Urteil des BVerwG vom 15.03.2017

BVerwG ()

Rechtsquellen:
Richtlinie 2003/88/EG
Art. 2
BBG
§ 72 Abs. 3
EZulV
§ 3 Abs. 3, §§ 5, 6
AZV
§ 2 Nr. 12
Stichworte:
Bereitschaftsdienst; Erschwerniszulage; Dienst zu ungünstigen Zeiten; Bun-
despolizei; Seestreifen; Seewache; Freiwache; wache Aufmerksamkeit; Ruhe-
phasen; Häufigkeit einer dienstlichen Inanspruchnahme; typisierende Betrach-
tungsweise; volle Berücksichtigungsfähigkeit des Bereitschaftsdienstes; Aus-
gleich der Erschwernis auf andere Weise; Mehrarbeitsausgleich.
Leitsatz:
Bereitschaftsdienst ist die Pflicht, sich an einem vom Dienstherrn bestimmten
Ort zu einem jederzeitigen Einsatz bereitzuhalten, wenn erfahrungsgemäß mit
einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist.
Bereitschaftsdienst im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 der Erschwerniszulagenver-
ordnung ist wie Volldienst zulagefähig.
Urteil des 2. Senats vom 22. Januar 2009 - BVerwG 2 C 90.07
I. VG Schleswig vom 27.06.2006 - Az.: VG 16 A 24/05 -
II. OVG Schleswig vom 19.07.2007 - Az.: OVG 3 LB 16/06 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 2 C 90.07
OVG 3 LB 16/06
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Verkündet
am 22. Januar 2009
Schütz
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
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auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kugele und Dr. Heitz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Buchheister
für Recht erkannt:
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 19. Juli 2007 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Schleswig-Holsteinische Oberverwal-
tungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Erschwerniszulage für Dienst zu un-
günstigen Zeiten.
Er ist Polizeihauptmeister im Dienst der Beklagten. Zu seinen Aufgaben gehö-
ren Streifenfahrten auf der Ostsee, bei denen sich die Polizeiboote mit einer
Besatzung von 14 Polizeivollzugsbeamten regelmäßig fünf Tage auf See befin-
den. Der Dienst an Bord wird im Zweiwachenbetrieb derart durchgeführt, dass
für jede Hälfte der Besatzung mit Ausnahme des Kommandanten und des
Kochs im Regelfall auf sechs Stunden Seewache sechs Stunden sog. Freiwa-
che folgen, die grundsätzlich der Ruhe und Erholung dienen soll. Während der
Freiwachen werden die Besatzungsmitglieder anlassbezogen in einem bislang
nicht näher ermittelten Umfang zu Dienstleistungen auf dem Polizeiboot heran-
gezogen. Für jeweils 24 Stunden Streifenfahrt werden 17 Stunden als Arbeits-
zeit angerechnet, und zwar zwölf Stunden als regelmäßige Arbeitszeit, drei
Stunden als pauschalierter Ausgleich für anlassbezogene Mehrarbeit und zu-
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sätzlich zwei Stunden als pauschale Dienstbefreiung aus Fürsorgegründen. Der
Kläger erhält wegen der Verwendung auf See eine Stellenzulage für Tätigkeiten
im Marinebereich und eine Bordzulage. Bis März 2004 entsprach es zudem der
Praxis der Beklagten, für Dienst zu ungünstigen Zeiten während der Streifen-
fahrten, also auch für Zeiten der Freiwachen, eine Erschwerniszulage nach § 3
der Erschwerniszulagenverordnung zu gewähren.
Mit Forderungsnachweisen für die Monate Mai und Juni 2004 beantragte der
Kläger für Dienst zu ungünstigen Zeiten während der Streifenfahrten (See- und
Freiwachen) die Gewährung einer Erschwerniszulage. In den Forderungsnach-
weisen war wie in früheren Anträgen jeweils pauschal ganztägig „Ostseestreife“
eingetragen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. August
2004 ab. Die Erschwerniszulage solle nur tatsächliche Erschwernisse abgelten.
Die Freiwachen seien deshalb nur zulagefähig, soweit der Kläger zu Dienstleis-
tungen herangezogen worden sei. Da sich dies aus den Forderungsnachweisen
nicht ergebe, sei eine Abrechnung nicht möglich. Den Widerspruch des Klägers
wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Januar 2005 zurück. Die
Zeiten der Freiwachen seien nicht als Bereitschaftsdienst zulagefähig. Jeden-
falls könne nur eine tatsächliche Dienstausübung während eines Bereitschafts-
dienstes einen Anspruch auf die Zulage begründen.
