Urteil des EuGH vom 05.02.2004

EuGH: kommission, schutz der gesundheit, vereinfachtes verfahren, ablauf der frist, lebensmittel, bevölkerung, inverkehrbringen, ernährung, republik, gefahr

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
5. Februar 200
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG
und 30 EG) – Nationale Regelung, in der die Nährstoffe, die Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen,
abschließend aufgeführt sind – Maßnahme gleicher Wirkung – Rechtfertigung – Gesundheit der Bevölkerung –
Verbraucherschutz – Verhältnismäßigkeit“
In der Rechtssache C-24/00
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Castéra als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Französische Republik
F. Dobelle und R. Loosli-Surrans als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Feststellung, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, dass sie
keine Bestimmungen erlassen hat, die den freien Verkehr von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und
von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig
hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind, gewährleisten, wenn diese Zusatzstoffe (wie
Vitamine, Mineralstoffe und sonstige Zutaten) enthalten, die in der französischen Regelung nicht
vorgesehen sind;
kein vereinfachtes Verfahren vorgesehen hat, das es ermöglicht, die für das Inverkehrbringen der
genannten Lebensmittel in Frankreich erforderliche Aufnahme in die nationale Liste der Zusatzstoffe zu
erwirken, und
das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich behindert hat, ohne darzutun, dass das
Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt,
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer),
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten
Kammer, der Richter C. Gulmann, J. N. Cunha Rodrigues und R. Schintgen und der Richterin F. Macken
(Berichterstatterin),
Generalanwalt: J. Mischo,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 31. Mai 2001, in der die Kommission durch R. B. Wainwright
und J. Adda als Bevollmächtigte und die Französische Republik durch R. Loosli-Surrans vertreten waren,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Juni 2001,
erlässt
Urteil
1
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 27. Januar 2000 bei der
Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, nach Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung, dass die
Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt
Artikel 28 EG) verstoßen hat, dass sie
keine Bestimmungen erlassen hat, die den freien Verkehr von Lebensmitteln des allgemeinen
Verzehrs und von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln, die in anderen
Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind, gewährleisten,
wenn diese Zusatzstoffe (wie Vitamine, Mineralstoffe und sonstige Zutaten) enthalten, die in der
französischen Regelung nicht vorgesehen sind;
kein vereinfachtes Verfahren vorgesehen hat, das es ermöglicht, die für das Inverkehrbringen der
genannten Lebensmittel in Frankreich erforderliche Aufnahme in die nationale Liste der Zusatzstoffe
zu erwirken, und
das Inverkehrbringen der genannten Lebensmittel in Frankreich behindert hat, ohne darzutun, dass
das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt.
2
Unter Zusatzstoffen sind Nährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren und sonstige stickstoffhaltige
Verbindungen zu verstehen.
Rechtlicher Rahmen
3
Unstreitig bestanden zum streiterheblichen Zeitpunkt, d. h. bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen
versehenen Stellungnahme der Kommission vom 26. Oktober 1998 gesetzt worden war, keine
Gemeinschaftsvorschriften zur Festsetzung der Bedingungen, unter denen Nährstoffe wie Vitamine und
Mineralstoffe Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs zugesetzt werden dürfen.
4
Einige der für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmittel sind Gegenstand von Richtlinien, die die
Kommission auf der Grundlage der Richtlinie 89/398/EWG des Rates vom 3. Mai 1989 zur Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind
(ABl. L 186, S. 27), erlassen hat.
A –
5
Die französische Regelung des Inverkehrbringens von Nahrungsergänzungen und von Lebensmitteln des
allgemeinen Verzehrs, die mit Vitaminen, Mineralstoffen und sonstigen Nährstoffen wie Aminosäuren
angereichert sind, findet sich im Dekret vom 15. April 1912 über die Regelung der öffentlichen Verwaltung
zur Durchführung des Gesetzes vom 1. August 1905 über die Bekämpfung von Betrügereien beim Verkauf
von Waren und von Fälschungen betreffend Lebensmittel, insbesondere Fleisch, Wurstwaren, Obst, Gemüse,
Fisch und Konserven.
