Urteil des EuG vom 18.09.1997

EuG: kommission, neue tatsache, verordnung, gericht erster instanz, lieferung, reeder, beförderung, verfahrensordnung, zuschlagserteilung, unternehmen

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)
18. September 1997
„Maßnahmen zur unentgeltlichen Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse für die Bevölkerung von
Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Kirgistan und Tadschikistan — Verpflichtung des Zuschlagsempfängers
zur Zahlung eines Eilgeldes“
In den verbundenen Rechtssachen T-121/96 und T-151/96
Mutual Aid Administration Services NV (MAAS)
(Belgien), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Jan Tritsmans und Koenraad Maenhout, Antwerpen,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts René Faltz, 6, rue Heinrich Heine, Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
abgeordnete nationale Beamtin, und Hubert van Vliet, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-
Kirchberg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung von Entscheidungen der Kommission, mit denen die Klägerin zur Zahlung eines
Eilgeldes aufgefordert wurde,
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts sowie der Richterin P. Lindh und des Richters J. D. Cooke,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 1997,
folgendes
Urteil
Der Klage zugrunde liegender Sachverhalt
1.
Die Klägerin, die Mutual Aid Administration Services NV, ist eine Schiffahrtsagentur.
2.
Am 4. August 1995 erließ der Rat die Verordnung (EG) Nr. 1975/95 über Maßnahmen zur
unentgeltlichen Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse an die Bevölkerung von Georgien,
Armenien, Aserbaidschan, Kirgistan und Tadschikistan (ABl. L 191, S. 2; im folgenden: Verordnung Nr.
1975/95). Durch die Verordnung (EG) Nr. 2009/95 vom 18. August 1995 (ABl. L 196, S. 4; im folgenden:
Verordnung Nr. 2009/95) erließ die Kommission die Durchführungsbestimmungen für die vorgenannte
Verordnung.
3.
Auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1975/95 erließ die Kommission die Verordnung (EG) Nr.
2781/95 vom 1. Dezember 1995 über den Transport der unentgeltlichen Lieferung von Roggenmehl
nach Georgien, Armenien, Aserbaidschan und Tadschikistan (ABl. L 289, S. 5; im folgenden:
Verordnung Nr. 2781/95).
4.
Diese Verordnung sah die Ausschreibung der Kosten für die Lieferung von 23 000 Tonnen
Roggenmehl vor.
5.
Gemäß Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 2009/95 umfaßte
die Verpflichtung des Zuschlagsempfängers die Lieferung des auf Transportmittel verladenen Mehls
ab einem Gemeinschaftshafen oder -bahnhof bis zur Übernahme an dem in der
Ausschreibungsbekanntmachung bezeichneten Ort und auf der darin genannten Lieferstufe.
6.
Am 18. Dezember 1995 erhielt die Klägerin den Zuschlag für die Partie Nr. 3 dieser Ausschreibung.
Sie wurde durch Telefax und gewöhnlichen Brief vom selben Tag darüber unterrichtet. Die Partie
bestand aus der Lieferung von 2 500 Tonnen netto mit Bestimmung Armenien, bereitzustellen im
Hafen von Antwerpen ab 18. Januar 1996, sowie von 2 000 Tonnen netto mit Bestimmung Georgien,
bereitzustellen im Hafen von Rotterdam ab 15. Januar 1996. Die für diese Operation an die Klägerin
gezahlte Vergütung belief sich auf 12 541 273 BFR.
7.
Dem Schreiben der Kommission, mit dem sie die Klägerin von der Vergabe in Kenntnis setzte, waren
Auszüge aus einer am 10. Oktober 1995 zwischen der Kommission und den georgischen Behörden auf
der Grundlage von Artikel 10 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2009/95 geschlossenen Vereinbarung (im
folgenden: Vereinbarung) beigefügt. In diesem Schreiben wurde die Klägerin aufgefordert, diese
Auszüge aufmerksam zu lesen und die Beachtung der Anweisungen zur Zahlung der Entlade- und
Beförderungskosten zu überwachen.
8.
Nach der Verordnung Nr. 2009/95 wie auch nach der Vereinbarung stand es der Klägerin frei, den
in Aussicht genommenen Seetransport nach Belieben zu organisieren; sie war jedoch verpflichtet, den
georgischen Behörden das Entladen der Schiffe in den georgischen Häfen und den Weitertransport
zum Bestimmungsort zu überlassen.
9.
Für den Seetransport der ihr zugeschlagenen Partie schloß die Klägerin daraufhin mit einem Reeder
einen Frachtvertrag auf der Basis COP (customs of the port). Es war ausdrücklich vorgesehen, daß
kein Eilgeld gezahlt wird, bei dem es sich um eine Anreizprämie handelt, die das Entladeunternehmen
erhält, wenn das Entladen nicht so lange dauert wie vorgesehen.
10.
Artikel 10 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2009/95 sieht vor, daß die den georgischen Behörden zu
leistenden Zahlungen für das Entladen und die Beförderung sowie für Liege- und Eilgelder nach den
Modalitäten und zu den Bedingungen zu tätigen sind, die in der Vereinbarung festgelegt sind. Das
Liegegeld („demurrage“) stellt die Entschädigung dar, die der Schiffseigner als Ersatz für den
Verspätungsschaden erhält, den er im Verhältnis zur ursprünglich vorgesehenen Entladedauer
dadurch erleiden muß, daß er für die Dauer dieser Verspätung keinen neuen Transport
durchführen kann. Schuldner dieser Entschädigung ist im allgemeinen das für das Entladen
verantwortliche Unternehmen.
11.
Punkt 5 der Vereinbarung bestimmt, daß die Zahlung für das Entladen und die Beförderung in Höhe
von 70 % vor dem Eintreffen des Schiffes auf der Grundlage der beförderten Mengen zu erfolgen hat.
12.
Punkt 6 sieht vor, daß der Differenzbetrag von 30 % sowie die Liegegelder und das Eilgeld von der
Kommission auf der Grundlage von vor dem Auslaufen des Schiffes erstellten und vom Kapitän und
den Hafenbehörden von Poti oder Batumi unterzeichneten „time sheets“ berechnet werden. Weder für
das Liege- noch für das Eilgeld wird die Zahlung unmittelbar mit den Häfen geregelt.
13.
