Urteil des BVerwG vom 25.05.2005

BVerwG: oberrhein, kausalzusammenhang, eisenbahn, lärm, aufklärungspflicht, verkehr, basel, beweisantrag, erstellung, realisierung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 B 45.04
VGH 5 S 387/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Mai 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S t o r o s t
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R u b e l und
Dr. N o l t e
beschlossen:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 11. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 86 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist
unbegründet.
1. Die Divergenzrüge der Beigeladenen, mit der sie geltend macht, das Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs weiche, soweit es um die Anordnung eines Entscheidungs-
vorbehalts über ergänzende Erschütterungsschutzmaßnahmen im Zusammenhang
mit dem "Bypass Oberrhein" geht, von zwei Entscheidungen des Bundesverwal-
tungsgerichts ab (Urteil vom 1. Juli 1988 - BVerwG 4 C 49.86 - Buchholz 407.4 § 17
FStrG Nr. 76 und Beschluss vom 11. November 1996 - BVerwG 11 B 65.96 - Buch-
holz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 5), greift nicht durch. Sie erfüllt bereits nicht die An-
forderungen, die § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung eines solchen Zulas-
sungsgrundes stellt. Danach ist eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich be-
stimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz be-
nennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines obersten Bundes-
gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwen-
dung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26
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m.w.N.). Einen solchen abweichenden Rechtssatz des Verwaltungsgerichtshofs be-
nennt die Beschwerde jedoch nicht. Sie macht lediglich geltend, zwischen der Ver-
kehrszunahme im Zusammenhang mit der Errichtung eines etwaigen "Bypass Ober-
rhein", die den Verwaltungsgerichtshof zur Anordnung eines Entscheidungsvorbe-
halts veranlasst habe, und dem planfestgestellten Vorhaben und seinen Auswirkun-
gen bestehe nicht der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gefor-
derte "Kausalzusammenhang". Vielmehr sei die Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts, wonach die Verkehrslärmschutzverordnung keine Schutzansprüche
für die Eigentümer solcher Grundstücke begründe, die nicht von dem auf einer neu-
en Eisenbahn-Zweigstrecke entstehenden Lärm betroffen werden, sondern lediglich
von der Verkehrs- und Lärmzunahme, die auf der Stammstrecke infolge des Neu-
baus eintrete, auf den hier zu beurteilenden Fall "uneingeschränkt übertragbar". Da-
mit zeigt die Beschwerde aber lediglich eine - vermeintlich - fehlerhafte oder unter-
bliebene Anwendung von Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts auf, die die
Zulassung der Revision nicht begründen kann (BVerwG, Beschluss vom 19. August
1997 - a.a.O.).
Unabhängig hiervon ist eine Abweichung des Verwaltungsgerichtshofs von den ge-
nannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts auch nicht erkennbar. Der
von der Beschwerde hervorgehobene "Kausalzusammenhang" bezieht sich nach der
zitierten Rechtsprechung ausschließlich darauf, dass es für die Berechnung des
nach § 2 Abs. 1 der 16. BImSchV maßgeblichen Beurteilungspegels allein auf den
von dem zu bauenden oder zu ändernden Verkehrsweg ausgehenden Verkehrslärm
ankommt. Deswegen wird Lärm, der nicht gerade auf der zu bauenden oder zu än-
dernden Strecke entsteht, nicht berücksichtigt. Daraus folgt, dass Grundstückseigen-
tümern Ansprüche nach der 16. BImSchV nicht zustehen, wenn ihre Grundstücke
nicht von dem von einer planfestgestellten Aus- oder Neubaustrecke ausgehenden
Lärm betroffen werden, sondern lediglich von der Verkehrs- und Lärmzunahme, die
infolge des Vorhabens an anderen Teilen des Streckennetzes auftritt. Dagegen kann
hieraus nicht der Schluss gezogen werden, in die Ermittlung von Immissionen dürf-
ten nicht diejenigen Einwirkungen prognostisch einbezogen werden, die sich auf der
planfestzustellenden Aus- oder Neubaustrecke erst aufgrund von baulichen Maß-
nahmen an anderen Strecken ergeben. Denn auch diese Einwirkungen "entstehen"
im maßgeblichen Prognosezeitpunkt auf der planfestzustellenden Aus- oder Neu-
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baustrecke und wirken auf die Grundstücke der dortigen Anlieger ein unabhängig
davon, welche weiteren Gründe für ihr Auftreten verantwortlich sein mögen. Davon
ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausgegangen.
