Urteil des BVerwG vom 05.05.1948

BVerwG (der rat, bundesrepublik deutschland, deutsche bundespost, enteignung, 1949, bundesverwaltungsgericht, grundstück, befehl, verwaltungsgericht, brandenburg)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 8 C 14.07
VG 6 K 940/00
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
ohne mündliche Verhandlung am 25. Juni 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom
20. September 2006 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin begehrt die Rückübertragung des 720 m
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großen Grundstücks in
Potsdam, Flur …, Flurstück ... Bei der Klägerin handelt es sich um eine 1921 in
Berlin gegründete private Gesellschaft zum Bau von Wohnungen für „Festbe-
soldete“. Sie erwarb in den Jahren 1939 und 1940 die drei Vorläuferparzellen,
aus denen das streitbefangene Grundstück hervorgegangen ist.
Die Landesregierung Brandenburg verfügte mit Beschluss vom 5. Mai 1948 die
entschädigungslose Enteignung und Übergabe der sequestrierten sonstigen
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Vermögenswerte in das Eigentum des Volkes. In der Anlage zu diesem Be-
schluss war die Klägerin nicht aufgeführt. Auch in den Sequesterlisten A, B und
C des Landes Brandenburg war ihr Name nicht enthalten. Wegen eines ande-
ren Wohngebäudes der Klägerin in Potsdam wandte sich der Minister für Wirt-
schaftsplanung des Landes Brandenburg mit Schreiben vom 21. Juni 1948 an
die Stadt Potsdam mit dem Ersuchen, die Eigentumsverhältnisse der Klägerin
zu klären, sie sei „nicht nach Befehl 124 gemeldet“. In seiner Antwort vom
21. Juli 1948 unterrichtete der Rat der Stadt Potsdam über die Gesellschafter-
verhältnisse der Klägerin und über die Einsetzung eines Treuhänders.
Die Landesregierung Brandenburg forderte die Städte und Landkreise mit
Rundschreiben Nr. 2/1/49 vom 7. Januar 1949 auf, das Wohn- und Siedlungs-
gesellschaftsvermögen zu erfassen, das auf der Grundlage der SMAD-Befehle
Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 und Nr. 64 vom 17. April 1948 enteignet worden
war. In der Anlage zu diesem Rundschreiben war unter Nr. 29 eine „W. GmbH“
aufgeführt. Im April 1949 erkundigte sich das Ministerium der Finanzen des
Landes Brandenburg beim Amt zum Schutze des Volkseigentums, ob es sich
bei der W. GmbH um die Klägerin handele. In seiner Antwort vom 20. Juni
1949 teilte das Amt mit, dass es sich bei der genannten Gesellschaft nicht um
die Klägerin handele, die aber „nacherfasst“ worden sei. In einer „berichtigten
Ausfertigung“ der Anlage 1 zu dem Rundschreiben 2/1/49 vom 5. Juli 1949 ist
die Klägerin unter Nr. 29 neben einer anderen Gesellschaft namentlich aufge-
führt. Die Umschreibung im Grundbuch auf das Eigentum des Volkes erfolgte
am 2. Februar 1950. Rechtsträger wurde das Kommunalwirtschaftsunterneh-
men der Landeshauptstadt Potsdam. Die Deutsche Post, Fernmeldeamt Pots-
dam, erhielt mit Wirkung zum 1. Januar 1959 die Rechtsträgerschaft über das
Grundstück, das sie im Jahre 1960 mit einem Fernmeldedienstgebäude für ei-
ne Ortsvermittlungsstelle bebaute und das bis 1995 genutzt wurde. Seit
24. November 1993 ist die Bundesrepublik Deutschland (Deutsche Bundespost
Telekom) als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
Den Antrag der Klägerin vom 22. August 1990 auf Rückübertragung des
Grundstücks lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24. März 1999 ab, weil eine
Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage vorliege. Den Widerspruch
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der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss V beim Landesamt zur Rege-
lung offener Vermögensfragen mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2000
zurück.
