Urteil des BVerwG vom 15.03.2017

BVerwG: genfer flüchtlingskonvention, bekämpfung des terrorismus, widerruf, rat der europäischen union, charta der vereinten nationen, anerkennung, flüchtlingseigenschaft, ausländer, ausschluss

Rechtsquellen:
AsylVfG
§ 3 Abs. 2, § 73 Abs. 1, § 77
AufenthG
§ 60 Abs. 1 bis 8
AuslG
§ 51 Abs. 1 und 3
EMRK
Art. 3
GG
Art. 16a
GFK
Art. 1 F Buchst. b und c, Art. 33 Abs. 2
EG
Art. 68 Abs. 1, Art. 234 Abs. 1 und 3
Richtlinie 2004/83/EG
Art. 3, Art. 12 Abs. 2 und 3, Art. 14 Abs. 3
Stichworte:
Asyl; Flüchtlingsanerkennung; Widerruf; Refoulementverbot; Ausschluss; Ter-
rorismus; Unterstützung; PKK; schwere nichtpolitische Straftat; Ziele und
Grundsätze der Vereinten Nationen; Vorabentscheidung; Asylunwürdigkeit;
Wiederholungsgefahr; Verhältnismäßigkeit; Abschiebungsschutz; Anwen-
dungsvorrang.
Leitsatz:
Es bleibt offen, ob auch allein eine Änderung der Rechtslage (hier: Einführung
von Ausschlussgründen durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz) den Wi-
derruf einer ursprünglich rechtmäßigen Anerkennung als Asylberechtigter oder
Flüchtling nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG rechtfertigt. Denn jedenfalls ist auf
Grund von Gemeinschaftsrecht im Falle des Vorliegens von Ausschlussgrün-
den nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG eine Aberkennung der
Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie zulässig und
geboten.
Beschluss des 10. Senats vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 46.07
I. VG Gelsenkirchen vom 29.11.2005 - Az.: VG 14a K 2880/04.A -
II. OVG Münster vom 27.03.2007 - Az.: OVG 8 A 5118/05.A -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
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BVerwG 10 C 46.07
OVG 8 A 5118/05.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Es wird gemäß Art. 234 Abs. 1 und 3, Art. 68 Abs. 1 EG
eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäi-
schen Gemeinschaften zu folgenden Fragen eingeholt:
1. Liegt eine schwere nichtpolitische Straftat oder eine
Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der
Vereinten Nationen im Sinne des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b
und c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April
2004 vor, wenn der Ausländer langjährig als Kämpfer und
Funktionär - zeitweise auch als Mitglied des Führungs-
gremiums - in eine Organisation (hier: die PKK) eingebun-
den war, die bei ihrem bewaffneten Kampf gegen den
Staat (hier: die Türkei) immer wieder auch terroristische
Methoden angewendet hat und im Verzeichnis der Perso-
nen, Vereinigungen und Körperschaften im Anhang zum
Gemeinsamen Standpunkt des Rates über die Anwen-
dung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Ter-
rorismus aufgeführt ist, und der Ausländer damit deren
bewaffneten Kampf in hervorgehobener Position aktiv un-
terstützt hat?
2. Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:
Setzt der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung
nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie
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2004/83/EG voraus, dass von dem Ausländer weiterhin
eine Gefahr ausgeht?
3. Für den Fall, dass Frage 2 zu verneinen ist:
Setzt der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung
nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie
2004/83/EG eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnis-
mäßigkeitsprüfung voraus?
4. Für den Fall, dass Frage 3 zu bejahen ist:
a) Ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berück-
sichtigen, dass der Ausländer Abschiebungsschutz nach
Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November
1950 oder nach nationalen Bestimmungen genießt?
b) Ist der Ausschluss nur in besonders gelagerten Aus-
nahmefällen unverhältnismäßig?
5. Ist es im Sinne des Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG mit
der Richtlinie zu vereinbaren, dass der Ausländer trotz
Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2
der Richtlinie und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft
nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie weiterhin nach nationa-
lem Verfassungsrecht als Asylberechtigter anerkannt
bleibt?
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Asyl- und Flüchtlingsaner-
kennung.
