Urteil des BVerwG vom 26.04.2007

Dingliche Einigung, Wirtschaftliche Einheit, Grundstück, Gebäude

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 3 C 15.06
am 26. April 2007
VG 6 K 98/05
Thiele
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette,
Liebler und Prof. Dr. Rennert
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Chemnitz vom 9. Juni 2005 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigelade-
nen, die diese selbst trägt.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin erstrebt die Verpflichtung der Beklagten, Grundstücke gemäß § 8
Abs. 5 Satz 2 VZOG der Beigeladenen zuzuordnen, um damit einen von dieser
geltend gemachten Erlösauskehranspruch abzuwenden.
1991 verkaufte die Klägerin zusammen mit anderen Grundstücken eine Teilflä-
che von 20 900 m² des Flurstücks … der Gemarkung U., die mit einem Jugend-
touristhotel bebaut war. Der Kaufpreis für alle Grundstücke betrug 4 Mio. DM.
Davon wurden dem Erwerber 2,6 Mio. DM als zinsloses Darlehen gewährt, das
in jährlichen Raten in Höhe von 78 000 DM, beginnend zum 1. Juli 1992, getilgt
werden sollte. Der Erwerber wurde im November 1991 als Eigentümer des nach
Vermessung neu gebildeten Flurstücks … in das Grundbuch eingetragen.
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Mit Bescheid vom 6. Juni 1996 wurde der Beigeladenen das Eigentum an dem
Flurstück … mit einer Fläche von 31 691 m
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zugeordnet. Die dagegen gerichte-
te Anfechtungsklage der Klägerin wies das Verwaltungsgericht Chemnitz mit
rechtskräftigem Urteil vom 27. Februar 2001 ab.
Daraufhin forderte die Beigeladene die Klägerin zur Auskehr von Erlös bzw.
Verkehrswert in Höhe von 2 528 000 DM auf. Dieser Betrag entsprach dem
Anteil der veräußerten Teilfläche am Gesamtkaufpreis. Die Klägerin stimmte
dem Anspruch dem Grunde nach zu und bot zur Tilgung die Verschaffung des
Eigentums an folgenden Grundstücken an:
• Flurstück … der Gemarkung H. mit einer Fläche von 3 722 m
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.
Es ist mit einem Schulhaus mit Turnhalle aus dem Jahr 1927 be-
baut, das später als Wohn- und Verwaltungsgebäude genutzt
wurde.
• Flurstück … der Gemarkung U. mit einer Fläche von 3 238 m
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. Es
ist mit einem zuletzt als Jugendhaus genutzten Objekt bebaut,
das seit längerer Zeit leer steht.
• Flurstücke … und … der Gemarkung U. mit einer Fläche von
1 111 m
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bzw. 5 159 m
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, die mit der Mittelschule von O. überbaut
sind.
• Flurstück … der Gemarkung H. mit einer Gesamtfläche von
19 818 m
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. Dabei handelt es sich um eine unbebaute Wiese in
Hanglage.
Eine Einigung über die Annahme der angebotenen Grundstücke konnte nicht
erzielt werden.
Den Antrag der Klägerin, der Beigeladenen die Grundstücke zuzuordnen, lehn-
te das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen - Vermögenszuord-
nungsstelle Chemnitz - mit Bescheid vom 21. Dezember 2004 ab. Zur Begrün-
dung wurde ausgeführt, Ersatzgrundstücke i.S.v. § 8 Abs. 5 VZOG müssten
Grundstücke sein, die in der Höhe des Erlöses bzw. Verkehrswertes für den
Zuordnungsberechtigten verwertbar seien. Da hierüber zwischen den Beteilig-
ten keine Einigung erzielt worden sei, sei der Antrag abzulehnen gewesen.
