Urteil des BVerwG vom 30.04.2009

Rechtsmittelbelehrung, Zustellung, Unrichtigkeit, Verwaltungsprozess

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 23.08
VGH 10 A 1528/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. April 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette, Liebler,
Prof. Dr. Rennert und Buchheister
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 28. Oktober 2008 wird aufgehoben. Die Rechtssache
wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an
den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger, ein Landwirt, begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Gewäh-
rung einer Beihilfe für den Anbau von Kulturpflanzen im Wirtschaftsjahr 2004.
Der Beklagte lehnte den Antrag ab.
Mit Urteil vom 25. Juni 2007 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten ver-
pflichtet, dem Kläger eine flächenbezogene Stützungszahlung für 4,9561 ha
Ackerfläche zu gewähren. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen.
Auf Antrag des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom
15. Juli 2008 die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden
war. Zur Begründung heißt es, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtig-
keit des angefochtenen Urteils. Die Begründung fährt fort:
„Aufgrund der Zulassung der Berufung wird das Zulas-
sungsverfahren nach § 124a Abs. 5 S. 5 VwGO als Beru-
fungsverfahren fortgesetzt, ohne dass es der Einlegung
der Berufung bedarf. Die Berufung ist innerhalb eines Mo-
nats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen.
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Die Begründung ist bei dem Hessischen Verwaltungsge-
richtshof einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf ei-
nen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag vom Vorsitzenden
des Senats verlängert werden. Die Begründung muss ei-
nen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen
aufzuführenden Gründe der Anfechtung (§ 124a Abs. 6
i.V.m. Abs. 3 VwGO).“
Es schließen sich Ausführungen zu den Verfahrenskosten, zum Streitwert und
zur Anfechtbarkeit des Beschlusses an. Danach folgen die Unterschriften. Der
Beschluss ist dem Beklagten am 18. Juli 2008 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 28. August 2008, beim Verwaltungsgerichtshof eingegan-
gen am 2. September 2008, hat der Beklagte die Berufung begründet. Er hält
dies für rechtzeitig, weil die vom Verwaltungsgerichtshof gegebene diesbezügli-
che Belehrung fehlerhaft gewesen sei; es habe der Hinweis darauf gefehlt, wo
das zuständige Gericht seinen Sitz habe. Hilfsweise sei ihm Wiedereinsetzung
in die versäumte Begründungsfrist zu gewähren, weil die zuständige Sachbear-
beiterin im Urlaub und ihre Vertreterin überlastet gewesen sei.
Mit Beschluss vom 28. Oktober 2008 hat der Verwaltungsgerichtshof die Beru-
fung als unzulässig verworfen. Die Monatsfrist zur Begründung der Berufung
habe mit Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu laufen begonnen. Daran
ändere auch nichts, dass über die Notwendigkeit der Berufungsbegründung
nicht durch eine abgesetzte Rechtsmittelbelehrung, sondern innerhalb der
Gründe des Zulassungsbeschlusses und ohne Angabe des Sitzes des Beru-
fungsgerichts belehrt worden sei. Dies entspreche der ständigen Praxis des
Verwaltungsgerichtshofs und genüge zur Wahrung der prozessualen Rechte
der - ohnehin anwaltlich vertretenen - Beteiligten und zur Sicherstellung eines
fairen Verfahrens, zumal der Sitz des Gerichts den Beteiligten aus dem Zulas-
sungsverfahren bekannt sei und sich zudem aus der übersandten Ausfertigung
des Zulassungsbeschlusses entnehmen lasse. Aus § 58 Abs. 1 VwGO ergebe
sich nichts anderes; diese Vorschrift sei ohnehin allenfalls analog anwendbar.
Der Beklagte hat die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision einge-
legt.
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Der Kläger verteidigt den angefochtenen Beschluss.