6
Artikel 1 dieses Dekrets in der Fassung des Dekrets Nr. 73-138 vom 12. Februar 1973 (JORF vom 15. Februar
1973, S. 1728) bestimmt:
„Es ist verboten, Waren und Nahrungsmittel, die für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, feilzuhalten,
anzubieten oder zu verkaufen, wenn ihnen andere chemische Stoffe als diejenigen zugesetzt sind, deren
Verwendung durch gemeinsame, aufgrund der Stellungnahme des Obersten Hygienerates Frankreichs [im
Folgenden: OHF] und der Nationalen Akademie der Medizin verabschiedete Arrêtés (Verordnungen oder
Erlasse) der Minister für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, für Wirtschaft und Finanzen, für die
industrielle und wissenschaftliche Entwicklung und für die Gesundheit erlaubt ist.“
7
Artikel 1 des Dekrets Nr. 91-827 vom 29. August 1991 betreffend Lebensmittel, die für eine besondere
Ernährung bestimmt sind (JORF vom 31. August 1991, S. 11424), bestimmt:
„Als Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, werden die Lebensmittel angesehen, die
sich aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung oder des besonderen Verfahrens ihrer Herstellung
deutlich von Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs unterscheiden, die dem angegebenen
Ernährungszweck dienen und unter Hinweis darauf in den Verkehr gebracht werden, dass sie diesem Zweck
entsprechen.“
8
Artikel 3 dieses Dekrets lautet wie folgt:
„Gemeinsame Arrêtés der für Konsum, Landwirtschaft und Gesundheit zuständigen Minister bestimmen nach
Stellungnahme des [OHF]:
a)
die Liste und die Verwendungsbedingungen von Stoffen mit Ernährungszweck wie Vitaminen,
Mineralstoffen, Aminosäuren und sonstigen Stoffen, die für eine besondere Ernährung bestimmten
Lebensmitteln zugesetzt werden dürfen, ebenso wie die für diese Stoffe geltenden Reinheitskriterien;
...“
9
Bei den in Artikel 3 des Dekrets Nr. 91-827 genannten Arrêtés handelt es sich um den zur Durchführung des
Dekrets Nr. 75-85 vom 24. Juli 1975 über Diätprodukte ergangenen Arrêté vom 20. Juli 1977 mit späteren
Änderungen und den gleichfalls später geänderten Arrêté vom 4. August 1986 betreffend die Verwendung
von Zusatzstoffen bei der Herstellung von für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln, die auf
der Grundlage der Dekrete ergangen sind, die dem Dekret Nr. 91-827 vorausgegangen und nach dessen
Artikel 9 Absatz 2 in Kraft geblieben sind.
Vorprozessuales Verfahren
10
Im Anschluss an Beschwerden von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern über die
Schwierigkeiten, mit Nährstoffen angereicherte Lebensmittel in Frankreich in den Verkehr zu bringen,
forderte die Kommission die französischen Behörden zwischen 1994 und 1996 mehrfach zur Stellungnahme
auf.
11
Nachdem die Briefwechsel zwischen der Kommission und den französischen Behörden und die Gespräche in
der „Paket-Sitzung“ ergebnislos geblieben waren, forderte die Kommission die Französische Republik mit
Schreiben vom 23. Dezember 1997 zu einer Stellungnahme binnen zwei Monaten auf.
12
Da die Antworten der französischen Behörden vom 9. März und 15. Mai 1998 sie nicht zufrieden stellten,
erließ die Kommission mit Schreiben vom 26. Oktober 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme und
forderte die Französische Republik auf, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um dieser Stellungnahme
binnen zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen.
13
Mit Schreiben vom 31. Dezember 1998 führten die französischen Behörden aus, dass die betreffende
französische Regelung auf zwingenden Gründen des Gesundheitsschutzes beruhe und dass sie in
Ermangelung einer gemeinschaftlichen Rechtsangleichung berechtigt seien, ihre nationale Regelung
anzuwenden. Sie teilten jedoch mit, dass sie beabsichtigten, eine klarstellende Regelung zu erlassen, die
das Zulassungsverfahren für den Zusatz von Nährstoffen beschreibe.
14
Da die Kommission der Ansicht war, dass die Französische Republik der mit Gründen versehenen
Stellungnahme innerhalb der festgesetzten Frist nicht nachgekommen sei, hat sie die vorliegende Klage
erhoben.
Zur Klage
15
Die Kommission erhebt in ihrer Klageschrift drei Rügen gegen die Französische Republik. Sie beanstandet
erstens, dass in der französischen Regelung eine Klausel über die gegenseitige Anerkennung fehle, die für
Lebensmittel gelte, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht
und denen nach dieser Regelung nicht zugelassene Nährstoffe zugesetzt worden seien, zweitens, dass es
kein vereinfachtes Verfahren für die Aufnahme dieser Nährstoffe in die nationale Liste der zugelassenen
Nährstoffe gebe und drittens, dass die Ablehnung der Aufnahme dieser Nährstoffe in die genannte Liste
nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes gerechtfertigt sei.
Vorbringen der Parteien
16
Die Kommission trägt im Wesentlichen vor, dass die französische Regelung es nicht berücksichtige, wenn
Lebensmittel, denen in Frankreich nicht zugelassene Nährstoffe zugesetzt worden seien, in einem anderen
Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden seien, so dass für sie
vorbehaltlich der im EG-Vertrag vorgesehenen Ausnahmen normalerweise der Grundsatz des freien
Warenverkehrs gelten müsse. Diese Regelung enthalte keine Klausel über die gegenseitige Anerkennung,
die dazu bestimmt wäre, den freien Verkehr von Erzeugnissen sicherzustellen, die in einem anderen
Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt oder in den Verkehr gebracht worden seien und die die Gesundheit der
Verbraucher auf einem Niveau schützten, das dem in Frankreich gewährleisteten gleichwertig sei, auch wenn
sie den Erfordernissen dieser Regelung nicht vollständig entsprächen.
17
Nach Ansicht der Kommission genügt gemäß dem Urteil vom 22. Oktober 1998 in der Rechtssache C-184/96
(Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-6197) das Fehlen einer Klausel über die gegenseitige Anerkennung in
der französischen Regelung, um das Vorliegen einer Vertragsverletzung zu beweisen.