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Die daraufhin erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht Chem-
nitz mit Urteil vom 9. Juni 2005 abgewiesen. Der Begriff „Eigentumsverschaf-
fung” in § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG lasse sich nur so verstehen, dass das Eigen-
tum am Grundstück übertragen werden müsse. Hierfür sei, nachdem ein Zu-
ordnungsbescheid nicht ergangen sei, eine dingliche Einigung i.S.v. § 925 BGB
mit dem Auskehrberechtigten erforderlich. Daran fehle es hier. Die Klägerin
habe die Einigung auch nicht willkürlich abgelehnt. Der Auskehrberechtigte
müsse das Recht haben, angebotene Grundstücke abzulehnen, wenn Streit
über deren Werthaltigkeit oder Verwertbarkeit bestehe.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin zum einen die Verletzung formellen Rechts,
weil das Verwaltungsgericht ohne Beweisaufnahme und entgegen ihrem Sach-
vortrag - zudem überraschend - davon ausgegangen sei, dass die Gebäude auf
den zuzuordnenden Grundstücken der Sanierung bedürften. Zum anderen
wendet sich die Klägerin gegen die Annahmen des Verwaltungsgerichts, es sei
auf eine Willkürkontrolle beschränkt, die Zuordnung nach § 8 Abs. 5 Satz 2
VZOG setze eine dingliche Einigung zwischen den Beteiligten voraus und Strei-
tigkeiten über den Wert oder die Verwertbarkeit sowie die Sanierungsbedürftig-
keit der Ersatzgrundstücke ließen einen Anspruch des Auskehrverpflichteten
auf Zuordnung von Ersatzgrundstücken entfallen. Aus § 8 Abs. 5 VZOG ergebe
sich, dass schon die Absicht der verfügenden Stelle genüge, ein Ersatzgrund-
stück zu leisten. Der Gesetzgeber habe ausweislich der Begründung des Ge-
setzesentwurfs den regelmäßig betroffenen Kommunen durch die Möglichkeit
der Verschaffung von Ersatzgrundstücken eine finanzielle Entlastung zukom-
men lassen wollen. Daraus folge, dass zivilrechtliche Rechtsgeschäfte zwischen
den Beteiligten nicht notwendig seien.
Die Beklagte und die Beigeladene, die keinen Antrag stellt, verteidigen das an-
gefochtene Urteil. § 8 Abs. 5 VZOG räume dem Auskehrpflichtigen zwar die
Möglichkeit ein, den Auskehranspruch durch die Bereitstellung eines Ersatz-
grundstücks zu erfüllen. Dabei müsse es sich aber um ein vergleichbares,
gleichwertiges Ersatzgrundstück handeln, also zum Zeitpunkt der Übernahme
den Wert verkörpern, der andernfalls und nach § 8 Abs. 4 VZOG primär als
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Erlös bzw. Verkehrswert auszukehren wäre. Ein solches Grundstück habe die
Klägerin hier aber nicht angeboten..
In einem Parallelverfahren ist die Stadt O. zur Auskehr des Verkehrswerts des
Grundstücks, über das verfügt worden war, verurteilt worden (vgl. Urteil vom
26. April 2007 - BVerwG 3 C 14.06).
II
Die Revision bleibt ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil steht im Ergebnis mit
Bundesrecht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
1. Das angefochtene Urteil ist verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Gerügt
wird insoweit ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO, da vom Verwaltungsgericht
kein Sachverständigengutachten zur Sanierungsbedürftigkeit der angebotenen
Ersatzgrundstücke eingeholt worden sei, obwohl sich dies aufgedrängt habe.
Der Umfang der Amtsermittlungspflicht wird jedoch von der materiellrechtlichen
Ausgangsposition des Verwaltungsgerichts bestimmt. Hier hat das Verwal-
tungsgericht eine „Ablehnungsbefugnis“ des Zuordnungsberechtigten aber be-
reits deshalb angenommen, weil Streit über die Werthaltigkeit der angebotenen
Grundstücke bestand. Die Frage der Sanierungsbedürftigkeit war nur ein zu-
sätzlicher Gesichtspunkt, auf den es nicht mehr ankam und zu dem daher auch
kein Beweis erhoben werden musste. Dementsprechend greifen auch die Rü-
gen eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz und gegen den
Grundsatz rechtlichen Gehörs nicht durch.
2. In der Sache ist das angegriffene Urteil zwar nicht frei von Rechtsfehlern. Im
Ergebnis stellt sich die Entscheidung aber als richtig dar; denn die Klägerin hat
keinen Anspruch auf Erlass des begehrten Zuordnungsbescheides. Die Revisi-
on muss daher nach § 144 Abs. 4 VwGO zurückgewiesen werden.
a) Nach § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG kann die verfügende Stelle im Falle des Ab-
satzes 4 Satz 2 anstelle der Auskehrung des Erlöses oder des Wertes das Ei-
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gentum an dem Grundstück, Grundstücksteil oder Gebäude oder an einem Er-
satzgrundstück verschaffen. Beabsichtigt die verfügende Stelle so vorzugehen,
wird nach § 8 Abs. 5 Satz 2 VZOG auf ihren Antrag hin das Eigentum durch
Zuordnungsbescheid (§ 2 VZOG) der nach § 1 VZOG zuständigen Behörde auf
den nach § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG Berechtigten übertragen.
