Urteil des BVerwG vom 11.05.1951

BVerwG (politische gemeinde, gemeinde, auflösung, eigentum, gesetz, bundesrepublik deutschland, tatsächliche vermutung, mitgliedschaft, restitution, aufgaben)

Rechtsquelle:
EV Art. 21 Abs. 3
Stichworte:
Vermögenszuordnung; öffentliche Restitution; rechtsstaatswidriger Erwerb;
unzulässige Rechtsausübung; entschädigungslose Enteignung; Bodenreform;
altrechtliche Gemeinschaft; altrechtliche Gemeinde; Realgemeinde; Gemein-
schaft der Separationsinteressenten.
Leitsatz:
Die Auflösung der Gemeinschaften der Separationsinteressenten unter Über-
führung ihres Vermögens in das Eigentum der politischen Gemeinden in Bran-
denburg durch das Gesetz vom 11. Mai 1951 war nicht rechtsstaatswidrig.
Urteil des 3. Senats vom 14. Juni 2006 - BVerwG 3 C 18.05
I. VG Potsdam vom 13.09.2004 - Az.: VG 1 (15) K 6287/00 –
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 3 C 18.05
am 14. Juni 2006
VG 1 (15) K 6287/00
Bech
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette, Liebler
und Prof. Dr. Rennert
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Potsdam vom 13. September 2004 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten
selbst.
- 3 -
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Zuordnung von neun Grundstücken, als deren
Nutzungsart in den Grundbüchern von 1915 und 1945 „ Weg“ bzw. „ Wasser-
graben“ ausgewiesen ist. Die Grundstücke liegen im Gebiet der früheren Ge-
meinde W. (Brandenburg), die 1995 in die Beigeladene eingemeindet wurde.
Als Eigentümer waren seit 1915 „ Die Separationsgenossen“ eingetragen. Die
Grundstücke wurden 1952 in Volkseigentum überführt und hernach wie die um-
liegenden Flächen landwirtschaftlich genutzt.
Mit Sammelbescheid vom 18. Juni 1996 ordnete die Beklagte die Grundstücke
zunächst der Klägerin zu. An diesem Verfahren war die Beigeladene nicht be-
teiligt.
1
2
- 4 -
Bereits am 26. Mai 1993 beantragte die Gemeinde W. die Zuordnung an sich.
Dem gab die Beklagte mit sog. „ Teilbescheid A“ vom 9. November 2000 statt.
Zur Begründung hieß es, die im Grundbuch voreingetragene Gemeinschaft der
Separationsgenossen sei durch brandenburgisches Gesetz vom 11. Mai 1951
aufgelöst, ihr Vermögen der Gemeinde übertragen worden. Durch die spätere
Überführung in Volkseigentum habe die Gemeinde daher eigenes Vermögen
verloren, das ihr im Wege der Restitution zurückzugeben sei. Denkbare Rück-
gabeansprüche Privater - auch der Separationsinteressenten - blieben unbe-
rührt.
Hiergegen richtet sich die Klage. Zur Begründung hat die Klägerin geltend ge-
macht, der Beigeladenen könne kein Restitutionsanspruch zustehen, weil sie
im Jahre 1951 ihrerseits das Eigentum auf rechtsstaatswidrige Weise, nämlich
im Zuge der Auflösung der Gemeinschaft der Separationsinteressenten erlangt
habe. Diese Maßnahme habe im Zusammenhang mit der - zweifellos rechts-
staatswidrigen - Bodenreform gestanden und sei zudem - wenngleich mit dem
Vorbehalt einer abweichenden Billigkeitsentscheidung - entschädigungslos er-
folgt.
Mit Urteil vom 13. September 2004 hat das Verwaltungsgericht Potsdam die
Klage abgewiesen. Dem Restitutionsanspruch der Beigeladenen stehe nicht
entgegen, dass die Gemeinde W. die Grundstücke ihrerseits erst 1951 aus der
Auflösung einer altrechtlichen Separationsinteressentenschaft erlangt habe.