Der 1968 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszu-
gehörigkeit. Im Mai 2001 reiste er aus dem Iran auf dem Luftweg nach
Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung gab er an: Er befürchte
Verfolgung sowohl von Seiten des türkischen Staates als auch von Seiten der
Kurdischen Arbeitspartei (PKK). Er sei schon während seines Studiums an der
Universität Istanbul Ende der 80er Jahre wegen seines Eintretens für ein
Selbstbestimmungsrecht der Kurden dreimal festgenommen und gefoltert wor-
den. Danach sei er jeweils aus Mangel an Beweisen freigelassen worden. 1990
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sei er in die Berge geflohen, um sich der PKK anzuschließen. Er sei dort Gueril-
lakämpfer und hoher Funktionär der PKK gewesen. Ende 1998 habe ihn die
PKK in den Nordirak geschickt. Aufgrund politischer Differenzen mit der Füh-
rung der PKK habe er sich im Mai 2000 von dieser getrennt und werde seitdem
als Abtrünniger von Seiten der PKK bedroht. Er habe sich noch ungefähr ein
Jahr im Nordirak aufgehalten, sei aber auch dort nicht sicher gewesen. Deshalb
sei er im Mai 2001 über den Iran nach Deutschland geflohen.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - erkannte den Kläger darauf-
hin im Mai 2001 als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Vorausset-
zungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen (Flüchtlingsan-
erkennung nach damaligem Recht).
Im Januar 2002 führte der deutsche Gesetzgeber mit dem Terrorismusbekämp-
fungsgesetz neue Ausschlussgründe für die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung
ein, die sich an den in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention
(GFK) geregelten Ausschlussgründen orientierten. Mit Blick auf diese Geset-
zesänderung regte das Bundeskriminalamt beim Bundesamt die Einleitung ei-
nes Widerrufs- oder Rücknahmeverfahrens gegen den Kläger an. Nach den
dortigen Erkenntnissen treffe es zu, dass der Kläger sich 1990 der PKK ange-
schlossen habe und Guerillakämpfer und hoher Funktionär der PKK, ein sog.
„Kader“, gewesen sei. Er habe mindestens ab Februar 1999, möglicherweise
schon ab 1995, dem 41 Personen zählenden Führungsgremium angehört und
trage damit eine umfassende Mitverantwortung für die terroristischen Aktivitä-
ten der PKK. Im August 2000 habe Interpol Ankara den Kläger aufgrund des
Haftbefehls eines Staatssicherheitsgerichts zur internationalen Fahndung aus-
geschrieben. Gegenstand des Fahndungsersuchens seien insbesondere An-
schläge, bei denen 126 Personen getötet worden seien, sowie die Beteiligung
an der Ermordung von zwei PKK-Guerillas, die aufgrund des eigenen Strafsys-
tems der PKK erfolgt sein soll. Der Tatzeitraum liege zwischen 1993 und 1998.
Das Bundesamt widerrief daraufhin mit Bescheid vom 6. Mai 2004 die Asyl-
und die Flüchtlingsanerkennung des Klägers. Der Widerruf sei nach § 73
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Abs. 1 AsylVfG geboten, weil die Voraussetzungen für die Anerkennungen
nicht mehr vorlägen. Mit Einführung der Ausschlussgründe sei eine nachträgli-
che Rechtsänderung eingetreten, die zur Folge habe, dass der Kläger nunmehr
vom Asyl- und Flüchtlingsschutz ausgeschlossen sei. Er erfülle die 2. und
3. Alternative der Ausschlussvorschrift (damals § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG, spä-
ter § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG, jetzt: § 3 Abs. 2 AsylVfG). Denn er sei hinrei-
chend verdächtig, vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpoliti-
sche Straftat außerhalb der Bundesrepublik Deutschland begangen zu haben
und sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und
Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Der Kläger habe durch sei-
ne Einbindung als Guerillakämpfer und aufgrund seiner Position in der Füh-
rungsebene der PKK Unterstützungshandlungen für deren terroristische Aktivi-
täten geleistet und sei somit strafrechtlich für die Begehung schwerster Verbre-
chen verantwortlich. Darüber hinaus sei er aufgrund des türkischen Haftbefehls
und seiner eigenen Einlassung im Asylverfahren hinreichend verdächtig, durch
eigene Gewaltbeiträge bis hin zur Tötung zahlreicher Menschen die PKK unter-
stützt zu haben. Damit habe er die beiden genannten Ausschlusstatbestände
erfüllt.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 29. November 2005 den Widerrufs-
bescheid aufgehoben.
Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsge-
richt mit Urteil vom 27. März 2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt: Der Widerruf sei rechtswidrig. Er könne weder auf
eine Änderung der Sachlage noch auf eine Änderung der Rechtslage gestützt
werden. Die für die Anerkennung des Klägers maßgeblichen Verhältnisse in der
Türkei hätten sich entgegen dem Vorbringen der Beklagten im Berufungsver-
fahren nicht entscheidend geändert. Der vorverfolgt ausgereiste Kläger sei
auch jetzt vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher. Trotz der umfas-
senden Reformbemühungen, insbesondere der „Null-Toleranz-Politik“ gegen-
über Folter, komme es in der Türkei weiterhin zu Verfolgungsmaßnahmen asyl-
erheblicher Art und Intensität, die dem türkischen Staat zurechenbar seien.
Aufgrund des gegen den Kläger vorliegenden Haftbefehls sei anzunehmen,
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dass er im Falle seiner Rückkehr festgenommen und zu den ihm vorgeworfe-
nen Straftaten sowie zu den Aktivitäten im Bundesgebiet und etwaigen Kontak-
ten zu Organisationsangehörigen im In- und Ausland befragt werde. Dabei be-
stehe die Gefahr, dass es zu asylerheblichen Übergriffen komme. Der Widerruf
sei auch nicht aufgrund einer nachträglichen Änderung der Rechtslage gerecht-
fertigt. Denn die Voraussetzungen der Ausschlussklauseln seien im Falle des
Klägers nicht erfüllt. In Betracht komme allein die 2. Alternative der früher in
§ 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG, jetzt in § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG geregelten Ausschlussgründe. Auch wenn Erhebli-
ches dafür spreche, dass der Kläger während seiner langjährigen Einbindung in
die PKK als Kämpfer und - zeitweise - als Funktionär in hervorgehobener Posi-
tion an terroristischen Aktionen der PKK beteiligt gewesen sei und damit Taten
verübt habe, die nach Art und Schwere als schweres nichtpolitisches Verbre-
chen zu beurteilen seien, greife der Ausschlussgrund nicht ein. Denn dieser sei
in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention bei gemeinschafts-
rechts- und verfassungskonformer Auslegung dahin zu verstehen, dass er nicht
allein der Sanktionierung eines in der Vergangenheit begangenen, schweren
nichtpolitischen Verbrechens, sondern auch der Gefahrenabwehr diene und
eine am Sinn und Zweck der Vorschrift und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
orientierte umfassende Würdigung des Einzelfalles erfordere. Der Ausschluss-
grund könne daher entfallen, wenn von dem Ausländer keine Gefahr mehr
ausgehe, etwa weil feststehe, dass er sich von allen früheren terroristischen
Aktivitäten losgesagt habe. Das sei bei dem Kläger der Fall. Unter Berücksich-
tigung seines Werdegangs und seiner heutigen Überzeugungen bestünden
keine Anhaltspunkte dafür, dass er sich nochmals an vergleichbaren Taten
beteiligen werde. Er habe sich schon einige Zeit vor seiner Ausreise nach reifli-
cher Überlegung und aus Überzeugung endgültig von der PKK gelöst. Nach
seinem glaubhaften Vortrag habe er seither keine Kontakte mehr zu dieser Or-
ganisation, stehe heute nicht nur den Strukturen, sondern auch den Zielen der
PKK sehr kritisch gegenüber und sehe Gewalt nicht mehr als taugliches Mittel
an, um die Situation der kurdischen Bevölkerung in der Türkei zu verbessern.
Das bedeute zugleich, dass er sich von den Methoden der PKK, die er seiner-
zeit unterstützt habe, distanziere. Die damit verbundene grundsätzliche Einstel-
lungsänderung spiegle sich in der derzeitigen Lebenssituation des Klägers wi-
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der, der sich im Bundesgebiet ein neues bürgerliches Leben aufgebaut, ein
Studium aufgenommen und eine Familie gründet habe. Der rechtswidrige Wi-
derruf könne auch nicht in eine Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG umge-
deutet werden. Der Kläger habe im Asylverfahren weder unrichtige Angaben
gemacht noch wesentliche Tatsachen verschwiegen. Er habe vielmehr bereits
am Tag seiner Einreise vorgetragen, führendes Mitglied der PKK und bewaffne-
ter Kämpfer gewesen zu sein.
