Urteil des EuG vom 14.06.2016

Europäische Kommission, Gerichtshof für Menschenrechte, Aeuv, Nichtigkeitsklage

BESCHLUSS DES GERICHTS (Dritte Kammer)
14. Juni 2016(
*
)
„Nichtigkeitsklage – Behauptete Weigerung, einen Gesetzgebungsvorschlag für die Gründung eines Vereins europäischen Rechts vorzulegen – Nicht
anfechtbare Handlung – Offensichtliche Unzulässigkeit“
In der Rechtssache T‑595/15
Europäischer Tier- und Naturschutz e. V.
Horst Giesen,
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt P. Brockmann,
Kläger,
gegen
Europäische Kommission,
Beklagte,
betreffend eine Klage nach Art. 263 AEUV auf Nichtigerklärung des Schreibens der Kommission vom 17. August 2015, in dem sie es abgelehnt haben
soll, einen die Gründung eines Vereins europäischen Rechts betreffenden Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen,
erlässt
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten S. Papasavvas (Berichterstatter) sowie der Richter E. Bieliūnas und I. S. Forrester,
Kanzler: E. Coulon,
folgenden
Beschluss
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Der Kläger zu 1., der Europäische Tier- und Naturschutz e. V., ist ein eingetragener Verein deutschen Rechts, dessen Präsident der Kläger zu 2., Herr
H. Giesen, ist. Zweck des Vereins ist nach seiner Satzung die weltweite Förderung des Tier- und Naturschutzes und des Umweltschutzes.
Mit Schreiben vom 15. Juli 2015 ersuchte Herr H. R. in seiner Eigenschaft als Gründungsmitglied und Präsident eines eingetragenen Vereins
deutschen Rechts namens „Rock the Nature e. V.“ die Europäische Kommission um Auskunft darüber, ob sie beabsichtige, einen
Gesetzgebungsvorschlag zur Gründung eines „Vereins europäischen Rechts“ als Rechtsform vorzulegen, die es ermögliche, privatrechtliche
Vereinigungen ohne Gewinnerzielungsabsicht zu gründen, die grenzüberschreitende Tätigkeiten wahrnähmen (im Folgenden: ursprüngliches
Schreiben).
Mit Schreiben vom 17. August 2015 (im Folgenden: angefochtenes Schreiben) teilte die Kommission Herrn H. R. mit, dass sie seinem Ersuchen nicht
nachkommen könne.
Verfahren und Anträge der Parteien
Die Kläger haben mit Klageschrift, die am 19. Oktober 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
Sie beantragen,
– das angefochtene, ihnen am 24. August 2015 zur Kenntnis gelangte Schreiben für nichtig zu erklären, mit dem die Kommission es abgelehnt hat, bei
der „Schaffung von Europäischem Vereinsrecht“ durch einen Gesetzgebungsvorschlag tätig zu werden, der „grenzüberschreitende Tätigkeiten mit
ideellen Zielen den auf Gewinn ausgerichteten Vereinigungen gleichstellt“, und die nationalen Versammlungs- und Vereinigungsrechte in diesem
Bereich zu harmonisieren;
– der Kommission die „Herstellung eines gesetzeskonformen Zustands“ gemäß Art. 266 AEUV im Sinne des ersten Antrags aufzuerlegen;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Mit gesondertem Schriftsatz, der am 15. Januar 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission eine Einrede der
Unzulässigkeit gemäß Art. 130 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben.
Die Kommission beantragt,
– die Klage als unzulässig abzuweisen;
– den Klägern die Kosten aufzuerlegen.
In ihrer Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit, die am 16. Februar 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragen die Kläger,
– die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen und das Hauptverfahren zu führen oder das Verfahren für zulässig zu erklären;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
Nach Art. 130 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag des Beklagten vorab über die Unzulässigkeit oder die Unzuständigkeit
entscheiden.
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Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht durch den Akteninhalt für ausreichend unterrichtet und beschließt, ohne Fortsetzung des Verfahrens zu
entscheiden.
