Urteil des BVerwG vom 17.06.2014, 10 C 7.13
Einstellung des Verfahrens, Bundesamt, Nummer, Abschiebung
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 10 C 7.13 VGH 20 B 12.30347
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 17. Juni 2014 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
ohne weitere mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit sich die Klage gegen den fehlenden Ausschluss von Somalia als Zielstaat einer Abschiebung in Nummer 3 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Oktober 2010 (Abschiebungsandrohung) richtet. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Januar 2013 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. Dezember 2011 sind insoweit wirkungslos.
Im Übrigen werden auf die Revision der Beklagten das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. Januar 2013 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 13. Dezember 2011 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt zwei Drittel und die Beklagte trägt ein Drittel der Kosten des Rechtsstreits in allen Instanzen.
G r ü n d e :
I
1Der Kläger ist ein Asylbewerber aus Somalia. Er wendet sich gegen die Einstellung seines Asylverfahrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
2Der Kläger stellte Mitte August 2010 einen Asylantrag und gab in einer Niederschrift dazu am 9. September 2010 an, er sei somalischer Staatsangehöriger
und am 1. Januar 1981 in Mogadischu geboren. Das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge - Bundesamt - nahm ihm Fingerabdrücke zur Identitätsfeststellung ab, die sich später als nicht verwertbar erwiesen. Der damit betraute Mit-
arbeiter stellte bereits bei der Abnahme fest, dass die Fingerkuppen des Klägers Veränderungen aufwiesen, die voraussichtlich zur Unverwertbarkeit der
abgenommenen Fingerabdrücke führen würden. Der Kläger bestritt, seine Fingerkuppen manipuliert zu haben.
3Mit Schreiben vom 9. September 2010 wies das Bundesamt den Kläger darauf
hin, dass die Beschädigung der Fingerkuppen den Verdacht begründe, dass
der Kläger nicht bereit sei, an der Überprüfung seiner Identität mitzuwirken. Er
werde daher aufgefordert, sein Asylverfahren dadurch zu betreiben, dass er
zum einen binnen eines Monats in der Außenstelle des Bundesamts erscheine
und sich „auswertbare Fingerabdrücke“ abnehmen lasse. Zum anderen solle er
schriftlich darlegen, in welchen Staaten er sich nach dem Verlassen seines
Herkunftslandes aufgehalten habe, ob er dort bereits einen Asylantrag gestellt
habe und dieser ggf. abgelehnt worden sei. Gleichzeitig wurde er unter Bezugnahme auf § 33 AsylVfG (a.F.) darauf hingewiesen, dass sein Asylantrag als
zurückgenommen gelte, wenn er das Verfahren länger als einen Monat nicht
betreibe und in diesem Fall über das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG (a.F.) nach Aktenlage zu entscheiden sei. Dem Schreiben war eine Übersetzung in die Sprache Somali beigefügt.
Der Kläger hat sich in einem weiteren Termin Fingerabdrücke abnehmen lassen, die wiederum nicht verwertbar waren. Zu seinem Reiseweg und zur Frage
weiterer Asylanträge machte er innerhalb der Monatsfrist keine Angaben.
4Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 22. Oktober 2010 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Nummer 1).
Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG (a.F.) nicht vorliegen (Nummer 2). Schließlich wurde der Kläger unter
Androhung der Abschiebung in den „Herkunftsstaat“ aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nummer 3). Das Bundesamt hat den Bescheid im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kläger der Betreibensaufforderung nicht nachgekommen sei. Er habe weder verwertbare Fingerabdrücke abgegeben noch
die angeforderten schriftlichen Angaben zum Reiseweg und zu etwaigen früheren Asylverfahren gemacht. Die Feststellung von Abschiebungsverboten nach
§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (a.F.) scheitere bereits daran, dass für den Kläger
kein Herkunftsland habe festgestellt werden können.
5Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheids sowie hilfsweise die Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz nach § 4
Abs. 1 AsylVfG (n.F.), weiter hilfsweise die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (n.F.) hinsichtlich Somalia,
sowie die Aufhebung der gegen ihn verfügten Abschiebungsandrohung. Mit
Schriftsatz vom 2. November 2010 stellte er beim Bundesamt einen Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, in dem er sich zum Reiseweg äußerte
und angab, keine weiteren Asylanträge gestellt zu haben.
6Während des Klageverfahrens forderte das Bundesamt den Kläger mit einem
an seine Verfahrensbevollmächtigten gerichteten Schreiben vom 26. Oktober
2011 erneut auf, das Verfahren dadurch zu betreiben, dass er beim Bundesamt
erscheine und sich Fingerabdrücke abnehmen lasse. Die Pflicht zur Duldung
erkennungsdienstlicher Maßnahmen umfasse auch die Verpflichtung, im Vorfeld der erneuten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen,
die die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten. Den vom Bundesamt hierzu für den 15. November 2011 anberaumten
Termin nahm der Kläger - nach eigenem Vorbringen wegen Verspätung - nicht
wahr, bat das Bundesamt mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18. November 2011 aber um einen neuen Termin. Ein solcher wurde jedoch nicht anberaumt.