Mit der Revision macht die Beklagte im Wesentlichen geltend: Der Widerruf der
Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sei rechtmäßig. Er könne auch allein auf-
grund einer nachträglichen Änderung der Rechtslage - hier durch das Terroris-
musbekämpfungsgesetz im Januar 2002 - ausgesprochen werden. Die Beru-
fungsentscheidung verletze § 60 Abs. 8 Satz 2 Alt. 2 und 3 AufenthG (jetzt: § 3
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG). Entgegen der Auffassung des Berufungs-
gerichts sei bei beiden Ausschlussgründen eine Gefahr für die Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland und/oder der in den UN und EU organisierten
Staatengemeinschaften nicht erforderlich und bedürfe es keiner einzelfallbezo-
genen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Bei Gefahr fortbestehender oder wieder-
holter terroristischer Aktivitäten stehe schon § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 AufenthG
einer Anerkennung entgegen. Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Aus-
schlussklauseln legten eine Auslegung nahe, die angesichts der „Schutzunwür-
digkeit“ bei bestimmten Delikten allein auf deren Begehung abstelle. Durch die
Tatbestandsanforderungen enthielten sie bereits eine abstrakte Verhältnismä-
ßigkeitsprüfung. Eine weitergehende Einschränkung der Ausschlussgründe aus
Gründen der Verhältnismäßigkeit sei auch deshalb nicht erforderlich, weil über
den ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz gewährleistet sei, dass der Be-
troffene nicht in einen Staat abgeschoben werde, in dem ihm menschenrechts-
widrige Behandlung drohe.
Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen sei es nicht geboten, für die Aus-
schlussgründe eine fortbestehende Gefährlichkeit des Ausländers zu verlan-
gen. Es spreche einiges dafür, angesichts der veränderten internationalen Si-
cherheitslage nach dem 11. September 2001 und der einschlägigen UN-
Resolutionen in die verfassungsimmanenten Schranken des Grundrechts auf
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Asyl unter einem erweiterten Sicherheitsbegriff auch die Schutzunwürdigkeit
des Ausländern einzubeziehen. Abgesehen davon gehörten die Ausschluss-
gründe in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG auch zu den tragenden
Grundsätzen, von denen nach Art. 3 der Richtlinie nicht abgewichen werden
dürfe. Wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts sei es daher unzulässig,
bei Vorliegen von Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie auf-
grund nationalen Verfassungsrechts ein im Kern dem Flüchtlingsschutz ent-
sprechendes Asylrecht weiterhin zu gewähren, obwohl die Flüchtlingseigen-
schaft abzuerkennen sei. Im Falle des Klägers lägen schwerwiegende Gründe
für die Annahme vor, dass sein Verhalten unter die 2. und 3. Alternative des
§ 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AsylVfG falle.
Entgegen der Auffassung des UNHCR erfasse die 3. Alternative nicht nur den
sog. Staatsterrorismus. Die UN- Resolution 1373 (2001) gehe davon aus, dass
Handlungen, Methoden oder Praktiken des Terrorismus generell im Wider-
spruch zu den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta stünden. Entsprechen-
des ergebe sich aus dem Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2004/83/EG.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 27. März 2007 und des Verwal-
tungsgerichts Gelsenkirchen vom 29. November 2005 zu
ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil. Er meint außerdem, da er sich
die Anerkennungen nicht in unzulässiger Weise erschlichen habe, dürften sie
ihm bei gleichbleibender Sachlage nicht nachträglich wieder entzogen werden.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich
am Verfahren beteiligt und wendet sich ebenfalls gegen die Auslegung der
Ausschlussklauseln durch das Berufungsgericht.
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Der Rechtsstreit ist auszusetzen und es ist eine Vorabentscheidung des Ge-
richtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Auslegung der Richtlinie
2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Aner-
kennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als
Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benöti-
gen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EG Nr. L 304 vom
30. September 2004 S. 12; ber. ABl EG Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24)
einzuholen (Art. 234 Abs. 1 und 3, Art. 68 Abs. 1 EG). Da es um die Auslegung
von Gemeinschaftsrecht geht, ist der Gerichtshof zuständig. Die vorgelegten
Fragen zur Auslegung der Richtlinie sind entscheidungserheblich und bedürfen
einer Klärung durch den Gerichtshof.
Soweit der Kläger sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung wen-
det, hängt der Erfolg seiner Klage davon ab, ob er einen Ausschlussgrund nach
Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt. Deshalb
kommt es auf die Beantwortung der Vorlagefragen 1 bis 4 an (1.). Soweit der
Kläger sich gegen den Widerruf der Asylanerkennung nach deutschem Verfas-
sungsrecht (Art. 16a Grundgesetz - GG -) wendet, hängt der Erfolg seiner Kla-
ge - sofern ein Ausschlussgrund nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richt-
linie 2004/83/EG vorliegt - von der Beantwortung der Vorlagefrage 5 ab (2.). Die
Vorlagefragen entsprechen, soweit sich nicht Besonderheiten aus dem Um-
stand ergeben, dass es hier um eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft
geht, im Wesentlichen den bereits mit Beschluss des Senats vom 14. Oktober
2008 im Verfahren BVerwG 10 C 48.07 vorgelegten Fragen.
