntelang weiter fort. Daher kann
nicht gesagt werden, dass die behaupteten Vertragsverletzungen vor Ablauf der in den mit Gründen
versehenen Stellungnahmen gesetzten Fristen beendet worden seien.
38.
Die Richtigkeit dieser Schlussfolgerung wird auch nicht durch das den Mitgliedstaaten in Artikel 2
Absatz 6 der Richtlinie 89/665 verliehene Recht in Frage gestellt, die Befugnisse der
Nachprüfungsinstanz nach dem Vertragsschluss im Anschluss an die Zuschlagserteilung darauf zu
beschränken, einer durch einen Verstoß gegen das gemeinschaftliche Vergaberecht geschädigten
Person Schadensersatz zuzuerkennen.
39.
Denn diese Bestimmung erlaubt den Mitgliedstaaten zwar, die Wirkungen der unter Verstoß gegen
die Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge geschlossenen Verträge aufrechtzuerhalten,
und schützt somit das berechtigte Vertrauen der Vertragspartner; sie kann jedoch nicht, ohne die
Tragweite der die Schaffung des Binnenmarktes betreffenden Bestimmungen des Vertrages zu
beschränken, dazu führen, dass das Verhalten des Auftraggebers gegenüber Dritten nach Abschluss
dieser Verträge als gemeinschaftsrechtskonform anzusehen ist.
40.
Im Übrigen kann sich weder die Tatsache, dass die deutsche Regierung im Vorverfahren das
Vorliegen der ihr zur Last gelegten Vertragsverletzungen eingeräumt hat, noch der von ihr angeführte
Umstand, dass nach deutschem Recht eine Schadensersatzklage auch ohne Feststellung der
Vertragsverletzungen durch den Gerichtshof möglich sei, auf die Zulässigkeit der vorliegenden Klagen
auswirken.
41.
Wie der Gerichtshof nämlich bereits festgestellt hat, ist es seine Sache, festzustellen, ob die
beanstandete Vertragsverletzung vorliegt oder nicht, auch wenn der betroffene Mitgliedstaat die
Vertragsverletzung nicht mehr bestreitet und den Anspruch Einzelner auf Ersatz des ihnen dadurch
eventuell entstandenen Schadens anerkennt (Urteil vom 22. Juni 1993 in der Rechtssache C-243/89,
Kommission/Dänemark, Slg. 1993, I-3353, Randnr. 30).
42.
Da die Feststellung einer von einem Mitgliedstaat begangenen Vertragsverletzung nicht die
Feststellung voraussetzt, dass hierdurch ein Schaden verursacht worden ist (Urteil vom 18. Dezember
1997 in der Rechtssache C-263/96, Kommission/Belgien, Slg. 1997, I-7453, Randnr. 30), kann sich die
Bundesrepublik Deutschland auch nicht darauf berufen, dass einem Dritten im Rahmen der mit der
Gemeinde Bockhorn und der Stadt Braunschweig geschlossenen Verträge kein Schaden entstanden
sei.
43.
Da die gerügten Vertragsverletzungen über den in den mit Gründen versehenen Stellungnahmen
festgesetzten Zeitpunkt hinaus fortgedauert haben, kann sich die Bundesrepublik Deutschland, auch
wenn sie diese Vertragsverletzungen anerkannt hat, für ihre Auffassung auch nicht auf einen
Vergleich mit der Untätigkeitsklage nach Artikel 232 EG und auf die Umstände stützen, bei deren
Vorliegen der Gerichtshof eine Untätigkeit als beendet ansieht.
44.
Nach alledem sind die von der Kommission erhobenen Klagen zulässig.
Zur Begründetheit
45.
Die Kommission macht in der Rechtssache C-20/01 geltend, die Richtlinie 92/50 sei auf den
fraglichen Auftrag anwendbar gewesen, der nach deren Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 15 Absatz 2
hätte ausgeschrieben werden müssen. Das Ergebnis des Vergabeverfahrens hätte nach Artikel 16
der Richtlinie 92/50 veröffentlicht werden müssen.