2. Als grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wirft die Be-
schwerde folgende Frage auf:
Muss die Planfeststellungsbehörde dem Vorhabenträger bei der geplanten Er-
weiterung einer Eisenbahn-Stammstrecke im Planfeststellungsbeschluss
Schutzvorkehrungen (ggf. im Wege eines Vorbehalts gemäß § 74 Abs. 3
VwVfG) bezüglich Schall- und Erschütterungswirkungen auferlegen, die daraus
resultieren (können), dass es bahninterne, politisch jedoch noch nicht im Rah-
men der Bundesverkehrswegeplanung umgesetzte Langfristplanungen für den
künftigen Bau einer Eisenbahn-Zweigstrecke gibt, die ihrerseits zu einer Ver-
kehrszunahme auf der Stammstrecke führen kann?
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Denn sie lässt sich, soweit
sie nicht ohnehin höchstrichterlich geklärt ist, auf der Grundlage der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten, ohne dass es hierzu
der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
Unter welchen Voraussetzungen die Bewältigung nachteiliger Wirkungen durch ein
Planvorhaben gemäß § 74 Abs. 3 VwVfG einer späteren abschließenden Prüfung
und Entscheidung vorbehalten bleiben kann, ist in der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts geklärt. Danach muss sich aufgrund besonderer Anhaltspunkte
die konkrete Möglichkeit abzeichnen, dass nachteilige Wirkungen in absehbarer Zeit
eintreten werden, ihr Ausmaß sich jedoch noch nicht abschätzen lässt, sodass sie
mangels hinreichender Zuverlässigkeit der Voraussagen ihres Eintretens noch kei-
nen Anlass zu Anordnungen nach § 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfG geben, sich aber
auch nicht dem Bereich nicht voraussehbarer Wirkungen nach § 75 Abs. 2 Satz 2
bis 4 VwVfG zuordnen lassen (BVerwG, Urteil vom 22. November 2000 - BVerwG
11 C 2.00 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 55 S. 17 ff.). Ob auch "bahninterne, poli-
tisch jedoch noch nicht im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung umgesetzte
Langfristplanungen" diese Anforderungen erfüllen können, hängt danach von der
Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung und dem hierfür erforderlichen Zeitraum ab
und lässt sich deswegen nicht von vornherein verneinen.
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Von diesen Grundsätzen ist der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen. Ob er sie zu-
treffend angewandt hat, ist eine Frage des Einzelfalls, die auch im Blick auf die hier-
für erforderlichen tatsächlichen Feststellungen die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache nicht begründen kann.
Grundsätzliche Bedeutung gewinnt die aufgeworfene Frage auch nicht dadurch,
dass sich die "bahninternen" Planungen nicht unmittelbar auf die hier in Rede ste-
hende Bahnstrecke beziehen, sondern auf den Neubau einer weiteren Strecke ("By-
pass Oberrhein"), der eine Verkehrszunahme auf der jetzt planfestgestellten Strecke
bewirken kann. Die Beschwerde meint offenbar, dass dieser Zusatzverkehr bei der
Ermittlung der Erschütterungseinwirkungen mangels Kausalzusammenhangs zwi-
schen Vorhaben und Beeinträchtigung nicht berücksichtigt werden dürfe. Damit ist
zunächst keine spezielle Frage des § 74 Abs. 3 VwVfG aufgeworfen, sondern eine
solche nach dem Regelungsumfang von § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. Denn der er-
wähnte Kausalzusammenhang muss auch im Falle einer Schutzvorkehrung nach
dieser Vorschrift gegeben sein. Insoweit ist allerdings in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts - u.a. aufgrund des erwähnten Beschlusses vom
11. November 1996 (a.a.O.) - geklärt, dass es für den Kausalzusammenhang aus-
reicht, wenn die Einwirkung auf dem planfestgestellten Abschnitt "entsteht". Ob be-
stimmte Verkehrsmengen erst aufgrund weiterer baulicher Maßnahmen an anderen
Streckenteilen zu erwarten sind, ist hierfür ohne Bedeutung und kann insbesondere
nicht zum Anlass genommen werden, diese Verkehrsmengen aus dem prognostizier-
ten Beurteilungspegel "herauszurechnen".