Schon der Wortlaut der Norm zeigt, dass die Vorstellung des Verwaltungsge-
richts, die Ersetzung des Auskehranspruchs setze eine vorherige dingliche Ei-
nigung mit dem Berechtigten über den Eigentumsübergang an dem ersatzweise
zu verschaffenden Grundstück i.S.d. § 925 BGB voraus, verfehlt ist. Es handelt
sich nicht lediglich um die gemeinsame Befugnis der Beteiligten, die Schuld im
Wege der Vereinbarung durch eine andere Schuld zu ersetzen; eine derartige
Befugnis besteht ohnehin (vgl. § 364 Abs. 2 BGB) und hätte deshalb in § 8
Abs. 5 Satz 1 VZOG nicht gesondert geregelt werden müssen. Vielmehr han-
delt es sich um eine einseitige Ersetzungsbefugnis der verfügenden Stelle, wie
sowohl die Eingangswendung von § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG („Die verfügende
Stelle kann ...“) als auch die Eingangswendung des nachfolgenden § 8 Abs. 5
Satz 2 VZOG („Beabsichtigt die verfügende Stelle nach Satz 1 vorzugehen, ...“)
verdeutlichen. Einer dinglichen Einigung mit dem Auskehrberechtigten bedarf
es dagegen nicht.
Dies gilt nicht nur in Ansehung des veräußerten Grundstücks, Grundstücksteils
oder Gebäudes selbst, sondern auch in Ansehung eines Ersatzgrundstücks.
Auch insofern entfaltet das Angebot der verfügenden Stelle seine Ersetzungs-
wirkung nicht erst, wenn der Berechtigte dem zustimmt. Zur Lösung von Mei-
nungsverschiedenheiten der Beteiligten über die Eignung des angebotenen
Grundstücks als „Ersatzgrundstück“ wäre es dem Gesetzgeber möglich gewe-
sen, die ersetzende Wirkung in diesem Falle - ähnlich wie bei § 2 Abs. 1 Satz 6
VZOG - an die Zustimmung des Berechtigten zu knüpfen. Das Gesetz bietet
hierfür jedoch keinen Anhaltspunkt. Vielmehr lässt es auch beim Ersatzgrund-
stück die einseitige Ersetzungserklärung der verfügenden Stelle genügen. Da-
bei tritt die Ersetzungswirkung nicht erst mit der Eigentumsverschaffung - dem
dinglichen Eigentumswechsel - ein, sondern schon mit dem Angebot eines ge-
eigneten Ersatzgrundstücks durch die verfügende Stelle. Das besagt § 8 Abs. 5
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Satz 1 VZOG zwar nicht ausdrücklich, es lässt sich aber seinem Zusammen-
hang mit § 8 Abs. 5 Satz 2 VZOG entnehmen. Beabsichtigt die verfügende
Stelle, nach § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG vorzugehen, so wird gemäß § 8 Abs. 5
Satz 2 VZOG auf ihren Antrag hin das Eigentum durch Zuordnungsbescheid
der zuständigen Behörde auf den Berechtigten übertragen. Dies dient dem
Vollzug des Ersatzangebots, mit dem die verfügende Stelle den Auskehran-
spruch des Berechtigten abwenden kann. Ohne § 8 Abs. 5 Satz 2 VZOG müss-
te die verfügende Stelle das wiederbeschaffte Grundstück oder das Ersatz-
grundstück dem Berechtigten rechtsgeschäftlich - durch Auflassung und Eintra-
gung - übertragen. Um den Vollzug der Eigentumsübertragung im Grundbuch
leichter bewirken zu können, wollte der Gesetzgeber auch hier die Vorteile des
Vermögenszuordnungsverfahrens nutzen (BTDrucks 12/5553 S. 168; Be-
schluss vom 28. Juli 2006 - BVerwG 3 B 56.06 - Buchholz 428.2 § 8 VZOG
Nr. 5 = ZOV 2006, 368 ). Der erforderliche Rechtsgrund der
Zuordnung ist in diesem Fall darin zu finden, dass sich der grundsätzliche Aus-
kehranspruch des Berechtigten nach § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG nicht mehr auf
Geld, sondern nunmehr auf das zuzuordnende Grundstück richtet. Das aber
setzt die wirksame Ersetzung des Zahlungsanspruchs durch einen Eigentums-
verschaffungsanspruch voraus. Dementsprechend lässt § 8 Abs. 5 Satz 2
VZOG für die Zuordnung nach seinem Wortlaut bereits genügen, dass die ver-
fügende Stelle „beabsichtigt ..., nach Satz 1 vorzugehen“, also deren einseitige
Erklärung.
