Urteil des EuG vom 19.09.2016

Parlament, Aeuv, Juristische Person, Geschäftsordnung

BESCHLUSS DES GERICHTS (Achte Kammer)
19. September 2016(
*
)
„Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage – Petition an das Europäische Parlament – Beschluss, die Petition abzulegen – Anfechtbare Handlung –
Offensichtliche Unzulässigkeit“
In der Rechtssache T‑112/16
Anastasia-Soultana Gaki,
Klägerin,
gegen
Europäisches Parlament,
Beklagter,
wegen eines Antrags auf Nichtigerklärung des Beschlusses des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments vom 5. November 2015, mit dem
die Prüfung der für zulässig erklärten, von der Klägerin am 22. November 2014 eingereichten Petition (Petition Nr. 2535/2014) beendet wird, und
eines Antrags auf Feststellung einer Untätigkeit des Parlaments
erlässt
DAS GERICHT (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten D. Gratsias (Berichterstatter) sowie der Richterinnen M. Kancheva und N. Półtorak,
Kanzler: E. Coulon,
folgenden
Beschluss
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Am 22. November 2014 richtete die Klägerin, Frau Anastasia-Soultana Gaki, gemäß Art. 227 AEUV eine Petition an das Europäische Parlament, in der
sie unter Bezugnahme auf einen von den griechischen Behörden gegen sie erlassenen Europäischen Haftbefehl das Parlament ersuchte, sie vor den
ihres Erachtens illegalen Maßnahmen dieser Behörden zu schützen.
Mit Schreiben vom 5. November 2015 (im Folgenden: angefochtener Beschluss) teilte die Vorsitzende des Petitionsausschusses des Parlaments (im
Folgenden: Petitionsausschuss) der Klägerin mit, dass ihre Petition nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung des Parlaments für zulässig
erklärt worden sei, da die mit ihr aufgeworfene Frage in den Tätigkeitsbereich der Europäischen Union falle. Weiter heißt es in diesem Schreiben
jedoch, dass der Petitionsausschuss beschlossen habe, die fragliche Petition abzulegen, da er keine Zuständigkeit besitze, von den nationalen
Behörden in diesem Bereich erlassene individuelle Entscheidungen aufzuheben. Allein die Gerichte der Mitgliedstaaten seien für diesbezügliche
Rechtsbehelfe zuständig.
Mit Schreiben vom 20. November 2015 reichte die Klägerin eine „Beschwerde“ beim Petitionsausschuss ein und ersuchte ihn, ihre Petition bis
spätestens 5. Januar 2016 zu beantworten. Mit Schreiben vom 26. Februar 2016 forderte die Klägerin den Petitionsausschuss auf, ihre „Beschwerde“
bis spätestens 8. März 2016 zu beantworten.
Verfahren und Anträge der Parteien
Mit Klageschrift, die mit „Nichtigkeitsklage/Untätigkeitsklage“ überschrieben und am 9. März 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat
die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
Nachdem sie in der Einleitung ihrer Klage dargelegt hat, dass diese auf die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses und „subsidiär“ auf
Feststellung gemäß Art. 232 EG (jetzt Art. 265 AEUV) einer Untätigkeit des Petitionsausschusses gerichtet sei, beantragt die Klägerin im
Wesentlichen, das Gericht möge den Petitionsausschuss verpflichten, zur Rechtmäßigkeit einer Reihe von Handlungen der nationalen Behörden aller
Mitgliedstaaten Stellung zu nehmen, und „subsidiär“ die Untätigkeit des Petitionsausschusses feststellen, zu der oben in Rn. 3 angeführten
„Beschwerde“ Stellung zu nehmen.
Rechtliche Würdigung
Gemäß Art. 126 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn es für die Entscheidung über eine Klage offensichtlich unzuständig ist oder die
Klage offensichtlich unzulässig ist, durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden, ohne das Verfahren fortzusetzen.
Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht auf der Grundlage des Akteninhalts für ausreichend unterrichtet und beschließt in Anwendung dieses
Artikels, ohne Fortsetzung des Verfahrens zu entscheiden.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 263 Abs. 1 AEUV der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Handlungen des Parlaments mit
Rechtswirkung gegenüber Dritten überwacht. Gegenstand einer Nichtigkeitsklage können nur Handlungen sein, die verbindliche Rechtswirkungen
erzeugen, die die Interessen des Klägers beeinträchtigen, indem sie seine Rechtsstellung in qualifizierter Weise verändern (Urteil vom 9. Dezember
2014, Schönberger/Parlament, C‑261/13 P, EU:C:2014:2423, Rn. 13).
Im Übrigen bestimmt Art. 227 AEUV: „Jeder Bürger der Union sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnort oder satzungsmäßigem Sitz in
einem Mitgliedstaat kann allein oder zusammen mit anderen Bürgern oder Personen in Angelegenheiten, die in die Tätigkeitsbereiche der Union
fallen und die ihn oder sie unmittelbar betreffen, eine Petition an das Europäische Parlament richten.“
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Nach der Rechtsprechung ist das Petitionsrecht ein Instrument zur Teilhabe der Bürger am demokratischen Leben der Union. Es handelt sich um
einen der Wege des direkten Dialogs zwischen den Unionsbürgern und ihren Vertretern. Das Verhältnis zwischen dem Parlament und denen, die eine
Petition bei ihm einreichen, ist in den Vorschriften geregelt, die das Parlament in den Art. 215 bis 217 seiner Geschäftsordnung in ihrer auf den
Sachverhalt des vorliegenden Falles anwendbaren Fassung (Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, achte Wahlperiode – Juli 2014) der
Prüfung von Petitionen gewidmet hat (Urteil vom 9. Dezember 2014, Schönberger/Parlament, C‑261/13 P, EU:C:2014:2423, Rn. 17 und 18).
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Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass ein Beschluss, in dem das mit einer Petition befasste Parlament feststellt, dass diese die in Art. 227 AEUV
genannten Voraussetzungen nicht erfülle, gerichtlich überprüfbar sein muss, da er geeignet ist, das Petitionsrecht des Betroffenen zu
beeinträchtigen. Das Gleiche gilt für einen Beschluss, mit dem sich das Parlament – unter Verkennung des Wesensgehalts des Petitionsrechts –
weigerte oder davon absähe, sich mit einer bei ihm eingereichten Petition zu befassen und damit zu prüfen, ob diese die in Art. 227 AEUV genannten
Voraussetzungen erfüllt (Urteil vom 9. Dezember 2014, Schönberger/Parlament, C‑261/13 P, EU:C:2014:2423, Rn. 22).
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Hingegen folgt aus den Bestimmungen des AEU-Vertrags sowie aus den vom Parlament zur Ausgestaltung des Petitionsrechts erlassenen
Vorschriften, dass das Parlament bei einer Petition, bei der es, wie vorliegend, die Auffassung vertritt, dass sie die in Art. 227 AEUV genannten
Voraussetzungen erfülle, hinsichtlich der weiteren Behandlung dieser Petition über ein weites politisches Ermessen verfügt. Ein entsprechender
Beschluss unterliegt daher keiner gerichtlichen Nachprüfung, unabhängig davon, ob das Parlament mit einem solchen Beschluss selbst die
angegebenen Maßnahmen ergreift oder ob es sich hierzu nicht imstande sieht (Urteil vom 9. Dezember 2014, Schönberger/Parlament, C‑261/13 P,
EU:C:2014:2423, Rn. 24).
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Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem angefochtenen Beschluss, dass der Petitionsausschuss des Parlaments das Recht der Klägerin, eine
Petition bei ihm einzureichen, keineswegs verkannt hat, sondern die Petition geprüft, sie für zulässig erklärt und beschlossen hat, ihr nicht
abzuhelfen, weil der gerichtliche Rechtsschutz auf dem Gebiet des Europäischen Haftbefehls Sache der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sei.