Die Auflösung könne nicht als rechtsstaatswidrig angesehen werden, obwohl
sie entschädigungslos und unter Ausschluss des Rechtswegs erfolgt sei. Zum
einen sei das Eigentum an den Wegen und Gräben schon zuvor an das Eigen-
tum gebietszugehöriger Grundstücke gebunden gewesen und habe sämtlichen
Genossen zur Nutzung offen gestanden; insofern habe sich durch die Überfüh-
rung in öffentliches Eigentum der politischen Gemeinde nicht viel geändert.
Zum anderen seien die Separationsinteressentenschaften nicht aus politisch
diskriminierenden Gründen, sondern im Zuge einer sachlich motivierten Verwal-
tungsreform aufgelöst worden. Die betroffenen Separationsinteressenten
- oftmals mehrere Hundert Personen - hätten sich vielfach nur mit erheblichem
3
4
5
- 5 -
Aufwand ermitteln lassen, der angesichts des geringen Werts der entzogenen
Rechte jedenfalls bei Wegen und Gräben unvertretbar hoch gewesen sei.
Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Revision trägt die Klägerin vor:
Die Gemeinde W. habe das Eigentum an den strittigen Grundstücken auf
rechtsstaatswidrige Weise erlangt, so dass sie Restitution nicht verlangen kön-
ne. Die Auflösung der Separationsinteressentenschaften sei schon deshalb als
rechtsstaatswidrig anzusehen, weil sie entschädigungslos erfolgt sei. Das lasse
sich nicht mit der Erwägung relativieren, das entzogene Eigentum sei genos-
senschaftlich gebunden gewesen; entscheidend sei allein, dass es sich um pri-
vates Eigentum gehandelt habe. Ebenso sei gleichgültig, ob der wirtschaftliche
Wert des entzogenen Eigentums gering gewesen sei. Hinzu komme, dass für
die Auflösung in erster Linie gesellschaftspolitische Vorstellungen der sozialisti-
schen Machthaber bestimmend gewesen seien. In den Separationsinteressen-
ten seien überwiegend konservativ gesinnte Bauern mit altererbtem Grundbe-
sitz gesehen worden; gegen sie sei die Maßnahme gerichtet gewesen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beigeladene hält die Revision ebenfalls für unbegründet.
II
Die Revision ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewie-
sen, weil die Beklagte mit dem angefochtenen Zuordnungsbescheid einem
Restitutionsanspruch der Beigeladenen aus Art. 21 Abs. 3 EV Rechnung getra-
gen habe. Diesem Restitutionsanspruch stehe kein Ausschlussgrund entgegen.
Namentlich habe die Beigeladene das zu restituierende Eigentum nicht ihrer-
seits auf rechtsstaatswidrige Weise erlangt. Das steht mit Bundesrecht im Ein-
klang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
6
7
8
9
- 6 -
1. Der öffentlichen Restitution unterliegt kein Vermögen, das eine öffentlich-
rechtliche Körperschaft zuvor auf rechtsstaatswidrige Weise erlangt hatte. Das
wäre mit dem Art. 21 Abs. 3 EV zugrundeliegenden Wiedergutmachungsge-
danken unvereinbar. Denn die öffentliche Restitution dient nicht der Wiederher-
stellung eines rechtsstaatswidrigen Zustandes (stRspr; vgl. Urteile vom 30. No-
vember 1995 - BVerwG 7 C 42.92 - BVerwGE 100, 62 <69>, vom 18. Februar
1999 - BVerwG 3 C 2.98 - Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 32, vom 24. April 2003
- BVerwG 3 C 15.02 - BVerwGE 118, 119 sowie vom 13. Oktober 2005
- BVerwG 3 C 40.04 -).
Was rechtsstaatswidrig ist, muss im Einklang mit dem sonstigen Wiedergutma-
chungsrecht bestimmt werden, dessen gemeinsame Grundlage Art. 19 Satz 2
EV ist. Mit Recht wird daher etwa auf § 1 Abs. 2 VwRehaG verwiesen, wonach
im Sinne von Art. 19 Satz 2 EV rechtsstaatswidrig diejenigen Maßnahmen sind,
die in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der
Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen haben und die der
politischen Verfolgung gedient oder Willkürakte im Einzelfall dargestellt haben.