1. a) In formeller Hinsicht ist der Widerrufsbescheid vom 6. Mai 2004 nicht zu
beanstanden. Er entspricht insoweit den maßgeblichen Anforderungen des
§ 73 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) in der zum Zeitpunkt seines Erlasses gel-
tenden Fassung (für vor dem 1. Januar 2005 ergangene Widerrufsbescheide
vgl. im Einzelnen Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE
124, 276 Rn. 42 m.w.N.). Der Widerruf ist insbesondere auch innerhalb eines
Jahres nach Abschluss des im September 2003 eingeleiteten Anhörungsver-
fahrens ergangen. Damit wäre auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4, § 49 Abs. 2
Satz 2 VwVfG gewahrt, wenn sie überhaupt auf den hier streitigen Widerruf
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nach § 73 Abs. 1 AsylVfG anwendbar sein sollte (vgl. Urteile vom 1. November
2005 a.a.O. und vom 20. März 2007 - BVerwG 1 C 21.06 - BVerwGE 128, 199).
b) Maßgeblich für die materiell-rechtliche Beurteilung der Widerrufsentschei-
dung ist § 73 AsylVfG in der seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung
aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom
19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsge-
setz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (vgl. Bekanntmachung der Neu-
fassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798).
Denn im Revisionsverfahren sind Rechtsänderungen, die nach Erlass des Be-
rufungsurteils eingetreten sind, für die Entscheidung des Revisionsgerichts be-
achtlich, wenn das Berufungsgericht sie, würde es jetzt entscheiden, beachten
müsste. Das wäre hier gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG der Fall (stRspr, vgl. etwa
Urteil vom 1. November 2005 a.a.O.).
Die hier einschlägige Bestimmung des § 73 Abs. 1 AsylVfG lautet jetzt wie folgt:
(1) Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuer-
kennung der Flüchtlingseigenschaft sind unverzüglich zu
widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr
vorliegen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Aus-
länder nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung
als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flücht-
lingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen
kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen,
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als
Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren,
in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Satz 2
gilt nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf frü-
heren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um
die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsan-
gehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser sei-
nen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Ein Widerruf der Anerkennung setzt danach - wie im Übrigen auch schon nach
bisheriger Rechtslage - voraus, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung
„nicht mehr“ vorliegen, d.h. dass sie nachträglich - also nach Ausspruch der
Anerkennung - entfallen sind. Ein Wegfall der Anerkennungsvoraussetzungen
aufgrund einer Änderung der Sachlage kommt vorliegend nicht in Betracht.
Denn nach den das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen
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des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) ist eine wesentliche Änderung der
Verfolgungslage in der Türkei für den vorverfolgt ausgereisten Kläger nicht ein-
getreten. Diese Feststellungen sind entgegen der Ansicht der Beklagten revisi-
onsrechtlich nicht zu beanstanden. Ebenso wenig hat der Kläger durch eigenes
Verhalten nach der Anerkennung einen Grund für den Wegfall der Anerken-
nungsvoraussetzungen, etwa durch nachträgliche Verwirklichung eines Aus-
schlusstatbestandes, geschaffen.
Geändert hat sich vorliegend nach der Anerkennung des Klägers als Asylbe-
rechtigter und Flüchtling im Mai 2001 allerdings die Rechtslage, indem der
deutsche Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Januar 2002 durch das Terroris-
musbekämpfungsgesetz die in Art. 1 Abschnitt F Genfer Flüchtlingskonvention
(GFK) enthaltenen Ausschlussgründe erstmals in § 51 Abs. 3 Satz 2 Auslän-
dergesetz (AuslG) als Gründe für den Ausschluss vom flüchtlingsrechtlichen
Abschiebungsverbot eingeführt hat. Ob nicht nur eine Änderung der Sachlage,
sondern auch eine (bloße) Änderung der Rechtslage, d.h. eine Verschärfung
der Anerkennungsvoraussetzungen, den Widerruf einer ursprünglich rechtmä-
ßigen Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nach § 73 Abs. 1
Satz 1 AsylVfG rechtfertigt, lässt der Senat offen. Denn jedenfalls ist im Falle
des Vorliegens von Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie
2004/83/EG eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 3
Buchst. a der Richtlinie zulässig und geboten. Nach dieser Vorschrift erkennen
die Mitgliedstaaten die Flüchtlingseigenschaft ab, beenden diese oder lehnen
ihre Verlängerung ab, falls der betreffende Mitgliedstaat nach Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft feststellt, dass die Person gemäß Art. 12 der Richtlinie
von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hätte ausgeschlossen werden
müssen oder ausgeschlossen ist. Selbst wenn das nationale Recht eine Aber-
kennungsmöglichkeit nicht vorsehen würde, würde sich daher wegen des Vor-
rangs des Gemeinschaftsrechts eine Rechtsgrundlage hierfür aus Art. 14
Abs. 3 der Richtlinie ergeben.