Auf die Klage hat das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide mit
Urteil vom 27. Juni 2006 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger
eine Erschwerniszulage für die zu ungünstigen Zeiten geleisteten Freiwachen in
den Monaten Mai und Juni 2004 zu gewähren, nachdem die Beklagte die Zei-
ten der Seewachen als zulagefähig anerkannt und die Parteien den Rechts-
streit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt hatten. Dem Kläger stehe die
beantragte Erschwerniszulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten zu. Bereit-
schaftsdienst, der zu ungünstigen Zeiten geleistet werde, sei danach voll zu
berücksichtigen. Bei den Freiwachen handele es sich um Bereitschaftsdienst
und Arbeitszeit im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Zwar sei die
überwiegende Zeit einer Streifenfahrt mit einer Wache zu bewältigen. Bei poli-
zeilichen Maßnahmen werde aber auf die Besatzungsmitglieder in der Freiwa-
che zurückgegriffen. Diese Einsätze seien möglicherweise nicht häufig, aber
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doch regelmäßig und zählten zu den polizeilichen Aufgaben an Bord. Anders
als routinemäßige Bordmanöver handele es sich um nicht vorhersehbare, zum
Streifendienst gehörende Einsätze.
Mit der Berufung gegen dieses Urteil hat die Beklagte im Wesentlichen geltend
gemacht: Die Freiwachen seien kein Bereitschaftsdienst. Der Kläger halte sich
in dieser Zeit nicht an Bord auf, um jederzeit seine Arbeitsleistung erbringen zu
können, sondern weil ein Verlassen des Schiffes einsatzbedingt nicht möglich
sei. Die Maritime Einsatzkonzeption sehe eine durchschnittliche Streifendauer
von fünf Tagen vor. Die Beamten in der Freiwache seien nach den Vorgaben
für den Dienstbetrieb grundsätzlich nicht in Anspruch zu nehmen. Ihr Einsatz
sei nur in besonderen Ausnahmesituationen vorgesehen und müsse im Log-
buch mit Begründung nachgewiesen werden. Eine Heranziehung von Freiwa-
chen zu Schiffskontrollen erfolge im Durchschnitt 0,37 mal pro Streifentag bei
rund 57 jährlichen Streifentagen. Darüber hinaus komme es aus Gründen des
Schiffsbetriebs bei Routinemanövern zu einer durchschnittlichen Inanspruch-
nahme von acht Minuten pro Streifentag und Freiwache. Für diese Fälle werde
die pauschalierte Mehrarbeit gewährt. Selbst wenn es sich bei den Freiwachen
um Bereitschaftsdienst handeln sollte, bestehe die Zulageberechtigung nur,
soweit während dieser Zeiten tatsächlich Dienst ausgeübt werde.
Der Kläger hat im Berufungsverfahren die tatsächlichen Angaben der Beklagten
zu der Häufigkeit und Intensität von Einsätzen während der Freiwachen im We-
sentlichen bestritten und geltend gemacht, dass bei größeren Aufgaben wie
etwa dem Aufstoppen und der Kontrolle von Berufsschiffen und anderen Ein-
sätzen Beamte der Freiwache hinzugezogen würden. Im Übrigen handele es
sich schon deshalb um Bereitschaftsdienst, weil die Anwesenheit der vollstän-
digen Besatzung zwingend erforderlich sei; andernfalls dürfe das Schiff nicht
auslaufen. Die Reduzierung der Streifenboote und der Besatzungsstärke habe
dazu geführt, dass praktisch ein Dienst „rund um die Uhr“ geleistet werden
müsse. Eine Gleichsetzung der Freiwachen mit Freizeit sei vor diesem Hinter-
grund unhaltbar.
