Urteil des BVerwG vom 08.06.2004

BVerwG (treu und glauben, abweisung der klage, beseitigung, verwirkung, verhältnis zu, grundstück, durchleitung, kenntnis, unterlassen, landesrecht)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 B 115.04
OVG 3 R 2/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K r a u ß und N e u m a n n
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des
Saarlandes vom 8. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Be-
schwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kos-
ten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 3 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Kläger begehren die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, durch eine
Entwässerungsleitung, die ihr - der Kläger - Grundstück durchquert, andere Abwäs-
ser als diejenigen eines bestimmten Anwesens abzuleiten. Die Beklagte hatte die
Leitung im Einverständnis der Voreigentümer durch das (seinerzeit unbebaute)
Grundstück der Kläger verlegt, um ein einzelnes Anwesen an die gemeindliche Ka-
nalisation anzuschließen. Nach Erwerb des Grundstücks stießen die Kläger bei Aus-
schachtungsarbeiten für ein Bauvorhaben im Jahre 1991 auf die Entwässerungslei-
tung, von der sie bis dahin keine Kenntnis hatten. In Absprache mit den Klägern ver-
legte die Beklagte die Entwässerungsleitung tiefer, so dass sie die genehmigte Be-
bauung des Grundstücks nicht mehr hinderte. Im Jahre 2000 beschloss die Beklagte
einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan zu Gunsten eines Vorhabens der Beige-
ladenen. Das Neubaugebiet soll über die Leitung im Grundstück der Kläger entwäs-
sert werden.
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Auf die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht unter Abweisung der
Klage im Übrigen die Beklagte auf einen Hilfsantrag der Kläger verurteilt, es zu unter-
lassen, durch die Entwässerungsleitung im Grundstück der Kläger andere Abwässer
als diejenigen des ursprünglich angeschlossenen Anwesens abzuleiten. Auf die zu-
gelassene Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht durch das ange-
fochtene Urteil die Klage auch mit dem Hilfsantrag abgewiesen. Es hat angenom-
men, Rechtsgrundlage für den Unterlassungsanspruch sei § 1004 Abs. 1 BGB. Das
Eigentum der Kläger werde nur durch das Vorhandensein der Entwässerungsleitung
als solcher beeinträchtigt, nicht aber dadurch, dass durch sie Abwässer anderer Her-
kunft als von dem ursprünglich allein angeschlossenen Anwesen durchgeleitet wür-
den. Die Kläger könnten die Unterlassung einer Durchleitung von Abwässern anderer
Herkunft nur als Minus zu einem Anspruch auf Beseitigung der Abwasserleitung ver-
langen. Einen solchen Anspruch hätten sie aber nicht, weil er verwirkt sei. Das Ober-
verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen
richtet sich die Beschwerde der Kläger.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die allein geltend ge-
machte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1. Die Kläger halten zum einen die Frage für klärungsbedürftig, ob auch die Durchlei-
tung von Abwasser durch ein im Eigentum der Gemeinde stehendes Rohr das Eigen-
tum an dem Grundstück im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB beeinträchtigt. Diese Fra-
ge rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Soweit die Antwort nicht ohnehin in
den tatsächlichen Umständen des jeweiligen Einzelfalles gesucht werden muss, liegt
sie auf der Hand und muss deshalb nicht erst in einem Revisionsverfahren gefunden
werden.
Die Kläger knüpfen mit ihrer Frage an die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts
an, die Nutzung des vorhandenen Abwasserkanals stelle im Verhältnis zu dessen
Existenz für sich genommen (abstrakt) keine (weitere) Beeinträchtigung des Eigen-
tums dar, die Gegenstand eines selbstständigen Unterlassungsanspruchs sein kön-
ne. Ob diese Auffassung in ihrer Allgemeinheit richtig ist, kann offen bleiben. Denn
das Oberverwaltungsgericht hat darüber hinaus in Würdigung der konkreten Verhält-
nisse festgestellt, dass sich der Anschluss weiterer Grundstücke an die Abwasserlei-
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tung und die damit einhergehende Durchleitung weiteren Abwassers auf das Grund-
stück der Kläger und dessen Nutzung tatsächlich nicht nachteilig auswirken. Es ver-
steht sich aber von selbst, dass unter dieser tatsächlichen Voraussetzung eine Ei-
gentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB im Ergebnis selbst
dann nicht zu besorgen ist, wenn auch die Nutzung einer vorhandenen Abwasserlei-
tung rechtlich als selbstständige Beeinträchtigung des Eigentums in Betracht kom-
men sollte.
2. Die Kläger möchten ferner die Frage geklärt wissen, ob der längere Zeitraum,
während dessen der Berechtigte als Voraussetzung einer Verwirkung seines An-
spruchs untätig geblieben sein muss, auch dann an den "Kernanspruch" - d.h. den
Anspruch auf Beseitigung des Abwasserrohrs - anknüpft, wenn dieser Anspruch ver-
traglich oder gesetzlich funktional eingeschränkt ist.