Diese Bestimmung ist auf den streitigen Widerruf auch unmittelbar anwendbar.
Sie enthält - anders als Art. 14 Abs.1 der Richtlinie - keine Übergangsregelung.
Die Pflicht zur Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung
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der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie ist daher nicht auf
Anerkennungen beschränkt, die nach Inkrafttreten der Richtlinie beantragt wor-
den sind, sondern erfasst auch zuvor beantragte und ausgesprochene Aner-
kennungen wie die des Klägers. Der Umstand, dass der Widerrufsbescheid
bereits im Mai 2004 und damit vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG er-
gangen ist, steht einer Anwendung dieser Bestimmung bei der jetzt vorzuneh-
menden Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit ebenfalls nicht entgegen. Abgese-
hen davon, dass nach nationalem Recht, wie oben dargelegt, ohnehin die ma-
terielle Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist,
würde sich auch aus der Richtlinie nichts anderes ergeben. Nach Art. 14 Abs. 3
der Richtlinie ist der betreffende Mitgliedstaat nämlich spätestens nach Ablauf
der Umsetzungsfrist im Oktober 2006 bei Vorliegen der dort genannten Vor-
aussetzungen zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft verpflichtet. Damit
wäre es nicht vereinbar, den bereits ergangenen Widerrufsbescheid aufzuhe-
ben, da er sogleich wieder erlassen werden müsste. Die Voraussetzungen für
eine Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der
Richtlinie sind, sofern ein Ausschlussgrund nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richt-
linie in der Person des Klägers zu bejahen ist, vorliegend auch erfüllt. Denn
diese Bestimmung greift, wie die umfassende Formulierung „hätte ausge-
schlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist“ zeigt, in allen Fällen ein, in
denen nachträglich ein Ausschlussgrund festgestellt wird. Es ist daher unerheb-
lich, dass die vorliegende Anerkennung im Zeitpunkt ihres Ausspruchs recht-
mäßig war und dass sich die Sachlage nach der Anerkennung nicht geändert
hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob im Anerkennungsverfahren falsche
Angaben gemacht oder Tatsachen verschwiegen wurden (vgl. Art. 14 Abs. 3
Buchst. b der Richtlinie).
Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ist daher gerechtfertigt, wenn der Klä-
ger einen der Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (früher § 60
Abs. 8 Satz 2 AufenthG/§ 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG) erfüllt. Mit diesen seit In-
krafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes nunmehr im Asylverfahrensge-
setz geregelten Ausschlussgründen hat der deutsche Gesetzgeber Art. 12
Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG, der seinerseits auf die schon in Art. 1
Abschnitt F GFK aufgeführten Ausschlussgründe zurückgeht, umgesetzt. Ein
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Ausländer ist danach u.a. nicht Flüchtling, wenn aus schwerwiegenden Grün-
den die Annahme gerechtfertigt ist, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling
eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen
hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr angeblich politi-
sche Ziele verfolgt wurden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG), oder dass er den
Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (§ 3
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG); dies gilt auch für Ausländer, die andere zu einer
derartigen Straftat angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt ha-
ben (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). In diesem Zusammenhang stellen sich vorlie-
gend die Vorlagefragen 1 bis 4.