Vorbemerkungen
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Sowohl aus dem ersten Antrag als auch aus der Klageschrift insgesamt geht hervor, dass die vorliegende Klage auf die Nichtigerklärung des
angefochtenen Schreibens gemäß Art. 263 AEUV abzielt. Auch wenn die Kläger in der Klageschrift die Untätigkeit der Kommission in Form der
Nichtausübung ihres „Initiativrechts“ oder – abstrakt – die Untätigkeit der Organe der Europäischen Union geltend machen, stützen sie sich nämlich
an keiner Stelle auf Art. 265 AEUV, sondern stellen offenbar die Rechtmäßigkeit der Gründe des angefochtenen Schreibens in Frage.
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In ihrer Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit beantragen die Kläger „sicherheitshalber“, ihre Klage hilfsweise als Untätigkeitsklage zu
prüfen. Hierzu genügt jedoch der Hinweis, dass aus Art. 76 Buchst. d in Verbindung mit Art. 84 Abs. 1 der Verfahrensordnung nach ihrer Auslegung in
der Rechtsprechung folgt, dass der Gegenstand der Klage in der Klageschrift hinreichend klar und genau bestimmt sein muss. Der vorliegende,
erstmals im Rahmen der Stellungnahme zur Einrede der Unzulässigkeit formulierte Antrag ändert den ursprünglichen Gegenstand der Klage und ist
folglich als unzulässig zurückzuweisen (Beschluss vom 27. Oktober 2005, GAEC Salat/Kommission, T‑89/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2005:382, Rn. 28).
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Selbst wenn das ursprüngliche Schreiben als Aufforderung zum Tätigwerden im Sinne des Art. 265 Abs. 2 AEUV eingestuft würde, wäre die Klage auf
dieser Grundlage jedenfalls als offensichtlich unzulässig abzuweisen, da das fragliche Schreiben nicht von den Klägern stammte, sondern von einem
Dritten (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 6. Februar 1997, de Jorio/Rat, T‑64/96, EU:T:1997:15, Rn. 40). Darüber hinaus wäre eine solche Klage
unzulässig, da die Kommission zu der „Aufforderung zum Tätigwerden“ vor Klageerhebung Stellung nahm und so die behauptete Untätigkeit beendete
(vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 27. Oktober 2005, GAEC Salat/Kommission, T‑89/05, nicht veröffentlicht, EU:T:2005:382, Rn. 19 und die dort
angeführte Rechtsprechung).
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Der zweite, auf Art. 266 AEUV Bezug nehmende Antrag betrifft offenbar die Konsequenzen, die die Kommission aus einer etwaigen Nichtigerklärung
des angefochtenen Schreibens durch das Gericht ziehen müsste, falls dem ersten Antrag stattgegeben würde. Nach dieser Bestimmung haben die
Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen, denen das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt oder deren Untätigkeit als vertragswidrig erklärt
worden ist, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergebenden Maßnahmen zu ergreifen. Daher kann dieser Antrag nicht autonom geprüft werden.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung
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Die Kommission stützt ihre Einrede der Unzulässigkeit auf zwei Gründe. Erstens ist sie der Ansicht, dass das angefochtene Schreiben keine
anfechtbare Handlung darstelle, da es keine Rechtswirkungen entfalte. Insbesondere hätte die Handlung, deren Vornahme von den Klägern
beantragt worden sei, nämlich ein dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union oder nur dem Rat vorzulegender
Gesetzgebungsvorschlag, nicht nach Art. 263 AEUV angefochten werden können, da sie rein vorbereitender Natur sei. Zweitens trägt sie vor, ein
etwaiger die Gründung eines Europäischen Vereins betreffender Rechtsakt der Union hätte allgemeine Geltung, so dass die Kläger weder in Bezug
auf ihn noch
a fortiori in Bezug auf einen dahin gehenden Gesetzgebungsvorschlag klagebefugt wären.
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Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung Maßnahmen, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen
des Klägers durch eine qualifizierte Änderung seiner Rechtsstellung beeinträchtigen können, Handlungen oder Entscheidungen sind, die Gegenstand
einer Nichtigkeitsklage im Sinne von Art. 263 AEUV sein können. Um zu ermitteln, ob eine angefochtene Handlung solche Wirkungen erzeugt, ist auf
ihr Wesen abzustellen. Die Form, in der Handlungen oder Entscheidungen ergehen, ist auf ihre Anfechtbarkeit mit einer Nichtigkeitsklage
grundsätzlich ohne Einfluss (vgl. Beschluss vom 22. Februar 2008, Base/Kommission, T‑295/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:48, Rn. 56 und die dort
angeführte Rechtsprechung). Um im Licht dieser Grundsätze die Rechtsnatur des angefochtenen Schreibens zu beurteilen und die Frage zu klären, ob
es verbindliche Rechtswirkungen erzeugt, ist daher sowohl sein Inhalt als auch der Kontext, in dem es ergangen ist, zu prüfen (Beschluss vom 22.