7Das Verwaltungsgericht hob den Bescheid vom 22. Oktober 2010 auf. Während
des Berufungsverfahrens erfuhr das Bundesamt, dass der Kläger im Rahmen
einer polizeilichen Fahndungsmaßnahme im Oktober 2012 aufgegriffen und
erkennungsdienstlich behandelt worden war. Die erkennungsdienstliche Behandlung ergab, dass sich der Kläger schon im Oktober 2009 unter einer anderen Identität in Deutschland aufgehalten hatte und ihm im Rahmen eines Rückübernahmeersuchens Fingerabdrücke abgenommen worden waren. Zugleich
führte ein Abgleich mit der Eurodac-Datenbank zu einem Treffer. Danach hatte
der Kläger bereits am 18. April 2009 in Italien und am 23. Oktober 2009 sowie
am 22. Februar 2010 in Schweden Asyl beantragt. Das italienische Innenministerium hatte den schwedischen Behörden in einem Schreiben vom 14. Dezember 2010 mitgeteilt, dass dem Kläger in Italien bereits die Flüchtlingseigenschaft
(„refugee status“) zuerkannt worden und das Dublin-Verfahren abgeschlossen
sei.
8Darauf erklärte der Vertreter des Bundesamtes in der mündlichen Verhandlung
vor dem Verwaltungsgerichtshof, er hebe den ersten Satz von Nummer 1 des
angefochtenen Bescheides („Der Asylantrag gilt als zurückgenommen“) auf.
Weiter hebe er die Androhung der Abschiebung in den Herkunftsstaat in Satz 2
von Nummer 3 des Bescheides auf. Stattdessen werde dem Kläger die Abschiebung nach Italien angedroht. Daraufhin kündigte der Klägervertreter hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach Italien die Erhebung einer Klage an,
sobald ein entsprechender Bescheid des Bundesamtes zugestellt worden sei.
Gleichzeitig erklärte er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, soweit
das Bundesamt den Bescheid vom 22. Oktober 2010 aufgehoben habe. Der
Beklagtenvertreter stimmte der Hauptsacheerledigungserklärung insoweit zu,
als Satz 1 von Nummer 1 des angefochtenen Bescheides aufgehoben worden
sei.
9Der Verwaltungsgerichtshof hat die Erledigung der Hauptsache in Bezug auf die
Androhung der Abschiebung in das Herkunftsland (Nummer 3 des Bescheids
vom 22. Oktober 2010) festgestellt und im Übrigen die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen. Er begründet seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:
Die Einstellung des Verfahrens in Nummer 1 des Bescheids sei rechtswidrig.
Denn diese Rechtsfolge sehe § 32 Satz 1 AsylVfG nur für den Fall der Asylantragsrücknahme oder des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG vor. Als geeignete Reaktion auf die Anerkennung als Flüchtling in einem anderen EU-
Mitgliedstaat käme etwa die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach
Art. 25 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/85/EG (Asylverfahrensrichtlinie
2005) in Betracht. Eine Umdeutung der Verfahrenseinstellung in eine andere
Form der Verfahrensbeendigung ohne Sachentscheidung nach § 47 VwVfG sei
nicht möglich.
10Die in Nummer 2 des Bescheids getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (a.F.) nicht vorlägen, habe nicht aufrechterhalten werden können, da seit Oktober 2012 bekannt sei, dass dem Kläger in Italien Flüchtlingsschutz zuerkannt wurde. Soweit das Bundesamt in
Nummer 3 seiner Verfügung die Abschiebungsandrohung in das Herkunftsland
des Klägers aufgehoben und durch die Androhung der Abschiebung nach Italien ersetzt hat, habe sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Dem
Feststellungsbegehren des Klägers sei zu entsprechen, weil das Bundesamt
seinen Bescheid in Nummer 3 durch die Androhung der Abschiebung nach Italien verändert, der Kläger aber diesen neuen Verwaltungsakt nicht im Wege
einer objektiven Klageänderung in das Verfahren einbezogen habe. Vielmehr
habe der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung erklärt, Klage zu erheben, wenn hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach Italien ein entsprechender Bescheid der Beklagten zugestellt worden sei.
11Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten. Diese begründet sie im Wesentlichen wie folgt: Der Verwaltungsgerichtshof hätte zunächst prüfen müssen, ob das Verfahren schon vor den in der
mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen nach §§ 32, 33 Abs. 1
AsylVfG (a.F.) eingestellt gewesen sei, weil der Kläger einer rechtmäßigen Betreibensaufforderung nicht nachgekommen war. In diesem Fall hätte er die Klage abweisen müssen. Das Bundesamt sei sehr wohl befugt, ein Asylverfahren
auch dann ohne Sachentscheidung einzustellen, wenn sich - wie hier - herausstelle, dass der Asylbewerber bereits im Ausland als Flüchtling anerkannt worden sei. § 60 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Satz 2 AufenthG (n.F.) sehe ausdrücklich vor,
dass das Bundesamt bei einer ausländischen Anerkennung kein (weiteres)
Asylverfahren mehr durchzuführen habe. Das entspreche Art. 33 Abs. 2
Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU, wonach die Mitgliedstaaten einen Asylantrag in derartigen Fällen als unzulässig behandeln könnten. Der deutsche Gesetzgeber habe für diese Konstellation zwar keine konkrete Regelung getroffen,
die vorhandene Regelungslücke sei aber durch die Möglichkeit einer Verfahrensbeendigung in Anlehnung an § 32 AsylVfG zu schließen. Dann könne
Nummer 1 des Bescheids vom 22. Oktober 2010 auch entsprechend umgedeutet werden. Eine Erledigung sei zu Nummer 3 des angefochtenen Bescheids
durch die Änderung des Zielstaats der Abschiebung nicht eingetreten. Der Hinweis auf den Herkunftsstaat habe keinen Regelungscharakter, so dass der Kläger hierdurch auch nicht beschwert sei. Selbst bei Bejahung von Abschiebungsverboten bleibe die Abschiebungsandrohung im Übrigen unberührt.
