Urteil des BVerwG vom 14.03.2017

BVerwG ()

Rechtsquellen:
WHG
§ 31
BNatSchG
§ 18 Abs. 1
BNatSchG a. F.
§ 8 Abs. 1
FFH-RL
Art. 6 Abs. 4
Stichworte:
Wasserrechtliche Planfeststellung; Eingriff in Natur und Landschaft; Ausgleich-
maßnahmen; Ersatzmaßnahmen; Maßnahmen der Kohärenzsicherung.
Leitsatz:
Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für anderweit zugelassene Eingriffe in Natur
und Landschaft nach § 19 Abs. 2 BNatSchG (= § 8 Abs. 3 BNatSchG a. F.) kön-
nen ihrerseits selbst Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne des § 18 Abs. 1
BNatSchG (= § 8 Abs. 1 BNatSchG a.F.) darstellen.
Beschluss des 7. Senats vom 28. Januar 2009 - BVerwG 7 B 45.08
I. VG Schleswig vom 24.09.2006 - Az.: VG 12 A 162/00 -
II. OVG Schleswig vom 24.06.2008 - Az.: OVG 4 LB 15/06 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 45.08
OVG 4 LB 15/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Januar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Krauß und Neumann
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen
Oberverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2008 wird zurückge-
wiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen,
die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerde-
verfahren auf 25 000 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
I
Die Kläger sind in Schleswig-Holstein anerkannte Naturschutzverbände; sie wen-
den sich gegen einen wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss der beklagten
Freien und Hansestadt Hamburg.
Die Beklagte stellte durch einen inzwischen bestandskräftigen Beschluss vom
8. Mai 2000 einen Plan der EADS-Airbus-GmbH fest, durch den die Vorausset-
zungen dafür geschaffen werden sollten, deren Werksgelände in Hamburg-
Finkenwerder zu erweitern, um dort das Großraumflugzeug A 380 zu fertigen. Der
Planfeststellungsbeschluss gestattete unter anderem, eine Teilfläche des Mühlen-
berger Loches zu verfüllen. Das Mühlenberger Loch ist eine gering durchströmte
Bucht der Elbe mit tidebeeinflussten Vorland- und Süßwasserwattflächen. Mit sei-
ner teilweisen Verfüllung ist ein Eingriff in Natur und Landschaft verbunden. Der
Planfeststellungsbeschluss vom 8. Mai 2000 behielt Maßnahmen zum Ausgleich
für diesen Eingriff einer gesonderten Entscheidung vor. Vorgesehen waren dabei
unter anderem Maßnahmen auf dem Gebiet des Landes Schleswig-Holstein, näm-
lich im Bereich der Haseldorfer Marsch und des Twielenflether Sandes.
Die Haseldorfer Marsch ist von der Haseldorfer Binnenelbe, deren Prielen und
zahlreichen Wasserläufen durchzogen. Ursprünglich lag sie vor dem Deich und
war der Tide ausgesetzt. Seit einer Verlegung des Landesschutzdeichs in den
siebziger Jahren liegt ein Teil der Haseldorfer Marsch hinter dem Deich und ist
vom Tideeinfluss abgeschnitten. Hierdurch sind die hinter dem Deich gelegenen
Abschnitte der Binnenelbe und der Priele zu Stillgewässern geworden. Der Twie-
lenflether Sand ist ein Polder, der weiterhin vor dem Landesschutzdeich liegt. Er
ist durch niedrige Deiche und ein Siel vor dem Einströmen von Tiden bis zu einer
bestimmten Höhe geschützt. Große Teile der Haseldorfer Marsch einschließlich
des Twielenflether Sandes sind als Naturschutzgebiet ausgewiesen, der Europäi-
schen Kommission als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung nach der Fauna-
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Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) vorgeschlagen und als Vogelschutzgebiet nach
der Vogelschutzrichtlinie gemeldet.
Durch den hier angefochtenen Planfeststellungsbeschluss vom 22. Mai 2000 setz-
te die Beklagte naturfachliche Ersatzmaßnahmen für den Eingriff in das Mühlen-
berger Loch im Bereich der Haseldorfer Marsch und des Twielenflether Sandes
fest. Der Planfeststellungsbeschluss sieht den Einbau eines Sielbauwerkes in den
Landesschutzdeich zur Wiederherstellung des Tideeinflusses in einem Teil der
Haseldorfer Marsch sowie die Verstärkung des Tideeinflusses auf den Twie-
lenflether Sand vor.