46.
In der Rechtssache C-28/01 trägt sie vor, auch hier falle der fragliche Vertrag in den
Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50. Die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne
vorherige Vergabebekanntmachung gemäß Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe b dieser Richtlinie seien
nicht erfüllt gewesen. Weder der Standort des gewählten Unternehmens in der Nähe des Ortes der
Leistungserbringung noch die Dringlichkeit der Auftragsvergabe könne die Anwendung dieser
Bestimmung im vorliegenden Fall rechtfertigen.
47.
Der in Artikel 130r Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 174 EG) vorgesehene
Grundsatz, dass Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen seien, sei
im Licht dieser Bestimmung insgesamt auszulegen, nach der Umweltschutzerfordernisse bei der
Festlegung und Durchführung der übrigen Politiken der Gemeinschaft einzubeziehen seien. Diese
Bestimmung sehe nicht vor, dass die gemeinschaftliche Umweltpolitik Vorrang vor den übrigen
Gemeinschaftspolitiken habe, wenn die Gemeinschaftspolitiken miteinander in Konflikt stünden.
Außerdem dürften in einem Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge ökologische Gesichtspunkte
nicht zu diskriminierenden Zwecken verwendet werden.
48.
Der öffentliche Auftraggeber begründe die Entscheidung für das fragliche Vergabeverfahren mit
dem Argument der Sicherstellung der Entsorgung. Damit sei aber das Argument widerlegt, dass
dieses Verfahren aus Gründen des Umweltschutzes und der räumlichen Nähe der
Abfallentsorgungsanlage gewählt worden sei.
49.
Die deutsche Regierung, die nur hilfsweise zur Begründetheit vorträgt, macht geltend, dass die von
der Kommission erhobenen Klagen jedenfalls unbegründet seien, da sämtliche Wirkungen der
gerügten Verstöße gegen die Richtlinie 92/50 mit ihrer Begehung erschöpft gewesen seien und die
Verstöße bei Ablauf der in den mit Gründen versehenen Stellungnahmen gesetzten Fristen nicht mehr
angedauert hätten.
50.
In der Rechtssache C-28/01 fügt die deutsche Regierung hinzu, dem Kriterium der räumlichen Nähe
der Abfallentsorgungsanlage, dessen Heranziehung völlig rechtmäßig gewesen sei, hätte nur BKB
gerecht werden können. Dieses Kriterium sei nicht ohne weiteres diskriminierend gewesen, da nicht
auszuschließen sei, dass auch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen diese
Voraussetzung erfüllen könnten.
51.
Im Allgemeinen sei ein Auftraggeber berechtigt, Umweltschutzgesichtspunkte in seine
Überlegungen zur Vergabe öffentlicher Aufträge einfließen zu lassen, wenn er festlege, welche Art von
Dienstleistung er in Auftrag zu geben beabsichtige. Auch aus diesem Grund könne keine Kündigung
des von der Stadt Braunschweig und BKB geschlossenen Vertrages verlangt werden, da im Rahmen
einer erneuten Vergabe BKB erneut den Zuschlag erhalten müsse.
Rechtssache C-20/01
52.
In der Rechtssache C-20/01 steht fest, dass die Voraussetzungen der Richtlinie 92/50 erfüllt waren.
Wie der Generalanwalt in Nummer 65 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, stellt nämlich die
Behandlung von Abwasser eine Dienstleistung im Sinne von Artikel 8 und Anhang I A Kategorie 16 der
Richtlinie 92/50 dar. Die Errichtung bestimmter Anlagen hat gegenüber dem Hauptgegenstand des
zwischen der Gemeinde Bockhorn und EWE geschlossenen Vertrages nur untergeordneten Charakter.
