Urteil des EuGH vom 13.01.2000

EuGH: betriebsstätte, in den verkehr bringen, verwaltungsbezirk, schutz der gesundheit, gemeinde, bäcker, gewerbe, auswärtige angelegenheiten, kommission, haus

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
13. Januar 2000
„Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) - Feilbieten im Umherziehen von Fleischer- und
Backwaren und anderen Lebensmitteln - Räumliche Begrenzung“
In der Rechtssache C-254/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom österreichischen
Obersten Gerichtshof in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb
gegen
TK-Heimdienst Sass GmbH
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 30 EG-Vertrag (nach
Änderung jetzt Artikel 28 EG)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward sowie der Richter L. Sevón (Berichterstatter), J. -P.
Puissochet, P. Jann und M. Wathelet,
Generalanwalt: A. La Pergola
Kanzler: R. Grass
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- des Schutzverbandes gegen unlauteren Wettbewerb, vertreten durch Rechtsanwalt L. Pfleger, Wien,
- der TK-Heimdienst Sass GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt P. Lewisch, Wien,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Stix-Hackl, Gesandte im Bundesministerium für
auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Hauptrechtsberater R. Wainwright
und K. Schreyer, zum Juristischen Dienst abgeordnete nationale Beamtin, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Mai 1999,
folgendes
Urteil
1.
Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluß vom 30. Juni 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 13.
Juli 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung des
Artikels 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Schutzverband gegen unlauteren
Wettbewerb (Kläger) und der TK-Heimdienst Sass GmbH (Beklagte) wegen der von dieser ausgeübten
Tätigkeit des Feilbietens im Umherziehen.
Das österreichische Recht
3.
Nach § 53a Absatz 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO) dürfen Bäcker, Fleischer und
Lebensmittelhändler Waren, zu deren Feilhaltung sie aufgrund ihrer diesbezüglichen
Gewerbeberechtigung berechtigt sind, im Umherziehen von Ort zuOrt oder von Haus zu Haus feilbieten.
Nach § 53a Absatz 2 GewO darf das Feilbieten in einem bestimmten (mehrere Gemeinden
umfassenden) Verwaltungsbezirk nur von Gewerbetreibenden ausgeübt werden, die das betreffende
Gewerbe auch in einer ortsfesten Betriebsstätte in diesem Verwaltungsbezirk oder in einer an diesen
Verwaltungsbezirk angrenzenden Gemeinde ausüben. Es dürfen nur solche Waren feilgeboten werden,
die auch in dieser ortsfesten Betriebsstätte feilgehalten werden.
4.
Wie sich aus dem Vorlagebeschluß ergibt, handelt nach der österreichischen Rechtsprechung
sittenwidrig im Sinne des § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), wer sich über §
53a der Gewerbeordnung in der Absicht hinwegsetzt, im Wettbewerb einen Vorsprung gegenüber
seinen gesetzestreuen Mitbewerbern zu erlangen, sofern der konkrete Verstoß objektiv geeignet ist,
den freien Leistungswettbewerb zu beeinträchtigen.
Der Ausgangsrechtsstreit
5.
Die Beklagte, die ihren Hauptsitz in Haiming (Tirol) und Zweigniederlassungen in Völs (Tirol) und
Wolfurt (Vorarlberg) hat, betreibt ein Kleinhandelsgewerbe. Sie liefert auch Tiefkühlwaren an
Letztverbraucher aus. Die Fahrer der Firma verteilen entlang einer in regelmäßigen Zeitabständen
befahrenen Fahrtroute Kataloge mit den von der Beklagten geführten Tiefkühlwaren sowie
Bestellformulare. Bestellungen können entweder bei der Zentrale oder direkt bei den Fahrern
abgegeben werden. Die Auslieferung erfolgt im Zuge der nächsten Tour auf dieser Strecke. Die
Lieferfahrzeuge sind außerdem mit einem festen Warenbestand ausgestattet; aus diesem
Warenvorrat erfolgen auch Direktverkäufe ohne vorangegangene Bestellungen. Eine derartige
Fahrtroute betreibt die Beklagte auch im Verwaltungsbezirk Bludenz, der nach dem Vorlagebeschluß
nicht an Haiming, Völs oder Wolfurt angrenzt.