Auf die Klage der Kläger hat das Verwaltungsgericht den Planfeststellungsbe-
schluss der Beklagten vom 22. Mai 2000 aufgehoben. Das Oberverwaltungsge-
richt hat die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen durch das angefoch-
tene Urteil zurückgewiesen und im Kern ausgeführt: Der Planfeststellung hafte ein
gravierender Abwägungsmangel an. Er betreffe die Grundzüge der Planung und
könne nicht durch eine ergänzende Planfeststellung behoben werden. Die plan-
festgestellte Ersatzmaßnahme greife nachhaltig in ein bereits besonders hochwer-
tiges Habitat ein. Sie verändere nachhaltig den dortigen Zustand, der im Wesentli-
chen durch Stillgewässer und Überschwemmungswiesen geprägt werde. Sie tau-
sche lediglich einen schützenswerten Lebensraumtyp gegen einen anderen aus.
Auf diese Weise könne nur ein vergleichsweise sehr geringer Ausgleich für die
teilweise Zerstörung des hochwertigen Ästuars "Mühlenberger Loch" bewirkt wer-
den. Deshalb sei eine Prüfung von Alternativen unverzichtbar gewesen. Eine sol-
che Prüfung habe die Beklagte aber ausdrücklich nicht vorgenommen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.
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II
Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulas-
sung der Revision liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
a) Nicht klärungsbedürftig ist die Frage,
ob die Eignung einer Ersatzmaßnahme bei einer Zulassung
des Eingriffsvorhabens und der Ersatzmaßnahme durch se-
parate Planfeststellungsbeschlüsse Voraussetzung für die
Zulässigkeit des Planfeststellungsbeschlusses für die Er-
satzmaßnahme ist.
Die Frage stellt sich nicht in der von der Beklagten formulierten Weise. Die Ant-
wort findet sich zudem nicht in § 74 Abs. 3 VwVfG, den die Beklagte in diesem
Zusammenhang bemüht. Zumindest missverständlich ist, wenn die Beklagte da-
nach fragt, ob die Eignung einer Ersatzmaßnahme Voraussetzung für die Zuläs-
sigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses ist, mit der die Ersatzmaßnahme zuge-
lassen wird. Zutreffender Ausgangspunkt der Überlegungen des Oberverwal-
tungsgerichts ist, dass die konkret in Rede stehende Maßnahme sich als Ausbau
eines Gewässers im Sinne des § 31 WHG darstellt. Sie bedarf deshalb ihrerseits
einer Planfeststellung. Diese Planfeststellung erfordert wiederum eine umfassende
Abwägung aller für und gegen das Vorhaben sprechenden öffentlichen und priva-
ten Belange. Das Oberverwaltungsgericht hat dabei darauf abgestellt, zu den ab-
wägungserheblichen Belangen gehöre die Eignung der vorgesehenen Maßnahme,
den Eingriff in ein schützenswertes Habitat auszugleichen, der durch einen ande-
ren Planfeststellungsbeschluss zugelassen ist. Dass die Eignung der Maßnahme
für den Ausgleich des anderweit zugelassenen Eingriffs zu den abwägungserheb-
lichen Belangen gehört, liegt in dieser Fallgestaltung auf der Hand und bedarf kei-
ner Klärung in einem Revisionsverfahren. Als öffentlicher Belang für das geplante
Vorhaben streitet in dieser Fallgestaltung allein die Notwendigkeit, einen anderweit
zugelassenen Eingriff auszugleichen. Das Gewicht dieses Belanges in der Abwä-
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gung hängt maßgeblich davon ab, ob und in welchem Umfang die Maßnahme ge-
eignet ist, den von ihr erwarteten Ausgleich zu bewirken.
b) Keine Zulassung der Revision rechtfertigt die weitere Frage,
ob bei der Bestimmung der Aufwertungsbedürftigkeit eines
Gebietes die Bedeutung zu berücksichtigen ist, die das Ge-
biet für die Durchführung von Maßnahmen zur Kohärenzsi-
cherung hat.
Die Frage stellt sich in dieser Allgemeinheit nicht. Wird sie auf ihren entschei-
dungserheblichen Kern reduziert, liegt die Antwort ohne Weiteres auf der Hand
und muss nicht erst in einem Revisionsverfahren gefunden werden.
Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, die bereits zuvor ökologisch
hochwertige Haseldorfer Marsch erfahre durch ihre Umwandlung in ein tidebeein-
flusstes Gebiet nur eine vergleichsweise geringwertige ökologische Verbesserung.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Aufwertungsfähigkeit und –bedürftigkeit des
Gebietes damit nicht vollständig verneint. Es hat vielmehr entscheidungstragend
darauf abgestellt, dass die Beklagte unter dieser Voraussetzung die Haseldorfer
Marsch nur dann für die beabsichtigte Ausgleichsmaßnahme hätte in Anspruch
nehmen dürfen, wenn es zu ihr keine alternative Fläche gegeben hätte, die eben-
falls in ein tidebeeinflusstes Gebiet hätte umgewandelt werden können.
