Urteil des BVerwG vom 15.03.2017

BVerwG: grundstück, bebauungsplan, auflösende bedingung, beitragspflicht, grunddienstbarkeit, widmung, öffentlich, verfügung, offenlegung, stadt

Rechtsquelle:
BauGB § 30 Abs. 1, § 133 Abs. 1 Satz 1
Stichworte:
Erschließungsbeitrag; Beitragspflicht; Bebaubarkeit; Hinter-
liegergrundstück; Sicherung der Erschließung; Bebauungsplan;
Bestandsschutz; Dauerhaftigkeit der Erschließung; auflösend
bedingte Zugangsbaulast.
Leitsätze:
Die Frage, durch welche Straße ein Grundstück im Sinne des
§ 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen ist, richtet sich im
Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans nach des-
sen Festsetzungen über die straßenmäßige Erschließung. Der Be-
standsschutz des Gebäudes, dessen Errichtung auf Grund einer
davon abweichenden Zuwegung bereits vor In-Kraft-Treten des
Bebauungsplans genehmigt wurde, reicht zur Begründung einer
Erschließungsbeitragspflicht des Grundstücks nach § 133 Abs. 1
Satz 1 BauGB nicht aus.
Im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB "gesichert" ist eine Erschlie-
ßung nur dann, wenn damit zu rechnen ist, dass sie auf Dauer
zur Verfügung stehen wird. Eine Zuwegung zu einem Hinterlie-
gergrundstück, die nur auf einer auflösend bedingten Baulast
beruht, löst jedenfalls dann keine Erschließungsbeitrags-
pflicht nach § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB aus, wenn sich in dem
gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB maßgeblichen Zeitpunkt bereits
konkret abzeichnet, dass die Baulast durch Eintritt der Bedin-
gung demnächst erlöschen wird.
Urteil des 9. Senats vom 8. Mai 2002 - BVerwG 9 C 5.01
I. VG Minden vom 29.01.1999 - Az.: VG 5 K 2557/98 -
II. OVG Münster vom 23.03.2001 - Az.: OVG 3 A 1255/99 -
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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
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BVerwG 9 C 5.01
Verkündet
OVG 3 A 1255/99
am 8. Mai 2002
Oertel
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
- 3 -
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2002
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
H i e n und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S t o r o s t , K i p p , V a l l e n d a r und
Prof. Dr. R u b e l
für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 23. März 2001 wird
geändert.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Minden vom 29. Januar 1999
wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs-
und des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
1. Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung eines Er-
schließungsbeitrags für die erstmalige Herstellung des Linden-
weges. Er ist Eigentümer des Grundstücks Flur 43 Flurstück
Nr. 838 der Gemarkung P. Er erwarb dieses Grundstück Anfang
1970 als eine rückwärtig der Hausgrundstücke Lindenweg 38 und
40 gelegene und unbebaute Teilfläche der damaligen Flurstücke
Nrn. 211, 212, 189, 190 und 191. Es ist mit einem Einfamilien-
haus und einer Doppelgarage bebaut. Die Bebauung beruht im We-
sentlichen auf dem Kläger am 30. September 1970, 14. Juni 1971
und 23. Februar 1978 erteilten Baugenehmigungen. Bei Erteilung
der Baugenehmigung für das Wohnhaus am 30. September 1970
grenzte das inzwischen unter den Flurstücksbezeichnungen 617,
618, 619 und 620 (Lindenweg 38 a) verselbständigte Grundstück
nicht unmittelbar an öffentliche Verkehrsflächen an. Von dem
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östlich verlaufenden Lindenweg war das Grundstück durch die
genannten Hausgrundstücke Lindenweg 38 und 40 getrennt. West-
lich angrenzend an das Grundstück des Klägers war eine Straße
weder vorhanden noch planerisch festgesetzt. Der bei Erteilung
der genannten Baugenehmigungen geltende Bebauungsplan Nr. 1
("Baunutzungsplan") regelte lediglich Art und Maß baulicher
Nutzung der Grundstücke und wies das Gebiet als Wohngebiet
aus.