12Nach der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 8. Mai 2014 hat die Beklagte durch ergänzenden Bescheid vom 15. Mai 2014 Italien als Zielstaat der
angedrohten Abschiebung bestimmt (Nummer 1) und angeordnet, dass der
Kläger nicht nach Somalia abgeschoben werden darf (Nummer 2). Der Kläger
hat gegen den ergänzenden Bescheid Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Soweit sich die Klage gegen den fehlenden Ausschluss von
Somalia als Zielstaat einer Abschiebung in Nummer 3 des streitgegenständlichen Bescheids vom 22. Oktober 2010 gerichtet hat, haben die Parteien den
Rechtsstreit im vorliegenden Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt.
II
13Der Senat kann ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die
Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
14Die Revision der Beklagten ist begründet, soweit der Verwaltungsgerichtshof
die Aufhebung der Nummern 1 und 2 des angefochtenen Bescheids vom
22. Oktober 2010 bestätigt hat. Das Berufungsurteil beruht insoweit auf einer
Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Hingegen hat die Revision überwiegend keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Entscheidung zur
Abschiebungsandrohung in Nummer 3 des Bescheids richtet. Zwar hat der
Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht eine Erledigung der Abschiebungsandrohung ohne Zielstaatsbestimmung angenommen. Diese ist vielmehr aufrechtzuerhalten. Allerdings hat er mit Recht entschieden, dass die nachträgliche Bestimmung von Italien als Zielstaat der Abschiebung nicht in das vorliegende
Verfahren einbezogen wurde. Soweit die Parteien den Rechtsstreit über die
Abschiebungsandrohung für erledigt erklärt haben, beruht dies auf der rechtlich
gebotenen nachträglichen Bezeichnung von Somalia als Staat, in den der Klä-
ger nicht abgeschoben werden darf. Insoweit hat die Beklagte dem Anfechtungsbegehren des Klägers entsprochen und war das Verfahren einzustellen.
15Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das
Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008
(BGBl I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom
25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), beide Gesetze zuletzt geändert durch das
Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl I
S. 3474). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten,
vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn
es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom 11. September 2007
- BVerwG 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 = Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff.
AufenthG Nr. 30, jeweils Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1
AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten
mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn
es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon
- wie im vorliegenden Fall - eine Abweichung aus Gründen des materiellen
Rechts geboten ist.
161. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Aufhebung der angefochtenen Einstellungsverfügung in Nummer 1 des angefochtenen Bescheids durch das Verwaltungsgericht mit einer Begründung bestätigt, die Bundesrecht verletzt (§ 137
Abs. 1 VwGO). Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs
ist das Verfahren nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG (a.F.) eingestellt, weil die
Voraussetzungen für ein Nichtbetreiben des Verfahrens vorliegen. Der Kläger
hat innerhalb der ihm gesetzten Betreibensfrist nicht die von ihm geforderten
schriftlichen Angaben zu seinem Reiseweg und zur Frage einer Asylantragstellung im Ausland gemacht.
17Nach § 33 Abs. 1 AsylVfG (a.F.) gilt ein Asylantrag, der nach § 13 Abs. 1 und 2
AsylVfG (a.F.) auch den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
erfasst, hingegen noch nicht das Begehren auf Zuerkennung subsidiären
Schutzes nach § 4 AsylVfG (n.F.), als zurückgenommen, wenn der Ausländer
das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamts länger als einen Monat nicht
betreibt (Satz 1). In der Aufforderung ist der Ausländer auf die nach Satz 1 eintretende Folge hinzuweisen (Satz 2). Liegen die Voraussetzungen einer (fiktiven) Antragsrücknahme vor, darf das Bundesamt keine Sachentscheidung
mehr über den Asylantrag treffen. Vielmehr hat es nach § 32 AsylVfG in seiner
Entscheidung festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob ein
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG (a.F.) vorliegt
(Satz 1). In den Fällen des § 33 AsylVfG (a.F.) ist nach Aktenlage zu entscheiden (Satz 2). Das Bundesamt erlässt ferner eine Abschiebungsandrohung; die
dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt nach §§ 34, 38 Abs. 2
AsylVfG (a.F.) eine Woche. Für die Beurteilung des Regelungsinhalts des vorliegenden Bescheids ist auf die Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses abzustellen, da eine nachträgliche Erweiterung seiner Einstellungswirkung auch
auf die Zuerkennung unionsrechtlichen subsidiären Schutzes eine echte Rückwirkung der gesetzlichen Neuregelung des § 33 Abs. 1 AsylVfG (n.F.) bedeuten
würde, die mit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren wäre (vgl. Urteil vom