18
Die französische Regierung führt hierzu aus, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Klauseln über
die gegenseitige Anerkennung in der Regel Qualitäts- oder Sicherheitsnormen für spezielle gewerbliche
Erzeugnisse, nicht aber Gesundheitsschutznormen allgemein betreffe. Im Übrigen habe die Kommission mit
der Vorlage von Richtlinienentwürfen zur Regelung des Zusatzes von Nährstoffen stillschweigend anerkannt,
dass sich angesichts der unterschiedlichen innerstaatlichen Situationen durch Klauseln über die
gegenseitige Anerkennung der freie Verkehr von Lebensmitteln unter Gewährleistung eines hohen Niveaus
des Gesundheitsschutzes nicht sicherstellen lasse.
19
Die französische Regierung räumt ein, dass die innerstaatliche Regelung den Handel zwischen den
Mitgliedstaaten behindern könne, vertritt jedoch die Meinung, dass sie durch die Ziele des Gesundheits‑ und
des Verbraucherschutzes gerechtfertigt sei. Die Kommission erbringe hier keinen Nachweis dafür, dass
diese Regelung wegen des Fehlens einer Klausel unverhältnismäßig sei, die die gegenseitige Anerkennung
von Nährstoffen gewährleiste, die in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln des
allgemeinen Verzehrs oder für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln zugesetzt worden
seien.
20
Außerdem habe die Kommission nicht nachgewiesen, dass die Französische Republik in einem Fall, in dem in
einem anderen Mitgliedstaat eine Regelung bestanden habe, nach der die gleichen Gesundheitsschutzziele
hätten gewährleistet werden können, die Prüfung eines Antrags abgelehnt habe, einen nach dieser
Regelung zugelassenen Nährstoff im Rahmen eines Systems der gegenseitigen Anerkennung in die
nationale Liste aufzunehmen.
Würdigung durch den Gerichtshof
21
Der freie Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ist ein grundlegendes Prinzip des Vertrages, das
seinen Ausdruck in dem in Artikel 30 EG-Vertrag niedergelegten Verbot mengenmäßiger
Einfuhrbeschränkungen und aller Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten findet.
22
Das in Artikel 30 EG-Vertrag aufgestellte Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung erfasst jede
Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar
oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern (vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 1974 in der
Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5, und vom 23. September 2003 in der Rechtssache
C-192/01, Kommission/Dänemark, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 39).
23
Unstreitig stellt die französische Regelung eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige
Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 30 EG-Vertrag dar. Diese Regelung, nach der mit Vitaminen und
Mineralstoffen angereicherte Lebensmittel nur dann in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn diese
Nährstoffe zuvor in eine „Positivliste“ aufgenommen worden sind, erschwert und verteuert nämlich das
Inverkehrbringen dieser Lebensmittel und behindert damit den Handel zwischen den Mitgliedstaaten.
24
Diese Regelung enthält keine Bestimmung, die den freien Verkehr angereicherter Lebensmittel sicherstellt,
die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden sind
und bei denen ein Niveau des Schutzes der menschlichen Gesundheit garantiert ist, das dem in Frankreich
gewährleisteten gleichwertig ist, auch wenn diese Erzeugnisse den Erfordernissen dieser Regelung nicht
vollständig entsprechen.
25
Allerdings verstößt eine nationale Regelung, wonach der Zusatz eines Nährstoffs zu einem Lebensmittel, das
in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht worden ist, von einer
vorherigen Zulassung abhängig ist, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes grundsätzlich nicht
gegen das Gemeinschaftsrecht, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile
vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-344/90, Kommission/Frankreich, Slg, 1992, I-4719, Randnr. 8, und
Kommission/Dänemark, Randnr. 44).
26
Eine solche Regelung muss ein Verfahren vorsehen, das es den Wirtschaftsteilnehmern ermöglicht, die
Aufnahme dieses Nährstoffs in die nationale Liste der zugelassenen Zusatzstoffe zu erreichen. Dieses
Verfahren muss leicht zugänglich sein und innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden
können; wenn es zu einer Ablehnung führt, muss die Ablehnungsentscheidung im Rahmen eines
gerichtlichen Verfahrens angefochten werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 1992,
Kommission/Frankreich, Randnr. 9).
27
Außerdem kann ein Antrag auf Aufnahme eines Nährstoffs in die nationale Liste der zugelassenen Stoffe von
den zuständigen innerstaatlichen Behörden nur dann abgelehnt werden, wenn dieser Stoff tatsächlich ein
Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung birgt (vgl. Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 46).
28
Da der betreffende Mitgliedstaat eine Regelung gewählt hat, wonach für das Inverkehrbringen eines
Lebensmittels, dem ein Nährstoff zugesetzt worden ist, eine vorherige Zulassung erforderlich ist, ist die
erste Rüge zurückzuweisen.
29
Zu der Frage, ob die französische Regelung die beiden in den Randnummern 26 und 27 des vorliegenden
Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt, ist daran zu erinnern, dass diese Frage Gegenstand der zweiten
und der dritten Rüge der Kommission ist.
Vorbringen der Parteien
30
Die Kommission trägt zunächst vor, dass das durch die französische Regelung eingeführte Verfahren der
vorherigen Zulassung, wonach erst die Änderung des einschlägigen interministeriellen Arrêté erforderlich
sei, bevor ein in Frankreich nicht zugelassener Nährstoff dort in den Verkehr gebracht werden könne, eine
besonders hohe Hürde darstelle und nicht den in Randnummer 26 des vorliegenden Urteils genannten
Anforderungen des Gemeinschaftsrechts genüge.