Nach Punkt 9 werden die Eil- und Liegegelder auf der Grundlage folgender Faktoren berechnet:
— die Arbeitsstunden zwischen Montag, 8.00 Uhr, und Freitag, 18.00 Uhr, bei 24 Stunden pro Tag
ohne Unterbrechung;
— Regenperioden werden von der Zeit abgezogen;
— ist die für das Entladen vorgesehene Zeit vollständig abgelaufen, werden Regenperioden und
Feiertage nicht mehr berücksichtigt;
— für alle Häfen werden folgende Tagestarife für das Entladen berücksichtigt:
„bulk wheat — vacuvator“ : 1 300 Tonnen
„grab“ : 2 500 Tonnen
„big bags/pallets“ : 350 Tonnen
„unpalletised sacks and cartons“ : 250 Tonnen.
14.
Punkt 7 bestimmt, daß der Unternehmer — im vorliegenden Fall die Klägerin — im Anschluß an die
Bekanntgabe des in Punkt 6 genannten Betrages durch die Kommission binnen 14 Tagen die Zahlung
vornimmt. Der Zahlungsnachweis ist an die Kommission zu schicken.
15.
Die Waren wurden in der Zeit vom 8. bis 15. Februar 1996 im Hafen von Batumi entladen.
16.
Am 6. Mai 1996 übersandte die Kommission der Klägerin per Telefax eine Abrechnung der an die
georgischen Behörden zu zahlenden Kosten, wonach ein Betrag von 21 967,19 USD an Eilgeld fällig
war. Dieser Sendung war ein Schriftstück der Kommission mit der Bezeichnung „port of Batumi time
sheet — dispatch (demurrage calculation)“ beigefügt, das alle für die Berechnung des fälligen
Eilgeldes erforderlichen Angaben enthielt. Insbesondere waren der Name des zu entladenden
Schiffes, seine Tonnage, der vorgesehene
Entladerhythmus, das Ankunftsdatum des Schiffes, die Dauer des Entladens, der Tagestarif des
Eilgeldes und der Gesamtbetrag des fälligen Eilgeldes angegeben.
17.
Zwischen dem 10. Mai und dem 25. Juli 1996, dem Tag des letzten Telefaxes der Kommission,
tauschte diese mit der Klägerin mehrere Schreiben und Telefaxe aus, in denen die Klägerin die
Verpflichtung zur Zahlung des Eilgeldes bestritt, während die Kommission die Meinung vertrat, daß
das Eilgeld gemäß Artikel 10 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2009/95 zu zahlen sei.
18.
In ihrem Telefax vom 25. Juli 1996 lehnte die Kommission das Angebot der Klägerin zur gütlichen
Regelung der Angelegenheit ab, indem sie erklärte, daß über den fälligen Betrag nicht verhandelt
werden könne.
19.
Am 26. Juli 1996 zahlte die Klägerin das Eilgeld, um eine Einziehung ihrer Bankgarantie zu
verhindern.
20.
Am 12. März 1996 erließ die Kommission die Verordnung (EG) Nr. 449/96 über den Transport der
unentgeltlichen Lieferung von Fruchtsäften, Fruchtkonfitüren und Weichweizenmehl nach Armenien
und Aserbaidschan (ABl. L 62, S. 4; im folgenden: Verordnung Nr. 449/96).
21.
Diese Verordnung sah die Ausschreibung der Kosten für die Lieferung von 3 800 Tonnen
Fruchtsäften, Fruchtkonfitüren und Weichweizenmehl vor.
22.
Mit Entscheidung vom 27. März 1996 erteilte die Kommission den Zuschlag für die Beförderung
dieser Partie der Klägerin, die durch eingeschriebenen Brief vom 28. März 1996 davon unterrichtet
wurde. Diesem Schreiben waren die gleichen Auszüge aus der Vereinbarung beigefügt, wie sie dem
Schreiben an die Klägerin in der Rechtssache T-121/96 beigelegen hatten (siehe oben, Randnrn. 7
und 8).
23.
Die Klägerin schloß daraufhin für den Seetransport der ihr zugeschlagenen Partie mit dem Reeder
einen Frachtvertrag auf COP-Basis. Es war ausdrücklich vorgesehen, daß kein Eilgeld gezahlt wird.
24.
Die Waren wurden mit drei Schiffen befördert und in der Zeit vom 15. bis 31. Mai 1996 im Hafen von
Batumi entladen.
25.
Am 27. August 1996 übersandte die Kommission der Klägerin per Telefax und gewöhnlichen Brief
eine Abrechnung der an die georgischen Behörden zu zahlenden Kosten, in der Eilgeldbeträge von 3
934,02 USD, 1 705 USD und 375 USD, insgesamt also 6 014,02 USD, aufgeführt waren.
26.
Die Klägerin beanstandete diese Abrechnung in einem Telefax vom 29. August 1996. Gleichwohl
zahlte sie die Eilgelder, um eine Einziehung ihrer Bankgarantie zu verhindern.
Verfahren und Anträge der Parteien
27.
Mit Klageschriften, die am 5. August und 24. September 1996 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen sind, hat die Klägerin zwei Nichtigkeitsklagen erhoben, die unter den Nummern T-121/96
und T-151/96 eingetragen worden sind.
28.
Mit Beschluß vom 9. Dezember 1996 hat der Präsident der Vierten Kammer gemäß Artikel 50 der
Verfahrensordnung die beiden Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen
Verfahren verbunden.
29.
Die Parteien haben in der Sitzung vom 5. Juni 1997 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts
beantwortet.
30.
Das Gericht (Vierte Kammer) ist, nachdem es die Parteien zu diesem Punkt in der Sitzung angehört
hat, der Auffassung, daß die beiden Rechtssachen auch zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden
sind.
31.
In der Rechtssache T-121/96 beantragt die Klägerin,
— die Entscheidungen der Kommission, mit denen sie ihr die Zahlung eines Eilgeldes von 21 967,19
USD auferlegt, für nichtig zu erklären und für Recht zu erkennen, daß sie nicht verpflichtet ist, Eilgeld
an die georgischen Behörden zu zahlen;
— der Kommission aufzugeben, ihr einen Betrag von 21 967,19 USD zuzüglich anhand des aktuellen
gesetzlichen Zinssatzes in Belgien berechneter Zinsen von 8 % pro Jahr ab 30. Juli 1996 zu erstatten;
— der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
32.
In der Rechtssache T-151/96 beantragt die Klägerin,
— die Entscheidung der Kommission vom 27. August 1996, mit der sie ihr die Zahlung eines
Eilgeldes von 6 014,02 USD auferlegt, für nichtig zu erklären und demzufolge für Recht zu erkennen,
daß sie nicht verpflichtet ist, Eilgeld an die georgischen Behörden zu zahlen;
— der Kommission aufzugeben, ihr einen Betrag von 6 014,02 USD zuzüglich anhand des aktuellen
gesetzlichen Zinssatzes in Belgien berechneter Zinsen von 7 % pro Jahr ab 1. September 1996 zu
erstatten;
— der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
33.