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Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Beklagten mit Urteil vom
19. Juli 2007 stattgegeben und die Klage abgewiesen. Soweit der Kläger wäh-
rend der Freiwachen tatsächlich Dienst geleistet habe, stelle die Beklagte die
Zulagenberechtigung nicht in Frage, wenn der Dienst ordnungsgemäß nachge-
wiesen werde, woran es bislang allerdings fehle. Für die übrigen Zeiten der
Freiwachen stehe dem Kläger eine Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten
nicht zu. Es handele sich nicht um Bereitschaftsdienst im Sinne der Erschwer-
niszulagenverordnung, weil von dem Kläger keine wache Aufmerksamkeit im
Zustand der Entspannung gefordert werde. Die Freiwachen dienten der Erho-
lung und Freizeitgestaltung. Die Beamten würden in dieser Zeit nur ausnahms-
weise zu besonderen Manövern herangezogen. Unabhängig davon seien auch
bei einem Bereitschaftsdienst nur die Zeiten einer tatsächlichen Dienstaus-
übung zulagefähig.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 19. Juli 2007 zu ändern und die Beru-
fung der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 27. Juni 2006 zu-
rückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses tritt der Revision ebenfalls entgegen.
II
Die Revision ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung begründet. Das Beru-
fungsurteil verstößt gegen Bundesrecht, weil es einen zu engen Begriff des Be-
reitschaftsdienstes zugrunde legt. Ob die Freiwachen als Bereitschaftsdienst
einzuordnen sind, lässt sich auf der bislang ermittelten Tatsachengrundlage
nicht feststellen. Das zwingt zur Zurückverweisung; denn das Urteil erweist sich
nicht gemäß § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig.
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Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist für den hier in Rede ste-
henden Zeitraum die Verordnung über die Gewährung von Erschwerniszulagen
- EZulV - in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 1998 (BGBl I
S. 3497), insoweit zuletzt geändert durch das Gesetz über die Anpassung von
Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2003/2004 sowie zur
Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 10. September 2003 (BGBl I
S. 1798). Nach § 3 Abs. 1 EZulV erhalten Empfänger von Dienstbezügen in
Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern für Dienst zu bestimmten, in
§ 3 Abs. 2 EZulV näher bezeichneten (ungünstigen) Zeiten eine Zulage, wenn
sie mit mehr als fünf Stunden im Kalendermonat zum Dienst zu ungünstigen
Zeiten herangezogen werden. Zulagefähig sind nach § 3 Abs. 3 Satz 1 EZulV
nur Zeiten einer tatsächlichen Dienstausübung; Bereitschaftsdienst, der zu un-
günstigen Zeiten geleistet wird, ist voll zu berücksichtigen. Wachdienst ist nur
zulagefähig, wenn er mit mehr als 24 Stunden im Kalendermonat zu ungünsti-
gen Zeiten geleistet wird (§ 3 Abs. 3 Satz 2 EZulV). Zum Dienst zu ungünstigen
Zeiten gehört nicht die Rufbereitschaft. Rufbereitschaft ist das Bereithalten des
hierzu Verpflichteten in seiner Häuslichkeit oder das Bereithalten an einem von
ihm anzuzeigenden und dienstlich genehmigten Ort seiner Wahl, um bei Bedarf
zu Dienstleistungen sofort abgerufen werden zu können. Beim Wohnen in einer
Gemeinschaftsunterkunft gilt als Häuslichkeit die Gemeinschaftsunterkunft (§ 3
Abs. 4 und 5 EZulV).
1. Maßgeblich ist danach der Begriff des Bereitschaftsdienstes und seine Ab-
grenzung insbesondere von der Rufbereitschaft und der Freizeit. Die Erschwer-
niszulagenverordnung enthält keine eigenständige Definition. Soweit sie
Rechtsfolgen an einzelne Formen der Dienstausübung wie etwa den Bereit-
schaftsdienst knüpft, nimmt sie Bezug auf das allgemeine arbeitszeitrechtliche
Verständnis dieses Begriffs im Beamtenrecht.
