Urteil des BVerwG vom 02.10.1961

BVerwG (treu und glauben, umfang, ausgleich, arbeitszeit, ermittlung, mehrarbeit, monat, ige, bundesverwaltungsgericht, pauschal)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 26.09
OVG 2 A 432/07 und 433/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Juni 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Heitz
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
der Freien Hansestadt Bremen vom 24. September 2008
wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 802 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten kann keinen Erfolg haben. Der
von ihr geltend gemachte Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Be-
deutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
1. Der Kläger ist als Feuerwehrbeamter der Beklagten in deren Lösch-, Hilfe-
leistungs- und Rettungsdienst tätig. Die regelmäßige Arbeitszeit für diesen
Dienst war bis 31. März 2007 auf 56 Wochenstunden festgesetzt. Der Kläger
macht Ausgleichsansprüche geltend, weil er mehr als die zulässigen 48 Wo-
chenstunden Dienst geleistet hat. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte
verurteilt, ihm für die Zuvielarbeit von acht Wochenstunden im Zeitraum vom
1. März 2004 bis 31. März 2007 mit Ausnahme der Zeiten seiner Freistellung
als Personalratsmitglied Freizeitausgleich von 15,45 Stunden pro Monat zu ge-
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währen. Eine wöchentliche Arbeitszeit von 56 Stunden verstoße gegen das Ar-
beitszeitrecht der Europäischen Union, das für Feuerwehrleute eine Arbeitszeit
von höchstens 48 Stunden pro Woche zulasse. Zur Arbeitszeit gehörten auch
die inaktiven Dienstzeiten, d.h. die Zeiten, in denen die Feuerwehrleute wäh-
rend ihrer Arbeitsschicht auf der Feuerwache auf Einsätze warteten. Die Zuvie-
larbeit des Klägers müsse nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und ei-
ner daran orientierten entsprechenden Anwendung der Regelung über den
Ausgleich von Mehrarbeit gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 BremBG durch Dienstbe-
freiung (Freizeitausgleich) abgegolten werden. Auf der Grundlage von 46 Ar-
beitswochen im Jahr ergebe sich ein Monatswert von 30,67 Stunden Zuvielar-
beit. Hiervon seien 10,22 Stunden abzuziehen, weil die inaktiven Dienstzeiten
für den Umfang der Dienstbefreiung nur zur Hälfte zu berücksichtigen seien.
Weitere fünf Arbeitsstunden seien entsprechend der Verpflichtung zur Leistung
von Mehrarbeit ohne Ausgleich gemäß § 71 Abs. 4 Satz 2 BremBG abzuzie-
hen.
2. Mit ihrer Beschwerde wirft die Beklagte die Frage als rechtsgrundsätzlich
bedeutsam auf,
ob für die nach dem Grundsatz von Treu und Glauben vorzuneh-
mende Ermittlung des Anspruchs auf Freizeitausgleich eine pau-
schalierte Betrachtung auch dann als angemessen anzusehen ist,
wenn diese den betroffenen Beamten gegenüber einer konkreten
Ermittlung der Dienstzeiten in einem erheblichen Umfang einseitig
bevorzugt, oder ob dem Dienstherrn für die Ermittlung des zu gewäh-
renden Freizeitausgleichs im Rahmen des pflichtgemäßen Ermes-
sens eine Wahlmöglichkeit zuzuerkennen ist.
Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine konkrete, in dem
zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im
Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Rechtsfortbildung der
Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961
- BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO
Nr. 18; stRspr).