II
Die Revision ist begründet. Der angefochtene Beschluss beruht auf einem Ver-
fahrensfehler (§ 137 Abs. 3 VwGO). Er muss deshalb aufgehoben, und die Sa-
che muss an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen werden (§ 144
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil der
Beklagte die Monatsfrist zur Begründung der Berufung versäumt habe (§ 125
Abs. 2, § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO). Das trifft nicht zu. Die Monatsfrist hat
nicht zu laufen begonnen, weil der Beklagte in dem Beschluss über die Zulas-
sung der Berufung nicht auch über den Sitz des Gerichts, bei dem die Begrün-
dung einzureichen war, schriftlich oder elektronisch belehrt worden war (§ 58
Abs. 1 VwGO).
1. Mit dem Beschluss über die Zulassung der Berufung ist der Berufungsführer
gemäß § 58 Abs. 1 VwGO über die Notwendigkeit der Berufungsbegründung
nach § 124a Abs. 6 VwGO zu belehren. Das ist in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts geklärt (Urteile vom 30. Juni 1998 - BVerwG 9 C
6.98 - BVerwGE 107, 117 <122 f.> = Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 4 S. 9
und vom 4. Oktober 1999 - BVerwG 6 C 31.98 - BVerwGE 109, 336 <340 ff.> =
Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 74 S. 4 ff.; Beschlüsse vom 8. September 2000
- BVerwG 11 B 50.00 - und vom 23. Oktober 2000 - BVerwG 9 B 372.00 - Buch-
holz 310 § 124a VwGO Nrn. 17 und 18).
Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, § 58 Abs. 1 VwGO könne auf die Beru-
fungsbegründung allenfalls entsprechend angewendet werden. Die Berufung ist
ein Rechtsmittel, über sie ist daher nach § 58 Abs. 1 VwGO zu belehren. Un-
terscheidet das Gesetz zwischen der Einlegung und der Begründung eines
Rechtsmittels, so betrifft die Belehrungspflicht beide Stufen. § 58 Abs. 1 VwGO
gebietet deshalb, auch über die Pflicht zur Begründung des Rechtsmittels zu
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belehren (Beschluss des Großen Senats vom 5. Juli 1957 - BVerwG Gr. Sen.
1.57 - BVerwGE 5, 178). Das gilt auch und erst recht, wenn das Rechtsmittel
der Zulassung bedarf und es nach erfolgter Zulassung der Einlegung des
Rechtsmittels nicht mehr bedarf, von dem zweistufig aufgebauten Rechtsmittel
also gewissermaßen nur die zweite Stufe übrig geblieben ist (Urteil vom
30. Juni 1998 a.a.O.).
2. Die Belehrung muss in dem Beschluss über die Zulassung der Berufung ent-
halten und von der Unterschrift der an der Beschlussfassung beteiligten Richter
gedeckt sein. Es genügt nicht, dass sich die nötigen Informationen aus anderen
Quellen - etwa aus einem beigefügten Übersendungsschreiben der Geschäfts-
stelle oder aus der Absenderangabe auf dem Briefumschlag - ersehen lassen.
Auch dies ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt
(Urteil vom 4. Oktober 1999 a.a.O. S. 341 ff. bzw. S. 5 ff.).
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist aber nicht erforderlich, dass die
Belehrung von der Begründung des Beschlusses abgesetzt und mit einer ge-
sonderten Überschrift versehen wird. § 117 Abs. 2 VwGO, auf den sich der Be-
klagte insofern beruft, gilt für Urteile und findet für urteilsvertretende und in ihrer
Bedeutung vergleichbare Beschlüsse zwar in seinem Kern, nicht hingegen in
allen Einzelheiten Anwendung. So lässt sich der Vorschrift etwa auch für ur-
teilsvertretende Beschlüsse nicht entnehmen, dass Tatbestand und Entschei-
dungsgründe voneinander abgesetzt werden müssten (Urteil vom 4. Oktober
1999 a.a.O. S. 343 bzw. S. 7). Nichts anderes gilt für die Rechtsmittelbeleh-
rung. Natürlich muss diese, auch wenn sie Bestandteil der Beschlussgründe ist,
ihre Hinweis- und Belehrungsfunktion erfüllen. Sie darf deshalb nicht etwa in
einer vielseitigen Begründung irgendwo versteckt werden, sondern sollte nach
den sachlichen Erwägungen zur Begründung des Beschlusses an dessen Ende
gerückt werden, kann sich aber durchaus vor einer Begründung der Kostenent-
scheidung und der Streitwertfestsetzung finden.