13. Februar 2014 - BVerwG 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487 Rn. 12).
181.1 Das Berufungsgericht durfte von der Prüfung der Einstellungsvoraussetzungen nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG nicht wegen der vom Beklagtenvertreter in
der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen absehen. Zwar hat
dieser erklärt, er hebe den ersten Satz von Nummer 1 des Bescheids vom
22. Oktober 2010 auf („Der Asylantrag gilt als zurückgenommen“). Die erklärte
Aufhebung ging jedoch ins Leere. Denn der Ausspruch der Rücknahmefiktion
des Asylantrags durch das Bundesamt hat nach der gesetzlichen Ausgestaltung
in § 33 und § 32 AsylVfG keinen eigenen Regelungsgehalt. Die Wirksamkeit der
Rücknahme bedarf keiner Feststellung durch das Bundesamt; sie ist lediglich
Vorfrage für den gemäß § 32 Satz 1 AsylVfG zu treffenden feststellenden Ausspruch, dass das Asylverfahren eingestellt ist. Diesen hat das Bundesamt aufrechterhalten. Im Übrigen konnte das Bundesamt eine bereits kraft Gesetzes
eingetretene Einstellungswirkung nicht nachträglich aufheben.
191.2 Die Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens nach § 33 Abs. 1 AsylVfG
war gerechtfertigt. Sie setzt einen bestimmten Anlass voraus, der geeignet ist,
Zweifel an dem Bestehen oder Fortbestehen des Sachentscheidungsinteresses
zu wecken. Solche Zweifel können sich aus einer Vernachlässigung verfahrensrechtlicher Mitwirkungspflichten ergeben. Zu diesen gehört die Pflicht des Asylbewerbers, im Vorfeld einer geplanten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten (vgl. Urteil vom 5. September 2013 - BVerwG
10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329 Rn. 19). Nach den in diesem Urteil aufgestellten
Grundsätzen bestanden hier solche berechtigten Zweifel, weil bereits bei der
ersten erkennungsdienstlichen Behandlung Gründe für die voraussichtliche
Nichtverwertbarkeit der Fingerabdrücke bemerkt und dokumentiert worden waren, ohne dass der Kläger dazu substantiiert Stellung genommen hatte.
201.3 Allerdings führte die Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens nicht zu
einer Einstellung des Verfahrens, soweit vom Kläger die Mitwirkung an der Abgabe seiner Fingerabdrücke verlangt wurde. Denn Nummer 1 der Betreibensaufforderung vom 9. September 2010 verlangte von ihm die Abgabe „auswertbarer Fingerabdrücke“ und entsprach damit nicht den gesetzlichen Vorgaben
nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG (vgl. hierzu Urteil vom 5. September 2013
a.a.O. Rn. 24 und 35). Die Aufforderung vom 26. Oktober 2011 entsprach dann
zwar den gesetzlichen Vorgaben, weil sie vom Kläger lediglich verlangte, im
Vorfeld der erneuten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten (vgl. Urteil vom 5. September 2013 a.a.O. Rn. 39). Der Kläger
kam dieser zweiten Betreibensaufforderung auch nicht nach, denn er erschien
zu dem vom Bundesamt anberaumten Termin zur erneuten Fingerabdrucknahme am 15. November 2011 nicht. Ein mangelndes Betreiben des Verfahrens
liegt trotz dieser Säumnis aber deshalb nicht vor, weil der Kläger durch seinen
Bevollmächtigten am 18. November 2011 um einen neuen Termin zur erkennungsdienstlichen Behandlung gebeten hatte. Die versäumte Mitwirkungshandlung hätte damit noch innerhalb der gesetzten Betreibensfrist nachgeholt werden können. Eine Gelegenheit hierzu hat das Bundesamt dem Kläger aber nicht
mehr eingeräumt.
211.4 Die Einstellungswirkung des § 32 Satz 1 AsylVfG ist jedoch dadurch eingetreten, dass der Kläger der selbständigen Verpflichtung zur schriftlichen Darlegung des Reisewegs und zu einer eventuell bereits erfolgten Asylantragstellung
nicht fristgerecht nachgekommen ist (Nummer 2 der Betreibensaufforderung
vom 9. September 2010).
22Der Kläger war nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG verpflichtet, die vom Bundesamt
angeforderten Angaben zu machen. Zu den Angaben, die von einem Asylbewerber verlangt werden können, zählen nach § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG auch
solche über Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und dort eingeleitete
oder durchgeführte Asylverfahren (vgl. hierzu Urteil vom 5. September 2013
a.a.O. Rn. 33). Die Aufforderung vom 9. September 2010, das Verfahren durch
entsprechende schriftliche Angaben zu betreiben, entspricht hier auch den weiteren Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 AsylVfG.