Die Kommission beantragt,
— die Klage in der Rechtssache T-121/96 für unzulässig zu erklären, hilfsweise, sie als unbegründet
abzuweisen;
— die Klage in der Rechtssache T-151/96 als unbegründet abzuweisen;
— der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Zum Antrag, die Klage in der Rechtssache T-121/96 für unzulässig zu erklären
34.
In der Gegenerwiderung macht die Kommission die Unzulässigkeit der Klage in der Rechtssache T-
121/96 wegen verspäteter Erhebung geltend. Die streitige Entscheidung sei der Klägerin bereits am
6. Mai 1996 bekanntgegeben worden, so daß alle anderen in der Klageschrift erwähnten
Entscheidungen der Kommission bloße Bestätigungen der streitigen Entscheidung darstellten. Die am
5. August 1996 erhobene Klage sei daher verspätet.
35.
Die Kommission führt weiter aus, daß die im Stadium der Gegenerwiderung erhobene Einrede der
Unzulässigkeit nicht gegen Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung verstoße, wonach neue Angriffs- und
Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden könnten, es sei denn, daß sie auf tatsächliche
oder rechtliche Gründe gestützt würden, die erst während des schriftlichen Verfahrens zutage
getreten seien. Aus der Rechtsprechung gehe hervor, daß die zwingenden Prozeßhindernisse wie der
Ablauf der Klagefrist, die vom Gericht von Amts wegen berücksichtigt werden könnten, von den
Parteien unabhängig vom Stand des Verfahrens geltend gemacht werden könnten (vgl. hierzu
Schlußanträge des Generalanwalts M. Darmon zum Urteil des Gerichtshofes vom 10. März 1989 in der
Rechtssache 126/87, Del Plato/Kommission, Slg. 1989, 643, Nrn. 9 und 10).
36.
Die Klägerin hat in der Sitzung erklärt, daß die Klage gemäß Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag
erhoben und die Zweimonatsfrist eingehalten worden sei. Diese Frist habe im vorliegenden Fall erst
am 4. Juni 1996 begonnen, dem Tag, an dem die Kommission ihr durch ein neues Telefax den genauen
Inhalt sowie die Begründung des Telefaxes vom 6. Mai 1996 bekanntgegeben habe, so daß sie erst
von diesem Zeitpunkt an in der Lage gewesen sei, ihr Klagerecht auszuüben (Urteil des Gerichts vom
7. März 1995 in den Rechtssachen T-432/93, T-433/93 und T-434/93, Socurte u. a./Kommission, Slg.
1995, II-503, Randnr. 49).
37.
Außerdem hat die Klägerin in der Sitzung hilfsweise vorgetragen, daß das Schreiben vom 10. Mai
1996, mit dem sie der Kommission mitgeteilt habe, daß sie zur Durchführung der ihr übertragenen
Beförderung einen COP—Frachtvertrag
geschlossen habe, eine neue Tatsache darstelle. Die Kommission habe daraufhin eine neue
Entscheidung getroffen, die der Klägerin mit Telefax vom 4. Juni 1996 bekanntgegeben worden sei, in
der diese neue Tatsache berücksichtigt worden sei (vgl. im Umkehrschluß Urteil des Gerichts vom 15.
März 1995 in der Rechtssache T-514/93, Cobrecaf u. a./Kommission, Slg. 1995, II-621, Randnr. 47).
38.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Klagefrist gemäß Artikel 173 des Vertrages zwingenden
Rechts und steht nicht zur Disposition der Parteien und des Gerichts, da sie zur Gewährleistung der
Klarheit und Sicherheit der Rechtsverhältnisse und zur Vermeidung jeder Diskriminierung oder
willkürlichen Behandlung bei der Gewährung von Rechtsschutz eingeführt wurde (vgl. insbesondere
Urteile des Gerichtshofes vom 15. Januar 1987 in der Rechtssache 152/85, Misset/Rat, Slg. 1987, 223,
Randnr. 11, und vom 23. Januar 1997 in der Rechtssache C-246/95, Coen, Slg. 1997, I-403, Randnr.
21).
39.
Gemäß Artikel 113 der Verfahrensordnung kann das Gericht jederzeit von Amts wegen prüfen, ob
unverzichtbare Prozeßvoraussetzungen fehlen. Die Klagefrist von zwei Monaten, die in Artikel 173
Absatz 5 des Vertrages für die Klageerhebung vorgesehen ist, ist eine unverzichtbare Voraussetzung
für die Zulässigkeit der Klage. Im vorliegenden Fall ist es daher Sache des Gerichts, von Amts wegen
zu prüfen, ob diese Frist gewahrt wurde.
40.
Die Frist zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung beginnt gemäß Artikel 173
Absatz 5 des Vertrages mit der Bekanntgabe an ihren Adressaten. Nach ständiger Rechtsprechung
soll die Bekanntgabe es dem Betroffenen erlauben, von der Entscheidung und den Gründen, mit
denen das Organ sie rechtfertigen will, in zweckdienlicher Weise Kenntnis zu nehmen. Für die
ordnungsgemäße Bekanntgabe einer Entscheidung ist es erforderlich, daß sie ihrem Adressaten
mitgeteilt wurde und dieser von ihr Kenntnis nehmen kann (vgl. zuletzt Urteil des Gerichts vom 3. Juni
1997 in der Rechtssache T-196/95, H/Kommission, Slg. ÖD 1997, II-403, Randnr. 31).
41.
Daher ist festzustellen, ob das Telefax vom 6. Mai 1996 eine Entscheidung darstellt, die mit einer
Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 173 des Vertrages angefochten werden kann, und, wenn ja, ob sie
der Klägerin ordnungsgemäß bekanntgegeben wurde.
42.
Um zu beurteilen, ob das Telefax vom 6. Mai 1996 eine Entscheidung darstellt, ist zu prüfen, ob es
Rechtswirkungen erzeugen kann (Urteil des Gerichtshofes vom 27. März 1980 in der Rechtssache
133/79, Sucrimex und Westzucker/Kommission, Slg. 1980, 1299, Randnr. 15).
43.