Das Berufungsgericht hat angenommen, Bereitschaftsdienst erfordere stets
eine wache Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung. Dieses Verständnis
des Bereitschaftsdienstes ist zu eng und entspricht nicht der neueren Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach kommt es für die Abgren-
zung des Bereitschaftsdienstes insbesondere von der Rufbereitschaft in ständi-
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ger Rechtsprechung allein darauf an, ob der Beamte sich an einem vom
Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeiti-
gen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat, wenn erfahrungsgemäß mit ei-
ner dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist (Urteile vom 25. Oktober
1979 - BVerwG 2 C 7.78 - BVerwGE 59, 45 <47>, vom 12. Dezember 1979
- BVerwG 6 C 96.78 - BVerwGE 59, 176 <181> = Buchholz 232 § 72 BBG
Nr. 17, vom 9. Mai 1985 - BVerwG 2 C 20.82 - Buchholz 235 § 48 BBesG Nr. 6,
vom 29. Januar 1987 - BVerwG 2 C 14.85 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 28,
vom 21. März 1996 - BVerwG 2 C 24.95 - Buchholz 240.1 BBesO Nr. 17 und
vom 29. April 2004 - BVerwG 2 C 9.03 - Buchholz 240 § 48 BBesG Nr. 8).
Demgemäß ist der erkennende Senat schon bisher davon ausgegangen, dass
ein Bereitschaftsdienst auch Ruhephasen einschließen kann (Urteil vom
29. April 2004 a.a.O. S. 3; s. ferner Urteil vom 9. Mai 1985 a.a.O. zum Bereit-
schaftsdienst einer Krankenhausärztin; Urteil vom 29. Januar 1987 a.a.O. zu
den Flugzeiten des Schutz- und Begleitdienstes für Regierungsmitglieder).
Das Arbeitszeitrecht der Beamten bestätigt dieses Verständnis des Bereit-
schaftsdienstes. § 2 Nr. 12 der Arbeitszeitverordnung vom 23. Februar 2006
(BGBl I S. 427) definiert den Bereitschaftsdienst als die Pflicht, sich, ohne stän-
dig zur Dienstleistung verpflichtet zu sein, an einer vom Dienstherrn bestimmten
Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall den Dienst aufzunehmen, wenn dabei
Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen. Diese Begriffsbestimmung ist zwar
erstmals in die vorgenannte Fassung der Arbeitszeitverordnung aufgenommen
worden, die im hier streitigen Zeitraum noch nicht galt. Der Verordnungsgeber
hat den Begriff des Bereitschaftsdienstes aber nicht neu bestimmt, sondern
lediglich normiert, was schon zuvor dem Stand der Rechtsprechung entsprach.
Dieses Verständnis entspricht den allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Vor-
gaben zur Arbeitszeitgestaltung. Ob der Einsatz des Klägers während der See-
streifen dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 (ABl Nr. L 299 S. 9) unter-
fällt, bedarf deshalb keiner Vertiefung. Die Annahme des Berufungsgerichts,
jene Vorgaben spielten hier von vornherein keine Rolle, weil sich daraus keine
besoldungsrechtlichen Konsequenzen ergäben, greift jedenfalls zu kurz. Richtig
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ist, dass die gemeinschaftsrechtlich gebotene Einbeziehung des Bereitschafts-
dienstes in die Arbeitszeit (vgl. nur EuGH, Beschluss vom 14. Juli 2005
Rs. C-52/04; Urteil vom 9. September 2003 Rs. C-151/02) nur arbeitszeitrecht-
liche Bedeutung hat und keine besoldungsrechtlichen Ansprüche vermittelt (Ur-
teil vom 29. April 2004 a.a.O.; Beschluss vom 3. Januar 2005 - BVerwG 2 B
57.04 - Buchholz 240 § 48 BBesG Nr. 10; EuGH, Beschluss vom 11. Januar
2007 Rs. C-437/05). Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten durch die gemein-
schaftsrechtlich gebotene Einbeziehung des Bereitschaftsdienstes in die Ar-
beitszeit nicht gehindert sind, besoldungsrechtlich diesen Dienst anders zu be-
handeln als Volldienst. Ein Übergriff des Gemeinschaftsrechts auf das Besol-
dungsrecht ist ausgeschlossen. Deshalb kann der nationale Gesetzgeber etwa
die Mehrarbeitsvergütung für Bereitschaftsdienst niedriger ansetzen als für Voll-
dienst (Urteil vom 29. April 2004 a.a.O.). Hier geht es indes zunächst darum, ob
überhaupt Bereitschaftsdienst vorliegt und nicht darum, ob durch eine nationale
Vergütungsregelung an einen solchen Dienst auch in Bezug auf Erschwerniszu-
lagen andere Folgen geknüpft werden dürften als an einen Volldienst. Eine an-
dere Betrachtungsweise wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Verordnungs-
geber in § 3 Abs. 3 Satz 1 EZulV einen spezifisch zulagerechtlichen Begriff des
Bereitschaftsdienstes verwendet hätte. Das ist jedoch ersichtlich nicht der Fall.
