Urteil des BVerwG vom 08.05.2003

Serbien Und Montenegro, Änderung der Verhältnisse, Bundesamt, Anerkennung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 C 16.02
Verkündet
OVG 8 LB 14/02
am 8. Mai 2003
Battiege
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r , die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D ö r i g
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Niedersächsi-
schen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Februar 2002 wird zurück-
gewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als politischer Flüchtling
nach § 51 Abs. 1 AuslG.
Der 1975 geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Republik Serbien und Montenegro (frü-
her Jugoslawien), er ist albanischer Volkszugehöriger und stammt aus dem Kosovo. Er reiste
im Januar 1999 auf dem Landweg nach Deutschland ein und beantragte zunächst erfolglos
die Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Urteil vom 27. Mai 1999 verpflichtete das Ver-
waltungsgericht die Beklagte zur Gewährung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz nach
§ 51 Abs. 1 AuslG, weil albanische Volkszugehörige im Kosovo einer ethnischen Gruppen-
verfolgung unterlägen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bun-
desamt) ließ die Entscheidung unanfechtbar werden und erteilte dem Kläger am 22. Juni
1999 unter Hinweis auf das rechtskräftige Verpflichtungsurteil einen Anerkennungsbescheid
nach § 51 Abs. 1 AuslG. Im Februar 2000 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein
und hörte den Kläger hierzu an. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. Mai 2000 wider-
rief das Bundesamt die Anerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Bei einer Rückkehr
in den Kosovo müsse der Kläger derzeit nicht mehr mit Verfolgung rechnen.
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Mit der hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger vor allem geltend gemacht, eine zum
Widerruf berechtigende Änderung der Sachlage sei seit dem Erlass des Anerkennungsbe-
scheids nicht eingetreten. Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das
Oberverwaltungsgericht hat sie als unbegründet angesehen, weil für die Änderung der
Sachlage von dem Zeitpunkt der gerichtlichen Verurteilung zur Anerkennung auszugehen
sei. Dafür spreche, dass die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 51 Abs. 1 AuslG gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG aufgrund der Verhältnisse, die bei Erlass des
Verpflichtungsurteils bestanden hätten, getroffen worden sei. Außerdem stehe mit Erlass
des Verpflichtungsurteils zwischen den Beteiligten rechtskräftig fest, dass nach der Sach-
und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch auf Feststel-
lung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG bestanden habe. Die
gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs München (AuAS 2001, 23 f.)
berücksichtige nicht hinreichend, dass das Bundesamt den Feststellungsbescheid in
Vollzug des Verpflichtungsurteils erlassen und nicht geprüft habe, ob die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 1 AuslG noch vorliegen. Ausgehend vom Zeitpunkt der verwaltungsgerichtli-
chen Verpflichtungsentscheidung hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse seit dem Ein-
marsch der KFOR-Friedenstruppen im Kosovo geändert.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Anfechtungsbegehren weiter. Er hält daran fest,
dass für die Beurteilung einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 73
Abs. 1 Satz 1 AsylVfG der Zeitpunkt des Erlasses des Bundesamtsbescheids auch dann
maßgeblich sei, wenn die Anerkennung wie hier auf einem Verpflichtungsurteil beruhe. Das
Bundesamt dürfe dem Ausländer nichts geben, was es sofort wieder zurücknehmen müsse.
Außerdem stehe dem Widerruf die Rechtskraft des Verpflichtungsurteils entgegen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Entscheidungen und verweist auf die Rechtspre-
chung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim, nach der das Bundesamt nicht - jedenfalls
nicht gegenüber dem Kläger - verpflichtet gewesen sei, das rechtskräftige Verpflichtungsur-
teil mit einer Vollstreckungsgegenklage anzugreifen. Außerdem sei nicht festgestellt und
äußerst zweifelhaft, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Anerkennungsbescheids über-
haupt schon alle tatsächlichen Voraussetzungen für eine Ablehnung vorgelegen hätten.
II.
Die Revision ist nicht begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat den Widerruf in Überein-
stimmung mit Bundesrecht als rechtmäßig angesehen.
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Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Fest-
stellung, dass die Voraussetzungen des § 51 AuslG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen,
wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen, also insbesondere dann, wenn die
Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht mehr besteht. Das Oberverwaltungs-
gericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der angefochtene Widerrufsbescheid diesen
Anforderungen entspricht und rechtmäßig ist. Auch die Revision behauptet nicht, dass dem
Kläger als albanischem Volkszugehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsent-
scheidung im Kosovo (immer noch) die Gefahr einer ethnischen Gruppenverfolgung gedroht
hat. Sie wendet sich vielmehr - wie in dem gleichzeitig entschiedenen Parallelverfahren
BVerwG 1 C 15.02 - dagegen, dass die Vorinstanzen eine den Widerruf legitimierende Än-
derung der Sachlage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids angenommen ha-
ben, obwohl sich die tatsächlichen Verhältnisse im Kosovo seit dem Erlass des Anerken-
nungsbescheids am 22. Juni 1999 durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (Bundesamt) nicht mehr wesentlich verändert hätten. Mit diesem Vorbringen
kann die Revision keinen Erfolg haben. Das hat der Senat in dem Urteil zum Parallelverfah-
ren im Einzelnen ausgeführt; hierauf wird Bezug genommen (vgl. Urteil vom 8. Mai 2003
- BVerwG 1 C 15.02 -, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vor-
gesehen).
Maßgeblich für die Prüfung der Voraussetzungen des Widerrufs von Asylanerkennungen, die
in Erfüllung eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils ergangen sind, ist danach nicht der
Zeitpunkt des Ergehens des Anerkennungsbescheids, sondern des rechtskräftig gewor-
denen Verpflichtungsurteils (hier: vom 27. Mai 1999). Dass hier eine erhebliche Sachlagen-
änderung nach diesem Zeitpunkt (und zwar nach dem Ende des Kosovo-Konflikts) anzu-
nehmen ist, stellt auch die Revision nicht in Abrede. Auf der Grundlage der Feststellungen
des Oberverwaltungsgerichts ist mithin nicht zweifelhaft, dass die gesetzlichen Vorausset-
zungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für den Widerruf vorgelegen haben. Entgegen der
Auffassung der Revision war das Bundesamt am Widerruf der zunächst in Erfüllung des
rechtskräftigen Verpflichtungsurteils ausgesprochenen Asylanerkennung insbesondere auch
nicht deshalb gehindert, weil es das zur Asylanerkennung verpflichtende Urteil nicht mit einer
Vollstreckungsabwehrklage angegriffen hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß
§ 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2
AsylVfG.
Eckertz-Höfer Hund Richter
Beck Prof. Dr. Dörig