Dessen Wert übersteigt den in Artikel 7 der Richtlinie 92/50 festgelegten Mindestbetrag bei weitem.
53.
Nach Maßgabe der Artikel 8 und 15 Absatz 2 der Richtlinie 92/50 hätte der Auftrag daher nach
dieser Richtlinie vergeben werden müssen. Dass die Gemeinde Bockhorn dies nicht getan hat, steht
fest und wird im Übrigen auch nicht von der deutschen Regierung bestritten.
54.
Das Verteidigungsvorbringen der Bundesrepublik Deutschland zur Begründetheit verweist im
Wesentlichen auf die Argumente, die gegen die Zulässigkeit der Klage vorgebracht worden sind.
Dieses Vorbringen ist aus den in den Randnummern 29 bis 43 dieses Urteils dargelegten Gründen
zurückzuweisen.
55.
Die Klage der Kommission in der Rechtssache C-20/01 ist daher begründet.
Rechtssache C-28/01
56.
In der Rechtssache C-28/01 war die Richtlinie 92/50 offensichtlich anwendbar und ist im Übrigen
auch von der Stadt Braunschweig angewandt worden. Diese hat sich jedoch unter Berufung auf Artikel
11 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 92/50 für das Verhandlungsverfahren ohne vorherige
Vergabebekanntmachung entschieden.
57.
Die deutsche Regierung hat zwar im Vorverfahren eingeräumt, dass die Voraussetzungen dieser
Bestimmung nicht erfüllt gewesen seien, sie macht jedoch geltend, dass BKB tatsächlich das einzige
Unternehmen gewesen sei, dem der Auftrag habe erteilt werden können, und dass eine neue
Ausschreibung an diesem Ergebnis nichts ändern könnte.
58.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 92/50, der Ausnahmen von
den Vorschriften zulässt, die die Wirksamkeit der durch den EG-Vertrag im Bereich der öffentlichen
Dienstleistungsaufträge eingeräumten Rechte gewährleisten sollen, eng auszulegen ist und dass die
Beweislast dafür, dass die außergewöhnlichen Umstände, die die Ausnahme rechtfertigen, tatsächlich
vorliegen, demjenigen obliegt, der sich auf sie berufen will (vgl. zu öffentlichen Bauaufträgen Urteil
vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-318/94, Kommission/Deutschland, Slg. 1996, I-1949, Randnr.
13).
59.
Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 92/50 ist nur anwendbar, wenn nachgewiesen ist,
dass es aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von
Ausschließlichkeitsrechten nur ein Unternehmen gibt, das zur Erfüllung des betreffenden Vertrages
tatsächlich in der Lage ist. Da im vorliegenden Fall künstlerische oder Gründe des Schutzes von
Ausschließlichkeitsrechten nicht angeführt worden sind, ist nur zu prüfen, ob die von der deutschen
Regierung geltend gemachten Gründe technische Gründe im Sinne dieser Bestimmung sein können.
60.
Ein Auftraggeber kann zwar in den verschiedenen Stadien eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher
Aufträge Umweltschutzkriterien berücksichtigen (vgl. zur Heranziehung derartiger Kriterien als
Zuschlagskriterien bei der Vergabe eines Auftrags für den Betrieb einer Linie eines städtischen
Busnetzes Urteil vom 17. September 2002 in der Rechtssache C-513/99, Concordia Bus Finland, Slg.
2002, I-7213, Randnr. 57).
61.
Daher ist nicht auszuschließen, dass ein technischer Grund des Umweltschutzes bei der Prüfung
der Frage berücksichtigt werden kann, ob der betreffende Auftrag nicht nur an einen ganz
bestimmten Dienstleistungserbringer vergeben werden kann.
62.