Insoweit ergibt sich aus diesem Telefax, daß die Kommission die Klägerin gemäß der Vereinbarung
verpflichtet, Entlade- und Beförderungskosten in Höhe
89 940,87 USD einschließlich eines Betrages von 21 967,19 USD an Eilgeld binnen 20 Tagen an die
georgischen Behörden zu zahlen. Es erwähnt nämlich Artikel 12 Absatz 4 Buchstabe b zweiter
Gedankenstrich der Verordnung Nr. 2009/95, wonach die von der Klägerin gestellte Bankgarantie in
Höhe des fälligen Betrages, erhöht um die Transferkosten, einzubehalten ist, wenn die Zahlung nicht
innerhalb der gesetzten Frist erfolgt. Dieses Telefax stellt somit eine die Klägerin beschwerende
Maßnahme dar, von der sie am 6. Mai 1996 eindeutig Kenntnis nehmen konnte.
44.
Zu der Frage, ob die Klägerin von der Begründung der streitigen Entscheidung Kenntnis nehmen
konnte, sind zwei Feststellungen zu treffen.
45.
Erstens verweist die streitige Entscheidung ausdrücklich auf die Vereinbarung, von der die Klägerin
die maßgebenden Auszüge erhalten hatte. Die von der Klägerin in ihrem Telefax vom 10. Mai 1996
verwendeten Formulierungen zeigen insoweit, daß sie die von der Kommission zur Rechtfertigung ihrer
Entscheidung angegebenen Gründe erkannt hatte, da sie bestreitet, daß auf die Vereinbarung Bezug
genommen werden könne, um sie zur Zahlung von Eilgeld an die georgischen Behörden zu zwingen.
Punkt 6 dieser Vereinbarung bestimmt in bezug auf die Abrechnung der Kommission über die Entlade-
und Beförderungskosten nach Durchführung des Transports jedoch, daß diese Kosten von der
Kommission unter Berücksichtigung des „demurrage“ und des Eilgeldes berechnet werden.
46.
Zweitens hat die Klägerin zu keiner Zeit, weder vor Klageerhebung noch vor dem Gericht, bestritten,
daß die Angaben in der von der Kommission mit ihrem Telefax vom 6. Mai 1996 übermittelten und von
der Klägerin in der Sitzung anerkannten „time sheet — dispatch/demurrage calculation“ sachlich
richtig sind. Dieses Schriftstück enthält alle Einzelangaben, die zur Berechnung des fälligen Eilgeldes
erforderlich waren, wie z. B. die Entladequote (bereits in Punkt 9 der Vereinbarung erwähnt), den
Tagestarif des Eilgeldes, die Tonnage des zu entladenden Schiffes, das Datum der Ankunft des
Schiffes, Tag und Uhrzeit des Beginns des Entladens und Tag und Uhrzeit der Beendigung des
Entladens sowie eine vollständige Übersicht nach Tagen über die Entlademaßnahmen. Die Klägerin
kann daher heute nicht, wie sie es in der Sitzung getan hat, behaupten, daß die streitige
Entscheidung unvollständig gewesen sei und ihr gegenüber folglich keine Rechtswirkungen habe
entfalten können, da sie nicht in der Lage gewesen sei, die Richtigkeit der Angaben in dieser „time
sheet — dispatch/demurrage calculation“ zu prüfen, bevor sie die Kopie des Originals mit dem
Schreiben der Kommission vom 17. Juli 1996 erhalten habe.
47.
Aus alledem geht hervor, daß das Telefax vom 6. Mai 1996 eine Entscheidung darstellte, die
Rechtswirkungen gegenüber der Klägerin entfalten konnte, und daß sie ihr ordnungsgemäß
bekanntgegeben wurde. Mit Erhalt des Telefax war die Klägerin daher in der Lage, das ihr in Artikel
173 des Vertrages zuerkannte Klagerecht auszuüben. Demnach hat die Klagefrist von zwei Monaten
am 6. Mai 1996 begonnen.
48.
Dieses Ergebnis wird nicht dadurch entkräftet, daß die Kommission am 4. Juni 1996 ein Telefax als
Antwort auf das Telefax der Klägerin vom 10. Mai 1996 gesandt hat. Dieses Telefax vom 4. Juni 1996,
mit dem die Kommission es ablehnte, ihre im Telefax vom 6. Mai 1996 enthaltene frühere
Entscheidung rückgängig zu machen, hat die Rechtsstellung der Klägerin nämlich nicht erheblich
gegenüber derjenigen, die durch diese frühere Entscheidung begründet wurde, geändert, da die
Kommission diese Entscheidung lediglich bestätigt hat, ohne irgendeinen neuen Gesichtspunkt
anzuführen, der geeignet war, verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen, die die Interessen der
Klägerin beeinträchtigen konnten (vgl. hierzu Urteil Cobrecaf u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 45,
und Urteil des Gerichtshofes vom 11. Januar 1996 in der Rechtssache C-480/93 P, Zunis Holding u.
a./Kommission, Slg. 1996, I-1, Randnrn. 11 bis 14).
49.
Der Hinweis auf Artikel 10 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2009/95 im Telefax vom 4. Juni 1996 ist als
eine bloße Erläuterung der Rechtsgrundlage anzusehen, auf die die im Telefax vom 6. Mai 1996
enthaltene ursprüngliche Entscheidung bereits durch Bezugnahme auf die Vereinbarung gestützt war.
Dieser Hinweis ist daher kein Beweis dafür, daß die Kommission die Angelegenheit im Anschluß an das
Telefax der Klägerin vom 10. Mai 1996 nochmals geprüft hat. Außerdem bestätigt die Kommission in
ihrer Antwort eindeutig, daß sich die Verpflichtung zur Zahlung des Eilgeldes ausschließlich auf die
einschlägigen Verordnungsbestimmungen stütze, „unabhängig von anderslautenden Verträgen, die
die Wirtschaftsteilnehmer mit ihrem Reeder geschlossen haben mögen“. Die Existenz eines für den
betreffenden Transport von der Klägerin geschlossenen COP-Frachtvertrags, von der sie die
Kommission erst in ihrem Telefax vom 10. Mai 1996 in Kenntnis gesetzt hat, stellt somit keine neue
Tatsache dar. Da dieser Frachtvertrag nichts mit dem Rechtsverhältnis zwischen der Kommission und
der Klägerin zu tun hatte, konnte er nämlich die Beurteilung der Kommission hinsichtlich des
Vorliegens und der Grundlage der Zahlungspflicht, die durch die im Telefax vom 6. Mai 1996
enthaltene Entscheidung auferlegt wurde, nicht ändern.
50.