1. Vorlagefrage:
a) Nach den bindenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts,
die zum Teil auch den eigenen Angaben des Klägers im Asylverfahren entspre-
chen, war der Kläger langjährig (von 1990 bis 2000) in die Kurdische Arbeiter-
partei (PKK) als Kämpfer und Funktionär eingebunden, hat deren Ziele
- zeitweise sogar in hervorgehobener Position (als Angehöriger des 41-köpfigen
Führungsgremiums) - unterstützt und zumindest gelegentlich selbst an deren
Kampfhandlungen teilgenommen (UA S. 43 f.). Die PKK setzt nach den Fest-
stellungen des Berufungsgerichts bei ihrem bewaffneten Kampf gegen die tür-
kische Staatsmacht im Südosten der Türkei immer wieder auch terroristische,
d.h. gemeingefährliche Mittel ein, wie Bombenattentate in Städten und Touris-
tenzentren (UA S. 43 f.). Sie steht seit Mai 2002 auf der vom Rat der Europäi-
schen Union angenommenen Liste der Terrororganisationen (vgl. Ziff. 2.9 des
Anhangs zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 2. Mai 2002 betref-
fend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über
die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus
- 2002/340/GSAP - ABl EG Nr. L 116 vom 3. Mai 2002 S. 75). Dass die PKK
terroristische Methoden angewendet hat, hat der Senat für den hier maßgebli-
chen Zeitraum zwischen 1990 und 2000 im Übrigen auch bereits selbst festge-
stellt und im Einzelnen begründet (vgl. Urteile vom 30. März 1999 - BVerwG
9 C 23.98 - BVerwGE 109, 12 <20 ff.> und vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C
26.03 - BVerwGE 123, 114 <130>). Der Kläger hat durch seine Tätigkeit als
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Guerillakämpfer und - zeitweise - als hoher Funktionär der PKK deren auch mit
terroristischen Mitteln geführten Kampf aktiv unterstützt.
b) Nach Auffassung des Senats erfüllt ein derartiges Verhalten den Tatbestand
einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b
der Richtlinie 2004/83/EG. Es kommt deshalb auch nicht auf die vom Beru-
fungsgericht noch nicht beantwortete Frage an, wie das Fahndungsersuchen
der türkischen Strafverfolgungsbehörden und die dem Kläger darin zur Last
gelegte Beteiligung an Anschlägen mit 126 Toten sowie an zwei Morden zu
bewerten sind (UA S. 43 f.). Wegen der näheren Begründung wird insoweit auf
den bereits genannten Vorlagebeschluss des Senats vom 14. Oktober 2008 im
Verfahren BVerwG 10 C 48.07 zur 1. Vorlagefrage unter b) (Rn. 18 ff.) verwie-
sen.
c) Zugleich erscheint zweifelhaft, ob das aufgezeigte Verhalten des Klägers
nicht auch dem Ausschlussgrund des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie
2004/83/EG unterfällt, weil es den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nati-
onen, wie sie in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten
Nationen verankert sind, zuwiderläuft. Auch insoweit wird zur Vermeidung von
Wiederholungen auf die Ausführungen in dem genannten Vorlagebeschluss zur
1. Vorlagefrage unter c) (Rn. 23 ff.) verwiesen.
2. Vorlagefrage:
a) Ist Frage 1 zu bejahen, stellt sich entscheidungserheblich Frage 2, ob näm-
lich für den Ausschluss nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie erfor-
derlich ist, dass von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgeht. Nach den
bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist dies bei dem Kläger nicht
der Fall. Unter Berücksichtigung des Werdegangs und der heutigen Überzeu-
gungen des Klägers bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er sich noch-
mals an vergleichbaren Taten beteiligen wird. Er hat sich schon einige Zeit vor
seiner Ausreise nach reiflicher Überlegung und aus Überzeugung endgültig von
der PKK gelöst. Nach seinem glaubhaften Vortrag hat er seither keine Kontakte
mehr zu dieser Organisation, steht nicht nur den Strukturen, sondern auch den
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Zielen der PKK heute sehr kritisch gegenüber und sieht Gewalt nicht mehr als
taugliches Mittel an, um die Situation der kurdischen Bevölkerung in der Türkei
zu verbessern. Das bedeutet zugleich, dass er sich von den Methoden der
PKK, die er seinerzeit unterstützt hat, distanziert (UA S. 44 ff.).
b) Nach Auffassung des Senats ist Frage 2 zu verneinen. Für die Anwendung
der Ausschlussklauseln genügt die bloße „Schutzunwürdigkeit“ aufgrund frühe-
ren Handelns; nicht erforderlich ist, dass von dem Ausländer weiterhin Gefah-
ren ausgehen, wie sie sich in seinem früheren Verhalten manifestiert haben.
Wegen der Begründung im Einzelnen wird insoweit wiederum auf den bereits
genannten Vorlagebeschluss des Senats vom 14. Oktober 2008 im Verfahren
BVerwG 10 C 48.07 zur 2. Vorlagefrage unter b) (Rn. 28 ff.) Bezug genommen.