3. Nach § 58 Abs. 1 VwGO muss nicht nur über das Gericht, bei dem die Beru-
fungsbegründung einzureichen ist, sondern auch über dessen Sitz belehrt wer-
den. Das besagt der Wortlaut der Vorschrift zweifelsfrei (vgl. Beschlüsse vom
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20. August 1993 - BVerwG 8 C 14.93 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 62 und
vom 23. Oktober 2000 a.a.O.). Der Sitz des Gerichts ist nur mit der Angabe des
Ortes ausreichend bezeichnet. Die Angabe des Namens des Gerichts genügt
nur dann, wenn der Name den Ort des Sitzes enthält und wenn dies zweifelsfrei
ist (vgl. Urteil vom 24. August 1990 - BVerwG 8 C 73.88 - BVerwGE 85, 300 =
Buchholz 401.8 Verwaltungsgebühren Nr. 26).
4. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht in seinem Beschluss über die
Zulassung der Berufung zwar über die Pflicht zur Berufungsbegründung belehrt
und hierbei auch angegeben, bei welchem Gericht die Belehrung einzureichen
sei; jedoch fehlte die Angabe, wo das Gericht seinen Sitz hat. Das war auch
aus dem Namen des Gerichts („Hessischer Verwaltungsgerichtshof“) nicht er-
sichtlich. Der Beschluss lässt auch in seinem restlichen Inhalt - etwa im
Rubrum - nicht erkennen, wo das Gericht seinen Sitz hat. Es bedarf deshalb
keiner Entscheidung, ob derartige Hinweise ein Defizit der Belehrung kompen-
sieren könnten (vgl. einerseits Beschluss vom 13. März 1978 - BVerwG 4 B
7.78 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 36 S. 15, andererseits Urteil vom 23. Au-
gust 1990 a.a.O.). Nicht ausreichend ist jedenfalls, dass der Sitz des Gerichts
für die Beteiligten aus dem Ausfertigungsstempel sowie aus dem Übersen-
dungsschreiben ersichtlich war; denn diese Hinweise gehen jeweils auf die Ge-
schäftsstelle und nicht auf den beschließenden Senat zurück (Urteil vom 4. Ok-
tober 1999 a.a.O. 341 ff. bzw. S. 5 ff.).
Der Kläger wendet ein, dass dem Beklagten der Sitz des Berufungsgerichts
ohnehin bekannt war oder doch hätte bekannt sein müssen. Er meint zum ei-
nen, dem Beklagten - einer Behörde - müsse der Sitz des Berufungsgerichts
bekannt sein, weshalb er nicht zum Kreis derjenigen gehöre, deren Schutz § 58
VwGO bezwecke. Zum anderen weist er darauf hin, dass der Beklagte schon
durch die Rechtsmittelbelehrung im erstinstanzlichen Urteil über den Sitz des
Berufungsgerichts belehrt worden sei und im Zulassungsverfahren auch
Schriftsätze an das Berufungsgericht gerichtet habe; angesichts dessen sei es
arglistig, wenn er sich nunmehr auf die unterbliebene Belehrung über den Sitz
des Berufungsgerichts berufe. Damit dringt der Kläger nicht durch. Es ist zwar
richtig, dass § 58 VwGO dem Schutz der durch eine behördliche oder gerichtli-
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che Entscheidung Betroffenen dient. Niemand soll durch Rechtsunkenntnis ei-
nes Rechtsbehelfs verlustig gehen. Deshalb knüpft die Vorschrift den Lauf von
Rechtsbehelfsfristen an eine bestimmt geartete Belehrung (stRspr.; etwa Urteil
vom 9. November 1966 - BVerwG 5 C 196.55 - BVerwGE 25, 261 <262> =
Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 7 S. 8 f.). Das Ob und das Wie dieser Belehrung
sind jedoch streng formalisiert. § 58 VwGO macht den Lauf der Fristen in allen
Fällen von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne
Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen
der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob
das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das
Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war. Das dient der
Rechtsmittelklarheit; indem § 58 VwGO seine Rechtsfolgen allein an die objek-
tiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung
knüpft, gibt die Vorschrift sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und zudem
sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft an die Hand (vgl.