6.
Der Kläger, ein Verein zur Wahrung wirtschaftlicher Unternehmerinteressen, dessen Zweck vor
allem die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs ist, beantragte vor Gericht, der Beklagten zu
untersagen, insbesondere Lebensmittel in einem bestimmten österreichischen Verwaltungsbezirk im
Umherziehen feilzubieten, solange sie nicht das Lebensmittelhändlergewerbe in diesem
Verwaltungsbezirk oder einer an ihn angrenzenden Gemeinde in einer ortsfesten Betriebsstätte
ausübt. Der Kläger stützte dieses Begehren auf § 53a GewO.
7.
Das erstinstanzliche Gericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese
Entscheidung. Nach dem Vorlagebeschluß war das Berufungsgericht der Auffassung, daß § 53a GewO
nur die Regelung einer bestimmten Verkaufsmodalität im Sinne des Urteils vom 24. November 1993 in
den Rechtssachen C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097) enthalte und
deshalb nicht unter Artikel 30 EG-Vertrag falle.
8.
Der Oberste Gerichtshof als Revisionsinstanz verweist auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu
Artikel 30 EG-Vertrag, insbesondere das Urteil Keck und Mithouard, und bemerkt, der Umstand, daß §
53a GewO nicht produktbezogen sei, sondern eine bestimmte Vertriebsform regele, daß er für alle
betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelte, die ihre Tätigkeit im Inland ausübten, und daß er nur eine
Beschränkung des Kreises der Absatzberechtigten mit sich bringe, spreche für seine Qualifikation als
Verkaufsmodalität, die mit Artikel 30 EG-Vertrag vereinbar sei. Die genannte Bestimmung sei insofern
Ausdruck einer landesweiten Besonderheit, als sie die Nahversorgung zugunsten ortsansässiger
Unternehmen besonders schützen wolle, ein Ziel, das ohne eine solche Bestimmung in einem
topographisch so stark gegliederten Land wie Österreich gefährdet erscheine.
9.
Gegen dieses Ergebnis spreche allerdings, daß § 53a GewO möglicherweise eine verschleierte
Beschränkung darstelle (vgl. insbesondere die Urteile vom 27. Mai 1986 in den Rechtssachen 87/85
und 88/85, Legia und Gyselinx, Slg. 1986, 1707, und vom 30. April 1991 in der Rechtssache C-239/90,
Boscher, Slg. 1991, I-2023). Denn anders als die österreichischen Unternehmer sei ein Unternehmer
aus einem anderen Mitgliedstaat, der in Österreich Lebensmittel durch Feilbieten im Umherziehen
vertreiben wolle, gehalten, zusätzlich zu seiner Betriebsstätte im Sitzstaat zumindest eine weitere
ortsfeste Betriebsstätte in Österreich zu errichten und zu betreiben.
10.
Der Oberste Gerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Artikel 30 EG-Vertrag so auszulegen, daß er einer Regelung entgegensteht, wonach Bäcker,
Fleischer und Lebensmittelhändler Waren, zu deren Feilhaltung sie aufgrund ihrer
Gewerbeberechtigung berechtigt sind, nur dann im Umherziehen von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus
feilbieten dürfen, wenn sie in dem Verwaltungsbezirk, in dem sie den Vertrieb in der genannten Form
ausüben, oder in einer an diesen Verwaltungsbezirk angrenzenden Gemeinde das betreffende
Gewerbe auch in einer ortsfesten Betriebsstätte ausüben, wobei auch nur solche Waren im
Umherziehen von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus feilgeboten werden dürfen, die auch in dieser
ortsfesten Betriebsstätte feilgehalten werden?
Zur Zulässigkeit
11.