Die Richtigkeit dieser Erwägung ändert sich nicht dadurch, dass die Schaffung
eines tidebeeinflussten Gebietes als Ausgleichsmaßnahme im Sinne des Art. 6
Abs. 4 Satz 1 FFH-RL erforderlich ist, um nach der teilweisen Vernichtung des
tidebeeinflussten Mühlenberger Loches die Kohärenz des europäischen ökologi-
schen Netzes besonderer Schutzgebiete sicherzustellen. Ob eine bereits für sich
ökologisch wertvolle Fläche allein deshalb aufwertungsbedürftig und aufwertungs-
fähig ist, weil auf ihr eine kohärenzsichernde Ausgleichsmaßnahme im Sinne des
Art. 6 Abs. 4 Satz 1 FFH-RL verwirklicht werden kann und soll, bedarf so lange
keiner abschließenden Entscheidung, als für kohärenzsichernde Ausgleichsmaß-
nahmen andere Flächen zur Verfügung stehen, auf denen sie verwirklicht werden
können, ohne dass zugleich für sich genommen wertvolle und schützenswerte
Lebensraumtypen beseitigt werden müssen. Die vom Oberverwaltungsgericht ent-
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scheidungstragend vermisste Prüfung und Abwägung von Alternativen ist auch in
diesem Falle erforderlich.
Zwar hat das Oberverwaltungsgericht an anderer Stelle seines Urteils (S. 38 letz-
ter Absatz) die Auffassung anklingen lassen, die Sicherstellung der Kohärenz sei
schon bei der Planung des Eingriffs und nicht erst bei der Planung und Festset-
zung der notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu prüfen; unter Umständen müsse
von dem Eingriff Abstand genommen werden, wenn der mögliche Ausgleich alter-
nativlos ein ökologisch hochwertiges Gebiet von Grund auf schädigen oder gar
vernichten müsste. Dabei handelt es sich aber um eine nicht mehr entscheidungs-
tragende Erwägung. Denn sie setzt voraus, dass eine Alternative für die Aus-
gleichsmaßnahme nicht besteht. Hiervon ist das Oberverwaltungsgericht nicht
ausgegangen.
c) Keiner Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfen die weiteren Fragen,
ob naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen Eingrif-
fe in Natur und Landschaft darstellen können,
und
ob die Zulassung einer Ersatzmaßnahme, deren Realisie-
rung mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden ist,
die Festsetzung eines Ausgleichs für diese weiteren Eingriffe
erfordert.
Die Fragen beantworten sich unmittelbar aus dem Gesetz und rechtfertigen des-
halb nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Nach § 18 Abs. 1 BNatSchG sind Eingriffe in Natur und Landschaft Veränderun-
gen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der
belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die
Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild
erheblich beeinträchtigen können. Das Bundesnaturschutzgesetz enthielt in seiner
hier noch anzuwendenden früheren Fassung der Bekanntmachung vom
21. September 1998 (BGBl I S. 2994) mit § 8 Abs. 1 eine weitgehend sachgleiche
Regelung.
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Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für Eingriffe in Natur und Landschaft greifen
regelmäßig auf Flächen zurück, die sich ihrerseits bereits in einem naturhaften
Zustand befinden und Teil der Landschaft sind. Ausgleichs- und Ersatzmaßnah-
men zielen auf eine Veränderung dieser Flächen. Es liegt auf der Hand, dass ih-
nen die Eignung, die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder
das Landschaftsbild erheblich zu beeinträchtigen, nicht allein deshalb von vorn-
herein abgesprochen werden kann, weil die Behörde mit diesen Maßnahmen ei-
nen Ausgleich für einen anderweitig zugelassenen Eingriff ins Werk setzen will.
Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen scheiden deshalb nicht schon ihrer Zielrich-
tung wegen begrifflich als Eingriff in Natur und Landschaft aus.
Wegen eines naturschutznäheren Endziels kann die Behörde Maßnahmen ergrei-
fen, die zunächst eine Beeinträchtigung des bestehenden naturhaften Zustands
darstellen. Erweist sich die Maßnahme in der naturschutzfachlichen Gesamtbilanz
als günstig, stellt sie also insbesondere eine wesentliche Verbesserung des be-
stehenden Zustandes dar, bedarf der mit der Maßnahme zunächst bewirkte Ein-
griff keiner weiteren Kompensation durch Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Die
an sich erforderliche Kompensation geht in die ökologische Gesamtbilanz regel-
mäßig ein. Weist diese Gesamtbilanz keine Verbesserung der in Anspruch ge-
nommenen Fläche aus, hat die Ausgleichsmaßnahme und damit der mit ihr ver-
bundene Eingriff regelmäßig zu unterbleiben. Dies entspricht der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts (Gerichtsbescheid vom 10. September 1998 -
BVerwG 4 A 35.97 - NVwZ 1999, 532 <534>).