Februar 2008, Base/Kommission, T‑295/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2008:48, Rn. 57).
17
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass mit dem angefochtenen Schreiben, das an einen Dritten gerichtet war, auf ein Auskunftsverlangen dieses
Dritten geantwortet wurde, in dem es darum ging, ob die Kommission beabsichtigte, einen die Gründung eines „Vereins europäischen Rechts“
betreffenden Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen, und um die Notwendigkeit, Ungleichheiten und geltend gemachte Verstöße gegen die Charta der
Grundrechte der Europäischen Union und die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Konvention zum Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten abzustellen. In Beantwortung dieses Schreibens, dessen Autor angekündigt hatte, eine Untätigkeitsklage erheben zu wollen, falls die
Kommission keinen solchen Vorschlag vorlegen werde, teilte sie ihm mit, dass sie nicht befugt sei, bei den deutschen Behörden aufgrund einer
Verletzung der Grundrechte tätig zu werden, und empfahl ihm, sich an die nationalen Behörden zu wenden oder nach Ausschöpfung der
innerstaatlichen Rechtsmittel den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen.
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Im vorliegenden Fall ergeben sich somit aus dem angefochtenen Schreiben keine verbindlichen Rechtswirkungen, die geeignet sind, die Interessen
der Kläger zu beeinträchtigen. Zum einen hat die Kommission lediglich auf die Rolle der Union bei der Achtung der Grundrechte im Licht der
einschlägigen Bestimmungen der Charta der Grundrechte und des EU-Vertrags sowie auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten hingewiesen, die
Achtung dieser Rechte auf nationaler Ebene zu gewährleisten. Zum anderen hat sie den Autor des ursprünglichen Schreibens über die Schritte
unterrichtet, die er ihres Erachtens auf nationaler und internationaler Ebene unternehmen sollte, falls er einen Nachteil erlitten zu haben glaube.
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Eine schriftliche Meinungsäußerung eines Unionsorgans kann aber keine mit einer Nichtigkeitsklage anfechtbare Entscheidung darstellen, da sie
keine Rechtswirkungen zu erzeugen vermag und darauf auch nicht abzielt (vgl. Beschluss vom 30. April 2015, Star Light/Rat und Kommission, T‑46/15,
nicht veröffentlicht, EU:T:2015:266, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
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Da es sich um eine Handlung mit im Wesentlichen informativem Charakter handelt, kann das angefochtene Schreiben weder die Interessen der
Kläger beeinträchtigen noch ihre Rechtsstellung im Vergleich zu ihrer früheren Stellung ändern (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 4. Oktober 2007,
Finnland/Kommission, C‑457/06 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2007:582, Rn. 36).
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Unter diesen Umständen kann das angefochtene Schreiben keinen anfechtbaren Rechtsakt im Sinne der oben in Rn. 16 angeführten
Rechtsprechung darstellen, wobei keines der von den Klägern in ihren Schriftsätzen vorgebrachten Argumente, die überdies nicht frei von
Unklarheiten sind, dieses Ergebnis in Frage zu stellen vermag.
22
Daher ist die Klage als offensichtlich unzulässig abzuweisen, ohne dass geprüft werden müsste, ob die Kläger, die nicht die Adressaten des
angefochtenen Schreibens waren, befugt sind, eine Nichtigkeitsklage gegen dieses Schreiben zu erheben, und ohne dass auf den zweiten Antrag
eingegangen werden muss.
Kosten
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Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kläger vorliegend
mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Dritte Kammer)
beschlossen:
1. Die Klage wird als offensichtlich unzulässig abgewiesen.
2. Der Europäische Tier- und Naturschutz e. V. und Herr Horst Giesen tragen die Kosten.
Luxemburg, den 14. Juni 2016
Der Kanzler Der Präsident
E. Coulon S. Papasavvas
*
Verfahrenssprache: Deutsch.