Der Schutzverband hält die Vorabentscheidungsfrage für unzulässig. Zum einen enthalte § 53a
GewO eine Verkaufsmodalität, und seine Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht hätte aufgrund
der einschlägigen Rechtsprechung hinreichend beurteilt werden können, insbesondere aufgrund des
Urteils Keck und Mithouard und des Urteils vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache C-391/92
(Kommission/Griechenland, Slg. 1995, I-1621), ohne daß es erforderlich gewesen wäre, ein
Vorabentscheidungsersuchen einzureichen. Zum andern fehle dem Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens ein grenzüberschreitender Bezug.
12.
Das Verfahren gemäß Artikel 177 EG-Vertrag ist ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem
Gerichtshof und den nationalen Gerichten, aufgrund dessen der Gerichtshof den nationalen Gerichten
die Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand geben kann, die sie für die
Entscheidung über den Rechtsstreit benötigen, mit dem sie befaßt sind (vgl. insbesondere Beschluß
vom 25. Mai 1998 in der Rechtssache C-361/97, Nour, Slg. 1998, I-3101, Randnr. 10).
13.
Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des befaßten nationalen Gerichts, das in dem
Rechtsstreit zu entscheiden hat, im Hinblick auf den jeweiligen Einzelfall sowohl die Erforderlichkeit
einer Vorabentscheidung zum Erlaß seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof
vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm
vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen (vgl.
insbesondere Urteile vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-
4921, Randnr. 59, und vom 1. Dezember 1998 in der Rechtssache C-200/97, Ecotrade, Slg. 1998, I-
7907, Randnr. 25).
14.
Hier fragt das vorlegende Gericht, ob nationale Rechtsvorschriften wie die, um die es im
Ausgangsverfahren geht, rein interne Wirkungen in dem betreffenden Mitgliedstaat haben oder ob sie
vielmehr eine potentielle Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels darstellen, die unter
Artikel 30 EG-Vertrag fallen könnte. Damit betrifft der Einwand des Klägers nicht die Zulässigkeit der
Vorlage, sondern deren Inhalt.
15.
Die Vorlagefrage ist somit zu beantworten.
Zur Beantwortung der Vorlagefrage
16.
Die Vorlagefrage geht dahin, ob Artikel 30 EG-Vertrag nationalen Rechtsvorschriften
entgegensteht, nach denen Bäcker, Fleischer und Lebensmittelhändler nur dann in einem bestimmten
Verwaltungsgebiet, wie etwa einem österreichischen Verwaltungsbezirk, Waren im Umherziehen
feilbieten dürfen, wenn sie das betreffende Gewerbe auch in einer in diesem Verwaltungsgebiet oder
einer angrenzenden Gemeinde belegenen ortsfesten Betriebsstätte ausüben, in der sie die im
Umherziehen feilgebotenen Waren ebenfalls feilhalten.
17.
Nach Auffassung des Klägers und der österreichischen Regierung regelt § 53a Absatz 2 GewO
lediglich eine Verkaufsmodalität im Sinne des Urteils Keck und Mithouard, die für alle betroffenen
Wirtschaftsteilnehmer gelte, die ihre Tätigkeit im Inland ausübten. Deshalb stellt diese Bestimmung
nach der Meinung des Klägers nur eine Beschränkung des Kreises der Personen dar, die berechtigt
sind, Waren im Umherziehen feilzubieten.
18.
Der Kläger trägt weiter vor, grenznahen Anbietern stehe jederzeit die Möglichkeit offen, auch über
die Grenze hinweg Lebensmittel durch Feilbieten im Umherziehen an österreichische Letztverbraucher
auszuliefern, sofern sie das betreffende Gewerbe in einer an den österreichischen Verwaltungsbezirk,
in dem sie Waren im Umherziehen feilbieten wollten, angrenzenden Gemeinde ausübten. Es stehe den
Unternehmern anderer Mitgliedstaaten frei, die in § 53a GewO genannten Waren nach Österreich
auszuführen, ohne dort eine ortsfeste Betriebsstätte zu haben.
19.