Demnach stellte das Telefax vom 4. Juni 1996 gegenüber der im Telefax vom 6. Mai 1996
enthaltenen Entscheidung keine neue Entscheidung dar.
51.
Die Klagefrist von zwei Monaten, die um die in Artikel 102 § 2 der Verfahrensordnung für in Belgien
ansässige Parteien vorgesehene Entfernungsfrist von zwei Tagen verlängert wird, ist folglich am 8. Juli
1996 um Mitternacht abgelaufen.
52.
Die in der Rechtssache T-121/96 am 5. August 1996 eingereichte Klage ist somit verspätet und aus
diesem Grund unzulässig.
53.
Da die zur Sache vorgebrachten Klagegründe und Argumente im übrigen die gleichen sind wie in
der Rechtssache T-151/96, hätte die Klage jedenfalls aus den gleichen Gründen als unbegründet
abgewiesen werden müssen, wie sie nachfolgend im Rahmen dieser Rechtssache dargelegt werden.
Zu den Anträgen in der Rechtssache T-151/96, die streitige Entscheidung für nichtig zu
erklären und der Kommission aufzugeben, das gezahlte Eilgeld zuzüglich Zinsen zu
erstatten
54.
In ihrer Erwiderung macht die Klägerin geltend, daß der Inhalt ihrer Klageschrift und ihrer
Erwiderung in der Rechtssache T-121/96 als in der Rechtssache T-151/96 in vollem Umfang erneut
vorgetragen anzusehen sei. Zu diesem Zweck hat sie diese beiden Schriftsätze ihrer Erwiderung
beigefügt.
55.
Da die beiden Rechtssachen verbunden sind, ist somit bei der Entscheidung der Rechtssache T-
151/96 das Vorbringen der Klägerin in der Rechtssache T-121/96 zu berücksichtigen.
56.
Die Klageschrift ist wenig strukturiert, und die von der Klägerin für ihre Anträge auf Nichtigerklärung
angeführten Klagegründe sind als solche nicht kenntlich gemacht. Die Kommission konnte jedoch zur
Sache Stellung nehmen, und die vomBerichterstatter im Sitzungsbericht vorgenommene Gliederung
der Argumente ist von den Parteien gebilligt worden. Das Gericht ist somit in der Lage, seine Kontrolle
auszuüben.
Vorbringen der Parteien
57.
Nach Meinung der Klägerin stellt die Entscheidung, ihr die Zahlung eines Eilgeldes von 6 014,02
USD aufzuerlegen, einen Verstoß gegen die Verordnung Nr. 2009/95 sowie gegen die Vereinbarung
dar, da in keinem der beiden Rechtsakte irgendein Tarif festgelegt sei, der als Grundlage für die
Berechnung dieser Kosten dienen könne. Die Klägerin könne deshalb nicht als Schuldnerin des an die
georgischen Behörden zu zahlenden Eilgeldes angesehen werden.
58.
Die Kommission sei in der Lage gewesen, den Eilgeldtarif bei der Bekanntgabe der Ausschreibung
oder zumindest bei der Zuschlagserteilung festzulegen. Die Vereinbarung sei nämlich am 6. Oktober
1995 geschlossen worden, so daß zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung am 27. März 1996 die Sätze
des Eilgeldes hätten bekanntgegeben werden können. Seit der Abgabe des Angebots der Klägerin sei
die Kommission über alle technischen Daten der zur Durchführung der der Klägerin übertragenen
Beförderung vorgesehenen Schiffe unterrichtet gewesen, da die Klägerin gemäß Artikel 6 Absatz 1
Buchstabe d Nummer 3 der Verordnung Nr. 2009/95 zu deren Angabe verpflichtet gewesen sei.
Außerdem zeige die Praxis der Kommission, daß sie sehr wohl in der Lage sei, den Eilgeldtarif zum
Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung über die Ausschreibung festzulegen. Die Klägerin verweist
hierzu auf die Verordnung (EG) Nr. 1416/96 der Kommission vom 22. Juli 1996 über die Lieferung von
Weichweizen im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe
(ABl. L 182, S. 1; im folgenden: Verordnung Nr. 1416/96), in der die Eilgeldtarife für eine Lieferung
nach Bangladesch enthalten gewesen seien.
59.
Die Klägerin fragt sich außerdem nach den Gründen, die die Kommission veranlaßt hätten, die für
die Berechnung des Eilgeldes erforderlichen Angaben erst in ihrer Klagebeantwortung offenzulegen,
obwohl sie dies in einem früheren Stadium der Ausschreibung hätte tun können.
60.
Die Ansicht der Kommission, daß die Klägerin zur Zahlung eines Eilgeldes verpflichtet sei, laufe
darauf hinaus, daß die Klägerin zu dem Zeitpunkt, zu dem sie das Schiff charterte, einen Tarif hätte
vorsehen müssen, ohne den letztlich geschuldeten Betrag zu kennen. Insoweit könne sich die
Kommission nicht darauf berufen, daß die Klägerin die Tarife hätte heranziehen können, die bei
früheren Operationen der Nahrungsmittelhilfe auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1999/94 des
Rates vom 27. Juli 1994 über Maßnahmen zur unentgeltlichen Lieferung landwirtschaftlicher
Erzeugnisse für die Bevölkerung von Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Kirgistan und Tadschikistan
(ABl. L 201, S. 1) gegolten hätten, da diese Transporte 1994 und 1995 stattgefunden hätten,
während der vorliegende Transport 1996 durchgeführt worden sei.
61.
Schließlich führt die Klägerin in ihrer Erwiderung an, daß die Kommission dadurch, daß sie eine
niedrige Entladequote in die Vereinbarung aufgenommen habe, ohne gleichzeitig den Eilgeldtarif
vorzusehen, indirekt eine Bestimmung ausgearbeitet habe, die es bei raschem Entladen ermögliche,
daß der Bieter dem Empfänger der Nahrungsmittelhilfe, d. h. im vorliegenden Fall den georgischen
Behörden, eine Art Beihilfe zahle. In einem solchen Fall sei die Zahlung von Eilgeld durch den Bieter
unsinnig, und dies um so mehr, wenn der geforderte Betrag außer Verhältnis zum Wert der
beförderten Lebensmittel stehe. Wenn dieses Argument als eine neue Tatsache angesehen würde,
wäre es im Hinblick auf Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung gleichwohl zulässig, da es auf einen
Gesichtspunkt gestützt sei, der durch die Übermittlung der Anlage I zur Klagebeantwortung in der
Rechtssache T-121/96 zu ihrer Kenntnis gelangt sei.
62.