Im Rahmen der Vorprüfung des der Baugenehmigung vom 30. Sep-
tember 1970 zugrunde liegenden Baugesuchs des Klägers stellte
das Bauaufsichtsamt des Beklagten auf der Grundlage der in den
Bauvorlagen gemachten Angaben fest, dass die Erschließung des
Grundstücks des Klägers zurzeit nicht gesichert sei. Im Hin-
blick auf interne Planungsvorstellungen des Beklagten, die
westlich angrenzend an das Grundstück die spätere Errichtung
einer Stichstraße vorsahen, hielt es das Bauaufsichtsamt je-
doch für ausreichend, dass die Erschließung "bis zur Offenle-
gung der gepl. Straße" über eine Baulast auf dem Grundstück
Lindenweg 40 gesichert werden konnte. Die Eigentümerin dieses
Grundstücks, von der der Kläger sein Grundstück erworben hat-
te, gab daraufhin unter dem 19. August 1970 gegenüber dem Bau-
aufsichtsamt eine Verpflichtungserklärung zur Übernahme einer
Zugangsbaulast mit folgendem Wortlaut ab:
"Sicherung eines fremden Zugangs über das Flurstück 211
der Flur 43 (Lindenweg 40) für das Grundstück Linden-
weg 38 a, Flur 43, Flurstück 618, 619 + 620, bis zur Of-
fenlegung der geplanten Straße".
Diese Baulast wurde in das Baulastenverzeichnis eingetragen.
Bereits unter dem 6. August 1970 hatten der Kläger und der Be-
klagte auf der Grundlage der damaligen Erschließungsbeitrags-
satzung der Stadt P. vom 1. April 1967 einen Vertrag über die
Fälligkeit einer Vorausleistung in Höhe von 11 262,50 DM und
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die Erbringung des Vorausleistungsbetrags als endgültige Ablö-
sung des Erschließungsbeitrags für das Grundstück Lindenweg
38 a geschlossen.
Das südlich des Lindenweges gelegene Gebiet, dem das Grund-
stück des Klägers und der Lindenweg vollständig zugehören,
wurde in der Folgezeit vom Geltungsbereich des Bebauungsplans
Nr. 70 A vom 15. August 1978 erfasst. Dieser Bebauungsplan,
der am 30. Januar 1995 geändert wurde, setzte u.a. den Linden-
weg sowie zwei vom Ulmenweg nach Nordwesten bzw. Südosten ab-
gehende Stichstraßen als öffentliche Verkehrsflächen fest.
Nach der Begründung zum Bebauungsplan sollten diese Stichstra-
ßen die Erschließung der rückwärtigen Grundstücksflächen zwi-
schen Kilianstraße und Lindenweg übernehmen. Die südöstliche
Stichstraße mit einer Länge von ca. 105 m und einem ca. 60 m
langen Querstück an ihrem Ende grenzt an die Westseite des
Grundstücks des Klägers und trägt den Namen Platanenweg. Die
Bauarbeiten für den Platanenweg, auf die der Kläger wegen der
darauf ausgerichteten Anlage seines Wohnhauses und seiner Ga-
rage seit 1983 wiederholt vergeblich gedrängt hatte, wurden ab
1994 zunächst teilweise ausgeführt.
Im Zuge eines Umlegungsverfahrens für das betreffende Gebiet
wurde am 17. Oktober 1994 eine am 26. Januar 1970 bei Erwerb
des Grundstücks des Klägers zu dessen Gunsten auf dem Flur-
stück 211 eingeräumte und "bis zum Ausbau der von der Stadt P.
geplanten Straße zu den herrschenden Grundstücken" befristete
Grunddienstbarkeit (Wegerecht) gelöscht. Im Juli 1995 wies der
Kläger den Beklagten auf diese Löschung sowie darauf hin, dass
die Eigentümerin des Grundstücks Lindenweg 40 ihm nur noch bis
zum 31. Oktober 1995 gestatten werde, ihr Eigentum zu begehen
und zu befahren. Der Platanenweg sei zwar mittlerweile ange-
legt, jedoch nur mit einer ersten Schwarzdecke versehen und
habe noch nicht die endgültige Höhe, so dass der Kläger mit
dem Kraftfahrzeug von dieser Straße noch nicht auf sein Grund-
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stück herauffahren könne. Er bitte um schnellstmögliche Fer-