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Danach kommt der von der Beklagten aufgeworfenen Frage keine grundsätzli-
che Bedeutung zu, weil die rechtlichen Grundsätze des Ausgleichsanspruchs
wegen Zuvielarbeit durch das Urteil des Senats vom 28. Mai 2003 - BVerwG
2 C 28.02 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 38 geklärt sind. Danach stehen Beam-
ten Ansprüche auf Dienstbefreiung für denjenigen Dienst zu, den sie leisten,
weil die regelmäßige Arbeitszeit rechtswidrig zu hoch festgesetzt ist. Der Senat
hat diesen Ausgleichsanspruch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben
(§ 242 BGB) und den gesetzlichen Vorschriften über den Ausgleich überobliga-
tionsmäßiger Mehrarbeit hergeleitet. Die im entschiedenen Fall maßgebende
Vorschrift des § 72 Abs. 2 BBG sei nach Treu und Glauben in einer Weise zu
ergänzen, welche die beiderseitigen Interessen von Beamten und Dienstherrn
zu einem billigen Ausgleich bringe und dabei Sinn und Zweck der Arbeitszeitre-
gelung gerecht werde. Zu dem zeitlichen Umfang des Anspruchs auf Dienstbe-
freiung heißt es in dem Urteil vom 28. Mai 2003, a.a.O.:
„Bei der Heranziehung zu einem Zusatzdienst, der rechtswidrig ge-
fordert wird, weil die regelmäßige Wochenarbeitszeit fehlerhaft fest-
gesetzt worden ist, erscheint angemessen deshalb eine Dienstbe-
freiung, die ebenso lang ist wie die Zeit, die der Beamte allmonatlich
insgesamt über die ohne Ausgleich höchstzulässige Mehrarbeit von
fünf Stunden pro Monat hinaus gearbeitet hat.“
Damit hat der Senat zwei allgemeine Kriterien vorgegeben, nach denen der
zeitliche Umfang des Anspruchs zu bemessen ist. Zum einen soll der zeitliche
Umfang der Dienstbefreiung dem zeitlichen Umfang der rechtswidrig geleiste-
ten Zuvielarbeit entsprechen. Zum anderen müssen Zeiten in Abzug gebracht
werden, die nach den gesetzlichen Regelungen, hier nach § 72 Abs. 4 Satz 2
BremBG, ohne Ausgleich als Mehrarbeit geleistet werden müssen.
Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf hat die Beklagte nicht aufge-
zeigt. Auf der Grundlage des Urteils vom 28. Mai 2003, a.a.O., ist kein Raum
für einen Ermessensspielraum des Dienstherrn, eine ihm günstige Berech-
nungsmethode zu wählen. Mit ihrem Vortrag, der Umfang der Zuvielarbeit dürfe
nicht pauschal, sondern müsse stundengenau berechnet müssen, beanstandet
die Beklagte in der Sache, das Oberverwaltungsgericht habe das vom Senat
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aufgestellte Kriterium des gleichen Umfangs von Zuvielarbeit und sich daraus
ergebender Dienstbefreiung nicht beachtet.
Über die von der Beklagten aufgeworfene Frage nach stundengenauer oder
pauschaler Ermittlung des Umfangs der Zuvielarbeit würde in einem Revisions-
verfahren nicht zu entscheiden sein. Auf der Grundlage des Urteils vom 28. Mai
2003, a.a.O., könnte die Revision der Beklagten auch dann keinen Erfolg ha-
ben, wenn man ihren Vortrag zugrunde legt, bei stundengenauer Ermittlung der
Zuvielarbeit stehe dem Kläger ein um 77 Arbeitsstunden niedrigerer Anspruch
auf Dienstbefreiung zu (317 statt 394 Stunden). Auch dann liegt die behauptete
einseitige Bevorzugung des Klägers nicht vor. Denn das Oberverwaltungsge-
richt hat die - ebenfalls pauschal bemessenen - inaktiven Dienstzeiten während
der Arbeitsschicht für den Umfang der Dienstbefreiung nur zur Hälfte berück-
sichtigt, obwohl sie arbeitszeitrechtlich in vollem Umfang als Arbeitszeit gelten.
Die Beamten leisten während der gesamten Arbeitsschicht Dienst im Sinne von
§ 72 BremBG, 9 BBesG. Die Berechnungsweise des Oberverwaltungsgerichts
wirkt sich erheblich zugunsten der Beklagten aus, weil sie den Anspruch auf
Dienstbefreiung um 10,22 Stunden pro Monat, d.h. für den gesamten An-
spruchszeitraum vom 1. April 2005 (Ende der Personalratstätigkeit) bis
31. März 2007 um insgesamt 245,28 Stunden (10,22 x 24 Monate) vermindert.
Da dieser Rechtsfehler in einem Revisionsverfahren zu korrigieren wäre, wäre
die Revision letztlich aus diesem Grund zurückzuweisen. Von seinem Ermes-
sen zu einer solchen entsprechenden Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO im
Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde macht der Senat angesichts
der insoweit klaren Rechtslage aus prozessökonomischen Gründen Gebrauch.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nur noch
ein Anspruch auf Dienstbefreiung von 77 Arbeitsstunden. Wird Dienstbefreiung
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im Umfang von einer Woche (48 Arbeitsstunden) mit 500 € bewertet (vgl. Streit-
wertbeschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 24. September 2008), so er-
gibt sich für das Beschwerdeverfahren ein Streitwert von 802 €.
Herbert
Groepper
Dr. Heitz