Ebenso von Bedeutung ist der Blick aufs Vermögensrecht. Es liegt auf der
Hand, dass die Gemeinde die öffentliche Restitution nicht verlangen kann,
wenn sie den Vermögensgegenstand ihrerseits in einer Weise erlangt hat, die
Grund für einen Restitutionsanspruch des früheren Eigentümers nach § 1
VermG wäre. Die Geltendmachung eines öffentlichen Restitutionsanspruchs
erschiene gerade dann als unzulässige Rechtsausübung (vgl. Urteil vom
24. April 2003 a.a.O. <121>).
2. Die Auflösung der altrechtlichen Gemeinschaften der Separationsinteressen-
ten und die Überführung des Gemeinschaftsguts in das Vermögen der jeweili-
gen politischen Gemeinde durch das brandenburgische Gesetz vom 11. Mai
1951 (GVBl S. 8) stellt keine rechtsstaatswidrige Maßnahme im vorbezeichne-
ten Sinne dar. Die Gemeinde ist daher nicht gehindert, Rückgabe solcher Ver-
mögensgegenstände nach Art. 21 Abs. 3 EV zu verlangen, wenn diese ihr spä-
ter durch den Zentralstaat der DDR entzogen wurden.
10
11
12
- 7 -
a) Die Auflösung der altrechtlichen Gemeinschaften kann nicht deshalb als
rechtsstaatswidrig angesehen werden, weil sie in Zusammenhang mit der Bo-
denreform stünde.
Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht Enteignungen im Zuge der sozia-
listischen Bodenreform als rechtsstaatswidrig angesehen und den hierdurch
begünstigten Körperschaften daher den Restitutionsanspruch versagt (Urteile
vom 30. November 1995, vom 24. April 2003 und vom 13. Oktober 2005
a.a.O.). Grund hierfür war nicht nur, dass die Enteignungen im Zuge der Bo-
denreform entschädigungslos und ohne Rechtsschutzmöglichkeit erfolgten,
sondern auch, dass sie sich gerade gegen „ feudale Großjunker“ sowie gegen
Nationalsozialisten und deren Angehörige richteten und damit in diskriminie-
render Weise an persönliche Merkmale der Betroffenen anknüpften. Der Senat
hat den Restitutionsausschluss auch auf solche Enteignungen erstreckt, die der
eigentlichen Bodenreform zwar nachfolgten, mit ihr jedoch in Zusammenhang
standen. Das hat er für Grundeigentum angenommen, das zunächst zugunsten
des Bodenfonds enteignet, dann aber als „ unbrauchbar“ nicht an Neubauern,
sondern der politischen Gemeinde zugeteilt worden war (Urteil vom 13. Oktober
2005 - BVerwG 3 C 40.04 -).
Die Auflösung der altrechtlichen Gemeinschaften der Separationsinteressenten
in Brandenburg wurde zwar schon im Dezember 1945 und damit im zeitlichen
Zusammenhang mit der Bodenreform angeregt (vgl. Vermerk der Abt. Boden-
kultur in Potsdam vom 6. Dezember 1945). Sie wurde jedoch erst deutlich nach
deren Abschluss - im Jahre 1951 - durchgeführt; in der Gesetzesbegründung
findet sich keine Anknüpfung an die Bodenreform. Sie stand mit der Bodenre-
form auch in keinem sachlichen Zusammenhang. Namentlich diente sie nicht
der Landbeschaffung für Neubauern. Das wird schon daraus deutlich, um wel-
che Nutzflächen es ging. Das Vermögen der aufgelösten Gemeinschaften der
Separationsinteressenten umfasste nämlich regelmäßig kein landwirtschaftli-
ches Kulturland (Ackerland) und auch nur in gewissem Umfang Weideland;
betroffen waren vielmehr in erster Linie Wege- und Grabengrundstücke, so-
dann Gemeinschaftsanlagen wie Brücken, Brunnen und Löschteiche sowie
Kiesgruben und Wälder. Dementsprechend fiel das Gemeinschaftsgut mit der
13
14
15
- 8 -
Auflösung auch nicht in den Bodenfonds, sondern ins Eigentum der jeweiligen
politischen Gemeinde.
b) Die Auflösung der Gemeinschaften der Separationsinteressenten und die
Überführung ihres Vermögens auf die jeweilige politische Gemeinde war nicht
deshalb rechtsstaatswidrig, weil dies entschädigungslos erfolgte.