Die Kommission hält dem in erster Linie entgegen, daß der bloße Umstand, daß in der Verordnung
Nr. 2009/95 oder in der Vereinbarung kein Eilgeldtarif vorgesehen sei, nicht ausreiche, um die
Klägerin von der Zahlung des Eilgeldes zu befreien, da sich aus Artikel 10 Absatz 5 dieser Verordnung
und aus den Punkten 5 und 9 der Vereinbarung ergebe, daß die Klägerin Schuldnerin des Eilgeldes
sei. Die Kommission verweist insoweit auf Artikel 55 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über
Verträge über den internationalen Warenkauf, wonach der Käufer in den Fällen, in denen der Vertrag
keinen Kaufpreis festsetze, verpflichtet sei, den Preis zu zahlen, der bei Vertragsabschluß allgemein
für derartige Güter, die auf dem betreffenden Markt unter vergleichbaren Umständen verkauft
würden, festgesetzt sei.
63.
Daher ist nach Auffassung der Kommission zu prüfen, ob die von der Klägerin geforderten Eilgelder
der Höhe nach angemessen waren. Der Eilgeldtarif, der letztlich in der zwischen der Kommission und
den georgischen Behörden geschlossenen Vereinbarung berücksichtigt worden sei, könne jedoch
nicht als unangemessen angesehen werden, da bei einer früheren Maßnahme der Lebensmittelhilfe,
bei der die Unternehmen berechtigt gewesen seien, die Eilgeldtarife individuell auszuhandeln, Tarife in
vergleichbarer Höhe vereinbart worden seien. Außerdem ergebe sich aus Nr. 18 des ersten Teils des
Frachtvertrags, den die Klägerin mit dem Eigentümer eines für den betreffenden Transport
gecharterten Schiffes geschlossen habe und den sie der Klageschrift in der Rechtssache T-151/96
beigefügt habe, sowie aus dessen Zusatzklausel Nr. 23, daß die Liegegelder auf 2 200 USD festgelegt
gewesen seien, so daß der von der Kommission in dieser Rechtssache zugrunde gelegte Eilgeldtarif,
nämlich 750 USD für das Schiff, das weniger als 1 000 Tonnen befördert habe, und 1 100 USD für die
beiden anderen Schiffe, die zwischen 1 000 und 2 000 Tonnen befördert hätten, nicht unangemessen
sei, wobei davon auszugehen sei, daß das Eilgeld normalerweise halb so hoch sei wie die Liegegelder.
64.
Die Kommission unterstreicht, daß die Klägerin die Angemessenheit der zugrunde gelegten
Eilgeldtarife nicht bestreite, sondern sich auf die Behauptung beschränke, es werde überhaupt kein
Eilgeld geschuldet, da diese Tarife nicht in den bei der Zuschlagserteilung mitgeteilten Auszügen der
Vereinbarung enthalten gewesen seien. Sie fügt hinzu, daß kein anderes Unternehmen die Zahlung
des Eilgeldes verweigert habe, weil der Tarif zu jenem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen sei.
65.
Die Kommission vertritt zweitens die Meinung, daß das Rechtsverhältnis zwischen ihr und der
Klägerin von dem zwischen der Klägerin und dem Schiffseigner, dem Reeder, zu unterscheiden sei.
66.
Das Verhältnis zwischen der Kommission und der Klägerin richte sich ausschließlich nach der
Verordnung Nr. 2009/95 und der Vereinbarung. So sehe Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr.
2009/95 beispielsweise vor, daß die Kommission ohne Rücksicht auf den zwischen der Klägerin und
dem Reeder tatsächlich festgelegten Preis einen Pauschalpreis je beförderter Tonne zahle. Aus
diesen Regelungen ergebe sich eindeutig, daß die Klägerin Schuldnerin des fälligen Eilgeldes sei.
Ebenso sei die mit den georgischen Behörden geschlossene Vereinbarung darauf gerichtet, die
Zahlung der Liegegelder an die Unternehmen sicherzustellen, die die vorgesehenen Transporte
durchführten. Aus diesem Grund seien diese verpflichtet, nur 70 % der Entladekosten im voraus zu
zahlen, da der Differenzbetrag von 30 % erst fällig werde, wenn die aufgrund der tatsächlichen
Entladedauer eventuell anfallenden Liegegelder abgezogen seien. Im Gegenzug hätten die
georgischen Behörden verlangt, daß zu diesem Differenzbetrag von 30 % bei rascher Entladung
Eilgeld addiert werde. Der Wortlaut von Punkt 6 der Vereinbarung, wonach die Zahlung von Eilgeld
und Liegegeldern nicht unmittelbar mit den Häfen geregelt werden könnten und dieser
Differenzbetrag zusammen mit
den Liegegeldern und dem Eilgeld berechnet werde („together with demurrage and dispatch“), finde
seine Erklärung in diesem doppelten Erfordernis. Außerdem seien nach Punkt 2 dieser Vereinbarung
die georgischen Behörden und nicht die Klägerin als Befrachter für das Entladen verantwortlich
gewesen. Gegebenenfalls wären daher, anders als im Normalfall, diese Behörden und nicht die
Klägerin zur Zahlung von Liegegeldern verpflichtet gewesen oder ermächtigt gewesen, Eilgeld zu
erheben.
67.
Demgegenüber werde das Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Reeder, dem Eigentümer der
gecharterten Schiffe, durch die zwischen ihnen geschlossenen Frachtverträge geregelt. So sei in der
Klausel Nr. 23 des der Klageschrift in der Rechtssache T-151/96 beigefügten Frachtvertrags
vorgesehen, daß kein Eilgeld geschuldet werde, so daß der Schiffseigner im Gegensatz zum Normalfall
nicht verpflichtet gewesen sei, das Eilgeld an die Klägerin (den Befrachter) zu zahlen. Allerdings
berührten diese Frachtverträge nicht die Verpflichtung, die die Verordnung Nr. 2009/95 sowie die
Vereinbarung der Klägerin als Empfängerin des Zuschlags der betreffenden Beförderung auferlegten,
das Eilgeld an die georgischen Behörden, die an ihrer Stelle für das Entladen verantwortlich gewesen
seien, zu zahlen. Diese Verträge sollten ausschließlich das Verhältnis zwischen Klägerin und Reeder
regeln. Die Kommission macht ferner geltend, daß die Klägerin die Frachtverträge unter
Berücksichtigung der Vereinbarung, deren Inhalt sie gekannt habe, hätte abfassen können. Indem sie
vorgesehen habe, daß der Schiffseigner nicht zur Zahlung von Eilgeld verpflichtet sei, habe sie sich
daher bewußt dem Risiko ausgesetzt, es selbst zahlen zu müssen.