Im Einzelfall kann es sich indes anders verhalten. Hier hat das Oberverwaltungs-
gericht angenommen, die geplante Ersatzmaßnahme werde lediglich zur Um-
wandlung eines wertvollen Habitats in ein anderes ebenfalls wertvolles Habitat
führen, ohne dass sich die naturschutzfachliche Gesamtbilanz als günstig erweist.
Das Oberverwaltungsgericht hat es gleichwohl für möglich gehalten, die Ersatz-
maßnahme zu verwirklichen, weil als Ausgleich für den anderweit vorgenomme-
nen Eingriff ein Habitat bestimmter Art namentlich als kohärenzsichernde Maß-
nahme geschaffen werden muss. Es hat aber angenommen, dass in dieser Fall-
gestaltung der durch die Ersatzmaßnahme bewirkte Eingriff in Natur und Land-
schaft nicht schon in der Gesamtbilanz kompensiert ist, sondern eines gesonder-
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ten Ausgleichs bedarf. Diese Auffassung leitet sich folgerichtig aus dem darge-
stellten rechtlichen Ansatz ab, der sich seinerseits unmittelbar aus dem Wortlaut
der Vorschrift und der hierzu bereits ergangenen Rechtsprechung ergibt. Weiterer
Klärungsbedarf besteht deshalb nicht.
d) Ebenfalls nicht klärungsbedürftig ist die Frage,
ob Ersatzmaßnahmen, die zu einer grundlegenden Verände-
rung der Biotopstruktur des Maßnahmegebietes und zu ei-
nem im Vergleich zu dem zu kompensierenden Eingriff ge-
ringen Aufwertungserfolg führen, nur dann geeignet sind,
wenn keine Standortalternative besteht.
Trotz einer im Weiteren missverständlichen Formulierung (S. 34 Mitte des Urteils)
hat das Oberverwaltungsgericht nach seinem eindeutigen rechtlichen Ansatz
(S. 32 Mitte des Urteils) nicht die naturschutzfachliche Eignung der Ersatzmaß-
nahme davon abhängig gemacht, dass es keine Alternative zu der in Anspruch
genommenen Fläche gibt. Die Überlegungen des Oberverwaltungsgerichts betref-
fen in diesem Punkt vielmehr die allgemeine fachplanerische Abwägung. Wie be-
reits erwähnt, stellt sich die geplante Ersatzmaßnahme als Ausbau eines Gewäs-
sers im Sinne des § 31 WHG dar. Sie muss deshalb durch einen Planfeststel-
lungsbeschluss und kann demgemäß nur auf der Grundlage einer Abwägung aller
öffentlichen und privaten Belange zugelassen werden, die für und gegen das Vor-
haben sprechen. Als öffentlicher Belang streitet für das geplante Vorhaben die
Notwendigkeit, einen anderweit zugelassenen Eingriff (nämlich die Teilverfüllung
des Mühlenberger Loches) auszugleichen. Das Oberverwaltungsgericht hat fest-
gestellt, dass die hierfür in Anspruch genommene Fläche ihrerseits ein besonders
hochwertiges Habitat darstellt, das durch die geplante Maßnahme nachhaltig ver-
ändert wird, mit der Folge, dass nur ein vergleichsweise sehr geringwertiger Aus-
gleich für die teilweise Zerstörung des Mühlenberger Loches bewirkt werden kann.
Es liegt auf der Hand, dass in einer solchen Fallgestaltung für die allgemeine
fachplanerische Abwägung von erheblicher Bedeutung ist, ob die geplante Er-
satzmaßnahme ebenso gut auf anderen Flächen verwirklicht werden kann. Eben-
so wenig bedarf einer Klärung in einem Revisionsverfahren, dass es einen erheb-
lichen Abwägungsfehler darstellt, wenn bei dieser Fallgestaltung die Prüfung von
Alternativen vollständig unterblieben ist. Mithin geht es nur um die Anforderungen,
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die das allgemeine fachplanerische Abwägungsgebot stellt. Diese sind indes in
der Rechtsprechung hinreichend geklärt. Ihre Anwendung auf den konkreten Ein-
zelfall wirft keine Fragen auf, die nur in einem Revisionsverfahren geklärt werden
könnten.
e) In dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre die abschlie-
ßend aufgeworfene Frage,
ob bei einer Anfechtungsklage gegen einen Planfeststel-
lungsbeschluss nachträgliche, auf den Zeitpunkt der Plan-
feststellung rückwirkende Änderungen zwingender Vorgaben
der Planfeststellung auch ohne eine ergänzende oder sons-
tige weitere Abwägungsentscheidung der Planfeststellungs-
behörde im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Überprü-
fung zu beachten sind.