Die Ersetzungserklärung der verfügenden Stelle ist jedenfalls in einem Zuord-
nungsantrag nach § 8 Abs. 5 Satz 2 VZOG zu sehen. Sie kann jedoch auch
außerhalb eines Zuordnungsverfahrens, namentlich vor, während oder selbst
noch nach Abschluss des auf Zahlung gerichteten Auskehrprozesses abgege-
ben werden (vgl. Beschluss vom 28. Juli 2006 a.a.O. ).
b) Obwohl die Beklagte und - ihr folgend - das Verwaltungsgericht die Erset-
zungsbefugnis nach § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG zu Unrecht von einer Einigung der
Beteiligten abhängig gemacht haben, ist der Klägerin dennoch zu Recht die
begehrte Zuordnung verweigert worden; denn eine wirksame Erklärung zur
Verschaffung eines Ersatzgrundstücks hat sie nicht abgegeben.
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aa) Die Klägerin meint, sie dürfe dem Berechtigten jedwedes Grundvermögen
anbieten, das mit seinem Verkehrswert auf die Auskehrpflicht anzurechnen sei
und diese entsprechend mindere. Dieser Auffassung ist jedoch nicht zu folgen.
Sie steht schon mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht im Einklang.
Nach § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG besteht die Ersetzungsbefugnis der verfügenden
Stelle - neben dem Vermögensgegenstand selbst - nicht für beliebige andere
Grundstücke, sondern nur für „ein Ersatzgrundstück“. Dass das angebotene
Grundstück ein „Ersatz“ sein soll, meint ersichtlich nicht einen Ersatz für die
Geldleistung, sondern einen Ersatz für das Grundstück, Grundstücksteil oder
Gebäude, über das die verfügende Stelle zum Nachteil des Berechtigten verfügt
hat. Das bestätigt die Systematik der Vorschrift. Das Gesetz geht davon aus,
dass der Berechtigte an sich - auf der Primärebene - Zuordnung und Her-
ausgabe des Vermögensgegenstandes selbst verlangen kann, dass ihm also
ein Sachleistungsanspruch zusteht. Weil dieser Anspruch infolge einer nach § 8
Abs. 1 VZOG wirksamen Verfügung nicht mehr realisierbar ist, tritt an dessen
Stelle - als Surrogat - der Anspruch auf Auskehr des Erlöses oder des Ver-
kehrswertes nach § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG, also ein Geldleistungsanspruch. Die
Ersetzungsbefugnis des § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG ermöglicht nun der verfü-
genden Stelle, gewissermaßen wieder auf die Primärebene zurückzukehren.
Das ist für die erste Alternative der Vorschrift zweifelsfrei: Gelingt es der verfü-
genden Stelle, den Vermögensgegenstand - das Grundstück, den Grund-
stücksteil oder das Gebäude - wieder zu beschaffen, so kann sie den Geldzah-
lungsanspruch abwenden, indem sie sich verpflichtet, dem Berechtigten doch
noch das Eigentum an dem Vermögensgegenstand zu verschaffen. Nichts an-
deres gilt aber für die zweite Alternative, die sich sowohl durch das „oder“ als
auch durch den Ersatz-Gedanken an die erste Alternative anschließt. Hiernach
kann sich die verfügende Stelle wahlweise auch dazu verpflichten, dem Be-
rechtigten das Eigentum an einem Ersatzgrundstück zu verschaffen. Das Er-
satzgrundstück ist mithin der Ersatz für den Vermögensgegenstand selbst, also
für die Sachleistungspflicht innerhalb der Primärebene, nicht lediglich ein Ersatz
für die Geldleistungspflicht auf der Sekundärebene.
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bb) Als Ersatzgrundstück kommt demgemäß nicht jedwedes Grundvermögen in
Betracht, sondern nur ein Grundstück, das „Ersatz“ für den Vermögensgegen-
stand sein kann, der dem Berechtigten eigentlich zugestanden hätte. Dies lässt
eine genauere Bestimmung sowohl in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht
zu.