31
Damit das Verfahren der Aufnahme in die nationale Liste der zugelassenen Stoffe für die
Wirtschaftsteilnehmer entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofes leicht zugänglich sei, müssten
die nationalen Behörden in einem amtlich veröffentlichten und die nationalen Behörden bindenden Text
festlegen, welche Angaben in einem Antrag auf Zulassung enthalten sein müssten, und das Verfahren für
die Bearbeitung dieses Antrags beschreiben. Nach Ansicht der Kommission kann aber das durch die
französische Regelung vorgesehene Verfahren, dessen Ausgestaltung nicht in einem solchen Text
beschrieben ist, nicht als für die Wirtschaftsteilnehmer leicht zugänglich angesehen werden.
32
Ferner müsse das nationale Zulassungsverfahren in einer angemessenen Frist zu Ende geführt werden
können. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da die anwendbaren Bestimmungen keine
Frist für die Bearbeitung der Anträge auf Aufnahme in diese Liste enthielten.
33
Schließlich müsse die Ablehnung einer Zulassung in einer Form erfolgen, die dem betroffenen
Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich die Möglichkeit eröffne, den Rechtsweg zu beschreiten. Die französische
Regelung genüge dieser Anforderung aber nicht. In den von den französischen Behörden den
Wirtschaftsteilnehmern übermittelten Ablehnungsbescheiden sei insbesondere nicht konkret angegeben,
aus welchen Gründen die betreffenden Genehmigungen zum Inverkehrbringen nicht erteilt würden.
34
Die französische Regierung trägt dagegen vor, es gebe bereits ein vereinfachtes Verfahren, auch wenn es in
dem Dekret vom 15. April 1912 nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Erstens berücksichtige der OHF
internationale wissenschaftliche Daten in allen Fällen, in denen die Antragsteller sich auf diese in ihrem
Antrag beriefen. Zweitens sei das Verfahren schnell, da es genüge, einen Arrêté zu erlassen. Im Übrigen
werde der Wirtschaftsteilnehmer oft noch vor der Veröffentlichung dieses Arrêté schriftlich über das
günstige Ergebnis unterrichtet. Nach Ansicht der französischen Regierung hat die Kommission nicht
bewiesen, dass es an einem de facto vereinfachten Zulassungsverfahren für ein Erzeugnis fehlt, das in
einem anderen Mitgliedstaat als der Französischen Republik rechtmäßig in den Verkehr gebracht worden ist.
35
Vorbedingung für die Anwendung eines vereinfachten Verfahrens scheine jedenfalls zu sein, dass das im
Ausfuhrstaat geltende Recht dem Recht im Einfuhrstaat entspreche, und diese Bedingung sei nicht erfüllt,
wie der Umstand beweise, dass die Kommission beschlossen habe, Vorschläge für Richtlinien vorzulegen, um
den Zusatz von Nährstoffen zu regeln.
Würdigung durch den Gerichtshof
36
Wie aus Randnummer 26 des vorliegenden Urteils hervorgeht, steht ein Verfahren, wonach der Zusatz eines
in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Nährstoffs im Interesse der Gesundheit der Bevölkerung von
der vorherigen Zulassung abhängig ist, nur dann im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht, wenn es leicht
zugänglich ist und innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden kann und wenn, falls es
zu einer Ablehnung führt, die Ablehnungsentscheidung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens
angefochten werden kann.
37
Was erstens die Möglichkeit des Zugangs zu dem hier in Rede stehenden Verfahren betrifft, so kann die
Verpflichtung eines Mitgliedstaats, ein solches Verfahren für jede innerstaatliche Regelung vorzusehen,
nach der der Zusatz von Nährstoffen aus Gründen des Gesundheitsschutzes von einer Zulassung abhängig
ist, nicht erfüllt sein, wenn dieses Verfahren nicht in einem die innerstaatlichen Behörden bindenden
Rechtsakt von allgemeiner Wirkung ausdrücklich vorgesehen ist (vgl. ebenfalls in diesem Sinne Urteil vom 12.
März 1987 in der Rechtssache 176/84, Kommission/Griechenland, Slg. 1987, 1193, Randnr. 41).
38
Mit dem in ihrer Antwort vom 31. Dezember 1998 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme gegebenen
Hinweis auf ihre Absicht, „die französische Regelung klarzustellen, indem das Zulassungsverfahren für die
Verwendung von Nährstoffen in einer Vorschrift beschrieben wird“, haben die französischen Behörden
zumindest mit Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war,
eingeräumt, dass dieses Verfahren in der innerstaatlichen Regelung nicht förmlich vorgesehen war.
39
Zwar hat die französische Regierung eine Mitteilung an die Wirtschaftsteilnehmer über die Modalitäten der
Aufnahme von Nährstoffen in Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs vorbereitet, die ihrer Meinung nach
diese Funktion erfüllt. Aus den Akten geht aber nicht hervor, dass diese Mitteilung, angenommen, sie
genügte den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts, bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen
versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, in Kraft war.
40
Zweitens zeigen die von der Kommission in ihrer Klageschrift gegebenen Beispiele, dass die von den
Wirtschaftsteilnehmern eingereichten Anträge auf Zulassung weder innerhalb eines angemessenen
Zeitraums noch nach einem Verfahren behandelt worden sind, das in Bezug auf bei Ablehnung der
Zulassung gegebene Möglichkeiten gerichtlichen Rechtsschutzes hinreichend transparent war.