68.
Die Kommission trägt drittens vor, daß sie zum Zeitunkt der Unterzeichnung der Vereinbarung nicht
in der Lage gewesen sei, die genaue Höhe des Eilgeldes festzusetzen, da dieser Betrag von mehreren
damals unbekannten Faktoren abhängig gewesen sei, wie dem Entladehafen, der Tonnage des
Schiffes, dessen Zustand sowie der Preisentwicklung auf dem Seetransportmarkt. Die angewandten
Tarife seien erst festgesetzt worden, nachdem diese Informationen verfügbar gewesen seien.
Außerdem sei es unmöglich gewesen, die Tonnage der eingesetzten Schiffe auf der Grundlage der
Angaben in den Angeboten der Klägerin zu bestimmen, da diese Angaben nur einen Hinweis auf den
Schiffstyp enthalten, aber weder die Zahl der Schiffe noch deren Tonnage bezeichnet hätten. Bei der
Verordnung Nr. 1416/96, auf die die Klägerin verweise, sei es der Kommission dagegen möglich
gewesen, die Tonnage der Schiffe, die für den betreffenden Transport verwendet worden seien,
vorherzusehen und dementsprechend den anwendbaren Eilgeldtarif im voraus festzusetzen. Die
Kommission weist ferner darauf hin, daß sich die Klägerin nie nach dem anzuwendenden Eilgeldtarif
erkundigt habe und daß sie somit offenbar keinen Einwand dagegen gehabt habe, daß dieser Tarif in
den ihr zugesandten Unterlagen nicht ausdrücklich genannt gewesen sei.
69.
Die Kommission vertritt viertens die Auffassung, das Vorbringen, wonach die Zahlung des Eilgeldes
eine Art Beihilfe für die georgischen Behörden sei, stelle
eine im Hinblick auf Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung unzulässige neue Tatsache dar, da es sich
auf zwei die Berechnung der Höhe des fälligen Eilgeldes betreffende tatsächliche Gesichtspunkte
beziehe, die die Klägerin bereits vor Erhebung der vorliegenden Klage gekannt habe. Die Kommission
verweist darauf, daß die berücksichtigte Entladequote in Punkt 9 der bei der betreffenden Vergabe
übermittelten Auszüge aus der Vereinbarung enthalten gewesen sei und daß der Eilgeldtarif in den
streitigen Entscheidungen festgesetzt gewesen sei. Jedenfalls sei die vorgesehene Entladequote
nicht zu niedrig gewesen, da die Art der beförderten Waren und die in Georgien vorhandenen Anlagen
berücksichtigt worden seien.
Würdigung durch das Gericht
70.
Die Beziehungen zwischen der Klägerin und der Kommission regeln sich ausschließlich nach der
Verordnung Nr. 1975/95 des Rates, den im Rahmen dieser Verordnung erlassenen Verordnungen Nrn.
2009/95 und 449/96 der Kommission, der Entscheidung vom 27. März 1996 und der zwischen der
Kommission und den georgischen Behörden geschlossenen Vereinbarung, deren maßgebende
Auszüge dem Schreiben der Kommission vom 28. März 1996 beigefügt waren.
71.
Aus diesen Rechtsakten geht eindeutig hervor, daß die Unternehmen, an die die Transporte
vergeben waren, gegebenenfalls Eilgeld an die georgischen Behörden zu zahlen hatten.
72.
So sieht Artikel 10 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2009/95 vor, daß die den georgischen Behörden zu
leistenden Zahlungen für das Entladen und die Beförderung sowie für Liege- und Eilgelder nach den
Modalitäten und zu den Bedingungen zu tätigen sind, die in der Vereinbarung festgelegt sind. Diese
Bestimmung sieht daher nicht nur vor, daß die Modalitäten und die Bedingungen der Zahlung des
Eilgeldes in der Vereinbarung geregelt werden, sondern sie stellt auch eindeutig den Grundsatz auf,
daß gegebenenfalls Eilgeld an die georgischen Behörden zu zahlen ist, wenn sie die Formulierung
verwendet: „die den georgischen Behörden zu leistenden Zahlungen für ... Eilgelder“.
73.
Die Zahlungsmodalitäten sind in der Vereinbarung folgendermaßen geregelt. Nach Punkt 5 hat das
Unternehmen, das den Zuschlag für die Beförderung erhalten hat, vor dem Eintreffen des Schiffes im
georgischen Hafen 70 % der auf der Grundlage der beförderten Mengen berechneten Kosten für die
Beförderung und für das Entladen zu zahlen. Punkt 6 bestimmt, daß der Differenzbetrag von 30 %
sowie dieLiegegelder und das Eilgeld („together with demurrage and dispatch“) von der Kommission
nach dem Entladen auf der Grundlage von „time sheets“ berechnet werden, die der Kapitän und die
Hafenbehörden gemeinsam erstellen. Darin heißt es außerdem, daß die Zahlung von Liege- oder
Eilgeldern nicht unmittelbar mit den Hafenbehörden geregelt werden kann. Schließlich hat nach Punkt
7 der Unternehmer den Betrag, auf den in Punkt 6 verwiesen wird, binnen 14 Tagen zu zahlen.
74.
Aus diesen Punkten 5, 6 und 7 der Vereinbarung ergibt sich somit, daß die Berechnung, die von der
Kommission erstellt wird, nachdem die georgischen Behörden das Schiff entladen haben, nicht nur
den Differenzbetrag der Entladekosten, sondern gegebenenfalls auch das Eilgeld umfaßt und daß das
Unternehmen, dem der Zuschlag für den Transport erteilt wurde, dieses Eilgeld zu zahlen hat.
75.
Der Umstand, daß die Klägerin mit einem Reeder einen Frachtvertrag geschlossen hat, der die
Zahlung eines Eilgeldes durch den Reeder ausschließt, berührt in keiner Weise ihre Rechtsstellung im
Verhältnis zur Kommission, da dieser Frachtvertrag lediglich die Beziehungen zwischen der Klägerin
und dem Reeder regeln soll. Die Klausel „no dispatch“ bedeutet nur, daß der Befrachter nicht
verpflichtet ist, Eilgeld an die Klägerin zu zahlen, selbst wenn diese auf der Grundlage von Artikel 10
Absatz 5 der Verordnung Nr. 2009/95 sowie der Vereinbarung ein solches Eilgeld an die georgischen
Behörden zu zahlen hätte.
