Urteil des BVerwG vom 29.09.2005

BVerwG: juristische person, beleihung, ausnahme, privatisierung, verordnung, ermächtigung, thüringen, verwaltung, form, eingriff

Rechtsquellen:
GG
Art. 33 Abs. 4
KrW-/AbfG
§ 40 Abs. 1; § 41 Abs. 1, 3 und 4; § 63
ThürAbfG
§§ 5, 24 Abs. 9 Satz 1; § 27
ThürSAbfÜVO
§§ 2 und 3
Stichworte:
Abfall, besonders überwachungsbedürftiger; Überwachung der Nachweisfüh-
rung; Funktionsvorbehalt für Beamte; Beleihung; Ordnungswidrigkeit; Zustän-
digkeit.
Leitsatz:
Der Funktionsvorbehalt für Beamte (Art. 33 Abs. 4 GG) schließt es nicht aus,
auf gesetzlicher Grundlage die Überwachung der Entsorgung besonders über-
wachungsbedürftiger Abfälle auf eine juristische Person des Privatrechts zu
übertragen.
Beschluss des 7. Senats vom 29. September 2005 - BVerwG 7 BN 2.05
I. OVG Weimar vom 18.01.2005 - Az.: OVG 2 N 875/02 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 7 BN 2.05
OVG 2 N 875/02
In der Normenkontrollsache
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hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. September 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Ober-
verwaltungsgerichts vom 18. Januar 2005 wird zurückge-
wiesen.
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Die Antragstellerinnen tragen als Gesamtschuldner die
Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese
selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Antragstellerinnen erzeugen, befördern und entsorgen im Freistaat Thürin-
gen besonders überwachungsbedürftige Abfälle. Mit ihren Normenkontrollan-
trägen wenden sie sich gegen die Thüringer Sonderabfallüberwachungsverord-
nung (ThürSAbfÜVO) vom 16. November 2000 (GVBl S. 372), geändert durch
Verordnung vom 2. Mai 2002 (GVBl S. 203), durch deren § 1 die Thüringer Ge-
sellschaft zur Überwachung der Sonderabfallentsorgung mbH (TÜS) mit in § 2
im Einzelnen aufgeführten öffentlichen Aufgaben beliehen wurde. Nach Auffas-
sung der Antragstellerinnen ist die Beleihung unvereinbar mit dem beamten-
rechtlichen Funktionsvorbehalt (Art. 33 Abs. 4 GG) und dem Gebot demokrati-
scher Legitimation staatlichen Handelns (Art. 20 Abs. 2 GG). Das Oberverwal-
tungsgericht hat den Normenkontrollantrag abgelehnt, weil der Antragsgegner
mit der in der Verordnung bestimmten Fachaufsicht der oberen Abfallbehörde
sowie in seiner Eigenschaft als Alleingesellschafter der Beigeladenen über hin-
reichende Einwirkungs- und Kontrollbefugnisse verfüge und die Beleihung
durch die Sachkunde und die Erfahrungen der Beigeladenen auf dem Gebiet
der Sonderabfallentsorgung gerechtfertigt sei. Das Oberverwaltungsgericht hat
die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Be-
schwerde der Antragstellerinnen hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeu-
tung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Antragstellerinnen halten für klärungsbedürftig, ob die hoheitliche Aufgabe,
die Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle zu kontrollieren,
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auch dann auf eine juristische Person des Privatrechts übertragen werden darf,
wenn diese nicht zur Zuweisung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle
befugt ist. Nach Ansicht der Antragstellerinnen verstößt die Begrenzung der
Privatisierung auf die Überwachungsaufgabe gegen den Funktionsvorbehalt für
Beamte (Art. 33 Abs. 4 GG), weil für eine derart beschränkte Aufgabenübertra-
gung kein sachlicher Grund bestehe. Die Frage rechtfertigt nicht die Zulassung
der Revision, da sie sich anhand des Art. 33 Abs. 4 GG und der hierzu ergan-
genen Rechtsprechung ohne weiteres im bejahenden Sinn beantworten lässt.