Die Beklagte führt zunächst aus, § 53a Absatz 2 GewO erfülle nicht die Voraussetzungen des Urteils
Keck und Mithouard; da er den Direktvertrieb von Lebensmitteln im Umherziehen den an Ort und Stelle
niedergelassenen Lebensmittelhändlern vorbehalte, stelle er keine bloße Vertriebsregelung dar. Auch
sei er nicht unterschiedslos auf alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer anwendbar, wie dies nach dem
genannten Urteil für die Gültigkeit einer Regelung, die bestimmte Verkaufsmodalitäten einschränke
oder verbiete, erforderlich sei.
20.
Die Kommission ist dagegen der Meinung, daß § 53a Absatz 2 GewO eine Verkaufsmodalität betrifft.
Er bezwecke keine Regelung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Er sei nicht
produktbezogen und unterscheide nicht zwischen Waren, die in Österreich hergestellt seien und
solchen, die aus anderen Mitgliedstaaten eingeführt würden. Darüber hinaus gelte er für alle
betroffenen Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Tätigkeit im Inland ausübten.
21.
Jedoch ist die Kommission mit der Beklagten der Auffassung, daß § 53a Absatz 2 GewO eine
verschleierte Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels darstelle, da er tatsächlich die
Wirtschaftsteilnehmer der anderen Mitgliedstaaten stärker belaste, indem er ihnen zusätzliche
Schwierigkeiten und/oder Ausgaben auferlege (Urteile vom 2. März 1983 in der Rechtssache 155/82,
Kommission/Belgien, Slg. 1983, 531; vom 28. Februar 1984 in der Rechtssache 247/81,
Kommission/Deutschland, Slg. 1984, 1111; 87/85 und 88/85, Legia und Gyselinx, und vom 23. Oktober
1997 in der Rechtssache C-189/95, Franzén, Slg. 1997, I-5909). Denn ein Bäcker, Fleischer oder
Lebensmittelhändler aus einem anderen Mitgliedstaat, der seine Erzeugnisse in Österreich im
Umherziehen feilbieten wolle, sei gezwungen, in diesem Staat mindestens eine zusätzliche
Betriebsstätte zu erwerben und beizubehalten. Dies verursache zwangsläufig zusätzliche Kosten und
führe dazu, daß diese Art des Verkaufs insbesondere für kleine Unternehmer nicht rentabel sei. Der
Zugang zum österreichischen Markt werde für ihre Waren, die aus anderen Mitgliedstaaten kämen,
besonders erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht.
22.
Nach ständiger Rechtsprechung ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den
innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern,
als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen und deshalb
durch Artikel 30 EG-Vertrag verboten (vgl. namentlich Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74,
Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5).
23.
In Randnummer 16 des Urteils Keck und Mithouard hat der Gerichtshof jedoch ausgeführt, daß die
Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten in dem betroffenen
Mitgliedstaat beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht unter
Artikel 30 EG-Vertrag fällt, sofern diese Bestimmungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer
gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse
und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise
berühren.
24.
Eine nationale Regelung wie § 53a Absatz 2 GewO, nach der Bäcker, Fleischer und
Lebensmittelhändler Waren nur dann in einem bestimmten Verwaltungsgebiet, wie etwa einem
österreichischen Verwaltungsgebiet, im Umherziehen feilbieten dürfen, wenn sie das betreffende
Gewerbe auch in einer in diesem Verwaltungsgebiet oder einer angrenzenden Gemeinde belegenen
ortsfesten Betriebsstätte ausüben, in der sie die im Umherziehen feilgebotenen Waren ebenfalls
feilhalten, betrifft die Verkaufsmodalitäten für bestimmte Waren, da sie die geographischen Gebiete
bezeichnet, in denen jeder betroffene Wirtschaftsteilnehmer seine Waren nach dieser
Vertriebsmethode in den Verkehr bringen kann.
25.
Sie berührt jedoch das Inverkehrbringen inländischer und aus anderen Mitgliedstaaten
stammender Erzeugnisse nicht in der gleichen Weise.