76.
Wie die Klägerin in der Sitzung eingeräumt hat, ist sie mit der Annahme dieser „no dispatch“-Klausel
daher ein Risiko eingegangen. Sie hat ausgeführt, sie habe dieses Risiko in Kauf genommen, da sie
überzeugt gewesen sei, daß die fehlende Mitteilung eines präzisen Eilgeldtarifs bei Zuschlagserteilung
es verhindert habe, daß tatsächlich eine Verpflichtung entstehe, gegebenenfalls Eilgeld an die
georgischen Behörden zu zahlen. Diese Überzeugung ist jedoch falsch. Daß der Eilgeldtarif bei
Zuschlagserteilung an die Klägerin nicht mitgeteilt wurde, befreit diese nicht von einer solchen
Verpflichtung. In der Vereinbarung wurde nämlich eindeutig dem Unternehmen, das den Zuschlag
erhalten hat, die Verpflichtung zur Zahlung des Eilgeldes auferlegt, auch wenn dessen Höhe nicht
durch Festlegung des anzuwendenden Tarifs bestimmt wurde. Im übrigen verpflichtet keine andere
Bestimmung der für die Beziehungen zwischen der Kommission und der Klägerin geltenden
Rechtsvorschriften die Kommission, den Eilgeldtarif vor oder bei der Vergabe der verschiedenen
Beförderungsaufträge festzulegen. Unter diesen Umständen hat die fehlende Mitteilung der bei
Zuschlagserteilung geltenden Tarife keinen Einfluß auf das Bestehen der Verpflichtung der Klägerin
zur Zahlung von Eilgeld.
77.
Darüber hinaus kann die genaue Höhe eines Eilgeldes erst nach dem Entladen eines Schiffes
festgelegt werden, so daß die Bestimmung dieses Betrages vor dem Entladen selbst dann ungewiß
bleibt, wenn die angewandten Tarife im voraus bekannt sind. Sind diese Tarife wie im vorliegenden Fall
bei Zuschlagserteilung nicht bekannt, so hat der Zuschlagsempfänger mit der Anwendung eines
angemessenen Tarifs zu rechnen.
78.
Die Klägerin bestreitet jedoch insoweit nicht, daß der im vorliegenden Fall letztlich angewandte
Eilgeldtarif angemessen war, was sie in der Sitzung nochmals bestätigt hat.
79.
Die Klägerin hätte sich jedenfalls — da sie seit der Abgabe ihres Angebots auf der Grundlage von
Artikel 10 Absatz 5 der Verordnung Nr. 2009/95, genauer, seit der Übermittlung der Auszüge aus der
Vereinbarung bei der Zuschlagserteilung wußte, daß möglicherweise Eilgeld fällig wird — beim
Auftreten von Schwierigkeiten bei der Kommission informieren können, um die genauen Tarife zu
erfahren und das Risiko besser einschätzen zu können, das sie beim Abschluß von Frachtverträgen
mit einer „no dispatch“-Klausel einging.
80.
Das von der Klägerin in ihrer Erwiderung vorgetragene Argument, wegen der Höhe des
geschuldeten Eilgeldes liege eine den georgischen Behörden gewährte versteckte Beihilfe vor, stellt
eine im Hinblick auf Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung unzulässige neue Tatsache dar, da es auf
zwei tatsächlichen Gesichtspunkten beruht, die der Klägerin bereits bei Erhebung der Klage bekannt
waren. Die Berechnung der Höhe des Eilgeldes hängt nämlich von der vorgesehenen Entladequote
und vom angewandten Eilgeldtarif ab. Der erste Gesichtspunkt ist jedoch in Punkt 9 der Auszüge aus
der Vereinbarung enthalten, die der Klageschrift in beiden Rechtssachen beigefügt waren, und der
zweite ist in den beiden Entscheidungen genannt, um die es bei den vorliegenden Klagen geht und
die ebenfalls der Klageschrift in beiden Rechtssachen beigefügt waren.
81.
Nach alledem ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.
Vorbringen der Parteien
82.
Die Klägerin macht außerdem geltend, daß die in der streitigen Entscheidung enthaltenen
Berechnungen der fälligen Beträge unklar seien.
83.
Die Kommission entgegnet, daß die Art der Berechnung des fälligen Eilgeldbetrags eindeutig aus
den als „time sheet — dispatch/demurrage calculation“ bezeichneten Unterlagen hervorgehe und daß
die verschiedenen Berechnungen fehlerfrei seien.
Würdigung durch das Gericht
84.
Die Berechnung des fälligen Eilgeldbetrags geht eindeutig aus den als „time sheet —
dispatch/demurrage calculation“ bezeichneten Unterlagen hervor, die die Kommission der Klägerin als
Bestandteil der streitigen Entscheidung übermittelt hat.
85.
In der Sitzung hat die Klägerin auf eine Frage des Gerichts geantwortet, daß die Beanstandung der
mangelnden Klarheit in Wirklichkeit ausschließlich darauf bezogen gewesen sei, daß die bei den
Berechnungen angewandten Eilgeldtarife der Klägerin zuvor nicht bekannt gewesen seien. Dem ist zu
entnehmen, daß die Berechnungen für die Klägerin völlig klar waren, daß sie in Wirklichkeit aber mit
diesem zweiten Klagegrund grundsätzlich erneut die eigentliche Verpflichtung zur Zahlung eines
Eilgeldes bestreitet, was aber Gegenstand des Vorbringens im Rahmen des ersten Klagegrundes war.
86.
Folglich ist der zweite Klagegrund ebenso wie der erste zurückzuweisen, zumal die Klägerin vor dem
Gericht keineswegs bestritten hat, daß sämtliche Berechnungen korrekt sind und auf der Anwendung
angemessener Eilgeldtarife beruhen.
87.
Nach alledem sind die Anträge auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung in vollem Umfang
zurückzuweisen. Folglich sind auch die Anträge, die Kommission zur Erstattung des gezahlten Eilgeldes
zuzüglich Zinsen zu verurteilen, gegenstandslos geworden.
Kosten
88.
Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr entsprechend den
Anträgen der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Vierte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Rechtssachen T-121/96 und T-151/96 werden zu gemeinsamer Entscheidung
verbunden.
2. Die Klage in der Rechtssache T-121/96 wird als unzulässig abgewiesen.
3. Die Klage in der Rechtssache T-151/96 wird abgewiesen.
4. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Lenaerts
Lindh
Cooke
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. September 1997.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
K. Lenaerts
Verfahrenssprache: Niederländisch.