Die Beklagte greift damit die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts an, sie hät-
te im Rahmen ihrer Abwägung berücksichtigen müssen, dass die geplante Er-
satzmaßnahme nachhaltig in ein besonders hochwertiges Habitat eingreift. Dass
es sich um einen nachhaltigen Eingriff in das vorhandene Habitat handelt, hat das
Oberverwaltungsgericht unter anderem daraus hergeleitet, dass die Maßnahme
mit den Erhaltungszielen nicht vereinbar ist, die im Zeitpunkt der Abwägung in der
einschlägigen Naturschutzgebietsverordnung niedergelegt waren. Die Beklagte ist
demgegenüber der Auffassung, das Oberverwaltungsgericht hätte die Schutzziele
berücksichtigen müssen, die durch eine Änderungsverordnung nach Erlass des
Planfeststellungsbeschlusses, aber rückwirkend bezogen auf dessen Erlass fest-
gelegt worden sind.
Das Oberverwaltungsgericht hat diese rückwirkende Änderung der Schutzziele
zum einen mit der Erwägung nicht berücksichtigt, dass für die planerische Abwä-
gung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Plan
maßgebend ist. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts. Danach sind spätere Änderungen der Sach- und Rechtslage grundsätzlich
nicht geeignet, einer zuvor getroffenen Abwägungsentscheidung nachträglich den
Stempel der Rechtmäßigkeit oder Fehlerhaftigkeit aufzudrücken (Urteil vom
1. April 2004 - BVerwG 4 C 2.03 – BVerwGE 120, 276 <283>).
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Ob diese Rechtsprechung für die wasserrechtliche Planfeststellung aus den Grün-
den modifiziert werden kann, die in der erwähnten Entscheidung des Bundesver-
waltungsgerichts für die straßenrechtliche Planfeststellung angeführt sind, kann
offen bleiben. Das Oberverwaltungsgericht hat nämlich zum anderen darauf abge-
stellt, dass die rückwirkende Änderung der Naturschutzgebietsverordnung unwirk-
sam ist. Das Oberverwaltungsgericht hat sich hierfür auf die nicht revisible Vor-
schrift des § 54 Abs. 4 LNatSchG a.F. gestützt: Er sehe den rückwirkenden Erlass
einer Verordnung nur dann vor, wenn sie eine Regelung ersetze, die auf einem
Verfahrens- oder Formfehler beruhe. Um einen solchen Tatbestand ging es hier
nicht. Der Senat wäre deshalb in dem angestrebten Revisionsverfahren an die
Auffassung des Oberverwaltungsgerichts gebunden, dass die Schutzziele für das
in Anspruch genommene Gebiet nicht rückwirkend auf den Zeitpunkt der Abwä-
gungsentscheidung geändert worden sind.
2. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts weicht nicht im Verständnis von § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab,
welche die Beklagte bezeichnet hat.
a) Die Beklagte leitet aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli
1990 - BVerwG 4 C 26.87 - (Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 18, S. 27 <36>)
zutreffend den abstrakten Rechtssatz ab, ein Planfeststellungsbeschluss sei im
Hinblick auf die Prüfung von Standortalternativen erst dann abwägungsfehlerhaft,
wenn die Planfeststellungsbehörde eine sich aufdrängende Standortalternative
nicht geprüft habe (ebenso beispielsweise: Urteile vom 8. Juli 1998 - BVerwG 11 A
53.97 - BVerwGE 107, 142 <149> und vom 9. April 2003 - BVerwG 9 A 37.02 -
NVwZ 2003, 1393). Das Oberverwaltungsgericht hat keinen abstrakten Rechtssatz
aufgestellt, der dem ausdrücklich oder auch nur der Sache nach widerspricht.
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Das Oberverwaltungsgericht hat der Beklagten vorgeworfen, sie habe nicht ge-
prüft, ob eine Ausgleichsmaßnahme der hier geplanten Art am Standort „Borg-
horster Elbwiesen" hätte verwirklicht werden können. Ohne dies ausdrücklich zu
sagen, ist das Oberverwaltungsgericht dabei der Sache nach davon ausgegan-
gen, dass sich diese Alternative der Beklagten im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts hätte aufdrängen müssen. Das Oberverwaltungsge-
richt legt im Einzelnen dar, die zuständigen deutschen Behörden hätten der Gene-
raldirektion Umwelt der Europäischen Kommission als Ergebnis einer umfassen-
den Suche nach alternativen Ausgleichsmaßnahmen glaubwürdig dargelegt, alter-
native Ausgleichsmaßnahmen anstelle der Haseldorfer Marsch könnten nur in den
Borghorster Elbwiesen durchgeführt werden. Wie das Oberverwaltungsgericht
ebenfalls ausführt, haben die naturschutzfachlichen Feststellungen der deutschen
Behörden nach Aussagen der Europäischen Kommission bestätigt, dass die
Borghorster Elbwiesen auf Grund der Lebensraumtypen und -arten, die dort ange-
siedelt werden könnten, grundsätzlich als Alternative zur Haseldorfer Marsch in
Betracht kommen könnten und das bestehende Defizit hinsichtlich der (noch) nicht
umgesetzten Ausgleichsmaßnahme in der Haseldorfer Marsch hinreichend aus-
gleichen könnten. Auch ohne dass das Oberverwaltungsgericht dies noch eigens
wörtlich hervorheben musste, lag auf der Hand, dass eine solche Alternative sich
bereits der Planfeststellungsbehörde hätte aufdrängen müssen, weil sie ernsthaft
in Betracht kam. Das Oberverwaltungsgericht hat damit der Sache nach keine ge-
ringeren Anforderungen als das Bundesverwaltungsgericht an die Pflicht der Plan-
feststellungsbehörde gestellt, ernsthaft in Betracht kommende Alternativen auch
ernsthaft in Betracht zu ziehen und zu prüfen.