Nach dieser Verfassungsnorm ist die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse
als ständige Aufgabe in der Regel Beamten i.S.d. Art. 33 Abs. 4 GG zu über-
tragen. Schon aus dem Wortlaut des Art. 33 Abs. 4 GG folgt, dass auch ständi-
ge Hoheitsaufgaben auf Nichtbeamte übertragen werden können, eine solche
Übertragung allerdings die Ausnahme bleiben muss (BVerfGE 9, 268 <284>;
Urteil vom 27. Oktober 1978 - BVerwG 1 C 15.75 - BVerwGE 57, 55 <59>). Die
Erfüllung hoheitlicher Aufgaben durch Private erfordert eine Übertragung durch
Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes (BVerfG - Kammerbeschluss -, NJW
1987, 2501 <2502>; Urteil vom 23. Mai 1995 - BVerwG 1 C 32.92 - BVerwGE
98, 280 <298>). Die Aufgaben zu bestimmen, die von Nichtbeamten wahrge-
nommen werden dürfen, ist Sache des Gesetzgebers. Dieser hat das verfas-
sungsrechtlich gebotene Regel-Ausnahme-Verhältnis als eine Art "Wesensge-
haltsgarantie für den Aufgabenbereich der Beamten" (Maunz, in: Maunz/Dürig/
Herzog, Art. 33 GG Rn. 42) zu beachten. Die funktionale Privatisierung von Ho-
heitsaufgaben muss deshalb durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein, die
das Regel-Ausnahme-Verhältnis nicht in Frage stellen. Ob eine gesetzlich nor-
mierte Übertragung von Hoheitsaufgaben auf Private diesem Erfordernis ge-
nügt, ist entsprechend dem Zweck des Art. 33 Abs. 4 GG, die Kontinuität ho-
heitlicher Funktionen des Staates mittels des Prinzips ihrer Wahrnehmung
durch Beamte zu sichern (BVerfGE 88, 103 <114>; BVerfG - Kammerbe-
schluss -, BayVBl 1988, 268 <269>), im Wege der verhältnismäßigen Zuord-
nung des die Privatisierung rechtfertigenden Sachgrunds und der Intensität der
damit verbundenen Beeinträchtigung des verfassungsrechtlich vorgegebenen
Strukturprinzips zu beurteilen (vgl. hierzu auch Strauß, Funktionsvorbehalt und
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Berufsbeamtentum. Zur Bedeutung des Art. 33 Abs. 4 GG, 2000, S. 144 ff.,
207 ff. jeweils m.w.N.).
Hieran gemessen ist die Verfassungsmäßigkeit der Übertragung der hoheitli-
chen Entsorgungsüberwachung auf die Beigeladene nicht zweifelhaft. In der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass die Über-
tragung öffentlicher Aufgaben zur selbständigen Wahrnehmung durch Private
(Beleihung) mit Art. 33 Abs. 4 GG grundsätzlich vereinbar ist (Urteil vom
27. Oktober 1978, a.a.O. S. 60). Die Beleihung der Beigeladenen mit der Auf-
gabe, die Nachweisführung für die Entsorgung besonders überwachungsbe-
dürftiger Abfälle zu überwachen, beruht auf der erforderlichen gesetzlichen Er-
mächtigung (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, 5 und 7 und Satz 2 des Thüringer Abfall-
wirtschaftsgesetzes vom 15. Juni 1999 , zuletzt
geändert durch Gesetz vom 25. November 2004 ). Der Landes-
gesetzgeber ist befugt, die für die Überwachung der Entsorgung besonders
überwachungsbedürftiger Abfälle zuständige Stelle zu bestimmen (§ 63 i.V.m.
§ 40 Abs. 1 und § 41 Abs. 1, 3 und 4 KrW-/AbfG). Der Antragsgegner hat von
der gesetzlichen Ermächtigung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise
Gebrauch gemacht, indem er der Beigeladenen die Aufgabe übertragen hat, im
einzelnen bezeichnete Vorschriften der Nachweisverordnung (NachwV) in der
jeweils geltenden Fassung zur Überwachung der Einholung und Handhabung
sowie zur Bestätigung des Entsorgungsnachweises, zur Einrichtung und Füh-
rung der Nachweisbücher sowie zur Freistellung von Nachweispflichten hin-
sichtlich der vorgesehenen und der durchgeführten Entsorgung zu vollziehen
und die Genehmigung über die Zulässigkeit der Verbringung besonders über-
wachungsbedürftiger Abfälle zur Beseitigung aus anderen Bundesländern nach
Thüringen zu erteilen (§ 2 Abs. 1 ThürSAbfÜVO).