Bei dem wegen des Vorliegens eines solchen technischen Grundes angewandten Verfahren
müssen jedoch die wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem das
Diskriminierungsverbot, wie es aus den Bestimmungen des Vertrages über das Niederlassungsrecht
und das Recht des freien Dienstleistungsverkehrs folgt, beachtet werden (siehe entsprechend Urteil
Concordia Bus Finland, Randnr. 63).
63.
Die Gefahr einer Verletzung des Diskriminierungsverbots ist jedoch besonders groß, wenn der
Auftraggeber beschließt, einen bestimmten Auftrag nicht dem Wettbewerb zu öffnen.
64.
Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass die Entscheidung für eine thermische
Abfallbehandlung in Ermangelung entsprechender Beweismittel nicht als technischer Grund
angesehen werden kann, der die Behauptung, der Auftrag habe nur an einen bestimmten
Dienstleistungserbringer vergeben werden können, stützen könnte.
65.
Zweitens wird der Vortrag der deutschen Regierung, die Entsorgungsnähe sei notwendige Folge
der Entscheidung der Stadt Braunschweig zugunsten der thermischen Behandlung von Restabfall,
nicht durch Beweismittel gestützt, so dass in diesem Umstand kein solcher technischer Grund
gesehen werden kann. Insbesondere hat die deutsche Regierung nicht dargetan, dass der Transport
der Abfälle über größere Entfernungen notwendig eine Gefährdung der Umwelt oder der öffentlichen
Gesundheit bedeutet.
66.
Drittens kann auch die Nähe eines bestimmten Dienstleistungserbringers zum Gemeindegebiet
allein noch keinen technischen Grund im Sinne von Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie
92/50 darstellen.
67.
Folglich hat die Bundesrepublik Deutschland nicht nachgewiesen, dass der Rückgriff auf Artikel 11
Absatz 3 der Richtlinie 92/50 im vorliegenden Fall gerechtfertigt war. Demgemäß ist auch die Klage der
Kommission in der Rechtssache C-28/01 begründet.
68.
Nach alledem ist festzustellen,
- dass die Bundesrepublik Deutschland bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags
dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 15 Absatz 2 und Artikel 16
Absatz 1 der Richtlinie 92/50 verstoßen hat, dass der Abwasservertrag der Gemeinde Bockhorn nicht
ausgeschrieben und das Ergebnis des Vergabeverfahrens nicht im Supplement zum
bekannt gemacht wurde;
- dass die Bundesrepublik Deutschland bei der Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags
dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 8 und 11 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie
92/50 verstoßen hat, dass die Stadt Braunschweig einen Müllentsorgungsvertrag im
Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung vergeben hat, obwohl die
Voraussetzungen des Artikels 11 Absatz 3 dieser Richtlinie für die freihändige Vergabe ohne
gemeinschaftsweite Ausschreibung nicht vorlagen.
Kosten
69.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr
gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Das Vereinigte Königreich trägt nach
Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung seine eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Vergabe eines öffentlichen
Dienstleistungsauftrags dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 8 in Verbindung
mit Artikel 15 Absatz 2 und Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18.
Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge verstoßen, dass der Abwasservertrag der Gemeinde Bockhorn
(Deutschland) nicht ausgeschrieben und das Ergebnis des Vergabeverfahrens nicht im
Supplement zum
2. Die Bundesrepublik Deutschland hat bei der Vergabe eines öffentlichen
Dienstleistungsauftrags dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 8 und 11
Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 92/50 verstoßen, dass die Stadt Braunschweig
(Deutschland) einen Müllentsorgungsvertrag im Verhandlungsverfahren ohne vorherige
Vergabebekanntmachung vergeben hat, obwohl die Voraussetzungen des genannten
Artikels 11 Absatz 3 für die freihändige Vergabe ohne gemeinschaftsweite Ausschreibung
nicht vorlagen.
3. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland trägt seine eigenen Kosten.
Wathelet
Edward
La Pergola
Jann
Rosas
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. April 2003.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
M. Wathelet
Verfahrenssprache: Deutsch.