Zu den Grundsätzen des Rechtsstaats ist zu zählen, dass wohlerworbene pri-
vate Rechte vom Staat nur gegen Entschädigung entzogen werden dürfen. Das
ist seit langem anerkannt (vgl. Einl. §§ 74, 75 des preußischen Allgemeinen
Landrechts von 1794; C.F. v. Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen
Staatsrechts, 2. Auflage 1869, S. 37 ff.; O. Mayer, Deutsches Verwaltungs-
recht, 1. Auflage 1917, S. 51 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik
Deutschland, Band I, S. 856 ff.). Die Auflösung der altrechtlichen Gemeinschaf-
ten der Separationsinteressenten durch das brandenburgische Gesetz vom
11. Mai 1951 stellt jedoch keine Entziehung wohlerworbener privater Rechte in
diesem Sinne dar.
aa) Es liegt schon keine Enteignung im klassischen Sinne vor. Ein Vorgang der
staatlichen Güterbeschaffung steht nicht in Rede. Vielmehr handelt es sich um
eine Regelung, die nach heutigem Verständnis als Inhaltsbestimmung des Ei-
gentums anzusehen wäre (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG; vgl. BVerfG, Beschluss
vom 15. Juli 1981 - 1 BvL 77/78 - BVerfGE 58, 300 <330 ff., 336 ff.>). Diese
eigentumsrechtliche Regelung bildete das unausweichliche Mittel einer Reform
der Verwaltungsorganisation im dörflichen Bereich.
Die altrechtlichen Gemeinschaften (Altgemeinden, Realgemeinden, Interessen-
tenschaften) waren Selbstverwaltungseinheiten, die zwischen der bürgerlichen
Privatgesellschaft und dem Staat standen. Sie gingen aus den alten Markge-
meinden hervor, deren Gemeinheitsgut - die sog. Allmende - sie verwalteten
(unverändert grundlegend Gierke, Deutsches Privatrecht, Band 1, 1895, S. 596
- 619). Sie versahen Aufgaben, die im Allgemeininteresse der dörflichen Ge-
meinschaft lagen. Mit der Bildung der politischen Gemeinde wurden bestimmte
Aufgaben auf diese verlagert, während restliche Aufgaben - namentlich solche,
16
17
18
19
- 9 -
deren Erfüllung Grundbesitz erforderte - bei der altrechtlichen Gemeinschaft
verblieben. Damit standen im Dorf zwei Selbstverwaltungseinheiten nebenein-
ander, die sich vor allem nach ihrem Mitgliederkreis unterschieden: Während
die Mitgliedschaft in den altrechtlichen Gemeinschaften den Hofbauern im Dorf
vorbehalten war, umfasste die Mitgliedschaft in der politischen Gemeinde auch
andere Einwohner, also Familienangehörige, Gesinde, landlose Bauern und
Angehörige anderer Berufe.
Im beginnenden 20. Jahrhundert wurden die altrechtlichen Gemeinschaften
zunehmend als überlebt angesehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in
mehreren Ländern der sowjetischen Besatzungszone Gesetze zu ihrer Aufhe-
bung erlassen (Thüringen: Gesetz vom 29. Mai 1947, RegBl S. 52; Mecklen-
burg: Gesetz vom 29. April 1948, RegBl S. 77; Sachsen: Gesetz vom 30. Sep-
tember 1948, GVBl S. 530; Brandenburg: Gesetz vom 11. Mai 1951, GVBl
S. 8). Die Aufhebung der altrechtlichen Gemeinschaften erscheint dabei durch-
gängig als Verschmelzung mit der politischen Gemeinde. Ihre Aufgaben blie-
ben; auch das Vermögen, das der Wahrnehmung dieser Aufgaben diente, blieb
als solches erhalten und wurde nicht etwa zu anderen staatlichen Zwecken
entzogen. Es wurde lediglich der Träger ausgewechselt: An die Stelle der alt-
rechtlichen Gemeinschaft trat die politische Gemeinde, an die Stelle der Hofei-
gentümer traten die Gemeindeeinwohner. Die Hofeigentümer blieben aktivbe-
rechtigt, da sie zugleich Gemeindeeinwohner waren; die übrigen Gemeinde-
einwohner traten hinzu.