Aus den oben in Rn. 12 dargelegten Gründen stellt der angefochtene Beschluss daher keine anfechtbare Handlung dar und unterliegt deshalb
keiner gerichtlichen Nachprüfung.
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Soweit die Klage dahin zu verstehen ist, dass mit ihr die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses begehrt wird, ist sie folglich als
offensichtlich unzulässig abzuweisen.
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Soweit die Klage dahin zu verstehen ist, dass sie einen Antrag enthält, gemäß Art. 265 AEUV festzustellen, dass der Petitionsausschuss es
unterlassen habe, zur Begründetheit der ihm zur Kenntnis gebrachten Behauptungen Stellung zu nehmen, ist sie ebenfalls als offensichtlich
unzulässig abzuweisen.
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Erstens setzt die durch Art. 265 AEUV eröffnete Untätigkeitsklage nämlich voraus, dass eine Verpflichtung des betreffenden Organs zum Tätigwerden
besteht, so dass die behauptete Unterlassung gegen das Unionsrecht verstößt (Beschluss vom 17. November 2010, Victoria Sánchez/Parlament und
Kommission, T‑61/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2010:473, Rn. 32, und Urteil vom 19. Mai 2011, Ryanair/Kommission, T‑423/07, EU:T:2011:226, Rn. 25
und 52). Wie oben in Rn. 12 ausgeführt, verfügt das Parlament aber hinsichtlich der weiteren Behandlung einer auf der Grundlage von Art. 227 AEUV
eingereichten Petition über ein weites politisches Ermessen, mit der Folge, dass ein in der Sache selbst ergangener Beschluss keiner gerichtlichen
Nachprüfung unterliegt. Unter diesen Umständen kann der Unionsrichter aus den gleichen Gründen, aus denen er die Rechtmäßigkeit eines
Beschlusses des Petitionsausschusses des Parlaments nicht überprüfen kann, mit dem dieser Ausschuss eine Petition, nachdem er sie für zulässig
erklärt hat, ohne weitere Behandlung ablegt, auch keine Untätigkeit dieses Organs mit der Begründung feststellen, dass der Petitionsausschuss zur
fraglichen Petition nicht inhaltlich Stellung genommen habe (vgl. entsprechend Beschluss vom 13. November 1995, Dumez/Kommission, T‑126/95,
EU:T:1995:189, Rn. 44).
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Zweitens ist der Antrag auf Feststellung einer Untätigkeit, sofern er dahin auszulegen ist, dass er sich ausschließlich auf das Fehlen einer Antwort
des Petitionsausschusses des Parlaments auf die „Beschwerde“ und das sich daran anschließende Schreiben vom 26. Februar 2016 (siehe oben,
Rn. 3) bezieht, als offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrend zurückzuweisen.
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Weder Art. 227 AEUV noch die Bestimmungen des Titels IX („Petitionen“, Art. 215 bis 218) der Geschäftsordnung des Parlaments verleihen dem
Petenten nämlich ein Beschwerderecht, das den Petitionsausschuss dazu verpflichten könnte, im Anschluss an seine zur weiteren Behandlung einer
von ihm für zulässig erklärten Petition abgegebene Stellungnahme seinen Standpunkt zu überprüfen. Die Klägerin nennt im Übrigen keine weitere
Vorschrift des Unionsrechts, die ihr ein solches Recht verliehe und eine entsprechende Verpflichtung des Petitionsausschusses schüfe.
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Demnach ist die Klage abzuweisen.
Kosten
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Da der vorliegende Beschluss vor Zustellung der Klageschrift an das Parlament ergangen ist und bevor diesem Kosten entstehen konnten, ist
gemäß Art. 133 der Verfahrensordnung zu entscheiden, dass die Klägerin ihre eigenen Kosten trägt.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Achte Kammer)
beschlossen:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Frau Anastasia-Soultana Gaki trägt ihre eigenen Kosten.
Luxemburg, den 19. September 2016
Der Kanzler Der Präsident
E. Coulon D. Gratsias
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Verfahrenssprache: Deutsch.