Die Beschwerde scheint hierin allerdings einen Wertungswiderspruch zu dem im Be-
schluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 1996 (a.a.O.) entschie-
denen Fall zu sehen, wenn sie meint, die Grundsätze dieser Entscheidung müssten
auf den vorliegenden Fall "übertragen" werden. Dabei geht die Beschwerde jedoch
von der unzutreffenden Annahme aus, dass Veränderungen an anderen Stellen des
Schienennetzes für die Anordnung von Schutzvorkehrungen grundsätzlich irrelevant
seien und deswegen auch bei der Prognose zukünftiger nachteiliger Wirkungen plan-
festgestellter Vorhaben von vornherein nicht einzubeziehen seien. Denn dass Anlie-
gern an einer anderen als der planfestgestellten Strecke wegen der bei ihnen zu-
nehmenden Einwirkungen keine im Rahmen der Planfeststellung zu berücksichti-
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genden Schutzansprüche gewährt werden, schließt Ansprüche dieser Anlieger auf
den früheren Planfeststellungsbeschluss ihrer Strecke ergänzende Schutzvorkeh-
rungen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht aus, wenn die Prognose, die diesem
Planfeststellungsbeschluss zugrunde lag, wegen einer bei Erstellung der Verkehrs-
prognose nicht vorhersehbaren und deswegen außer Ansatz gebliebenen weiteren
Baumaßnahme fehlschlägt (vgl. zu den Anforderungen etwa BVerwG, Urteil vom
16. Dezember 1998 - BVerwG 11 A 44.97 - Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 24
S. 75). Deswegen ist es nicht widersprüchlich, sondern folgerichtig, dass bereits vor-
hersehbare Entwicklungen im Streckennetz, die sich auf die Verkehrsmenge der
planfestgestellten Strecke auswirken, von vornherein bei der Verkehrsprognose be-
rücksichtigt und im Planfeststellungsbeschluss bewältigt werden müssen.
3. Die Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO greift ebenfalls nicht durch.
Die Beigeladene macht geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe seine Aufklä-
rungspflicht (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO) dadurch verletzt, dass er nicht aufgeklärt habe,
ob die in der "strategischen Gesamtplanung Basel" genannte, den zusätzlichen Ver-
kehr durch den "Bypass Oberrhein" einbeziehende Belegung von 718 Zügen auf der
planfestgestellten Strecke überhaupt möglich sei. Da die im vorinstanzlichen Verfah-
ren anwaltlich vertretene Beigeladene dort keinen entsprechenden Beweisantrag
gestellt hat, kann die Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichtshofs nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann verletzt sein, wenn sich
eine weitere Ermittlung durch die Vorinstanz aufgedrängt hätte. Das ist jedoch nicht
der Fall.
Die gegenteilige Auffassung der Beschwerde trifft schon deswegen nicht zu, weil sie
auf einer Annahme beruht, die mit den im angefochtenen Urteil getroffenen tatsäch-
lichen Feststellungen nicht in Einklang steht. Der Verwaltungsgerichtshof ist gerade
nicht von einer zukünftigen Belegung der planfestgestellten Strecke mit 718 Zügen
ausgegangen, sondern hat ausdrücklich festgestellt, dass sichere, konkret belastba-
re Zugzahlen im Zusammenhang mit der Bypass-Lösung fehlen. Hiergegen hat die
Beschwerde keine Verfahrensrüge erhoben. Auf dieser Grundlage wäre die weitere
Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, es werde auf der planfestgestellten Strecke
zu Bypass-bedingtem zusätzlichem Verkehr und hierdurch zu verstärkten Immissio-
nen kommen, nur zu beanstanden, wenn jeder Bypass-bedingte Zusatzverkehr auf
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der planfestgestellten Strecke tatsächlich ausgeschlossen wäre. Das macht die Bei-
geladene aber nicht geltend. Dass möglicherweise nicht der gesamte denkbare Zu-
satzverkehr ohne bauliche Erweiterung der planfestgestellten Strecke aufgenommen
werden kann, steht einer - auch von der Beigeladenen nicht infrage gestellten - zu-
mindest teilweisen Verlagerung des Bypass-bedingten Verkehrs auf die planfestge-
stellte Strecke und mithin der Anordnung eines Entscheidungsvorbehalts ebenso
wenig entgegen wie der Umstand, dass sich aufgrund etwaiger Bypass-bedingter
baulicher Erweiterungen der planfestgestellten Strecke möglicherweise selbständige
Schutzansprüche nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG zugunsten der Klägerin ergeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. § 5 ZPO.
Dr. Storost Prof. Dr. Rubel Dr. Nolte