Notwendiges Mittel dieser Neuordnung war eine eigentumsrechtliche Regelung.
Denn die Mitgliedschaft in der altrechtlichen Gemeinschaft war an das Eigen-
tum an einem Hof im Dorfgebiet geknüpft. Die beabsichtigte Neuordnung muss-
te daher die Verbindung zwischen dem Hofeigentum und der Mitgliedschaft in
der altrechtlichen Gemeinschaft durchtrennen. In eigentumsrechtlicher Sicht
liegt darin eine Inhaltsbestimmung des Eigentums: Der Inhalt des Eigentums an
einem landwirtschaftlichen Hof wurde neu bestimmt. Das Hofeigentum blieb als
solches unangetastet; es vermittelte aber nicht länger die Mitgliedschaft in der
altrechtlichen Gemeinschaft.
20
21
- 10 -
bb) Allerdings verloren die Hofeigentümer nicht nur die Mitgliedschaft in der
altrechtlichen Gemeinschaft, sondern auch das Eigentum an deren Vermö-
gensgegenständen. Das war indes keine enteignungsfähige Rechtsposition.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden die altrechtlichen Gemeinschaften, so-
fern sie nicht - wie teilweise in der preußischen Provinz Hannover (Gesetz vom
5. Juni 1888, GS S. 233) - als öffentlich-rechtliche Körperschaften Rechtsfähig-
keit erlangten, zunehmend den Regeln des Privatrechts unterstellt. Sie erschie-
nen nunmehr als Gesamthandsgemeinschaften, deren innere Verfassung sich
nach §§ 741 ff. BGB richtet (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 2003 - V ZR 320/02 -
VIZ 2004, 79). Damit rückte die eigentumsrechtliche Mitberechtigung an den
Gegenständen des Gemeinschaftsvermögens in den Vordergrund.
Dem Gemeinschaftsvermögen fehlte jedoch die Privatnützigkeit. Vielmehr blieb
auch unter der zivilrechtlichen Konstruktion die überkommene gemeinheitliche
Zweckbindung bestehen. Das Gemeinschaftsvermögen unterlag nicht dem pri-
vatautonomen Belieben der Genossen, sondern war für Zwecke gewidmet, die
nach herkömmlicher Auffassung zu den allgemeinen Angelegenheiten im Dorf
zählten. Das liegt für Wege, Gräben, Brücken, Brunnen und Friedhöfe auf der
Hand. Es galt ursprünglich ebenso für Kiesgruben und Wälder; diese waren
von der Aufteilung im Zuge der Gemeinheitsteilungen gerade wegen ihrer Be-
deutung für die Allgemeinheit ausgenommen (§ 109 der preußischen Gemein-
heitsteilungs-Ordnung vom 7. Juni 1821, GS S. 53; § 6 des preußischen Ge-
setzes über gemeinschaftliche Holzungen vom 14. März 1881, GS S. 261).
Mit Recht hält es die Klägerin für kennzeichnend, ob die Hofeigentümer je für
sich oder doch in ihrer Gesamtheit Nichtgenossen von der Nutzung der Ge-
genstände des Gemeinschaftsvermögens ausschließen durften. Entgegen ihrer
Auffassung ist das aber zu verneinen. Zwar ging mit der neuen zivilrechtlichen
Konstruktion an sich ein derartiges Ausschließungsrecht einher. Tatsächlich
aber stand die Teilhabe am Gemeinschaftsvermögen sämtlichen Dorfbewoh-
nern offen. Für die Nutzung von Wegen und Brunnen ist das selbstverständlich.