Zunächst muss es sich - wie der Wortlaut belegt - um „ein“ Ersatzgrundstück
handeln. Die Formulierung im Singular spricht gegen die Annahme, es komme
nur darauf an, die Geldleistungspflicht durch beliebiges Grundvermögen, also
auch durch beliebige und beliebig viele Grundstücke, wertmäßig abzulösen.
Andernfalls hätte das Gesetz von „Ersatzgrundstücken“ in der Mehrzahl spre-
chen müssen. Abzustellen ist insofern auf einen wirtschaftlichen Grundstücks-
begriff; das Ersatzgrundstück kann daher durchaus aus mehreren Buch-
grundstücken bestehen oder aber nur einen abtrennbaren Teil eines größeren
Buchgrundstücks umfassen, muss aber eine wirtschaftliche Einheit darstellen.
Eine Vielzahl verstreut liegender Grundstücke kommt jedoch als „ein“ Ersatz-
grundstück von vornherein nicht in Betracht, es sei denn, der Auskehrberechtig-
te wäre damit einverstanden.
Ferner muss das Grundstück „Ersatz“ für den Vermögensgegenstand selbst,
also geeignet sein, an dessen Stelle zu treten. Daher muss das Ersatzgrund-
stück dem Vermögensgegenstand - jedenfalls annähernd - wertgleich sein; in-
wieweit verbleibende Wertdifferenzen auszugleichen sind, kann hier offenblei-
ben. Ob ein Grundstück als Ersatzgrundstück in Betracht kommt, bestimmt sich
außerdem nach der Funktion, die der vorenthaltene Vermögensgegenstand für
den Berechtigten gehabt hätte. Stand der Vermögensgegenstand - wie hier -
dem Berechtigten als Finanzvermögen zu, so kommt es - über den wirtschaftli-
chen Wert hinaus - auch auf eine vergleichbare Verwertbarkeit des Ersatz-
grundstücks an; denn Art. 22 Abs. 1 EV geht davon aus, dass Gegenstände
des Finanzvermögens nicht nur im öffentlichen Vermögen gehalten, sondern
- etwa zur Schuldentilgung - auch verwertet werden sollen. Die Verwertbarkeit
eines Grundstücks aber wird namentlich durch seine Größe, Zuschnitt, Lage,
Bebauung und sonstige Ausstattung sowie durch seine Nutzbarkeit bestimmt.
Das Ersatzgrundstück muss dem vorenthaltenen Vermögensgegenstand zwar
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nicht in jedem einzelnen dieser wertbestimmenden Faktoren gleichen, wohl
aber in einer Gesamtwürdigung dieser Umstände gleichermaßen verwertbar
sein.
Die Eignung eines Grundstücks als Ersatzland oder Ersatzgrundstück - über
den wirtschaftlichen Wert hinaus - auch nach seiner Funktion zu bestimmen,
entspricht der Verwendung dieses Rechtsbegriffs in anderen Gebieten des
Bundesrechts. Das zeigt zunächst ein Blick aufs Enteignungsrecht. So setzt
§ 100 Abs. 1 BauGB voraus, dass ein Grundstück als Ersatzland für ein enteig-
netes anderes Grundstück „geeignet“ sein muss; dieser Gedanke beherrscht
nicht nur das bodenrechtliche Enteignungsrecht, sondern auch das Umlegungs-
und Flurbereinigungsrecht. Ähnlich liegt es im Vermögensrecht. So braucht bei
der Erteilung eines Investitionsvorrangbescheides ein Vorhaben des Anmelders
bei unbebauten Grundstücken dann nicht berücksichtigt zu werden, wenn ihm
ein Ersatzgrundstück zur Verfügung gestellt wird, das nicht nur gleichwertig,
sondern zudem für seine Zwecke gleichermaßen geeignet sein muss (§ 7
Abs. 1 Satz 5 InVorG; hierzu Uechtritz in RVI, B 130, Rn. 44 zu § 7 InVorG).