Die Klage ist auch im erstinstanzlichen Verfahren erfolglos geblieben. Das
Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 20. September 2006 u.a. die An-
sicht vertreten, dass der Befehl Nr. 64 der sowjetischen Militäradministration
zwar das Verbot enthielt, Vermögenswerte zu sequestrieren und bisher nicht
sequestrierte Vermögenswerte zu enteignen. Doch auf Grund der obersten Ho-
heitsgewalt der Besatzungsmacht sei deren Gesamtverantwortung für Enteig-
nungsakte in der Zeit vor dem 7. Oktober 1949 auch unberührt geblieben, wenn
deutsche Stellen die einschlägigen Rechtsgrundlagen exzessiv ausgelegt oder
nach rechtstaatlichen Maßstäben willkürlich gehandhabt hätten. Eine ausdrück-
liche Missbilligung der Enteignung der Klägerin durch die Besatzungsmacht sei
weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Mit der Nacherfassung in der
„berichtigten Ausfertigung“ vom 5. Juli 1949 gelte die Klägerin als enteignet und
sei in der Folgezeit auch so behandelt worden.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung ma-
teriellen Rechts und beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts
Potsdam vom 20. September 2006, des Bescheides des
Beklagten vom 24. März 1999 und des Widerspruchbe-
scheids des Landesamtes zur Regelung offener Vermö-
gensfragen - Widerspruchsausschuss V - vom 3. Februar
2000 den Beklagten zu verpflichten, das Grundstück
M.straße/H.straße, Gemarkung Potsdam, Flur …, Flur-
stück … an sie zurück zu übertragen.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
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II
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten
hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Revision ist begründet; denn das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht
(§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es ist deshalb aufzuheben. Das Verwaltungsge-
richt hat verkannt, dass der Befehl Nr. 64 der sowjetischen Militäradministration
in Deutschland (SMAD) vom 17. April 1948 in Nr. 5 das Verbot enthält, nach
dessen Inkrafttreten auf der Grundlage des Befehls Nr. 124 Vermögenswerte
zu sequestrieren und bisher nicht sequestrierte Vermögenswerte zu enteignen
(1.) Gegen dieses Verbot verstieß die Enteignung des streitbefangenen Grund-
stücks. Dessen Beschlagnahme wurde nach den Feststellungen des Verwal-
tungsgerichts nicht vor dem 18. April 1948 vorgenommen. Zu diesem Zeitpunkt
war der Befehl Nr. 64 in Kraft getreten. Die unter Verstoß gegen das Enteig-
nungsverbot vorgenommene Enteignung ist der sowjetischen Besatzungsmacht
nicht zuzurechnen und deshalb nicht auf besatzungsrechtlicher Grundlage (§ 1
Abs. 8 Buchst. a VermG) erfolgt, so dass das Vermögensgesetz Anwendung
findet: Es liegt eine entschädigungslose Enteignung im Sinne von § 1 Abs. 1
Buchst. a VermG vor (2.). Die festgestellten Tatsachen lassen jedoch eine ab-
schließende Entscheidung des Senats gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO nicht
zu. Das Verwaltungsgericht hat nicht geprüft, ob der Rückübertragung ein Aus-
schlussgrund nach § 5 VermG entgegen steht (3.). Deshalb ist die Sache zur
anderweitigen Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§
144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Nach § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG gilt das Vermögensgesetz zwar nicht für
Enteignungen von Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besat-
zungshoheitlicher Grundlage. Aber entgegen der Auffassung des Verwaltungs-
gerichts ist die Restitution deshalb nicht ausgeschlossen.