Es gilt aber auch für Weiden und Wälder. Landlosen Bauern eine Weidegrund-
lage zu bieten, war gerade der Sinn der Allmende, und es stellte eine uner-
22
23
24
25
- 11 -
wünschte Folge der Aufteilung von Weideflächen im Zuge der Gemeinheitstei-
lungen dar, dass den landlosen Bauern diese Weidegrundlage genommen
wurde. Ausgeschlossen waren mithin nicht Nichtgenossen, sondern allenfalls
Ortsfremde, ähnlich wie noch nach heutigem Landesrecht Nichteinwohner re-
gelmäßig keinen Anspruch auf Zulassung zu den öffentlichen Einrichtungen der
Gemeinde haben.
cc) Selbst wenn in der Auflösung der altrechtlichen Gemeinschaften ein Entzug
enteignungsfähiger Rechtspositionen gesehen würde, so könnte er dennoch
nicht als rechtsstaatswidrig angesehen werden. Allerdings begründet der gene-
relle Ausschluss einer Entschädigung schon im Gesetz die Vermutung der
Rechtsstaatswidrigkeit; denn eine derartige Regelung war nach dem Selbstver-
ständnis der Rechtsordnung der DDR sowie der vorherigen Länder in der sow-
jetischen Besatzungszone regelmäßig Ausdruck einer bewussten Diskriminie-
rung bestimmter Personengruppen oder Verhaltensweisen (Urteil vom 13. April
2000 - BVerwG 7 C 5.99 - Buchholz 428 § 30a VermG Nr. 17
m.w.N.). Diese tatsächliche Vermutung ist indes nicht unwiderlegbar, und sie ist
hier widerlegt. Die Materialien des brandenburgischen Auflösungsgesetzes zei-
gen, dass der Ausschluss einer Entschädigung im vorliegenden Fall nicht aus
Gründen der Diskriminierung der Betroffenen geschah.
Richtig ist, dass Mitglieder der aufgelösten Gemeinschaften nur Hofeigentümer
waren. Der Ausschluss jeder Entschädigung findet seinen Grund jedoch nicht in
einem sozialen Klassengegensatz zu den landbesitzenden Bauern und auch
nicht in ihrer - durchaus vermuteten (vgl. den bereits erwähnten Vermerk vom
6. Dezember 1945, S. 4) - eher konservativen Gesinnung. Dass diese Bauern
nicht als politische Gegner der sozialistischen Machthaber angesehen wurden,
wird schon daraus deutlich, dass sie von der Bodenreform, die Landbesitz erst
ab 100 ha enteignet hatte, verschont geblieben waren. Auch die Auflösung der
altrechtlichen Gemeinschaften ließ ihr Hofeigentum als solches unberührt.
Der Ausschluss der Entschädigung wurde vielmehr vornehmlich damit begrün-
det, dass die entzogenen Mitberechtigungen keinen oder doch nur einen ganz
geringen wirtschaftlichen Wert aufwiesen. Er besaß damit einen sachlichen
26
27
28
- 12 -
Grund. Die entzogenen Mitberechtigungen bestanden nicht an einzelnen Ge-
genständen des Gemeinschaftsvermögens, sondern an der Gemeinschaft als
solcher; sie umfassten nicht nur das Recht zur Mitverwaltung und zur Mitnut-
zung, sondern auch die Pflicht zur Lasten- und Kostentragung. Dabei wurde der
wirtschaftliche Vorteil der Nutzungsberechtigung regelmäßig weitgehend durch
die Lasten und Kosten aus der Unterhaltung der gemeinschaftlichen Anlagen
aufgewogen. Zudem waren in den Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsjahren
erhebliche rückständige Unterhaltungslasten aufgelaufen, so dass in den ein-
schlägigen Gesetzesmaterialien durchgängig der Missstand einer unzulängli-
chen Instandhaltung und die hierdurch verursachten administrativen und finan-
ziellen Nachteile für die notfalls eintretende politische Gemeinde hervorgeho-
ben wurden (Vermerk vom 6. Dezember 1945 ; bbg. LTDrucks 2/16
; vgl. ähnlich mecklbg. LTDrucks 1/181 ; LTProt. 1/984 f.;
thür. LTDrucks 1/017, 1/070; LTProt. 1/384 ff.; sächs. LTProt. 1/1033).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene
keinen Sachantrag gestellt hat, trägt sie ihre Kosten selbst.
Kley van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
29