Urteil des BVerwG vom 14.03.2017

BVerwG ()

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 3.09
OVG 4 L 572/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Januar 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
des Landes Sachsen-Anhalt vom 2. September 2008 wird
verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 1 852,82 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen. Sie ist nicht innerhalb von zwei
Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils, das der Kläger angreift,
begründet worden (§ 133 Abs. 3 Satz 1 und 2 VwGO). Die Beschwerdebegrün-
dung ist am letzten Tag der Begründungsfrist entgegen § 133 Abs. 3 Satz 2
VwGO und der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils
nicht bei dem Oberverwaltungsgericht, sondern per Telefax beim Bundesver-
waltungsgericht eingereicht worden. Erst am Folgetag - also nach Ablauf der
Beschwerdebegründungsfrist und damit verspätet - wurde die Beschwerdebe-
gründung an das Oberverwaltungsgericht übermittelt.
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Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegrün-
dungsfrist zu gewähren (§ 60 Abs. 1 VwGO).
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Der Kläger trägt hierzu vor: Sein Prozessbevollmächtigter habe den Entwurf der
Beschwerdebegründung am Nachmittag des letzten Tages der Begründungs-
frist zu Ende diktiert. Eine Kanzleimitarbeiterin habe bei der maschinenschriftli-
chen Anfertigung des Schriftsatzes versehentlich die aufgrund eines vorange-
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gangenen Revisionsverfahrens des Klägers (BVerwG 9 C 5.06) im Rechner
gespeicherte Anschrift und Telefaxnummer des Bundesverwaltungsgerichts
eingefügt. Sein Prozessbevollmächtigter habe dieses Versehen nach der Un-
terzeichnung des Schriftsatzes bemerkt und angeordnet, dass der Schriftsatz
an das Oberverwaltungsgericht zu richten und „das Deckblatt“ (die Seite 1) ent-
sprechend ausgetauscht werden müsse. Die angewiesene Kanzleiangestellte
habe die Seite auch abgeändert, ausgedruckt und in die Akte „auf den Schrift-
satz“ bzw. „zu dem Schriftsatz“ gelegt. Anschließend habe sie die Kanzlei ver-
lassen. Es sei dann Aufgabe einer anderen Mitarbeiterin gewesen, den Schrift-
satz per Telefax zu übermitteln und die Frist zu kontrollieren. Das fehlerhafte
„Deckblatt“ sei aber nicht ausgewechselt gewesen. Diese zweite Mitarbeiterin
habe die verschiedenen Anschriften nicht bemerkt, „so dass das ursprüngliche
Exemplar … versehentlich an das Bundesverwaltungsgericht gefaxt“ worden
sei. Anschließend habe sie dem Prozessbevollmächtigten bestätigt, dass der
Übermittlungsvorgang technisch ordnungsgemäß verlaufen sei. Erst am Folge-
tag sei festgestellt worden, dass die fehlerhafte Seite nicht ausgewechselt und
der Schriftsatz mit dem fehlerhaften „Deckblatt“ gefaxt worden war und die kor-
rigierte Seite noch „hierneben in der Akte“ lag.
Bei diesem Sachverhalt kann der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand keinen Erfolg haben, weil der Kläger nicht ohne Verschulden gehindert
war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten. Ein Verschulden i.S.v. § 60
Abs. 1 VwGO liegt vor, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt,
die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahr-
nehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und
ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war. Dabei
ist ihm ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigen zuzurechnen (§ 173
VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
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Die Richtigkeit des vorstehend wiedergegebenen Geschehens unterstellt, trifft
den Prozessbevollmächtigten des Klägers ein eigenes Verschulden, unabhän-
gig von Versäumnissen seiner Kanzleiangestellten, weil er selbst durch schuld-
haftes Verhalten eine wesentliche Ursache dafür gesetzt hat, dass die Frist zur
Beschwerdebegründung nicht eingehalten wurde. Denn er hat es zugelassen,
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dass das von ihm als fehlerhaft erkannte „Deckblatt“, die Seite 1 des Beschwer-
debegründungsschriftsatzes, mit der unzutreffenden Adressierung an das Bun-
desverwaltungsgericht im Geschäftsgang seiner Kanzlei verblieb, ohne hinrei-
chende Vorsorge dagegen zu treffen, dass dieses Schriftstück aufgrund der
fehlerhaften Adressierung an das unzutreffende Gericht übermittelt wurde. Zu
solcher Vorsorge bestand für den Prozessbevollmächtigten des Klägers hier
besonderer Anlass, weil er den Schriftsatz bereits unterschrieben hatte, er auf
eine weitere eigene Kontrolle der zutreffenden Adressierung desselben verzich-
ten wollte und die Korrektur und Übermittlung des Schriftsatzes im arbeitsteili-
gen, aber - wie der Streitfall zeigt - fehleranfälligen Wechsel verschiedener
Kanzleimitarbeiterinnen erledigt werden sollten. Das eigene Verschulden des
Prozessbevollmächtigten des Klägers bestand hier darin, dass er, nachdem er
die unzutreffende Adressierung des Schriftsatzes erkannt hatte, die fehlerhafte
Seite nicht sofort aus dem Geschäftsbetrieb seiner Kanzlei entfernte oder „un-
gültig“ machte, z.B. indem er durch Zerreißen dieser Seite oder Durchstreichen
der Adressierung kenntlich machte, dass diese Version nicht an das auf Seite 1
fälschlicherweise als Adressaten ausgewiesene Gericht übermittelt werden soll-
te, und dadurch zugleich sicherstellte, dass dies auch nicht infolge eines Verse-
hens geschehen konnte (vgl. Beschluss vom 28. Februar 2008 - BVerwG 9 VR
2.08 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 262 Rn. 6 f. = DÖV 2008, 517; VGH Kas-
sel, Beschluss vom 9. Januar 2004 - 9 UZ 3444/03 - NVwZ-RR 2004, 386 f.).
Nachdem die unzutreffende Adressierung von dem Prozessbevollmächtigten
des Klägers erkannt worden war, bestand kein Grund, die fehlerhafte Seite 1 in
der Entwurfsfassung (d.h. mit unkorrigierter Adressierung) aufzubewahren. Sie
gehörte umgehend aus dem Kanzleibetrieb entfernt oder jedenfalls als nicht zur
Versendung bestimmt kenntlich gemacht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
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Dr.
Storost
Domgörgen
Buchberger