41
So hat im Fall des Antrags auf Zulassung in Bezug auf das Getränk „Red Bull“ der Antragsteller fast sieben
Monate bis zur Empfangsbestätigung für seinen Antrag und mehr als zwei Jahre bis zur Übermittlung der
ablehnenden Entscheidung warten müssen.
42
Demnach ist die zweite Rüge als begründet anzusehen.
Vorbringen der Parteien
43
Die Kommission trägt vor, dass die französischen Behörden es in mehreren Fällen abgelehnt hätten, das
Inverkehrbringen von Lebensmitteln, denen nicht zugelassene Nährstoffe zugesetzt gewesen seien, zu
genehmigen, ohne diese Ablehnungsentscheidungen mit einer tatsächlichen Gefahr für die Gesundheit der
Bevölkerung zu begründen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes habe der Mitgliedstaat in jedem
Einzelfall die Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung darzulegen.
44
Außerdem dürften die Mitgliedstaaten das Inverkehrbringen solcher aus einem anderen Mitgliedstaat
stammender Lebensmittel nicht unabhängig von jeder gesundheitsbezogenen Erwägung allein deshalb
untersagen, weil es an einem die Ernährung betreffenden Interesse fehle, diesen einen Nährstoff
zuzusetzen.
45
Zum Verbraucherschutz meint die Kommission, dass die französischen Behörden in den von ihr angeführten
Einzelfällen nicht geprüft hätten, ob nicht andere, weniger einschränkende Maßnahmen angewandt werden
könnten, die in der Verpflichtung zur Anbringung einer Kennzeichnung bestünden, anhand deren sich der
Verbraucher über die Gefahren informieren könnte, die mit einem übermäßigen Verzehr der betreffenden
Stoffe verbunden seien.
46
Demgegenüber trägt die französische Regierung vor, dass jede ablehnende Entscheidung über die
Aufnahme eines Nährstoffs in die nationale Liste der zugelassenen Stoffe auf die von den französischen
wissenschaftlichen Gremien abgegebenen Stellungnahmen gestützt sei, die ihrerseits auf einer Prüfung der
Gesundheitsgefahren in jedem Einzelfall beruhten und die anzuzweifeln sich die französischen Behörden
nicht für befugt hielten, da es um wissenschaftliche Bewertungen gehe.
47
Zu Recht würden bei der Bewertung der Unschädlichkeit von Nährstoffen die ernährungsbezogenen
Bedürfnisse der französischen Bevölkerung berücksichtigt, da die französische Regelung keine nachträgliche
Zulassung der solche Stoffe enthaltenden Enderzeugnisse vorsehe.
48
Zwar werde die Wirksamkeit des Nährstoffs im Verfahren der Aufnahme in diese nationale Liste
berücksichtigt, doch werde die Wirksamkeit des Erzeugnisses oder des zugesetzten Nährstoffs in zahlreichen
Richtlinien auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes gleichfalls berücksichtigt, und ferner werde in
zahlreichen gemeinschaftlichen und innerstaatlichen Rechtsvorschriften gleichzeitig ein zweifaches Ziel des
Gesundheitsschutzes und des Kampfes gegen Betrügereien verfolgt.
Würdigung durch den Gerichtshof
49
Es ist daran zu erinnern, dass es, soweit beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung noch
Unsicherheiten bestehen, mangels Harmonisierung Sache der Mitgliedstaaten ist, unter Berücksichtigung
der Erfordernisse des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft zu bestimmen, in welchem Umfang
sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen und ob sie für das
Inverkehrbringen der Lebensmittel eine vorherige Zulassung verlangen (vgl. Urteile vom 14. Juli 1983 in der
Rechtssache 174/82, Sandoz, Slg. 1983, 2445, Randnr. 16, und Kommission/Dänemark, Randnr. 42).
50
Dieses den Gesundheitsschutz betreffende Ermessen ist von besonderer Bedeutung, wenn nachgewiesen
wird, dass beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Forschung Unsicherheiten hinsichtlich
bestimmter Stoffe wie der Vitamine bestehen, die im Allgemeinen an sich nicht schädlich sind, jedoch bei
übermäßigem Verzehr mit der gesamten in ihrer Zusammensetzung unvorhersehbaren und
unkontrollierbaren Nahrung besondere schädliche Wirkungen hervorrufen können (vgl. Urteile Sandoz,
Randnr. 17, und Kommission/Dänemark, Randnr. 43).
51
Wie sich aus Randnummer 25 des vorliegenden Urteils ergibt, läuft es demzufolge grundsätzlich nicht dem
Gemeinschaftsrecht zuwider, dass es durch eine Regelung eines Mitgliedstaats verboten wird, zur
menschlichen Ernährung bestimmte Lebensmittel ohne vorherige Zulassung feilzuhalten oder zu verkaufen,
wenn ihnen Nährstoffe zugesetzt worden sind, deren Zusatz nicht durch diese Regelung für zulässig erklärt
worden ist.