Dem widerspricht nicht die weitere Aussage in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts, es spreche vieles dafür, dass sich diese offenkundig ernsthafte Alternative
als vorzugswürdig hätte aufdrängen können. Das Oberverwaltungsgericht hat mit
der Formulierung „es spreche vieles dafür“ nicht offen gelassen, ob die Alternative
„Borghorster Elbwiesen“ sich der Beklagten als Alternative zur Prüfung hätte auf-
drängen müssen. Zu unterscheiden ist zwischen dem Abwägungsvorgang und
dem Abwägungsergebnis. Der Abwägungsvorgang ist fehlerhaft, wenn die Plan-
feststellungsbehörde Alternativen gar nicht erst prüft, die ernsthaft in Betracht ka-
men und sich ihr in diesem Sinne aufdrängen mussten. Ob eine Alternative, die
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ernsthaft in Betracht kam und von der Planfeststellungsbehörde auch ernsthaft
geprüft wurde, sich in der Abwägung im Ergebnis durchsetzt, ist hingegen eine
andere Frage. Demgemäß ist der Maßstab für die gerichtliche Überprüfung des
Abwägungsergebnisses ein anderer. Es ist Aufgabe der Planfeststellungsbehörde,
sich ein wertendes Gesamturteil über die Planungsalternativen zu bilden und da-
bei einen Belang einem anderen vorzuziehen. Die Grenzen ihrer planerischen
Gestaltungsfreiheit sind erst überschritten, wenn eine andere Alternative sich unter
Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere,
weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere darstellen würde, sich
diese Lösung der Behörde also hätte aufdrängen müssen (vgl. beispielsweise Be-
schluss vom 12. April 2005 - BVerwG 9 VR 41.04 - NVwZ 2005, 943 <947>). An-
ders ausgedrückt: Das Oberverwaltungsgericht hält es an der von der Beklagten
aufgegriffenen Stelle seiner Entscheidungsgründe für naheliegend, dass sich die
offenkundig ernsthaft in Betracht kommende Alternative „Borghorster Elbwiesen“
auch im Abwägungsergebnis als vorzugswürdig hätte durchsetzen müssen. Erst
recht musste eine vom Oberverwaltungsgericht so umschriebene Alternative im
Abwägungsvorgang berücksichtigt, also von der Behörde als sich aufdrängende
Alternative geprüft werden.
b) Das Oberverwaltungsgericht weicht auch nicht in anderer Hinsicht entschei-
dungserheblich von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juli 1990
- BVerwG 4 C 26.87 - (Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 18) ab.
Die Beklagte meint, das Bundesverwaltungsgericht habe in jener Entscheidung die
Missachtung einer sich aufdrängenden Planungsalternative als Abwägungsdefizit
oder als Abwägungsfehleinschätzung eingestuft, während das Oberverwaltungs-
gericht einen solchen Mangel als Abwägungsausfall einordne. Indes widerspricht
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Sache nach nicht der Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt einen Ab-
wägungsfehler an, wenn die Planfeststellungsbehörde durch Missachtung einer
bestimmten sich aufdrängenden Planungsalternative abwägungserhebliche Be-
lange übersehen oder fehlgewichtet hat. Das Oberverwaltungsgericht nimmt einen
Abwägungsfehler an, weil die Beklagte die sich aufdrängende Alternative „Borg-
horster Elbwiesen“ übersehen und nicht geprüft hat. Der zutreffenden begrifflichen
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Einordnung eines Abwägungsfehlers kommt nach der Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts ersichtlich keine entscheidende Bedeutung zu. Im Übrigen
bezeichnet das Oberverwaltungsgericht die unterbliebene Prüfung einer vorhan-
denen Alternative als Abwägungsdefizit (S. 39 des Urteils) und steht damit in
Übereinstimmung mit dem abstrakten Rechtssatz, den die Beklagte dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts entnehmen will.
c) Die Beklagte entnimmt dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. März
1997 - BVerwG 4 C 10.96 - (BVerwGE 104, 144 <149 f.>) den abstrakten Rechts-
satz, die Eignung des Standorts eines planfeststellungspflichtigen Vorhabens sei
nur auf der Ebene der fachplanerischen Abwägung zu prüfen und von der nach-
folgenden Prüfungsstufe der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung unabhängig.