23Der Kläger hat die geforderten schriftlichen Angaben nicht innerhalb der Monatsfrist des § 33 Abs. 1 AsylVfG gemacht. Zwar hat der Bevollmächtigte des
Klägers dies mit Schreiben vom 2. November 2010 - nach Ablauf der Monatsfrist - nachzuholen versucht. Gründe für eine unverschuldete Fristversäumung
ergeben sich aus dem Schreiben jedoch nicht (zur Anwendung des § 32 VwVfG
auf die Monatsfrist des § 33 Abs. 1 AsylVfG vgl. BTDrucks 12/2062 S. 33). Danach soll die Versäumung der Frist auf einem beim Kläger hervorgerufenen Irrtum beruhen. Dieser habe geglaubt, seiner Verpflichtung aus der Betreibensaufforderung dadurch nachgekommen zu sein, dass er am 7. Oktober 2010 bei
der Außenstelle des Bundesamtes erschienen sei und sich dort erneut habe
Fingerabdrücke abnehmen lassen. Er sei davon ausgegangen, dass er nunmehr zeitnah vom Bundesamt zu seinen Asylgründen, zu seinem Reiseweg und
zur Asylantragstellung in anderen Ländern befragt werde. Aus diesem Vorbringen ergibt sich jedoch keine unverschuldete Fristversäumnis. Denn die Betreibensaufforderung vom 9. September 2010 bezieht sich auf zwei voneinander
unabhängige Handlungen: (1) die Abnahme von Fingerabdrücken und (2) die
schriftliche Darlegung zum Reiseweg sowie einer möglichen Asylantragstellung.
Der Kläger konnte nicht davon ausgehen, durch eine Mitwirkung an der Ab-
nahme von Fingerabdrücken zugleich seiner Pflicht nachgekommen zu sein, die
geforderten schriftlichen Angaben zu machen. Dass auch für die in der Betreibensaufforderung genannten schriftlichen Angaben die Monatsfrist gilt, ergibt
sich aus der Belehrung über die Rechtsfolgen eines Nichtbetreibens, in der sich
die Monatsfrist erkennbar auf beide Mitwirkungshandlungen bezieht. Einer zusätzlichen Erwähnung der Monatsfrist in der Aufforderung zu schriftlichen Darlegungen - wie sie bei der Aufforderung zur Mitwirkung bei der Abnahme von
Fingerabdrücken erfolgt ist - bedurfte es angesichts der Eindeutigkeit der auf
beide Mitwirkungshandlungen bezogenen Aussage zu den Rechtsfolgen einer
Nichtbeachtung der gesetzten Frist nicht. Der Kläger konnte dies auch verstehen, da ihm der Bescheid am 9. September 2010 nicht nur in deutsch, sondern
auch in einer in die Sprache Somali übersetzten Fassung überreicht wurde.
241.5 Ist das Asylverfahren nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG eingestellt, bedarf es
keiner Entscheidung über die vom Verwaltungsgerichtshof als erheblich angesehene Frage, ob die Einstellung in eine Entscheidung über die Unzulässigkeit
des Asylantrags nach § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG oder in eine Entscheidung über seine Unbeachtlichkeit nach § 29 AsylVfG umgedeutet werden
kann.
251.6 Die Beklagte war für die erfolgte Einstellung des Verfahrens auch international zuständig. Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union besteht nicht.
26Es kann offenbleiben, ob auf den Asylantrag eines Ausländers, der - wie hier -
in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits als Flüchtling
anerkannt ist, die Zuständigkeitsregelungen der Union nach den Verordnungen
über das sogenannte Dublin-Verfahren anwendbar sind und das auch für Entscheidungen über die Einstellung des Asylverfahrens nach §§ 32, 33 Abs. 1
AsylVfG gilt. Allerdings neigt der Senat zu der Auffassung, dass auf Ausländer,
die in einem anderen Staat als Flüchtling anerkannt sind, die Regelungen zum
Dublin-Verfahren nicht anwendbar sind. Doch selbst wenn diese Regelungen
anwendbar sein sollten, wäre Deutschland der für die Entscheidung zuständige
Mitgliedstaat geworden, ohne dass sich insoweit eine zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union verpflichtende Zweifelsfrage stellt.
27Nach der in Art. 49 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013
(ABl EU Nr. L 180 S. 31 - Dublin III-VO) getroffenen Übergangsregelung ist die
Dublin III-VO zwar erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten,
also ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Hier war der Antrag bereits im August 2010 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden, so dass
auf ihn grundsätzlich noch die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar
2003 (ABl EG Nr. L 50 S. 1 - Dublin II-VO) anwendbar wäre. Allerdings findet
die Dublin III-VO darüber hinaus auf die Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung -
Anwendung. Im vorliegenden Fall käme eine Zuständigkeit Italiens anstelle
Deutschlands in Betracht, weil der Kläger dort bereits im April 2009 einen Asylantrag gestellt hat und ihm dort die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde (vgl.
Art. 13 Dublin II-VO und Dublin III-VO). Eine Überstellung des Klägers nach
Italien zur Prüfung des danach in Deutschland gestellten weiteren Antrags
wäre nur im Wege der Wiederaufnahme (Art. 20 Dublin II-VO, Art. 23 ff.