Und wenn im allgemeinen Vermögensrecht ein Grundstück wegen redlichen
Dritterwerbs (§ 4 Abs. 2 VermG) dem Berechtigten nicht zurückübertragen wer-
den konnte, so konnte die Entschädigung nach § 9 VermG a.F. statt in Geld
auch durch Übertragung eines Ersatzgrundstücks erfolgen. Zwar bestimmte § 9
Satz 1 VermG insofern lediglich, dass das Ersatzgrundstück von „möglichst ver-
gleichbarem Wert“ zu sein hatte. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungs-
gerichts hat aber den sachlichen Zusammenhang mit dem Restitutionsgedan-
ken betont und hieraus - jedenfalls für den Fall einer nötigen Auswahl unter
mehreren Anwärtern auf ein Ersatzgrundstück - gefolgert, dass die Vermö-
gensbehörde den Berechtigten solche Grundstücke zukommen lassen müsse,
die auch unter dem Gesichtspunkt der vorhandenen Bausubstanz, der Lage
und der tatsächlichen Nutzbarkeit den jeweils entzogenen Grundstücken mög-
lichst nahekommen (Urteil vom 17. September 1998 - BVerwG 7 C 6.98 -
BVerwGE 107, 205 <208 f., 214, 215>).
Gegen die Annahme, dass dem Auskehrberechtigten ggf. auch mehrere
Grundstücke angeboten werden können, spricht auch der Gedanke des Scha-
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densausgleichs durch Sachleistung. Der hier durch die nach § 8 Abs. 1 VZOG
getroffene Verfügung Beeinträchtigte soll möglichst so gestellt werden, wie er
ohne dieses Ereignis stünde. Daher kann ihm, geht es - wie hier - um Finanz-
vermögen, zwar der Aufwand für die Verwertung eines Ersatzgrundstücks zu-
gemutet werden, da er ihn in vergleichbarer Weise auch gehabt hätte, wenn
ihm das an sich zustehende Grundstück erhalten geblieben wäre. Dagegen
würde der notwendige Aufwand für ihn bei mehreren Grundstücken entspre-
chend höher.
cc) Im vorliegenden Fall hat die Klägerin in Anbetracht dieser Maßstäbe von
ihrer Ersetzungsbefugnis nicht wirksam Gebrauch gemacht. Die fünf Grundstü-
cke, die sie angeboten hat, kommen weder zusammen noch einzeln als Er-
satzgrundstück in Betracht.
Zusammen könnten sie nur „ein“ Ersatzgrundstück sein, wenn sie eine wirt-
schaftliche Einheit darstellten, also namentlich eine zusammenhängende Flä-
che bildeten. Davon kann keine Rede sein; nur zwei von ihnen grenzen anein-
ander, während die übrigen verstreut liegen.
Es kommt aber auch jedes einzelne von ihnen als Ersatzgrundstück nicht in
Betracht. Keines von ihnen ist nach seinem wirtschaftlichen Wert sowie nach
seiner Verwertbarkeit mit dem Vermögensgegenstand, einem zum Finanzver-
mögen zählenden Hotelgrundstück, selbst auch nur entfernt vergleichbar. Eine
Vergleichbarkeit scheitert hinsichtlich der angebotenen Grundstücke …, … so-
wie … und … schon an der unzureichenden Größe und hinsichtlich des ange-
botenen Grundstücks … an der ganz anderen Nutzbarkeit (als nicht bebaute
und nicht bebaubare Wiese) und demzufolge auch Verwertbarkeit.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Kley van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Vermögenszuordnungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
VZOG § 8 Abs. 5 Satz 1 und 2, Abs. 4 Satz 2
Stichworte:
Erlösauskehr; Erlösauskehranspruch; Verkehrswertauskehranspruch; Erset-
zungsbefugnis; Ersatzgrundstück.
Leitsatz:
Die in § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG der verfügenden Stelle eingeräumte Be-
fugnis, dem nach § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG Auskehrberechtigten anstelle
der Auskehrung des Erlöses oder des Wertes das Eigentum an dem
Grundstück, Grundstücksteil oder Gebäude oder an einem Ersatzgrund-
stück zu verschaffen, setzt keine dingliche Einigung mit dem Auskehrbe-
rechtigten voraus.
Als Ersatzgrundstück i.S.v. § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG können nicht beliebige
Grundstücke angeboten werden. Es muss sich um „ein“ Ersatzgrundstück, also
um eine wirtschaftliche Einheit handeln. Das angebotene Grundstück muss au-
ßerdem nach seiner Funktion und seinen wertbildenden Faktoren dem veräu-
ßerten Grundstück entsprechen.
Urteil des 3. Senats vom 26. April 2007 - BVerwG 3 C 15.06
I. VG Chemnitz vom 09.06.2005 - Az.: VG 6 K 98/05 -