26.
Eine derartige Regelung verpflichtet nämlich Bäcker, Fleischer und Lebensmittelhändler, die bereits
eine ortsfeste Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat haben und die ihre Waren in einem
bestimmten Verwaltungsgebiet, wie etwa einem österreichischen Verwaltungsbezirk, im Umherziehen
feilbieten wollen, in diesem Verwaltungsgebiet oder einer angrenzenden Gemeinde eine andere
ortsfeste Betriebsstätte zu errichten oder zu erwerben, während die örtlichen Wirtschaftsteilnehmer
die Voraussetzung der ortsfesten Betriebsstätte bereits erfüllen. Somit haben Waren aus anderen
Mitgliedstaaten gleichen Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats wie inländische Waren nur,
nachdem sie mit zusätzlichen Kosten belastet worden sind (siehe in diesem Sinne die Urteile Legia und
Gyselinx, Randnr. 15, und Franzén, Randnr. 71).
27.
Dem steht nicht entgegen, daß die Regelung den Absatz aus anderen Landesteilen stammender
ebenso wie den aus anderen Mitgliedstaaten eingeführter Waren beeinträchtigt (vgl. Urteil vom 15.
Dezember 1993 in den Rechtssachen C-277/91, C-318/91 und C-319/91, Ligur Carni u. a., Slg. 1993, I-
6621, Randnr. 37). Eine staatliche Maßnahme kann auch dann als diskriminierend oder
protektionistisch im Sinne der Vorschriften über den freien Warenverkehr qualifiziert werden, wenn sie
nicht sämtliche inländischen Erzeugnisse begünstigt und auch nicht nur eingeführte Erzeugnisse,
sondern auch inländische Erzeugnisse benachteiligt (vgl. Urteil vom 25. Juli 1991 in den Rechtssachen
C-1/90 und C-176/90, Aragonesa de Publicidad Exterior et Publivía, Slg. 1991, I-4151, Randnr. 24).
28.
Deshalb ist unerheblich, ob, wie der Kläger vorträgt, die österreichische Regelung auch
Wirtschaftsteilnehmer erfaßt, die in einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen angrenzenden
Gemeinde eine ortsfeste Betriebsstätte haben. Denn, selbst wenn dies der Fall wäre, verlöre diese
Regelung ihren einschränkenden Charakter nicht allein dadurch, daß sie in einem Teilgebiet des
betreffenden Mitgliedstaats, nämlich dem Grenzgebiet, den Vertrieb der inländischen und der aus
anderen Mitgliedstaaten stammenden Waren in gleicher Weise einschränkt.
29.
Auch wenn eine nationale Regelung der fraglichen Art für alle Wirtschaftsteilnehmer gilt, die ihre
Tätigkeit im Inland ausüben, behindert sie also doch den Zugang der Waren aus anderen
Mitgliedstaaten zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats stärker als den von inländischen Waren (vgl. in
diesem Sinne Urteil vom 10. Mai 1995 in der Rechtssache C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995, I-
1141, Randnr. 37).
30.
Entgegen dem Vorbringen des Klägers sind die einschränkenden Wirkungen dieser Regelung auch
nicht so ungewiß und indirekt, daß sie nicht geeignet wären, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu
behindern. Waren aus anderen Mitgliedstaaten könnten nämlich in einem Verwaltungsgebiet, wie
etwa einem österreichischen Verwaltungsbezirk, der nicht im Grenzgebiet liegt, niemals im
Umherziehen feilgeboten werden.
31.
Folglich ist eine nationale Regelung, die es Bäckern, Fleischern und Lebensmittelhändlern verbietet,
in einem bestimmten Verwaltungsgebiet, wie etwa einem österreichischen Verwaltungsbezirk, Waren
im Umherziehen feilzubieten, wenn sie das betreffende Gewerbe nicht auch in einer in diesem
Verwaltungsgebiet oder einer an ihn angrenzenden Gemeinde belegenen ortsfesten Betriebsstätte
ausüben, in der sie die im Umherziehen feilgebotenen Waren ebenfalls feilhalten, geeignet, den
innergemeinschaftlichen Handel zu behindern.