Dublin III-VO) möglich. Für Gesuche auf Wiederaufnahme - sofern sie nicht bereits vor dem 1. Januar 2014 gestellt wurden - ist jedenfalls für das zu beachtende Verfahren die Dublin III-VO maßgeblich. Danach sind derartige Gesuche
nunmehr gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO innerhalb einer Frist von zwei bzw.
drei Monaten zu stellen (so auch VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014
- A 11 S 1721/13 - juris Rn. 31). Diese Frist ist im vorliegenden Fall verstrichen,
ohne dass das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Italien gerichtet hat.
Damit ist Deutschland gemäß Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO für die Prüfung des
hier gestellten (neuen) Asylantrags zuständig, wenn man von der Anwendbarkeit der Dublin-Regelungen auf den vorliegenden Asylantrag ausgeht.
282. Der Kläger kann mit dem hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylVfG
(n.F.) nicht durchdringen. Dieser Anspruch wird zwar nicht schon von der Einstellung des Asylverfahrens nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG (a.F.) erfasst (vgl.
Urteil vom 13. Februar 2014 - BVerwG 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487). Seine
Geltendmachung ist jedoch nach § 60 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 3
AufenthG in der seit 1. Dezember 2013 geltenden Fassung (BGBl I S. 3474)
unzulässig, weil der Kläger bereits außerhalb des Bundesgebiets als Flüchtling
im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt
worden ist.
29Die Anerkennung eines Ausländers als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter in einem anderen Staat wirkt zwar völkerrechtlich nicht wie eine Statusentscheidung durch deutsche Behörden und hat in diesem Sinne keine umfassende Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland (hierzu auch
Marx, InfAuslR 2014, 227 <232>). Die Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.
Juli 1951 legt einheitliche Kriterien für die Qualifizierung als Flüchtling fest, sieht
aber keine völkerrechtliche Bindung eines Vertragsstaats an die Anerkennungsentscheidung eines anderen vor (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. November 1979 - 1 BvR 654/79 - BVerfGE 52, 391 <404>; BVerwG, Urteil vom
29. April 1971 - BVerwG 1 C 42.67 - BVerwGE 38, 87 <89 f.> = Buchholz
402.24 § 28 AuslG Nr. 2 S. 4 f.). Eine solche Bindungswirkung ergibt sich auch
nicht aus dem Unionsrecht. Dieses ermächtigt zwar nach Art. 78 Abs. 2
Buchst. a und b AEUV zu Gesetzgebungsmaßnahmen, die einen in der ganzen
Union gültigen einheitlichen Asylstatus und einen einheitlichen subsidiären
Schutzstatus für Drittstaatsangehörige vorsehen, die maßgebliche Richtlinie
2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 sieht eine in der ganzen Union gültige
Statusentscheidung jedoch nicht vor. Die Bundesrepublik Deutschland hat aber
von der nach Völker- und Unionsrecht fortbestehenden Möglichkeit Gebrauch
gemacht, durch eine nationale Regelung den Anerkennungsentscheidungen
anderer Staaten in begrenztem Umfang Rechtswirkungen auch im eigenen
Land beizumessen (vgl. etwa die diesbezügliche Empfehlung des UNHCR im
Beschluss Nr. 12 seines Exekutivkomitees aus dem Jahr 1978). In Deutschland
genießen im Ausland anerkannte Flüchtlinge schon seit Inkrafttreten des Ausländergesetzes von 1990 (dort § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) den gleichen Abschiebungsschutz wie die im Inland anerkannten, ohne dass ein erneutes Anerkennungsverfahren durchgeführt wird. Durch § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (n.F.)
ordnet das nationale Recht eine auf den Abschiebungsschutz begrenzte Bin-
dungswirkung der ausländischen Flüchtlingsanerkennung an (ähnlich Treiber,
in: GK-AufenthG, Stand: Juli 2011, § 60 Rn. 205.3). Es besteht aber gerade
kein Anspruch auf eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder
auf Feststellung subsidiären Schutzes (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2
AufenthG n.F.) oder eine hieran anknüpfende Erteilung eines Aufenthaltstitels in
Deutschland. Vielmehr ist das Bundesamt bei Vorliegen einer ausländischen
Anerkennungsentscheidung zur Feststellung von subsidiärem Schutz oder der
(erneuten) Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland weder verpflichtet noch berechtigt. Ein gleichwohl gestellter Antrag ist unzulässig. Das hat
der Senat bereits zu der bis 30. November 2013 geltenden Regelung des § 60
Abs. 1 Satz 2 und 6 AufenthG (a.F.) entschieden (Beschluss vom 26. Oktober
2010 - BVerwG 10 B 28.10 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 43).
Dem entspricht die nunmehr geltende Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3
AufenthG. Sie ist jedenfalls bei Zuerkennung internationalen Schutzes durch
einen anderen Mitgliedstaat mit Unionsrecht vereinbar. Denn Art. 33 Abs. 2
Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU - Asylverfahrensrichtlinie 2013 - eröffnet
dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, einen Antrag auf internationalen
Schutz als unzulässig zu behandeln, wenn dem Ausländer bereits ein anderer
Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt, d.h. ihm entweder die Flüchtlingseigenschaft oder unionsrechtlichen subsidiären Schutz zuerkannt hat (vgl. Art. 2
Buchst. i der Richtlinie).
30Durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August
2013 (BGBl I S. 3474) wurde die Unzulässigkeit eines erneuten Anerkennungsverfahrens nunmehr auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4
AsylVfG (n.F.) erstreckt (§ 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Damit wurde die Konsequenz aus der inhaltlichen Neubestimmung des Asylantrags in § 13 Abs. 1
AsylVfG (n.F.) gezogen, der - im Einklang mit Unionsrecht - nunmehr neben
dem Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch den Antrag auf
Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz umfasst (vgl.
BTDrucks 17/13063 S. 25 zu § 60 Abs. 2 AufenthG). Dies hat die verfahrensrechtliche Konsequenz, dass das Begehren auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz unzulässig ist, wenn dem Ausländer bereits im Ausland die Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtig-
ten im Sinne von § 4 AsylVfG (n.F.) zuerkannt worden ist (vgl. hierzu bereits
Urteil vom 13. Februar 2014 - BVerwG 10 C 6.13 - NVwZ-RR 2014, 487
Rn. 16). Da dem Kläger im vorliegenden Fall bereits in Italien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, kann er in Deutschland nicht mehr die Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigter verlangen (§ 60 Abs. 2 Satz 2
AufenthG).
31Für eine isolierte Aufhebung der negativen Sachentscheidung zum unionsrechtlichen Abschiebungsschutz nach der vor dem 1. Dezember 2013 geltenden
Rechtslage in Nummer 2 des angefochtenen Bescheids fehlt dem Kläger das
Rechtsschutzbedürfnis, weil ihm diese Aufhebung keinerlei Vorteile bringen
kann, nachdem sein Begehren auf Zuerkennung unionsrechtlichen subsidiären
Schutzes nach dem nunmehr geltenden Recht unzulässig ist.
323. Auch der vom Kläger weiter hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz hinsichtlich Somalias ist unzulässig. Denn ihm steht kraft Gesetzes nationaler Abschiebungsschutz in Bezug auf
Somalia bereits aufgrund seiner ausländischen Flüchtlingsanerkennung nach
§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zu (siehe oben Rn. 29). Für die Feststellung von
nationalem Abschiebungsschutz nach weiteren Rechtsgrundlagen fehlt dem
Kläger hier das Rechtsschutzbedürfnis.
33Dem Kläger fehlt das Rechtsschutzbedürfnis auch für eine isolierte Aufhebung
der negativen Sachentscheidung zum nationalen Abschiebungsschutz in Nummer 2 des angefochtenen Bescheids, da er aufgrund der in Italien ausgesprochenen Anerkennung als Flüchtling bereits - wie oben ausgeführt - den begehrten Abschiebungsschutz in Deutschland genießt.
344. Der Streit über die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung in Nummer 3 des angefochtenen Bescheids hat sich durch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof abgegebenen Erklärungen nicht erledigt. Die gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs (UA Rn. 29)
verletzt Bundesrecht.
35Zwar hat der Kläger die Ersetzung der Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat durch eine solche nach Italien, wie sie von dem Vertreter der Beklagten in der Berufungsverhandlung vom 14. Januar 2013 erfolgt ist, nicht im
Wege der Klageänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO in das vorliegende Verfahren einbezogen. Das unterliegt im Verwaltungsprozess aufgrund der Dispositionsmaxime - anders als nach § 68 FGO und § 86 SGG - allein seiner Entscheidung. Eine Umdeutung nach § 47 Abs. 1 VwVfG scheitert daran, dass es
sich beim Austausch des Zielstaats um eine weitgehende inhaltliche Änderung
der Abschiebungsandrohung handelt. Das gegen die Abschiebungsandrohung
gerichtete Anfechtungsbegehren des Klägers hat sich aber durch die fehlende
Einbeziehung der neuen Zielstaatsbestimmung in das Verfahren nicht erledigt.
Denn der Klägerbevollmächtigte hat den Rechtsstreit in der Hauptsache nur
insoweit für erledigt erklärt, als die Beklagte den Bescheid vom 22. Oktober
2010 aufgehoben hat. Bei der Abschiebungsandrohung hat die Beklagte aber
nur die Zielstaatsbezeichnung „in seinen Herkunftsstaat“ aufgehoben, nicht die
Abschiebungsandrohung als solche. Die Abschiebungsandrohung besitzt auch
ohne Zielstaatsbestimmung Verwaltungsaktcharakter (vgl. Urteil vom 13. Februar 2014 a.a.O. Rn. 25). Die Erledigungserklärung geht insoweit ins Leere,
denn die nicht konkretisierte Zielstaatsbestimmung „in seinen Herkunftsstaat“
stellte - ebenso wie ihre Aufhebung - mangels Regelungswirkung keinen anfechtungsfähigen Verwaltungsakt dar.
