Urteil des EuG vom 16.12.2015

Fürstentum Liechtenstein, Wirkung Ex Tunc, Aeuv, Republik

BESCHLUSS DES GERICHTS (Neunte Kammer)
16. Dezember 2015(
)
„Klage wegen Nichteinleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens – Antrag auf Erlass einer
Anordnung – Außervertragliche Haftung – Offensichtliche Unzuständigkeit – Offensichtliche
Unzulässigkeit – Offensichtliches Fehlen jeder Rechtsgrundlage“
In der Rechtssache T‑547/15
Anastasia-Soultana Gaki,
Rechtsanwalt A. Heinen,
Klägerin,
gegen
Europäische Kommission,
Beklagte,
wegen zum einen Feststellung, dass die Kommission es rechtswidrig unterlassen hat, gegen die
Bundesrepublik Deutschland, die Hellenische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, die
Republik Österreich und das Fürstentum Liechtenstein ein Vertragsverletzungsverfahren
einzuleiten, das die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls gegen die Klägerin durch die
griechischen Behörden und die Speicherung von Daten über die Klägerin im Schengener
Informationssystem betrifft, und zum anderen Ersatz des Schadens, der der Klägerin
entstanden sein soll,
erlässt
DAS GERICHT (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten G. Berardis (Berichterstatter) sowie der Richter O. Czúcz und
A. Popescu,
Kanzler: E. Coulon,
folgenden
Beschluss
Verfahren und Anträge der Klägerin
1
Mit Klageschrift, die am 14. September 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat
die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
2
Die Klägerin beantragt im Wesentlichen,
– sofort und, wenn möglich, mit Wirkung ex tunc, die Datenspeicherung gegen sie im
Schengener Informationssystem zu blockieren;
Schengener Informationssystem zu blockieren;
– dass die Generalsekretärin der Europäischen Kommission gemäß Art. 258 AEUV ein
Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, die Hellenische Republik, das
Großherzogtum Luxemburg, die Republik Österreich und das Fürstentum Liechtenstein
einleitet;
– dass ihr eine in das freie Ermessen gestellte Entschädigung wegen des rechtswidrigen
Eingriffs in ihre Freiheit durch die europäische Behörde Sirene zugesprochen wird, die die
Bundesrepublik Deutschland, die Hellenische Republik, das Großherzogtum Luxemburg,
die Republik Österreich und das Fürstentum Liechtenstein vertritt und gegen die die
Generalsekretärin der Kommission kein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258
AEUV hat einleiten wollen, wodurch der Klägerin Schaden zugefügt worden ist.
Rechtliche Würdigung
3
Nach Art. 126 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn es für die Entscheidung über
eine Klage offensichtlich unzuständig ist oder wenn diese offensichtlich unzulässig ist oder wenn
ihr offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt, die Entscheidung treffen, durch mit Gründen
versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.
4
Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht auf der Grundlage des Akteninhalts für ausreichend
unterrichtet und beschließt in Anwendung dieses Artikels, ohne Fortsetzung des Verfahrens zu
entscheiden.
Zum ersten und zum zweiten Antrag
5
Hinsichtlich des ersten und des zweiten Antrags ist erstens festzustellen, dass diese darauf
gerichtet sind, dass das Gericht der Kommission, der einzigen in der Klageschrift genannten
Beklagten, aufgibt, die Speicherung von Daten betreffend die Klägerin im Schengener
Informationssystem zu blockieren und ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 258 AEUV
einzuleiten.
6
Im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV, auf den sich die Klägerin
ausdrücklich stützt, ist das Gericht jedoch nicht befugt, gegenüber den Organen, Einrichtungen
und sonstigen Stellen der Union Anordnungen zu erlassen (Beschluss vom 26. Oktober 1995,
Pevasa und Inpesca/Kommission, C‑199/94 P und C‑200/94 P, Slg, EU:C:1995:360, Rn. 24).