52
Allerdings müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihres den Gesundheitsschutz betreffenden
Ermessens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einhalten. Die von ihnen gewählten Maßnahmen sind
daher auf das Maß dessen zu beschränken, was zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung oder zur
Erfüllung der zwingenden Anforderungen beispielsweise des Verbraucherschutzes tatsächlich erforderlich
ist; sie müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen, das nicht durch
Maßnahmen zu erreichen sein darf, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken
(vgl. Urteile Sandoz, Randnr. 18, und Kommission/Dänemark, Randnr. 45).
53
Da Artikel 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG) eine – eng auszulegende – Ausnahme vom
Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft darstellt, ist es im Übrigen Sache der
nationalen Behörden, die sich hierauf berufen, in jedem Einzelfall im Licht der Ernährungsgewohnheiten und
unter Berücksichtigung der Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Forschung darzulegen, dass
ihre Regelung zum wirksamen Schutz der von dieser Bestimmung erfassten Interessen erforderlich ist und
insbesondere dass das Inverkehrbringen der in Frage stehenden Erzeugnisse eine tatsächliche Gefahr für
die Gesundheit der Bevölkerung darstellt (vgl. Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 46).
54
Ein Verbot des Inverkehrbringens von Lebensmitteln, denen Nährstoffe zugesetzt worden sind, muss daher
auf eine eingehende Prüfung des Risikos gestützt werden, das der sich auf Artikel 36 EG-Vertrag berufende
Mitgliedstaat geltend macht (vgl. Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 47).
55
Ein Verbot des Inverkehrbringens eines angereicherten Lebensmittels, das im Übrigen das restriktivste
Hemmnis für den Handel mit in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten und in den Verkehr
gebrachten Lebensmitteln darstellt, kann nur erlassen werden, wenn die geltend gemachte Gefahr für die
öffentliche Gesundheit auf der Grundlage der letzten wissenschaftlichen Informationen, die bei Erlass eines
solchen Verbotes zur Verfügung stehen, als hinreichend nachgewiesen anzusehen ist. In einem solchen
Zusammenhang ist Gegenstand der Risikobewertung, die der Mitgliedstaat vorzunehmen hat, die
Beurteilung des Wahrscheinlichkeitsgrads der schädlichen Auswirkungen des Zusatzes bestimmter
Nährstoffe zu Lebensmitteln auf die menschliche Gesundheit sowie der Schwere dieser potenziellen
Auswirkungen (Urteil Kommission/Dänemark, Randnr. 48).
56
Eine solche Risikobewertung könnte natürlich ergeben, dass wissenschaftliche Unsicherheiten hinsichtlich
des Vorliegens und des Umfangs tatsächlicher Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung bestehen.
Unter solchen Umständen ist einem Mitgliedstaat zuzugestehen, dass er nach dem Vorsorgeprinzip
Schutzmaßnahmen trifft, ohne abwarten zu müssen, dass das Vorliegen und die Größe dieser Gefahren klar
dargelegt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-157/96, National Farmers’
Union u. a., Slg. 1998, I‑2211, Randnr. 63). Allerdings darf die Risikobewertung nicht auf rein hypothetische
Erwägungen gestützt werden (vgl. Urteile vom 9. September 2003 in der Rechtssache C-236/01, Monsanto
Agricoltura Italia u. a., noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 106, und
Kommission/Dänemark, Randnr. 49).
57
Im vorliegenden Fall hat die französische Regierung in einigen der von der Kommission angeführten Fälle
keine Angaben gemacht, denen sich entnehmen ließe, dass die nationale Regelung zum wirksamen Schutz
der von Artikel 36 EG-Vertrag erfassten Interessen erforderlich ist und insbesondere dass das
Inverkehrbringen des jeweiligen in Frage stehenden angereicherten Lebensmittels eine tatsächliche Gefahr
für die Gesundheit der Bevölkerung darstellt.
58
Was zunächst die mit Vitaminen angereicherten Süßwaren und Getränke betrifft, so geht aus dem
Gutachten des OHF vom 10. September 1996, auf das sich die französischen Behörden zur Rechtfertigung
des Verbotes des Inverkehrbringens derartiger Erzeugnisse stützen, hervor, dass die Genehmigung des
Inverkehrbringens dieser angereicherten Lebensmittel zu versagen sei, weil eine Person zahlreiche mit
Vitaminen angereicherte Lebensmittel verzehren könne, die zur gewöhnlichen Aufnahme aus einer
abwechslungsreichen Ernährung hinzukommen würden. Nach Schätzungen des OHF nimmt der größte Teil
der französischen Bevölkerung die meisten Vitamine in ausreichender Menge mit der Ernährung auf.
59
Zu dem Vorbringen der französischen Regierung, das auf dieses Fehlen eines den Zusatz von Nährstoffen zu
den betreffenden Lebensmitteln erforderlich machenden Ernährungsbedürfnisses gestützt ist, ist
festzustellen, dass in einem Kontext wissenschaftlicher Unsicherheit das Kriterium des
Ernährungsbedürfnisses der Bevölkerung eines Mitgliedstaats eine Rolle bei der von diesem
vorgenommenen eingehenden Prüfung des Risikos spielen kann, das für die Gesundheit der Bevölkerung mit
dem Zusatz von Nährstoffen zu Lebensmitteln verbunden sein kann.
60
Jedoch kann das Fehlen eines solchen Bedürfnisses allein nicht ein völliges Verbot des Inverkehrbringens
von in den anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten und/oder in den Verkehr gebrachten
Lebensmitteln auf der Grundlage des Artikels 36 EG-Vertrag rechtfertigen (vgl. Urteil Kommission/Dänemark,
Randnr. 54).