Urteile vom 13. Dezember 1978 - BVerwG 6 C 77.78 - BVerwGE 57, 188 =
Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 39 und vom 15. Dezember 1988 - BVerwG 5 C
9.85 - BVerwGE 81, 81 <84> = Buchholz 436.36 § 12 BAföG Nr. 16 S. 7; Kopp/
Schenke, VwGO-Kommentar, 15. Aufl. 2007, § 58 Rn. 1; Meissner, in:
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, Stand April 2006, § 58
Rn. 6).
Hiernach ist auch unerheblich, ob dem Rechtsmittelführer der Sitz des Gerichts
aus anderen Rechtsmittelbelehrungen, die er in einem früheren Verfahrenssta-
dium erhalten hatte, bereits bekannt sein konnte. Jede Rechtsmittelbelehrung
muss aus sich heraus verständlich, vollständig und richtig sein; der Betroffene
soll nicht darauf verwiesen werden, auf ältere Informationen zurückzugreifen,
zumal auf solche, die nicht von demselben, sondern von einem anderen Gericht
oder einer Behörde stammen. Damit soll der Betroffene auch allein anhand der
vorliegenden Rechtsmittelbelehrung deren Vollständigkeit und Richtigkeit
überprüfen und danach die Frage beantworten können, ob ihre Erteilung die
Monatsfrist des § 58 Abs. 1 VwGO in Lauf gesetzt hat oder nicht.
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5. Der angefochtene Beschluss beruht auf dem Verfahrensfehler. Da die Beleh-
rung über die Pflicht zur Berufungsbegründung ohne Angabe des Sitzes des
Berufungsgerichts nicht ordnungsgemäß war, hätte die Berufungsbegründung
nicht als verspätet angesehen und die Berufung deshalb nicht als unzulässig
verworfen werden dürfen. Der angefochtene Beschluss kann deshalb keinen
Bestand haben. Eine Entscheidung zur Sache ist dem Revisionsgericht ver-
wehrt. Der Rechtsstreit muss vielmehr an das Berufungsgericht zurückverwie-
sen werden.
Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung vorzubehalten.
Kley
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
Buchheister
B e s c h l u s s :
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
2 084,89 € festgesetzt (§ 52 Abs. 3 GKG).
Kley
Dr. Dette
Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE
ja
Fachpresse ja
Verwaltungsprozessrecht
Rechtsquellen:
VwGO § 58 Abs. 1, § 117 Abs. 2, § 124a
Stichworte:
Verwaltungsprozess; Rechtsmittel; Berufung; Berufungszulassung; Zulassung
der Berufung; Berufungsbegründung; Belehrung; Rechtsmittelbelehrung; Mo-
natsfrist; Frist; Fristlauf; Sitz; Sitz des Gerichts; Berufungsgericht.
Leitsatz:
In dem Beschluss über die Zulassung der Berufung muss auch über den Sitz
des Gerichts, bei dem die Berufungsbegründung einzureichen ist, belehrt wer-
den.
Urteil des 3. Senats vom 30. April 2009 - BVerwG 3 C 23.08
I. VG Gießen vom 25.06.2007 - Az.: VG 10 E 4033/06 -
II. VGH Kassel vom 28.10.2008 - Az.: VGH 10 A 1528/08 -