7
Zweitens ist – wenn man unterstellt, dass die genannten Anträge trotz fehlender Bezugnahme
der Klägerin auf Art. 265 AEUV so ausgelegt werden können, dass sie zu einer
Untätigkeitsklage gehören – darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine
solche Klage einer natürlichen oder juristischen Person, die sich auf die Feststellung richtet,
dass die Kommission es unter Verletzung des Vertrags unterlassen hat, einen Beschluss zu
fassen, indem sie gegen einen Mitgliedstaat kein Verfahren zur Feststellung einer
Vertragsverletzung eingeleitet hat, unzulässig ist (Urteil vom 14. Februar 1989, Star
Fruit/Kommission, 247/87, Slg, EU:C:1989:58, und Beschluss vom 12. November 1996,
SDDDA/Kommission, T‑47/96, Slg, EU:T:1996:164, Rn. 41). Natürliche oder juristische
Personen können sich nämlich auf Art. 265 Abs. 3 AEUV nur berufen, um die Feststellung zu
erwirken, dass ein Organ, eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der Union es unter
Verletzung des Vertrags unterlassen hat, andere Akte als Empfehlungen oder Stellungnahmen
zu erlassen, deren Rechtmäßigkeit sie mit einer Nichtigkeitsklage anzufechten befugt sind (vgl.
in diesem Sinne Urteil vom 26. November 1996, T. Port, C‑68/95, Slg, EU:C:1996:452, Rn. 58
und 59).
8
Im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung einer Vertragsverletzung nach Art. 258 AEUV
kann die Kommission jedoch nur Akte erlassen, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind
(Beschlüsse vom 29. November 1994, Bernardi/Kommission, T‑479/93 und T‑559/93, Slg,
EU:T:1994:277, Rn. 31, und vom 19. Februar 1997, Intertronic/Kommission, T‑117/96, Slg,
EU:T:1994:277, Rn. 31, und vom 19. Februar 1997, Intertronic/Kommission, T‑117/96, Slg,
EU:T:1997:16, Rn. 32). Außerdem ergibt sich aus dem von Art. 258 AEUV vorgesehenen
System, dass weder die mit Gründen versehene Stellungnahme, die zur Vorstufe einer
eventuellen Erhebung einer Vertragsverletzungsklage beim Gerichtshof gehört, noch dessen
Befassung durch die tatsächliche Erhebung einer solchen Klage Akte sein können, die
natürliche oder juristische Personen unmittelbar betreffen, so dass eine Klage unzulässig ist, mit
der Einzelne die Weigerung der Kommission angreifen, gegen einen Mitgliedstaat ein
Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten (Beschlüsse vom 12. Juni 1992, Asia Motor
France/Kommission, C‑29/92, Slg, EU:C:1992:264, Rn. 21, vom 13. November 1995,
Dumez/Kommission, T‑126/95, Slg, EU:T:1995:189, Rn. 33, und Urteil vom 22. Mai 1996,
AITEC/Kommission, T‑277/94, Slg, EU:T:1996:66, Rn. 55).
9
Folglich sind der erste und der zweite Antrag wegen offensichtlicher Unzuständigkeit oder
jedenfalls als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen.
Zum dritten Antrag
10
Hinsichtlich des dritten Antrags, mit dem die Klägerin Ersatz des Schadens begehrt, der ihr
dadurch entstanden sein soll, dass die Kommission kein Vertragsverletzungsverfahren gegen
die Bundesrepublik Deutschland, die Hellenische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, die
Republik Österreich und das Fürstentum Liechtenstein eingeleitet hat, ist darauf hinzuweisen,
dass, da die Kommission nicht zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258
AEUV verpflichtet ist, ihre Entscheidung, kein solches Verfahren einzuleiten, jedenfalls nicht
rechtswidrig ist, so dass diese Entscheidung die außervertragliche Haftung der Union nicht
auslösen kann (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 23. Mai 1990, Asia Motor
France/Kommission, C‑72/90, Slg, EU:C:1990:230, Rn. 13, und vom 14. Januar 2004,
Makedoniko Metro und Michaniki/Kommission, T‑202/02, Slg, EU:T:2004:5, Rn. 43, und die dort
angeführte Rechtsprechung).
11
Folglich ist der dritte Antrag als offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrend
zurückzuweisen.
12
Nach alledem ist die vorliegende Klage zum einen wegen offensichtlicher Unzuständigkeit oder
jedenfalls als offensichtlich unzulässig und zum anderen als offensichtlich jeder rechtlichen
Grundlage entbehrend abzuweisen, ohne dass sie der Beklagten zugestellt werden müsste.
Kosten
13
Da der vorliegende Beschluss vor einer Zustellung der Klageschrift an die Kommission ergeht
und dieser keine Kosten entstehen konnten, ist nur zu entscheiden, dass die Klägerin gemäß
Art. 133 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten trägt.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Neunte Kammer)
beschlossen:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Frau Anastasia-Soultana Gaki trägt ihre eigenen Kosten.
Luxemburg, den 16. Dezember 2015
Der Kanzler
Der Präsident
E. Coulon
G. Berardis
Verfahrenssprache: Deutsch.