Die Erschwerniszulagenverordnung knüpft an den allgemeinen arbeitszeitrecht-
lichen Begriff des Bereitschaftsdienstes im Beamtenrecht an.
2. Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass der Aufenthalt an Bord,
d.h. im räumlichen Machtbereich des Dienstherrn, während der Zeiten der
Freiwachen nicht ausdrücklich als Einsatzbereitschaft angeordnet wird. Viel-
mehr sind diese Zeiten vorwiegend der Erholung vom Dienst während der Zei-
ten der Seewachen zu dienen bestimmt. Ungeachtet dessen stehen die Beam-
ten für eine jederzeitige dienstliche Inanspruchnahme zur Verfügung, weil sie
den dienstlichen Bereich nicht verlassen und sich aus diesem Grund dem
Zugriff des Dienstherrn nicht entziehen können. Daher stellen die Zeiten der
Freiwachen Bereitschaftsdienst dar, wenn dienstliche Einsätze der Beamten
während dieser Zeiten zur Wahrnehmung regelmäßig anfallender dienstlicher
Aufgaben unabdingbar oder doch vom Dienstherrn eingeplant sind. Dies beur-
teilt sich nach der Art der Aufgaben und der organisatorischen Gestaltung des
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Dienstbetriebs an Bord. Es kommt deshalb maßgeblich auf die im Regelfall zu
erwartende Häufigkeit der dienstlichen Inanspruchnahme während der Freiwa-
chen an. Danach entscheidet sich, ob während dieser Zeiten typischerweise mit
nennenswerten Einsätzen zu rechnen ist, die den Freiwachen das Gepräge
eines Bereithaltens für einen jederzeit möglichen Einsatz geben, oder ob sich
diese Zeiten bei wertender Betrachtung als Freizeit oder eine Form der Rufbe-
reitschaft darstellen, die allenfalls sporadisch von Einsätzen unterbrochen wird.
3. Dies lässt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht festgestellten
Tatsachen nicht beurteilen. So hat das Berufungsgericht im Gegensatz zum
Verwaltungsgericht ohne eigene Tatsachenfeststellungen auf der Grundlage
des Beklagtenvortrags angenommen, polizeiliche Einsätze erfolgten nur aus-
nahmsweise. Die Ausgestaltung der Freiwachen und die Belastung der Beam-
ten in dieser Zeit standen nach dem Prozessstoff des Berufungsgerichts nicht
fest. Die Angaben der Beklagten waren im Einzelnen bestritten worden. Wenn
die tatsächlichen Umstände streitig und unklar sind, müssen sie vom Gericht
festgestellt werden.
Das Berufungsgericht wird deshalb die tatsächlichen Umstände weiter aufzu-
klären haben. Dies gilt zum einen für die Rahmenbedingungen der Seestreifen.
Die Beklagte hat wiederholt auf ihre Maritime Einsatzkonzeption (MAREK) und
weitere innerdienstliche Anweisungen verwiesen, die bislang nicht aktenkundig
sind. Zum anderen sind die näheren Umstände an Bord während der Freiwa-
chen aufzuklären. Es wird festzustellen sein, ob die tatsächlichen dienstlichen
Inanspruchnahmen während der Freiwachen mit den generellen dienstlichen
Vorgaben in Einklang stehen oder darüber hinausgehen.
Die Beklagte hat bereits in den Vorinstanzen angegeben und im Revisionsver-
fahren wiederholt, dass der Kommandant verpflichtet sei, Einsätze der Freiwa-
che im Logbuch zu vermerken. Von dieser nahe liegenden Möglichkeit einer
weiteren Sachaufklärung ist bislang kein Gebrauch gemacht worden. Danach
und gegebenenfalls aufgrund weiterer Tatsachenermittlung ist zu beurteilen, ob
die Beamten während einer Freiwache in nennenswertem Umfang mit dienstli-
chen Einsätzen rechnen müssen. Wie bei jedem Bereitschaftsdienst kommt es
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für die rechtliche Wertung nicht darauf an, ob es in jeder einzelnen Freiwache-
zeit, für die Ansprüche geltend gemacht werden, zu tatsächlichen Einsätzen
gekommen ist, sondern darauf, ob nach den üblichen Umständen mit solchen
Einsätzen erfahrungsgemäß zu rechnen ist. Es reicht deshalb aus, die tatsäch-
lichen Ermittlungen auf einen überschaubaren, repräsentativen Zeitraum zu
beschränken, der eine typisierende Gesamtbetrachtung ermöglicht. Sollte sich
herausstellen, dass diese Polizeieinsätze im Regelfall einen Rückgriff auf die
sechs Beamten in der Freiwache erfordern, sind diese Zeiten als Bereitschafts-
dienst zu werten.