Gegenstand der Beleihung der Beigeladenen sind hiernach Überwachungsauf-
gaben und die Erteilung der Verbringungsgenehmigung im Bereich der Entsor-
gung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle. Die Aufgabenübertragung
erfasst einen eng begrenzten Ausschnitt aus den Vollzugsaufgaben nach dem
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Die Aufgaben betreffen im Wesentlichen
die Kontrolle der in der Nachweisverordnung vorgeschriebenen Führung von
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Entsorgungsnachweisen und sind damit im Vergleich zu sonstigen hoheitlichen
Tätigkeiten von eher untergeordneter Bedeutung. Die ordnungsgemäße Über-
wachung der Nachweisführung begründet keinen verstärkten Eingriff in grund-
rechtlich geschützte Positionen der Antragstellerinnen, da das Handeln des
Beliehenen durch die Nachweisverordnung strikt gebunden ist. Unter diesem
Blickwinkel macht es deshalb keinen erheblichen Unterschied, ob die Kontroll-
aufgaben durch staatliche Behörden oder in der Form materiellöffentlicher Ver-
waltung durch Private erfüllt werden. Angesichts dessen kann keine Rede da-
von sein, dass die funktionale Privatisierung dieser Aufgaben dem verfassungs-
rechtlich bestimmten Regel-Ausnahme-Verhältnis widerspricht.
Die funktionale Privatisierung der Überwachungsaufgaben bei der Entsorgung
besonders überwachungsbedürftiger Abfälle ist auch sachlich gerechtfertigt.
Die der Beigeladenen übertragenen Aufgaben erfordern einen besonderen
Sachverstand und eine effiziente Organisation bei der Wahrnehmung der Kon-
trollbefugnisse. Die Beigeladene verfügt nach den tatsächlichen Feststellungen
des Oberverwaltungsgerichts, die nicht mit einer zulässigen und begründeten
Verfahrensrüge angegriffen worden sind, seit Jahren über spezielle Erfahrun-
gen im Umgang mit besonders überwachungsbedürftigen Abfällen. Sie besitzt
infolgedessen eine besondere Eignung, die damit zusammenhängenden ho-
heitlichen Aufgaben selbständig wahrzunehmen. Bereits diese Sachkompetenz
ist ein hinreichender sachlicher Grund dafür, sie mit den entsprechenden
Überwachungsaufgaben zu betrauen. Auf die missverständlichen Erwägungen
des Oberverwaltungsgerichts zur Rechtfertigung der Beleihung durch eine Op-
timierung von Vermeidungs- und Verwertungspotentialen, Entsorgungswegen
und Entsorgungskapazitäten im Bereich der Sonderabfallentsorgung kommt es
deshalb nicht an. Das verkennen die Antragstellerinnen mit ihrer Annahme, die
Überwachung der Entsorgung besonders überwachungsbedürftiger Abfälle dür-
fe nur dann auf Private übertragen werden, wenn diese auch für die Lenkung
der Abfallströme zuständig seien. Ein Rechtssatz des Inhalts, dass im Bereich
der Abfallentsorgung nur solche Aufgaben privatisiert werden dürften, die nach
der Konzeption des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes durch die Entsor-
gungsverantwortung der privaten Abfallerzeuger und -besitzer geprägt sind,
lässt sich dem Urteil des Senats vom 13. April 2000 - BVerwG 7 C 47.98 -
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Buchholz 451.221 § 13 KrW-/AbfG Nr. 5 S. 17 <26 f.>) nicht entnehmen. Aus
diesem Grund ist auch der von den Antragstellerinnen geltend gemachte Zu-
lassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) nicht gegeben.
Die weitere Frage der Antragstellerinnen, ob die Übertragung der sachlichen
Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten auf die
Beigeladene höherrangigem Rechtes entspricht, kann schon deswegen nicht
zur Zulassung der Revision führen, weil die angegriffene Norm insoweit kein
zulässiger Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens sein kann. Nach § 47
Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Oberverwaltungsgericht "im Rahmen sei-
ner Gerichtsbarkeit" über die Gültigkeit von Normen. Dies hat zur Folge, dass
Bestimmungen rein ordnungswidrigkeitsrechtlichen Inhalts nicht der Prüfung im
Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO unterliegen, weil gegen die auf sol-
che Normen gestützten Bußgeldbescheide nach § 68 OWiG allein die ordentli-
chen Gerichte angerufen werden können (Beschluss vom 27. Juli 1995
- BVerwG 7 NB 1.95 - BVerwGE 99, 88 <96 f.>; zuletzt Urteil vom 17. Februar
2005 - BVerwG 7 CN 6.04 - NVwZ 2005, 695).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 und § 162 Abs. 3
VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3
i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Sailer Kley Herbert
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