Die Kläger nehmen mit ihrer Frage den rechtlichen Ausgangspunkt des Oberverwal-
tungsgerichts hin. Von ihm ausgehend beantwortet sich die Frage wiederum von
selbst, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
Weil die Durchleitung weiteren Abwassers durch die vorhandene Entwässerungslei-
tung nicht Gegenstand eines selbstständigen Unterlassungsanspruchs sein könne,
kommt es nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts darauf an, ob die Kläger
die Beseitigung der Abwasserleitung verlangen könnten, denn dann könnten sie als
ein Minus auch verlangen, dass die Entwässerungsleitung nicht über das bisherige
Maß hinaus genutzt wird. Im Gegensatz zum Oberverwaltungsgericht meinen die
Kläger aber, dass ihr auf dieses Minus gerichteter Unterlassungsanspruch einer ei-
genständigen Verwirkung zugänglich sei, also nur dann verwirkt sein könne, wenn
seit der ersten Möglichkeit, den auf das Minus gerichteten Anspruch geltend zu ma-
chen, längere Zeit verstrichen sei, ohne dass die Kläger rechtswahrend tätig gewor-
den wären. Nach Auffassung der Kläger darf deshalb die Verwirkung nur an ihre
Kenntnis von der Absicht der Beklagten anknüpfen, die vorhandene Abwasserleitung
für die Entwässerung des geplanten Neubaugebiets zu nutzen. Insoweit haben die
Kläger allerdings (unstreitig) von vornherein keinen Zweifel daran aufkommen lassen,
dass sie eine Nutzung der vorhandenen Entwässerungsleitung über das bisherige
Maß hinaus mit rechtlichen Mitteln bekämpfen werden. Träfe die Auffassung des
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Oberverwaltungsgerichts zu, bestünde der Anspruch der Kläger auf Unterlassen der
Durchleitung weiteren Abwassers jedoch nicht mehr, wenn der Anspruch auf Beseiti-
gung der Entwässerungsleitung (der "Kernanspruch" in der Terminologie der Kläger)
verwirkt wäre. Ein "Minus" könnten die Kläger auch nur dann beanspruchen, wenn
der Anspruch als solcher noch durchsetzbar wäre. Folgerichtig hat das Oberverwal-
tungsgericht deshalb darauf abgestellt, ob die Kläger nach Kenntnis von der Existenz
der Entwässerungsleitung den Eindruck haben entstehen lassen, dass sie sich mit
der Entwässerungsleitung abgefunden haben und auf ihre Beseitigung nicht mehr
zurückkommen werden.
Die Kläger werfen dem Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang vor, es
verstoße gegen die Denkgesetze. Den Klägern ist einzuräumen, dass die Ausführun-
gen des Oberverwaltungsgerichts zumindest missverständlich sind. Das Oberverwal-
tungsgericht nimmt einerseits an, die Kläger hätten mit Kenntnis von der Existenz der
Entwässerungsleitung ihren Anspruch auf deren Beseitigung geltend machen kön-
nen, damit aber über neun Jahre zugewartet. Andererseits ist das Oberverwaltungs-
gericht der Ansicht, die Beklagte hätte aufgrund dieses langen Zuwartens der Kläger
darauf vertrauen dürfen, dass die Kläger ihren Anspruch auf Beseitigung der Ent-
wässerungsleitung nicht mehr geltend machen. Dieses Vertrauen ist nach Auffas-
sung des Oberverwaltungsgerichts mit Blick auf die Investitionen geschützt, welche
die Beklagte für die Tieferlegung der Leitung aufgewandt hat. Dies ist, wie den Klä-
gern einzuräumen ist, missverständlich, wenn nicht widersprüchlich, weil die Beklagte
ihr Vertrauen bereits betätigt hatte, bevor die Kläger längere Zeit haben verstreichen
lassen, ohne ihren Anspruch auf Beseitigung der Entwässerungsleitung geltend zu
machen, und damit bevor der Vertrauenstatbestand überhaupt gesetzt war. Indem
die Kläger diesen Widerspruch darlegen, haben sie aber auch nicht sinngemäß eine
Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen.
Verwirkung eines Rechts ist nur eine von den unterschiedlichen Ausprägungen des
Grundsatzes von Treu und Glauben. Die Ausübung eines Rechts kann nach Treu
und Glauben auch aus anderen Gründen unzulässig sein als aus denen, die zu sei-
ner Verwirkung führen. Hierzu gehört auch der Einwand, der Rechtsinhaber setze
sich treuwidrig zu seinem eigenen vorausgegangenen Verhalten in Widerspruch.
Dies ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit langem aner-
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kannt (vgl. etwa Beschluss vom 13. August 1996 - BVerwG 4 B 135.96 - Buchholz
406.19 Nachbarschutz Nr. 135). Der Sache nach hat das Oberverwaltungsgericht
hierauf abgestellt. Für das Oberverwaltungsgericht war allein entscheidend, dass die
Kläger in Kenntnis der sie beeinträchtigenden Entwässerungsleitung es wider-
spruchslos hingenommen haben, dass die Beklagte weitere Investitionen tätigte,
nämlich die Leitung tiefer legte. Die Kläger haben nach den tatsächlichen Feststel-
lungen des Oberverwaltungsgerichts die Beklagte durch ihr Einverständnis mit dieser
Baumaßnahme darin bestärkt, dass es mit der Tieferlegung der Entwässerungslei-
tung sein Bewenden haben sollte. Hierzu setzten sie sich in Widerspruch, wenn sie
später den Beseitigungsanspruch dennoch geltend machen. Auf den vom Oberver-
waltungsgericht auch erörterten Zeitablauf kam es daneben nicht entscheidend an.