tigstellung der Straße. Der Beklagte teilte dem Kläger darauf-
hin unter dem 29. August 1995 mit, sein Grundstück sei künftig
nur noch über den Platanenweg erreichbar. Die Erschließung vom
Lindenweg sei durch die Aufhebung der Grunddienstbarkeit nicht
mehr gegeben. Der Endausbau des Platanenwegs sei für 1996 vor-
gesehen. Tatsächlich wurde die Herstellung des Platanenwegs im
Herbst 1996 abgeschlossen. Seine Widmung erfolgte am
23. Oktober 1996.
Der Lindenweg, dessen Widmung als öffentliche Straße bereits
1979 öffentlich bekannt gemacht worden war, wurde im Sommer
1995 fertig gestellt. Die letzte Unternehmerrechnung hierfür
ging am 20. Juli 1995 beim Beklagten ein. Die beitragsrechtli-
che Abrechnung dieser Straße begann im Oktober 1995. Das
Grundstück des Klägers wurde bei der Verteilung des Erschlie-
ßungsaufwands zunächst unberücksichtigt gelassen. Nach einem
hierzu gefertigten Vermerk war angenommen worden, dass bei
Entstehung der sachlichen Beitragspflicht für den Lindenweg
das Grundstück wegen der Löschung der Grunddienstbarkeit nicht
mehr durch den Lindenweg erschlossen gewesen sei.
Im Zuge der im September 1997 begonnenen Abrechnung des Er-
schließungsaufwands für den Platanenweg überprüfte der Beklag-
te diese Beurteilung mit dem Ergebnis, dass das Grundstück
auch in die Verteilung des Erschließungsaufwands für den Lin-
denweg einbezogen werden müsse.
Mit Bescheid vom 10. November 1997 setzte der Beklagte zu Las-
ten des Klägers einen Erschließungsbeitrag für den Platanenweg
in Höhe von 13 766,78 DM fest. Der Bescheid enthielt den Hin-
weis:
"Aus dem Vertrag vom 6. August 1970 sind 6.450,95 DM für
den Lindenweg verbraucht worden. Für den Platanenweg kann
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ich Ihnen den Betrag von 4.711,55 DM anrechnen."
Den dagegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies der Be-
klagte zurück und führte u.a. aus: Die Ablösungsvereinbarung
im Vertrag vom 6. August 1970 sei nicht rechtswirksam, nachdem
das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Januar 1982
die - auch diesem Vertrag zugrunde liegende - Ablösungsrege-
lung der Erschließungsbeitragssatzung als ungültig beurteilt
habe. Die Regelung des Vertrags zur Vorausleistung gelte dem-
gegenüber fort. Der hierauf gezahlte Betrag habe im Umfang von
6 450,95 DM tilgende Wirkung in Bezug auf die Beitragspflicht
des Klägers für den Lindenweg.
Gegen den Beitragsbescheid für den Platanenweg erhob der Klä-
ger zunächst Klage. In diesem Klageverfahren setzte der Be-
klagte den Beitrag im Hinblick auf die von ihm angenommene
Mehrfacherschließung auf 9 544,15 DM herab. Daraufhin nahm der
Kläger die Klage zurück.
2. Mit Bescheid vom 11. März 1998 setzte der Beklagte für das
Grundstück des Klägers den Erschließungsbeitrag in Bezug auf
den Lindenweg auf 6 450,95 DM fest und verrechnete hierauf
denselben Betrag aus der Vorausleistung. Der nach erfolglosem
Widerspruch erhobenen Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid
hat das Verwaltungsgericht Minden durch Urteil vom 29. Januar
1999 stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das O-
berverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen durch
Urteil vom 23. März 2001 das erstinstanzliche Urteil geändert
und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentli-
chen Folgendes ausgeführt:
Entgegen der Beurteilung des Verwaltungsgerichts sei das
Grundstück des Klägers in Bezug auf den Lindenweg beitrags-
pflichtig. Nach § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB unterliege ein
Grundstück der Beitragspflicht, wenn es der abzurechnenden An-
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baustraße wegen bebaubar sei, also u.a. von ihr aus in einer
Weise verkehrlich erreichbar sei, die den einschlägigen Be-
stimmungen des Bebauungsrechts und des Bauordnungsrechts genü-
ge. Grenze das Grundstück nicht an die abzurechnende Anbau-
straße (sog. Hinterliegergrundstück), müsse das erforderliche
Heranfahrenkönnen an die Grundstücksgrenze diesem Grundstück
über den dazwischenliegenden fremden Grundbesitz durch eine
öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt vermittelt werden.