32.
Das vorlegende Gericht weist allerdings darauf hin, daß die österreichische Regelung die
Nahversorgung zugunsten ortsansässiger Unternehmen besonders schützen wolle; dieses Ziel
erscheine in einem topographisch so stark gegliederten Land wie Österreich andernfalls gefährdet.
Deshalb ist zu prüfen, ob diese Regelung unter diesem Gesichtspunkt gerechtfertigt ist.
33.
Rein wirtschaftliche Gründe können eine Beschränkung des elementaren Grundsatzes des freien
Warenverkehrs nicht rechtfertigen (vgl. Urteil vom 28. April 1998 in der Rechtssache C-120/95, Decker,
Slg. 1998, I-1831, Randnr. 39).
34.
Zwar ist nicht auszuschließen, daß die Notwendigkeit, eine Verschlechterung der
Nahversorgungsbedingungen in relativ abgelegenen Gebieten eines Mitgliedstaats zu verhindern,
unter bestimmten Umständen eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels rechtfertigen
kann; eine Regelung wie die des Ausgangsverfahrens, die im gesamten nationalen Hoheitsgebiet gilt,
steht jedoch auf alle Fälle außer Verhältnis zu diesem Ziel.
35.
Die österreichische Regierung hat allerdings vorgetragen, der Zweck, die Nahversorgung in den
durch die topographische Gliederung Österreichs geschaffenen Randlagen zu sichern, werde durch §
53a Absatz 1 GewO verfolgt, der es Bäckern, Fleischern und Lebensmittelhändlern gestatte, Waren im
Umherziehen feilzubieten, während die in § 53a Absatz 2 GewO enthaltene Einschränkung ihren Grund
in Hygieneüberlegungen finde.
36.
Zwar ist der Schutz der Gesundheit einer der Gründe, die Ausnahmen von Artikel 30 EG-Vertrag
rechtfertigen können; dieser Schutz kann jedoch durch Maßnahmen bewirkt werden, die den
innergemeinschaftlichen Handel weniger einschränken als eine nationale Regelung wie § 53a Absatz 2
GewO, so z. B. durch Vorschriften über die Ausstattung der benutzten Fahrzeuge mit Kühlanlagen.
37.
Auf die gestellte Frage ist somit zu antworten, daß Artikel 30 EG-Vertrag nationalen Vorschriften
entgegensteht, nach denen Bäcker, Fleischer und Lebensmittelhändler nur dann in einem bestimmten
Verwaltungsgebiet, wie etwa einem österreichischen Verwaltungsbezirk, Waren im Umherziehen
feilbieten dürfen, wenn sie das betreffende Gewerbe auch in einer in diesem Verwaltungsgebiet oder
einer angrenzenden Gemeinde belegenen ortsfesten Betriebsstätte ausüben, in der sie die im
Umherziehen feilgebotenen Waren ebenfalls feilhalten.
Kosten
38.
Die Auslagen der österreichischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens
ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Obersten Gerichtshof durch Beschluß vom 30. Juni 1998 vorgelegte Frage für Recht
erkannt:
Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) steht nationalen Vorschriften
entgegen, nach denen Bäcker, Fleischer und Lebensmittelhändler nur dann in einem
bestimmten Verwaltungsgebiet, wie etwa einem österreichischen Verwaltungsbezirk,
Waren im Umherziehen feilbieten dürfen, wenn sie dasbetreffende Gewerbe auch in einer
in diesem Verwaltungsgebiet oder einer angrenzenden Gemeinde belegenen ortsfesten
Betriebsstätte ausüben, in der sie die im Umherziehen feilgebotenen Waren ebenfalls
feilhalten.
Edward
Sevón
Puissochet
Jann
Wathelet
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. Januar 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
D. A. O. Edward
Verfahrenssprache: Deutsch.