4. Die weitere Sachaufklärung ist entscheidungserheblich. Die Klage ist nicht
aus anderen Gründen entscheidungsreif.
a) Der Anspruch auf eine Zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten entfällt nicht
deshalb, weil der Kläger bereits eine Stellenzulage nach Nr. 9a der Vorbemer-
kungen zu den Bundesbesoldungsordnungen A und B des Bundesbesoldungs-
gesetzes (Marinezulage) und eine Zulage nach § 23b EZulV (Bordzulage) er-
hält. Die Konkurrenzen ergeben sich aus § 5 EZulV. Nach Absatz 1 der Vor-
schrift schließt die Gewährung der Marinezulage die Gewährung der Erschwer-
niszulage nach § 3 Abs. 3 EZulV nicht aus, weil die Marinezulage in dem dorti-
gen Katalog nicht aufgeführt ist. Der Katalog ist abschließend. Der Verord-
nungsgeber hat mit Änderungsverordnung vom 17. Juni 1998 (BGBl I S. 1378)
das Wort „insbesondere“ aus dem Normtext des § 5 Abs. 1 EZulV gestrichen,
um den abschließenden Charakter der Vorschrift zu betonen (BRDrucks 187/98
S. 17). Dass die dem Kläger außerdem gewährte Bordzulage die Erschwernis-
zulage für Dienst zu ungünstigen Zeiten nicht ausschließt, sondern lediglich zu
einer Kürzung führt, folgt aus § 5 Abs. 2 EZulV.
b) Die Einordnung der Freiwachen als Bereitschaftsdienst ist auch nicht des-
halb unerheblich, weil ohnehin nicht die gesamten Zeiten des Bereitschafts-
dienstes, sondern nur die Zeiten eines tatsächlichen Einsatzes während der
Freiwachen zulagefähig seien. Die dahin gehende ergänzende Argumentation
des Berufungsgerichts trifft nicht zu. Es stützt sich auf § 3 Abs. 3 Satz 1
Halbs. 1 EZulV, wonach nur Zeiten einer tatsächlichen Dienstausübung zulage-
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fähig sind. Es berücksichtigt indes nicht hinreichend, dass nach § 3 Abs. 3
Satz 1 Halbs. 2 EZulV Bereitschaftsdienst, der zu ungünstigen Zeiten geleistet
wird, voll zu berücksichtigen ist. Das bedeutet, dass Bereitschaftsdienst vom
Verordnungsgeber einer tatsächlichen Dienstausübung gleichgesetzt wird. Er
hat sich dafür entschieden, den Bereitschaftsdienst pauschalierend wie Voll-
dienst als zulagefähig einzustufen. Die Wendung, dass nur Zeiten einer tat-
sächlichen Dienstausübung zulagefähig sind, kann ersichtlich nicht so verstan-
den werden, dass dadurch die von der Verordnung bestimmte volle Berücksich-
tigung des Bereitschaftsdienstes von vornherein eingeschränkt und ihrer Be-
deutung entkleidet wird. Wäre die Ansicht des Berufungsgerichts richtig, wäre
die Einbeziehung des Bereitschaftsdienstes in die zulagefähigen Zeiten im
Grunde bedeutungslos, weil Zeiten einer tatsächlichen Dienstausübung ohne-
hin zulagefähig sind. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass eine verblei-
bende Bedeutung der Regelung in einer bloßen Abgrenzung gegenüber der
Berücksichtigungsschwelle für die Zulagefähigkeit des Wachdienstes nach § 3
Abs. 3 Satz 2 EZulV liege. Die Regelung über die volle Berücksichtigung des
Bereitschaftsdienstes bestand bereits, als der Wachdienst noch insgesamt
nicht zulagefähig war (vgl. die Verordnung zur vorläufigen Regelung der Er-
schwerniszulagen vom 19. Dezember 1973, BGBl I S. 1947). Die Zulagefähig-
keit des Wachdienstes hat der Verordnungsgeber erst mit der Änderungsver-
ordnung vom 20. März 1990 (BGBl I S. 551) in die Erschwerniszulagenverord-
nung eingefügt. Sie kann deshalb kein Argument für das vom Berufungsgericht
zugrunde gelegte Verständnis der bereits zuvor bestehenden Regelung über
die volle Berücksichtigung des Bereitschaftsdienstes liefern.