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts enthält keinen hiervon abweichenden
abstrakten Rechtssatz. Es befasst sich nur mit der fachplanerischen Abwägung für
die Zulassung des Vorhabens und stimmt insoweit mit den Anforderungen über-
ein, die das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang aufstellt. Das
Oberverwaltungsgericht behandelt die Wahl des Standorts und das Ausscheiden
von alternativen Standorten als Bestandteil der fachplanerischen Abwägung. Ge-
genstand des Planfeststellungsbeschlusses war eine Ausgleichsmaßnahme für
einen anderweit zugelassenen Eingriff. Das Oberverwaltungsgericht hat ange-
nommen, diese Maßnahme stelle ihrerseits einen Eingriff in Natur und Landschaft
dar, der ausgleichsbedürftig sei. Eine Ausgleichsmaßnahme hierfür war in dem
angefochtenen Planfeststellungsbeschluss aber nicht vorgesehen. Das Oberver-
waltungsgericht befasst sich in seiner Entscheidung nur mit der Zulassung der
Ausgleichsmaßnahme in ihrer Eigenschaft als eigenständiger Eingriff. Mangels
einer hierfür festgesetzten Ausgleichsmaßnahme ist das Oberverwaltungsgericht
nicht zur Prüfung des § 8 BNatSchG a.F. vorgedrungen.
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3. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor, jedenfalls beruht das
angefochtene Urteil auf ihnen nicht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht gegen den Überzeugungsgrundsatz des
§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen. Gemäß dieser Vorschrift entscheidet das
Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen
Überzeugung. Das Gebot der freien Beweiswürdigung verpflichtet unter anderem
dazu, bei Bildung der Überzeugung von einem zutreffend und vollständig ermittel-
ten Sachverhalt auszugehen. Übergeht das Tatsachengericht wesentliche Um-
stände, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, fehlt
es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Ge-
richts sowie für die Überprüfung seiner Entscheidung darauf, ob die Grenze einer
objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungs-
sätze beachtenden Würdigung überschritten ist (beispielsweise: Beschluss vom
7. Juli 2008 - BVerwG 3 B 110.07 - juris).
Dass dem Oberverwaltungsgericht ein solcher Fehler unterlaufen ist, kann nicht
festgestellt werden.
Die Beklagte verweist zwar zutreffend darauf, das Oberverwaltungsgericht habe
den Sachverhalt für seine Entscheidung tragend dahin gewürdigt, die vorgesehe-
ne Rückführung der Haseldorfer Marsch in ein tidebeeinflusstes Gebiet bringe in
ihrer ökologischen Bewertung allenfalls eine Wiedergutmachung von geringem
ökologischen Gewicht mit sich, die auch nicht annähernd in der Lage sein könne,
die vollständige Vernichtung der von der Erweiterung des EADS-Airbus-Geländes
erfassten Süßwasserwattflächen im Mühlenberger Loch mit ihrer herausragenden
Bedeutung für eine Vielzahl geschützter Tier- und Pflanzenarten auszugleichen.
Richtig ist ferner, dass dieser notwendige Ausgleich nicht allein durch die hier in
Rede stehende Maßnahme bewirkt werden soll. Wie das Oberverwaltungsgericht
selbst im Tatbestand seines Urteils mitteilt, ist eine weitere Ausgleichsmaßnahme
(Hahnöfersand) in Niedersachsen vorgesehen. Hierauf ist das Oberverwaltungs-
gericht in seiner Sachverhaltswürdigung nicht mehr ausdrücklich eingegangen.
Daraus kann aber nicht geschlossen werden, das Oberverwaltungsgericht habe
diesen Umstand aus seiner Würdigung ausgeblendet.
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Das Gericht muss sich nicht mit allen Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten
und des festgestellten Sachverhalts in den Gründen seiner Entscheidung aus-
drücklich auseinandersetzen. Wenn das Gericht einzelne Umstände nicht erwähnt,
kann daraus regelmäßig nicht geschlossen werden, das Gericht habe diese Um-
stände bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen. Vielmehr ist grundsätz-
lich davon auszugehen, dass das Gericht seiner Pflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO genügt und seiner Entscheidung das Vorbringen der Beteiligten sowie den
festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde gelegt hat. Erst wenn
das Gericht in seiner Entscheidung Tatsachen unerwähnt lässt, deren Entschei-
dungserheblichkeit sich aufdrängt, spricht dies dafür, dass es den entsprechenden
Tatsachenstoff entweder nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls nicht in
Erwägung gezogen hat (Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE
96, 200 <209 f.>).