Erst dann werde das Hinterliegergrundstück durch die Anbau-
straße im Sinne des § 133 BauGB erschlossen. Maßgeblich für
die Beurteilung des Erschlossenseins in diesem Sinne seien da-
bei grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhält-
nisse im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitrags-
pflicht für die betreffende Erschließungsanlage. Dies sei hier
der 20. Juli 1995. Zu diesem Zeitpunkt seien die Voraussetzun-
gen des § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB hinsichtlich des Grundstücks
des Klägers gegeben gewesen. Eine Zufahrt vom Lindenweg über
das Anliegergrundstück Lindenweg 40 zum (bebauten) Hinterlie-
gergrundstück habe tatsächlich bestanden und sei auch in einer
Weise öffentlich-rechtlich gesichert gewesen, die den bauord-
nungsrechtlichen Anforderungen an eine hinreichende Erreich-
barkeit dieses Grundstücks genügte.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der vom Bundes-
verwaltungsgericht zugelassenen Revision. Er macht geltend,
sein Grundstück sei am 20. Juli 1995 nicht mehr zum Lindenweg
hin beitragsrechtlich relevant erschlossen gewesen. Die Wir-
kung der Baulast sei nämlich dadurch entfallen, dass das
Grundstück zwischenzeitlich in beitragsrelevanter Weise zum
Platanenweg hin erschlossen gewesen sei. Infolge des Bebau-
ungsplans beurteile sich diese Frage nach § 30 Abs. 1 BauGB.
Für die danach erforderliche "gesicherte Erschließung" zu der
im Bebauungsplan vorgesehenen Straße reiche es aus, wenn sich
diese Straße in einem Zustand befinde, der eine Benutzung in
zumutbarer Weise ermögliche. Ausreichend sei insofern das He-
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ranfahrenkönnen mit Personen- und kleineren Versorgungsfahr-
zeugen. Diese Möglichkeit habe der Platanenweg dem Grundstück
des Klägers am 20. Juli 1995 schon geboten. Damit sei die auf-
lösende Bedingung der Baulast erfüllt gewesen. Das Berufungs-
gericht habe diese Bedingung falsch ausgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nord-
rhein-Westfalen vom 23. März 2001 zu ändern und den Er-
schließungsbeitragsbescheid des Beklagten vom 11. März
1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
17. Juni 1998 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und meint ergänzend, auf
die im Bebauungsplan Nr. 70 A vorgesehene Erschließung des
Grundstücks des Klägers durch den Platanenweg komme es nicht
an, da das Grundstück bei In-Kraft-Treten dieses Bebauungs-
plans bereits bebaut und durch den Lindenweg erschlossen gewe-
sen sei. Der Platanenweg habe dem Grundstück daher nur eine
weitere Erschließung gewähren können. Noch nicht verwirklichte
Bebauungspläne dürften im Übrigen keine Rolle bei der Frage
der Erschließung spielen.
II.
Die Revision, gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken beste-
hen, ist begründet. Das angefochtene Berufungsurteil kann kei-
nen Bestand haben, weil es auf der Verletzung von Bundesrecht
beruht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Bei der hiernach gemäß § 144
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Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO zu treffenden Entscheidung in der Sa-
che selbst ist die Berufung des Beklagten zurückzuweisen. Denn
das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht
stattgegeben.
Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend erkannt,
dass die Beitragspflicht des Grundstücks des Klägers gemäß
§ 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB voraussetzt, dass es der abzurech-
nenden Anbaustraße wegen bebaubar ist, insbesondere also von
dieser Straße aus in einer Weise verkehrlich erreichbar ist,
die den einschlägigen Bestimmungen des Bebauungsrechts und des
Bauordnungsrechts genügt. Es hat ebenfalls im Ausgangspunkt
zutreffend ausgeführt, dass diese Voraussetzung gerade in dem
Zeitpunkt gegeben sein muss, in dem gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1
BauGB die sachlichen Beitragspflichten für die abzurechnende
Anbaustraße entstehen. Dies war hier nach den gemäß § 137
Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Beru-
fungsgerichts der 20. Juli 1995, an dem die letzte Unterneh-
merrechnung für den Lindenweg einging.