36Die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung erfüllt in ihrer durch Nummer 2 des ergänzenden Bescheids vom 15. Mai 2014 erlangten Fassung die
Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 2 AsylVfG. Allerdings war sie in ihrer ursprünglichen Fassung insoweit rechtswidrig, als sie entgegen § 60 Abs. 10 Satz 2 AufenthG nicht Somalia als den Staat bezeichnet
hat, in den der Kläger nicht abgeschoben werden darf. Hierzu war die Beklagte
aufgrund der Bindungswirkung der italienischen Flüchtlingsanerkennung, die
aufgrund der somalischen Staatsangehörigkeit des Klägers erfolgte, verpflichtet. Diesen rechtlichen Mangel hat die Beklagte durch nachträgliche Bezeichnung von Somalia als Staat, in den der Kläger nicht abgeschoben werden darf,
in Nummer 2 des ergänzenden Bescheids vom 15. Mai 2014 ausgeräumt. In
der Bestimmung des Staates, in den nicht abgeschoben werden darf, liegt nach
dem Gedanken der § 59 Abs. 3, § 60 Abs. 10 Satz 2 AufenthG eine verselbständigungsfähige Teilregelung. Die Parteien haben der veränderten Sachlage
durch übereinstimmende Erledigungserklärungen Rechnung getragen. Damit ist
der Rechtsstreit in Bezug auf diese Teilregelung der Abschiebungsandrohung in
entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 141 und § 125
Abs. 1 VwGO einzustellen. Die vorangegangenen Entscheidungen hierzu werden entsprechend § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO für wirkungslos erklärt. Im Übrigen war die Klage gegen die Abschiebungsandrohung
abzuweisen.
375. Die Kostenentscheidung ergibt sich, soweit streitig entschieden wurde, aus
§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Soweit das Verfahren eingestellt wurde, war gemäß
§ 161 Abs. 2 VwGO über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Unter Berücksichtigung des Unterliegens des Klägers bei der Einstellung des Asylverfahrens
nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG sowie bei dem unionsrechtlichen subsidiären
Schutz und nationalen Abschiebungsschutz erschien dem Senat - auch unter
Berücksichtigung der von der Beklagten zu tragenden Kosten des eingestellten
Verfahrensteils - eine Kostenverteilung sachgerecht, wonach der Kläger zwei
Drittel und die Beklagte ein Drittel der Kosten des Rechtsstreits zu tragen haben.
38Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30
Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Prof. Dr. Berlit Prof. Dr. Dörig Prof. Dr. Kraft
Fricke Dr. Maidowski
Sachgebiet: BVerwGE: ja
Asylrecht Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
AEUV Art. 78 Abs. 2 Buchst. a und b AufenthG § 59 Abs. 3; § 60 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 2, Abs. 5, 7 und 10 AsylVfG § 4 Abs. 1; §§ 13, 15 Abs. 2; § 25 Abs. 1; §§ 29, 32, 33 Abs. 1; §§ 34, 38, 77 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU Art. 2 Buchst. i; Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Dublin II-VO Art. 13 und 20 Dublin III-VO Art. 13, 23 Abs. 2; Art. 49 Abs. 2 VwGO § 91 Abs. 1; § 92 Abs. 3; § 161 Abs. 2 VwVfG § 47 Abs. 1
Stichworte:
Abnahme von Fingerabdrücken; Abschiebungsandrohung; Abschiebungsverbot; Angaben zum Reiseweg; Anlass für Betreibensaufforderung; Asylantrag; ausländische Flüchtlingsanerkennung; Auswertbarkeit; Belehrung; Betreibensaufforderung; Bindungswirkung; Dublin-Verfahren; Einstellung des Asylverfahrens; Erledigung; internationaler Schutz; Klageänderung; Mitwirkungspflichten; nationaler Abschiebungsschutz; unionsrechtlicher subsidiärer Schutz; Umdeutung; Weiterwanderung von Flüchtlingen; Zielstaat der Abschiebung.
Leitsätze:
1. Die Einstellung des Asylverfahrens nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG kann darauf gestützt werden, dass der Asylbewerber der berechtigten Aufforderung zur schriftlichen Darlegung seines Reisewegs bis zur Ankunft in Deutschland und zu einer eventuell bereits erfolgten Asylantragstellung im Ausland nicht fristgerecht nachgekommen ist (im Anschluss an Urteil vom 5. September 2013 - BVerwG 10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329).
2. Eine ausländische Flüchtlingsanerkennung entfaltet Bindungswirkung in Deutschland dahin, dass kraft Gesetzes ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG besteht (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Ein Anspruch auf eine erneute Anerkennungsentscheidung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels in Deutschland ergibt sich daraus jedoch nicht (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG).
3. Das Begehren auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz ist unzulässig, wenn dem Ausländer bereits im Ausland die Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne von § 4 AsylVfG zuerkannt worden ist.
4. Die Dublin III-Verordnung findet auf die nach ihrem Inkrafttreten gestellten Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern - ungeachtet des Zeitpunkts der Asylantragstellung - jedenfalls für das zu beachtende Verfahren Anwendung (Art. 49 Abs. 2).
Urteil des 10. Senats vom 17. Juni 2014 - BVerwG 10 C 7.13
I. VG Regensburg vom 13.12.2011 - Az.: VG RO 7 K 10.30468 - II. VGH München vom 17.01.2013 - Az.: VGH 20 B 12.30347 -
Letze Urteile des Bundesverwaltungsgerichts
BVerwG: wohnsitz in der schweiz, wohnsitz im ausland, ausbildung, liechtenstein, aeuv, ohne erwerbstätigkeit, subjektives recht, besuch, unzumutbarkeit, anwendungsbereich
5 C 19.11 vom 10.01.2013
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