Die von deutschen Stellen während der Besatzungszeit durchgeführten Enteig-
nungen sind der sowjetischen Besatzungsmacht nicht zuzurechnen, wenn sie
einem generellen oder im Einzelfall ausgesprochenen Verbot der Besatzungs-
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macht zuwiderliefen. Ein solches Verbot greift vorliegend ein. Nach Nr. 5 des
Befehls der SMAD Nr. 64 vom 17. April 1948 wurde jegliche weitere Sequest-
rierung von Eigentum auf Grund des Befehls der SMAD Nr. 124 vom
30. Oktober 1945 verboten. Auf Grund dieses Befehls war u.a. das Vermögen
der Nazi- und Kriegsverbrecher, das in der sowjetischen Besatzungszone bele-
gen war, beschlagnahmt, listenmäßig erfasst und gemäß den Beschlüssen der
Landesregierungen enteignet und in das Eigentum des Volkes überführt wor-
den. Mit dem in Nr. 5 des Befehls Nr. 64 der SMAD ausgesprochenen Verbot
hatte die sowjetische Besatzungsmacht ausdrücklich entschieden, dass weitere
Enteignungen von Vermögenswerten, die bis zum Inkrafttreten des Befehls
Nr. 64 noch nicht auf Grund des Befehls Nr. 124 der SMAD beschlagnahmt
worden waren, nicht mehr ihrem Willen entsprachen und verboten waren (Urteil
vom 13. Dezember 2006 - BVerwG 8 C 25.05 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8
VermG Nr. 34, vgl. auch von Raumer, ZOV 2007, S. 127 ff.). Der Befehl Nr. 64
der SMAD ist mit seiner Veröffentlichung in der Täglichen Rundschau am
18. April 1948 in Kraft getreten. Die Nacherfassung der Klägerin in der Liste der
enteigneten Wohnungsunternehmen mit Stand 5. Juli 1949 widersprach diesem
Verbot. Eine Aufhebung des Verbots zu Lasten der Klägerin ist nach Lage der
Akten nicht erfolgt. Mit der bloßen Kenntnisnahme der Enteignungslisten durch
die sowjetische Besatzungsmacht wurde das Verbot nicht wieder außer Kraft
gesetzt (Urteil vom 13. Dezember 2006 - BVerwG 8 C 25.05 - a.a.O.).
2. Ist die unter Verstoß gegen das Enteignungsverbot vorgenommene Enteig-
nung der sowjetischen Besatzungsmacht nicht zuzurechnen, findet das Vermö-
gensgesetz mit der Folge Anwendung, dass das streitbefangene Grundstück im
Sinne von § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG als entschädigungslos enteignet anzu-
sehen ist. Die Klägerin ist daher Berechtigte gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG.
3. Die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts lassen jedoch eine
Entscheidung darüber, ob auch eine Rückgabe erfolgen darf, nicht zu. Es ist
unklar, ob eine Restitution an § 4 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG
scheitert. Danach ist die Rückübertragung des Eigentums an einem Grundstück
ausgeschlossen, wenn das Grundstück mit erheblichem baulichen Aufwand in
seiner Nutzungsart oder Zweckbestimmung verändert wurde und ein öffentli-
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ches Interesse an dieser Nutzung besteht. Auf dem streitbefangenen Grund-
stück hatte die Deutsche Post ein Fernmeldedienstgebäude für eine Ortsver-
mittlungsstelle errichtet, das bis 1995 in Betrieb war. Über die gegenwärtige
Nutzung verhalten sich die Akten nicht, auch ist offen, ob ein öffentliches Inte-
resse an einer Nutzung besteht. Dieses Interesse muss bis zur gerichtlichen
Entscheidung in der Tatsacheninstanz vorliegen, sonst stehen die zur Umnut-
zung in der Vergangenheit getätigten erheblichen Aufwendungen der Restituti-
on des Grundstücks nicht mehr entgegen (Urteil vom 28. Februar 2001
- BVerwG 8 C 32.99 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 27). Die Zurückverweisung
der Sache an das Verwaltungsgericht ist daher unumgänglich, um die gegen-
wärtige Sachlage zu klären.
VRiBVerwG Gödel
Dr. Pagenkopf
Dr. von Heimburg
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Dr. Pagenkopf
Postier
Dr. Hauser
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
239 284,60 € festgesetzt.
VRiBVerwG Gödel
Postier
Dr. Hauser
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Dr. Pagenkopf
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