Das Berufungsgericht hat jedoch im Einzelnen nicht geprüft, ob
die Erschließung des Grundstücks vom Lindenweg aus in diesem
Zeitpunkt noch den einschlägigen Bestimmungen des Bebauungs-
rechts entsprach. Maßgeblich war seit In-Kraft-Treten des Be-
bauungsplans Nr. 70 A vom 15. August 1978 insoweit § 30 Abs. 1
BBauG/BauGB. Den Maßstab für die nach dieser Vorschrift erfor-
derliche Beurteilung, ob die Erschließung des Grundstücks ge-
sichert ist, bildet allein die Festsetzung der straßenmäßigen
Erschließung im Bebauungsplan (vgl. BVerwG, Urteile vom
21. Februar 1986 - BVerwG 4 C 10.83 - Buchholz 406.11 § 30
BBauG Nr. 25 S. 6, vom 17. Juni 1993 - BVerwG 4 C 7.91 - Buch-
holz 406.11 § 10 BauGB Nr. 30 S. 42 und vom 16. Dezember 1993
- BVerwG 4 C 27.92 - Buchholz 316 § 56 VwVfG Nr. 9 S. 7). Der
im maßgeblichen Zeitpunkt geltende Bebauungsplan Nr. 70 A in
der Fassung der Änderung vom 30. Januar 1995 sah jedoch nur
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eine Erschließung des Grundstücks des Klägers durch den Plata-
nenweg, nicht durch den Lindenweg vor. Die bebauungsrechtliche
Zulässigkeit der zu diesem Zeitpunkt noch vorhandenen Zuwegung
vom Lindenweg über das Grundstück Lindenweg 40 beruhte allein
auf dem durch die wegen dieser Zuwegung erteilten Baugenehmi-
gungen dem genehmigten Gebäude vermittelten Bestandsschutz.
Dieser macht eine Fläche jedoch nicht bebaubar im Sinne des
§ 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB und reicht deshalb zur Begründung
einer Erschließungsbeitragspflicht des Grundstücks nach dieser
Vorschrift nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. September
1974 - BVerwG IV C 70.72 - Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 48
S. 42 und vom 17. Juni 1994 - BVerwG 8 C 24.92 - BVerwGE 96,
116 <125>). Maßgebend ist vielmehr, ob für das Grundstück
- unabhängig von einem etwaigen Bestandsschutz für eine be-
reits erfolgte Bebauung - im Zeitpunkt des Entstehens der
sachlichen Beitragspflichten gerade im Hinblick auf die abzu-
rechnende Straße "aktuell" eine Baugenehmigung erteilt werden
müsste. Dies war hier nicht der Fall. Wäre - aus welchen Grün-
den auch immer - nach In-Kraft-Treten des Bebauungsplans
Nr. 70 A geplant gewesen, auf dem Grundstück ein neues Wohn-
haus zu errichten, hätte dieses nur im Hinblick auf die abseh-
bare Herstellung des Platanenweges, nicht aber unabhängig
hiervon wegen der Zuwegung vom Lindenweg aus zugelassen werden
dürfen.