Die Begründungen des Verordnungsgebers bestätigen zusätzlich, dass § 3
Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 EZulV sich nicht auf den Bereitschaftsdienst bezieht.
Bereits die zur Vereinheitlichung des Erschwerniszulagewesens in Bund und
Ländern erlassene Verordnung vom 19. Dezember 1973 (a.a.O.) enthielt eine
vergleichbare Bestimmung. Dort war geregelt, dass zulagefähig nur solche Zei-
ten sind, die als Arbeitszeit (Dienst) berücksichtigt werden und dass Zeiten ei-
nes Dienstes in Bereitschaft voll zu berücksichtigen sind (§ 4 Abs. 2 Satz 1 der
vg. Verordnung). Die Regelung beruhte ausweislich ihrer Begründung auf der
Erwägung, dass eine Fortzahlungsregelung bei Unterbrechungsfällen wie etwa
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Krankheit oder Erholungsurlaub, die bis dahin für den Bereich des Bundes be-
stand, mit dem Sinn und Zweck der Erschwerniszulagen nicht vereinbar sei
(BRDrucks 669/73 S. 4). Ausgeschlossen werden sollte also gerade nicht der
Bereitschaftsdienst, sondern nur solche Zeiten, in denen zwar ein Anspruch auf
Fortzahlung des Gehalts besteht, aber nicht gearbeitet wird. Diese Regelung
hat der Verordnungsgeber durch § 3 Abs. 3 Satz 1 EZulV in der Fassung der
Ersten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Gewährung von Er-
schwerniszulagen vom 25. Mai 1979 (BGBl I S. 603) inhaltlich fortgeführt und
lediglich sprachlich dahin modifiziert, dass statt der „Zeiten, die als Arbeitszeit
(Dienst) berücksichtigt werden“, nunmehr von „Zeiten einer tatsächlichen
Dienstausübung“ gesprochen wird. Die Formulierung soll (weiterhin) klarstellen,
dass fiktive, d.h. nicht geleistete, sondern aus anderen Gründen gutgebrachte
Arbeitszeiten nicht zulagefähig sind (BRDrucks 145/79 S. 4). Ein Ausschluss
des Bereitschaftsdienstes wäre damit nicht vereinbar.
c) Die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung ist schließlich nicht mit Blick auf
§ 6 EZulV entbehrlich. Danach entfällt oder verringert sich die Zulage, soweit
der Dienst zu ungünstigen Zeiten auf andere Weise als mit abgegolten oder
ausgeglichen gilt. § 6 EZulV soll eine Doppelabgeltung vermeiden. Die Gewäh-
rung einer Erschwerniszulage für Dienst während der Freiwachen zusätzlich zu
dem je 24 Stunden Streifenfahrt gewährten Freizeitausgleich von zwei Stunden
wäre aber nur dann eine Doppelabgeltung, wenn während dieser Zeiten geleis-
tete Dienste bereits durch die außerdem gewährte pauschale Mehrarbeitsver-
gütung von drei Stunden je 24 Stunden Streifenfahrt abgegolten wären. Dann
stellte sich die Gewährung von weiteren zwei Stunden Freizeitausgleich als et-
was Zusätzliches dar, das keine Mehrarbeit ausgliche, sondern darüber hinaus
ginge. Ob dem so ist, kann ohne nähere Kenntnis des Umfangs der während
der Freiwachen tatsächlich üblicherweise geleisteten Dienste nicht entschieden
werden. Sollte sich herausstellen, dass die Inanspruchnahme während der
Freiwachen ein Maß erreicht, dass zur Annahme von Bereitschaftsdienst führt,
würde der gewährte Freizeitausgleich schon als solcher nicht ausreichen.
Herbert Prof. Dr. Kugele Dr. Heitz
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Thomsen Buchheister