61
Zwar heißt es im letzten Abschnitt des Gutachtens des OHF, dass die Verbreitung angereicherter
Lebensmittel die Bevölkerung der Gefahr der Überschreitung der Sicherheitsgrenzen für die Aufnahme
bestimmter Vitamine aussetze. Das Gutachten beschränkt sich jedoch auf eine vage Bezeichnung dieser
allgemeinen Gefahr einer übermäßigen Aufnahme, ohne die betreffenden Vitamine, das Ausmaß der
Überschreitung dieser Grenzen oder die in solchen Überschreitungen liegenden Risiken zu präzisieren, wobei
die französische Regierung nicht bestritten hat, dass sie sich bei der Ablehnung, das Inverkehrbringen
bestimmter Erzeugnisse zu genehmigen, allein auf dieses Gutachten gestützt hat.
62
Demzufolge ist in Bezug auf die Süßwaren und Getränke, denen Nährstoffe zugesetzt worden sind, der
Schluss zu ziehen, dass die französischen Behörden die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse, wie sie sich
aus der in den Randnummern 52 bis 56 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des
Gerichtshofes ergeben, und insbesondere das Erfordernis einer eingehenden Prüfung der mit dem Zusatz
von Vitaminen und Mineralstoffen in einem Fall wie dem hier vorliegenden möglicherweise verbundenen
Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung in jedem Einzelfall, nicht beachtet haben (vgl. Urteil
Kommission/Dänemark, Randnr. 56).
63
Wenn sich das Gutachten des OHF vom 12. Juli 1994 betreffend den Zusatz von L-Tartrat und von L-Carnitin
in Nahrungsergänzungen und diätetischen Produkten dagegen ausspricht, dass Erzeugnisse, denen diese
Nährstoffe zugesetzt worden sind, in Frankreich in den Verkehr gebracht werden, so deshalb, weil es an
einem ernährungsbezogenen Interesse an diesen Erzeugnissen und am Nachweis für den Wahrheitsgehalt
der Behauptungen fehle, dass diese Stoffe förderlich oder nützlich seien.
64
Jedoch kann, wie aus Randnummer 60 des vorliegenden Urteils hervorgeht, das Fehlen eines solchen
Ernährungsbedürfnisses allein nicht ein Verbot des Inverkehrbringens von in anderen Mitgliedstaaten
rechtmäßig hergestellten und/oder in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln auf der Grundlage des Artikels
36 EG-Vertrag rechtfertigen.
65
Außerdem werden in dem genannten Gutachten Verdauungsstörungen – ohne konkrete Angabe, welcher
Art – angeführt, von denen 13 % der Bevölkerung betroffen seien, und darauf verwiesen, dass es keinen
Nachweis für den Wahrheitsgehalt der Behauptungen über den Nutzen oder die Vorteile des Zusatzes von
Tartrat und von L-Carnitin gebe. Dies stellt keine eingehende Prüfung der mit dem Zusatz dieser Stoffe zu
Lebensmitteln möglicherweise verbundenen Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung dar und ist daher für
die Rechtfertigung eines Verbotes des Inverkehrbringens auf der Grundlage von Artikel 36 EG-Vertrag nicht
ausreichend.
66
Unter diesen Umständen konnte die Kommission hinsichtlich des Zusatzes dieser Nährstoffe zu
Nahrungsergänzungen und diätetischen Produkten zu Recht zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die
französischen Behörden die sich aus der oben angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofes ergebenden
Kriterien für die Anwendung von Artikel 36 EG-Vertrag nicht eingehalten haben.
67
Was schließlich die energetischen Getränke wie „Red Bull“ betrifft, so geht aus dem Gutachten des OHF vom
10. September 1996 hervor, dass der OHF, auch wenn gegen das Inverkehrbringen derartiger Getränke „von
der klassischen Toxikologie her nichts spricht“, der Auffassung ist, dass deren Vermarktung wegen
übermäßiger Koffeinkonzentration, die die in Frankreich zugelassene übersteige, wegen der Gefahr des
übermäßigen Koffeinkonsums insbesondere bei schwangeren Frauen, wegen der irreführenden Behauptung
über den „energetischen“ Charakter des Erzeugnisses und wegen der Gefahr einer positiven
Antidopingkontrolle bei Sportlern nicht genehmigt werden dürfe. Der OHF meint, dass der Höchstgehalt an
Koffein in Getränken 150 mg/l nicht überschreiten dürfe, und erinnert daran, dass der tägliche Konsum von
Koffein 200 mg nicht überschreiten sollte.
68
Wie aus Randnummer 49 des vorliegenden Urteils hervorgeht, kann die Französische Republik bestimmen, in
welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten will.
69
Zwar muss sie darlegen, weshalb das Verbot des Inverkehrbringens von energetischen Getränken, deren
Koffeingehalt eine bestimmte Grenze übersteigt, zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung erforderlich
und verhältnismäßig ist (vgl. Urteil vom 19. Juni 2003 in der Rechtssache C-420/01, Kommission/Italien,
Slg. 2003, I‑6445, Randnrn. 30 und 31).