Dass in Niedersachsen eine weitere Ausgleichsmaßnahme geplant war, gehörte
nicht zu den Umständen, deren Entscheidungserheblichkeit sich aufdrängte und
mit denen das Oberverwaltungsgericht sich deshalb in seiner Sachverhaltswürdi-
gung ausdrücklich auseinandersetzen musste. Das Oberverwaltungsgericht hat
festgestellt, dass die Teilverfüllung des Mühlenberger Loches ein ökologisch be-
sonders wertvolles Gebiet teilweise vernichtet, mithin einen hohen Ausgleichsbe-
darf auslöst. Wie die Beklagte selbst vorträgt, soll die hier streitige Maßnahme im
Bereich der Haseldorfer Marsch und des Twielenflether Sandes allein mehr als
zwei Drittel des gesamten Kompensationsbedarfs decken. Das Oberverwaltungs-
gericht hat festgestellt, dass durch die Ausgleichsmaßnahme im Bereich der Ha-
seldorfer Marsch und des Twielenflether Sandes nur ein sehr geringwertiger Aus-
gleich bewirkt werden kann. Damit lag ohne Weiteres auf der Hand, dass diese
Maßnahme nicht den auf sie entfallenden Kompensationsbedarf decken konnte.
Auch ohne dass das Oberverwaltungsgericht dies noch eigens erwähnen musste,
ist seine Sachverhaltswürdigung dahin zu verstehen, dass auch unter Berücksich-
tigung der Maßnahme im Bereich des Hahnöfersandes der verbleibende Kompen-
sationsbedarf durch die hier streitige Maßnahme auch nicht annähernd gedeckt
werden konnte.
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b) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt
von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO). Jedenfalls ist ein solcher Ver-
fahrensfehler nicht ausreichend dargelegt.
Die Beklagte wirft dem Oberverwaltungsgericht vor, es hätte aufklären müssen, ob
bereits bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses die Borghorster Elbwiesen als
alternativer Standort für die geplante Ausgleichsmaßnahme zur Verfügung ge-
standen hätten. Hätte das Oberverwaltungsgericht in diese Richtung ermittelt, hät-
te sich nach dem Vortrag in der Beschwerde ergeben, dass im Gebiet der Borg-
horster Elbwiesen bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses noch ein anderes
Projekt geplant gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses sei
mithin diese Alternative nicht in Betracht gekommen und hätte deshalb von ihr
- der Beklagten - auch nicht in Betracht gezogen werden müssen.
Die Beklagte hat nicht dargelegt, auf Grund welcher Umstände sich dem Ober-
verwaltungsgericht eine Aufklärung des Sachverhalts in die von ihr aufgezeigte
Richtung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen. Die Kläger hatten im Beru-
fungsverfahren unter Vorlage entsprechender Schreiben der Generaldirektion
Umwelt der Europäischen Kommission darauf hingewiesen, dass dieser die Borg-
horster Elbwiesen als alternativer Standort für die bisher nicht verwirklichte Aus-
gleichsmaßnahme im Bereich der Haseldorfer Marsch bezeichnet worden war.
Dieser Vorgang lag zwar zeitlich später als der Erlass des Planfeststellungsbe-
schlusses. Solange keine gegenteiligen konkreten Erkenntnisse vorlagen, war je-
doch der Schluss ohne Weiteres gerechtfertigt, dass diese Flächen auch schon im
Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses als möglicher Standort
für eine Ausgleichsmaßnahme zur Verfügung gestanden hatten. Dies gilt umso
mehr, als die Beklagte im Berufungsverfahren nicht darauf hingewiesen hat, dass
die Borghorster Elbwiesen bei Erlass des Planfeststellungsbeschlusses noch als
Standort eines anderen Projekts vorgesehen waren. Dass im Streit über einen
Planfeststellungsbeschluss Standortalternativen als notwendiger Teil der Abwä-
gung entscheidungserheblich sind, musste für die Beklagte auf der Hand liegen.
Soweit allein ihr bekannte Gründe vorlagen, die gegen die Verfügbarkeit des in
das Verfahren eingeführten alternativen Standorts schon zum Zeitpunkt des Plan-
feststellungsbeschlusses sprachen, musste sie diese vortragen. Mangels konkre-
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ter Anhaltspunkte hatte jedenfalls das Oberverwaltungsgericht keinen Anlass, von
sich aus in diese Richtung zu ermitteln.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Die
Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52
Abs. 1 GKG (zur Bemessung des Streitwerts bei Verbandsklagen von Natur-
schutzvereinen vgl. Beschluss vom 31. Januar 2006 - BVerwG 4 B 49.05 -
NVwZ 2006, 823 <829>).
Sailer
Krauß
Neumann
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