3. und 4. Vorlagefrage:
Ist Frage 2 zu verneinen, kommt es entscheidungserheblich darauf an, ob der
Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b
und c der Richtlinie 2004/83/EG zumindest eine einzelfallbezogene Verhältnis-
mäßigkeitsprüfung verlangt, welche Kriterien hierbei zu berücksichtigen sind
und welcher Maßstab anzulegen ist. Bedarf es keiner einzelfallbezogenen Ver-
hältnismäßigkeitsprüfung und ist Frage 3 deshalb zu verneinen, ist der Kläger
bei gleichzeitiger Bejahung von Frage 1 und Verneinung von Frage 2 von der
Flüchtlingsanerkennung zwingend ausgeschlossen. Der Widerruf seiner Flücht-
lingsanerkennung wäre dann rechtmäßig. Bedarf es einer einzelfallbezogenen
Verhältnismäßigkeitsprüfung, hängt die Rechtmäßigkeit des Widerrufs dagegen
von der Beantwortung der Frage 4 ab.
Da der Fall des Klägers sich insoweit nicht von dem mit Beschluss vom 14. Ok-
tober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - vorgelegten Fall unterscheidet, wird auf die
dortigen Ausführungen zur 3. und 4. Vorlagefrage (Rn. 31 ff.) verwiesen.
2. Neben dem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie
2004/83/EG geht es im vorliegenden Verfahren zugleich darum, ob auch die
auf nationalem Verfassungsrecht beruhende Asylanerkennung des Klägers
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nach Art. 16a GG widerrufen werden durfte. In diesem Zusammenhang stellt
sich die 5. Vorlagefrage zur Auslegung von Art. 3 der Richtlinie.
a) Wie in dem Vorlagebeschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 -
zu 2. unter a) (Rn. 36 ff.) im Einzelnen ausgeführt, stünde es nach der beste-
henden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesver-
waltungsgerichts der Asylanerkennung nach Art. 16a GG nicht entgegen, dass
der Kläger in seinem Heimatland eine terroristische Organisation aktiv unter-
stützt hat. Denn die verfassungsrechtlich gerechtfertigten Ausschlussgründe für
die Asylgewährung, der sog. Terrorismusvorbehalt und der Ausschluss nach
§ 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG (entsprechend Art. 14 Abs. 4 Buchst. a und b der
Richtlinie bzw. Art. 33 Abs. 2 GFK), setzen beide eine Wiederholungsgefahr
voraus. Da bei dem Kläger nach den bindenden Feststellungen des Berufungs-
gerichts keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er sich nochmals an ver-
gleichbaren Taten beteiligen wird, lägen die Voraussetzungen für eine Gewäh-
rung von Asyl nach Art. 16a GG bei ihm weiterhin vor. Folglich könnte auch bei
Verwirklichung eines Ausschlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie die
Asylanerkennung des Klägers schon aus diesem Grund nicht nach § 73 Abs. 1
AsylVfG widerrufen werden.
b) Ist die Flüchtlingsanerkennung des Klägers wegen Feststellung eines Aus-
schlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2004/83/EG aber ge-
mäß Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie zwingend zu widerrufen, stellt sich damit ent-
scheidungserheblich die Frage, ob sich dies über den Anwendungsvorrang des
Gemeinschaftsrechts nicht auch auf die Asylanerkennung des Klägers nach
Art. 16a GG auswirkt. Das hängt davon ab, ob die Richtlinie 2004/83/EG den
Fortbestand eines mit dem Flüchtlingsstatus vergleichbaren nationalen Schutz-
status trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes zulässt. Dies richtet sich nach
Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach können die Mitgliedstaaten günstigere
Normen zur Entscheidung der Frage, wer als Flüchtling oder Person gilt, die
Anspruch auf subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung des Inhalts des in-
ternationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit der Richtlinie
vereinbar sind. Wegen der Erwägungen des Senats zu dieser Auslegungsfrage
wird zur Vermeidung von Wiederholungen wiederum auf die Ausführungen im
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Vorlagebeschluss vom 14. Oktober 2008 - BVerwG 10 C 48.07 - zur 5. Vorlage-
frage unter 2. b) (Rn. 41 ff.) Bezug genommen.
VRiBVerwG Dr. Mallmann
Prof. Dr. Dörig
Beck
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Prof. Dr. Dörig
Prof. Dr. Kraft
Fricke