70
Im vorliegenden Fall hat die Kommission nicht auf das erwähnte Gutachten des OHF hin, in dem konkrete
Gesundheitsgefahren im Zusammenhang mit übermäßigem Koffeinkonsum dargelegt werden, erläutert,
warum ein solches Gutachten unzureichend sein soll, um ein Verbot des Inverkehrbringens von
energetischen Getränken, deren Koffeingehalt den in Frankreich zugelassenen übersteigt, auf der
Grundlage von Artikel 36 EG‑Vertrag zu rechtfertigen. Die Kommission hat nämlich keine Gesichtspunkte
vorgebracht, die dafür ausreichend wären, die Untersuchung der französischen Behörden hinsichtlich der
mit diesen Getränken verbundenen Gesundheitsgefahren in Frage zu stellen.
71
Außerdem hat die französische Regierung in Bezug auf die energetischen Getränke von der Kommission
insoweit unwidersprochen mitgeteilt, dass der Wissenschaftliche Ausschuss für die menschliche Ernährung
am 21. Januar 1999 ein negatives Gutachten über bestimmte Nährstoffe wie Taurin und Glucuronsäure in
diesen Getränken abgegeben habe.
72
Unter diesen Umständen obliegt es der Kommission zu erläutern, weshalb das diesem Gutachten
entnommene Vorbringen der französischen Regierung nicht ausreichen kann, die Ablehnung der
Genehmigung für das Inverkehrbringen energetischer Getränke, denen Taurin und Glucuronsäure zugesetzt
worden sind, zu rechtfertigen.
73
Da die Kommission auf dieses Vorbringen nicht eingegangen ist und angesichts ihrer unzureichenden
Antwort auf die geltend gemachte Rechtfertigung betreffend die Überschreitung des zugelassenen
Schwellenwerts der Koffeinkonzentration in den fraglichen energetischen Getränken, ist die dritte Rüge der
Kommission zurückzuweisen, soweit sie energetische Getränke betrifft, deren Koffeingehalt eine bestimmte
Grenze übersteigt und denen Taurin und Glucuronsäure zugesetzt worden sind.
74
Was den wirksamen Schutz der Verbraucher betrifft, den die französische Regierung gleichfalls anführt, so
ist es zwar, wie aus den Randnummern 63 und 67 des vorliegenden Urteils hervorgeht, rechtmäßig, auf eine
korrekte Information der Verbraucher über die von ihnen verbrauchten Erzeugnisse achten zu wollen (vgl.
Urteile vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 216/84, Kommission/Frankreich, Slg. 1988, 793, Randnr.
10, und vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 274/87, Kommission/Deutschland, Slg. 1989, 229).
75
Eine geeignete Kennzeichnung, mit der die Verbraucher über die Art, die Inhaltsstoffe und die Eigenschaften
der angereicherten Lebensmittel informiert werden, könnte es den Verbrauchern, für die der übermäßige
Konsum eines diesen Lebensmitteln zugesetzten Nährstoffs eine Gefahr darstellen könnte, ermöglichen,
selbst über deren Verwendung zu entscheiden (vgl. Urteil vom 23. Februar 1988, Kommission/Frankreich,
Randnr. 16).
76
Angesichts all dieser Erwägungen ist festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre
Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag verstoßen hat, dass sie
kein vereinfachtes Verfahren vorgesehen hat, das es zu erwirken ermöglicht, dass Nährstoffe, die in
anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten und/oder in den Verkehr gebrachten Lebensmitteln
des allgemeinen Verzehrs und für eine besondere Ernährung bestimmten Lebensmitteln zugesetzt
worden sind, in die nationale Liste der zugelassenen Nährstoffe aufgenommen werden,
und
es, ohne darzutun, dass das Inverkehrbringen dieser Lebensmittel eine tatsächliche Gefahr für die
Gesundheit der Bevölkerung darstellt, behindert hat, bestimmte Lebensmittel wie
Nahrungsergänzungen und diätetische Produkte, die die Stoffe L‑Tartrat und L‑Carnitin enthalten, und
wie Süßwaren und Getränke, denen bestimmte Nährstoffe zugesetzt worden sind, in Frankreich in den
Verkehr zu bringen.
Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
Kosten
77
Nach Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass
jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage der
Kommission nur teilweise stattgegeben wird, hat jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen, dass sie
kein vereinfachtes Verfahren vorgesehen hat, das es zu erwirken ermöglicht, dass Nährstoffe,
die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten und/oder in den Verkehr gebrachten
Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs und für eine besondere Ernährung bestimmten
Lebensmitteln zugesetzt worden sind, in die nationale Liste der zugelassenen Nährstoffe
aufgenommen werden,
und
es, ohne darzutun, dass das Inverkehrbringen dieser Lebensmittel eine tatsächliche Gefahr für
die Gesundheit der Bevölkerung darstellt, behindert hat, bestimmte Lebensmittel wie
Nahrungsergänzungen und diätetische Produkte, die die Stoffe L‑Tartrat und L‑Carnitin
enthalten, und wie Süßwaren und Getränke, denen bestimmte Nährstoffe zugesetzt worden
sind, in Frankreich in den Verkehr zu bringen.
2. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
3. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und die Französische Republik tragen
ihre eigenen Kosten.
Skouris
Gulmann
Cunha Rodrigues
Schintgen
Macken
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. Februar 2004.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
V. Skouris
Verfahrenssprache: Französisch.