Die Kläger halten den Ansatz des Oberverwaltungsgerichts jedenfalls deshalb für
unrichtig, weil die Entwässerungsleitung nach ihrer Funktion nur ein Provisorium ge-
wesen sei, das mit dem Anschluss eines Neubaugebiets die Funktion einer endgülti-
gen Lösung erhalten habe. Hieran anknüpfend meinen sie, verwirkt sein könne allen-
falls ihr Anspruch auf Beseitigung des Provisoriums, weil sie nur bezogen hierauf
nach Kenntnis von ihm untätig geblieben seien. Dem liegt die Vorstellung zugrunde,
dass die Entwässerungsleitung mit dem Anschluss des Neubaugebiets ihre Funktion
wandelt und infolgedessen rechtlich nicht mehr dieselbe ist wie diejenige, deren Be-
seitigung die Kläger infolge Verwirkung nicht mehr verlangen können. Mit diesem
Funktionswandel entsteht aus der Sicht der Kläger der Beseitigungsanspruch gleich-
sam erneut. Die Kläger gehen damit aber an den bindenden tatsächlichen Feststel-
lungen des Oberverwaltungsgerichts vorbei, dass die Entwässerungsleitung bereits
mit ihrer Tieferlegung den Charakter einer endgültigen Lösung angenommen hat und
sie ihrer Funktion nach auch geeignet ist, das Abwasser des geplanten Neubauge-
biets aufzunehmen.
Von alledem abgesehen, ist die aufgeworfene Frage nicht klärungsfähig, weil der
Senat in dem angestrebten Revisionsverfahren unterstellen könnte, dass der An-
spruch auf ein Unterlassen der Durchleitung weiteren Abwassers als Minus zum An-
spruch auf Beseitigung der Entwässerungsleitung anders als dieser nicht verwirkt ist.
Ein Anspruch der Kläger müsste auch in diesem Fall daran scheitern, dass die Nut-
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zung der Entwässerungsleitung über das bisherige Maß hinaus nicht nachteilig auf
ihr Grundstück einwirkt.
Die Frage ist darüber hinaus auch deshalb in einem Revisionsverfahren nicht klä-
rungsfähig, weil sie sich nach irrevisiblem Landesrecht beantwortet. Der Rechtsge-
danke der Verwirkung ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben. Das Ge-
bot, sich so zu verhalten, wie Treu und Glauben es verlangen, gehört zu den allge-
meinen Grundsätzen sowohl des Verwaltungsrechts des Bundes als auch des Ver-
waltungsrechts der Länder. Welchem Rechtskreis dieser Grundsatz im Einzelfall zu-
zurechnen ist, hängt von der Qualität des Rechts ab, zu dessen Ergänzung er jeweils
herangezogen wird: Bundesrecht wird durch bundesrechtliche allgemeine Grundsät-
ze, Landesrecht wird durch landesrechtliche allgemeine Grundsätze ergänzt (vgl.
etwa Bundesverwaltungsgericht Beschluss vom 29. Oktober 1997 - BVerwG 8 B
194.97 - Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 88). Hier geht es um die Ergänzung ei-
nes Abwehranspruchs, der nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts aus einer
entsprechenden Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB herzuleiten ist. Auch
diese Bestimmung wird nicht unmittelbar als Bundesrecht angewandt. Sie wird wie-
derum nur ergänzend als allgemeiner Grundsatz herangezogen. Der auf eine ent-
sprechende Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB gestützte Unterlassungsan-
spruch gehört dem Bundesrecht an, wenn das staatliche Handeln, dessen Unterlas-
sen beansprucht wird, dem Bundesrecht zugeordnet ist. Ist dieses staatliche Han-
deln hingegen landesrechtlich geordnet, gehört auch der auf sein Unterlassen ge-
richtete Anspruch dem Landesrecht an. Aus dem insoweit jeweils einschlägigen
Recht ergibt sich, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene das staatliche
Handeln hinzunehmen hat. Die allgemeinen Regeln über die Folgen fehlerhaften
staatlichen Handelns gehören dem Recht an, das fehlerhaft angewandt worden ist.
Hier richtet sich nach Landesrecht sowohl die Pflicht der Gemeinden, Grundstücke
zu entwässern und die dafür erforderlichen Anlagen herzustellen und zu betreiben
(§ 50a SWG), als auch die Pflicht von Grundstückseigentümern, die Durchleitung
von Abwässern zu dulden (§ 93 SWG). Demnach gehört der geltend gemachte Un-
terlassungsanspruch ebenso wie die Voraussetzungen seiner Verwirkung dem irrevi-
siblen Landesrecht an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwert-
festsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und § 72
Nr. 1 GKG.
Sailer Krauß Neumann