Abgesehen davon genügte die Erschließung des Grundstücks des
Klägers vom Lindenweg aus den Anforderungen des § 30 Abs. 1
BauGB auch deshalb nicht, weil sie nicht im Sinne dieser Vor-
schrift "gesichert" war. In diesem Sinne gesichert ist eine
Erschließung nur dann, wenn damit zu rechnen ist, dass sie auf
Dauer zur Verfügung stehen wird (vgl. BVerwG, Urteile vom
30. August 1985 - BVerwG 4 C 48.81 - Buchholz 406.11 § 35
BBauG Nr. 228 S. 140, vom 3. Mai 1988 - BVerwG 4 C 54.85 -
Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 246 S. 10 und vom 31. Oktober
1990 - BVerwG 4 C 45.88 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 265
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S. 47). Es entspricht deshalb der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts, dass ein Hinterliegergrundstück nur dann
bei der Beitragsverteilung zu berücksichtigen ist, wenn die
Zuwegung über ein unmittelbar an der Straße gelegenes Grund-
stück voraussichtlich auf Dauer besteht (vgl. BVerwG, Be-
schluss vom 29. August 2000 - BVerwG 11 B 48.00 - Buchholz
406.11 § 123 BauGB Nr. 42). Diese Voraussetzung lag in Bezug
auf die hier allein zu prüfende Erschließung durch den Linden-
weg jedenfalls am 20. Juli 1995 nicht vor. Das Berufungsge-
richt hat in Auslegung des gemäß § 137 Abs. 1 VwGO irrevi-
siblen Landesrechts und in tatsächlicher Hinsicht gemäß § 137
Abs. 2 VwGO bindend festgestellt, dass diese Erschließung im
maßgeblichen Zeitpunkt nur auf einer Baulast beruhte, die
durch die noch ausstehende straßenrechtliche Widmung des vom
Beklagten zur dauerhaften Erschließung des Grundstücks geplan-
ten Platanenwegs auflösend bedingt war. Da der Platanenweg in
diesem Zeitpunkt nicht nur "auf dem Papier" geplant, sondern
auch unstreitig bereits tatsächlich angelegt und befahrbar
war, zeichnete sich hinreichend konkret ab, dass die Baulast
durch Eintritt der ihr beigefügten auflösenden Bedingung dem-
nächst erlöschen würde. Jedenfalls bei dieser Sachlage konnte
nicht damit gerechnet werden, dass die Erschließung durch den
Lindenweg noch auf Dauer zur Verfügung stehen würde. Wegen des
Lindenweges hätte der Kläger deshalb im Zeitpunkt des Entste-
hens der sachlichen Beitragspflichten auch unter dem Gesichts-
punkt der Dauerhaftigkeit der Erschließung keine neue Genehmi-
gung für die Bebauung seines Grundstücks erhalten dürfen.
Diese Beurteilung fügt sich auch in die bisherige Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts zum sog. Stichtagsprinzip
ein.
Danach kommt es maßgebend auf die tatsächlichen und rechtli-
chen Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen
Beitragspflichten an; eine spätere Änderung dieser Verhältnis-
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se hat selbst dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit ei-
nes ergangenen Erschließungsbeitragsbescheids, wenn mit ihr
schon im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitrags-
pflichten zu rechnen war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. März
1995 - BVerwG 8 B 5.95 - Buchholz 406.11 § 134 BauGB Nr. 7
m.w.N.).
Im hier zu beurteilenden Fall ist insoweit Folgendes zu beach-
ten: Das maßgebliche Bebauungsrecht verlangt - wie bereits
dargelegt - nicht nur, dass das Grundstück zu einem bestimmten
Zeitpunkt zugänglich ist. Es setzt außerdem die Feststellung
voraus, dass die Verbindung zum öffentlichen Wegenetz auf Dau-
er bestehen wird. Fehlt es hieran, darf eine Baugenehmigung
nicht erteilt werden. Das erschließungsbeitragsrechtliche
Stichtagsprinzip ist insoweit in der Weise anzuwenden, dass
die für die Frage der Dauerhaftigkeit der Erschließung erfor-
derliche prognostische Betrachtung von den im Zeitpunkt des
Entstehens der Beitragspflichten vorhandenen Erkenntnissen
auszugehen hat.
Auch die Erteilung der Baugenehmigung Anfang der
70er-Jahre
rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Baugenehmigungsbe-
hörde konnte aus ihrer Sicht nämlich berücksichtigen, dass mit
dem Wegfall der Baulast für die Zuwegung zum Lindenweg die Er-
schließung des Grundstücks des Klägers über den Platanenweg
und damit "alternativ" gesichert war. Diese Gesamtbetrachtung
lässt das Erschließungsbeitragsrecht aber nicht zu. Es ver-
langt eine isolierte Beurteilung bezüglich der abgerechneten
Straße. Ein Grundstück muss gerade ihretwegen bebaubar sein.
Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob eine Zuwegung,
die allein auf einer auflösend bedingten Baulast beruht, nicht
regelmäßig von vornherein ungeeignet ist, die Annahme ihrer
Dauerhaftigkeit zu rechtfertigen und damit eine Beitrags-
pflicht nach § 133 Abs. 1 Satz 1 BauGB auszulösen.
- 14 -
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
Hien Dr. Storost Kipp
Vallendar Prof. Dr. Rubel
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfah-
ren auf 3 298,32 € (entspricht 6 450,95 DM) festgesetzt (§ 13
Abs. 2, §§ 14, 73 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Hien Dr. Storost Kipp