Urteil des BVerwG vom 02.04.2008

BVerwG (verhältnis zu, empfehlung, europäische kommission, markt, kommission, unternehmen, wettbewerb, entwurf, durchführung von gemeinschaftsrecht, bezug)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 17.07
VG 1 K 3928/06
Verkündet
am 2. April 2008
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 2. April 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn,
Dr. Graulich, Vormeier und Dr. Bier
für Recht erkannt:
Unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Verwaltungs-
gerichts Köln vom 1. März 2007 wird die Klage auch inso-
weit abgewiesen, als sie sich auf Nr. I.3 des Beschlusses
der Bundesnetzagentur vom 30. August 2006 bezieht. Die
Revision der Klägerin gegen das angefochtene Urteil wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin betreibt ein digitales zellulares Mobilfunknetz nach dem GSM- und
dem UMTS-Standard.
Mit Beschluss vom 30. August 2006 (ABl BNetzA S. 2271 <2294 ff.>) stellte die
Bundesnetzagentur fest, dass die Klägerin auf dem regulierungsbedürftigen
bundesweiten Vorleistungsmarkt für Anrufzustellung in ihr Mobilfunknetz
(Markt 16 der Märkte-Empfehlung der Europäischen Kommission vom 11. Feb-
ruar 2003) über beträchtliche Marktmacht verfügt. Auf dieser Grundlage ver-
pflichtete sie die Klägerin, Betreibern von öffentlichen Telefonnetzen die Zu-
sammenschaltung mit ihrem öffentlichen Mobilfunk-Telefonnetz an ihrem Ver-
mittlungsstellenstandort zu ermöglichen (Nr. I.1.1), über die Zusammenschal-
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tung Verbindungen in ihr Netz zu terminieren (Nr. I.1.2) und zum Zwecke des
Zugangs Kollokation sowie im Rahmen dessen Nachfragern bzw. deren Beauf-
tragten jederzeit Zutritt zu diesen Einrichtungen zu gewähren (Nr. I.1.3). Sie
verpflichtete die Klägerin ferner dazu, dass Vereinbarungen über Zugänge auf
objektiven Maßstäben beruhen, nachvollziehbar sind, einen gleichwertigen Zu-
gang gewähren und den Geboten der Chancengleichheit und der Billigkeit ge-
nügen (Nr. I.2). Außerdem verfügte sie, dass die Entgelte für die Gewährung
des Zugangs und der Kollokation der Genehmigung nach Maßgabe des § 31
TKG unterliegen (Nr. I.3). Schließlich erlegte sie der Klägerin die Verpflichtung
auf, für Zugangsleistungen, zu deren Angebot sie verpflichtet worden ist und für
die eine allgemeine Nachfrage besteht, innerhalb von drei Monaten ein Stan-
dardangebot zu veröffentlichen (Nr. II).
Die Bundesnetzagentur begründete ihre Marktdefinition und -analyse im We-
sentlichen wie folgt: In Übereinstimmung mit der Märkte-Empfehlung der Euro-
päischen Kommission umfasse der sachlich relevante Markt alle Terminierun-
gen, die in einem Netz ausgeführt würden. Da mittels der Terminierung eines
Gesprächs die angewählte Verbindung zu einem bestimmten Teilnehmer her-
gestellt werde, sei eine konkrete Terminierungsleistung nicht gegen eine ande-
re austauschbar. Die nachfragenden Netzbetreiber verfügten weder unmittelbar
noch abgeleitet von der Endkundenebene über adäquate Substitutionsmöglich-
keiten. Der Markt für Anrufzustellung in die einzelnen Mobilfunknetze sei durch
beträchtliche und anhaltende Marktzutrittsschranken, fehlende Tendenz zu
wirksamem Wettbewerb und eine Insuffizienz des allgemeinen Wettbewerbs-
rechts gekennzeichnet. Jedes Unternehmen sei in seinem eigenen Mobilfunk-
netz Monopolist. Die daraus folgende Vermutung der Marktbeherrschung werde
nicht durch andere Kriterien widerlegt. Insbesondere hätten die nachfragenden
Festnetz- und Mobilfunknetzbetreiber weder das Potenzial noch den Anreiz, um
eine wirksame entgegengerichtete Nachfragemacht auszuüben. Eine solche
gehe auch nicht von der Anruferseite, den Endkunden, aus. Denn neuere Un-
tersuchungen hätten gezeigt, dass die Terminierungsentgelte für das Marktver-
halten der Mobilfunkendkunden nur eine vergleichsweise geringe Rolle spiel-
ten. In der Gesamtschau werde daher der bundesweite Markt für Anrufzustel-
lungen in das Mobilfunknetz der Klägerin von dieser beherrscht.
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Zur Begründung der einzelnen Regulierungsverpflichtungen führte die Bundes-
netzagentur im Wesentlichen aus: Die der Klägerin auferlegte Zugangspflicht
sei erforderlich und angemessen, obwohl diese die Anrufzustellung in ihr Netz
schon bislang am Markt anbiete. Wegen des überragenden Interesses der End-
nutzer an der Erreichbarkeit aller anderen Nutzer genüge dieses freiwillige An-
gebot angesichts der abstrakten Gefahr seiner Rücknahme oder Einschrän-
kung nicht. Die Auferlegung des Diskriminierungsverbotes sei nach pflichtge-
mäßem Ermessen ebenso geboten wie die Regulierung der Zugangsentgelte.
Dabei sei eine nachträgliche Missbrauchskontrolle der Entgelte nicht ausrei-
chend, um die Regulierungsziele, insbesondere die Wahrung der Verbraucher-
interessen, sicherzustellen. Gerade im Interesse der Verbraucher sei vielmehr
eine enge Orientierung an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung
nötig. Angesichts der immer größer werdenden Nachfrage sei schließlich die
Auferlegung der Standardangebotspflicht geboten.
Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage zum Teil abgewiesen,
ihr im Übrigen aber stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Bei der an
die Empfehlung der Kommission angelehnten Marktabgrenzung habe die Bun-
desnetzagentur den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum ebenso wenig
überschritten wie bei der Marktanalyse. Rechtmäßig seien auch die der Kläge-
rin im Einzelnen auferlegten Regulierungsverpflichtungen mit Ausnahme der ihr
unter Nr. I.3 der Regulierungsverfügung auferlegten Entgeltgenehmigungs-
pflicht. Nach § 30 Abs. 1 Satz 2 TKG sollten solche Entgelte - unbeschadet wei-
terer, hier nicht problematischer Voraussetzungen - einer nur nachträglichen
Regulierung unterworfen werden, wenn dies zur Erreichung der Regulierungs-
ziele ausreiche. Nach dieser dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung
tragenden Regelung sei die nachträgliche Missbrauchskontrolle ein grundsätz-
lich ebenso geeignetes Mittel der Preiskontrolle wie die Entgeltgenehmigungs-
pflicht. Die Bundesnetzagentur habe nicht ausreichend dargelegt, dass die
nachträgliche Regulierung unter den hier vorliegenden Umständen zur Errei-
chung der Regulierungsziele unzureichend sei.
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Gegen dieses Urteil haben die Klägerin und die Beklagte die vom Verwaltungs-
gericht zugelassene Revision eingelegt. Die Klägerin macht zur Begründung
ihrer Revision geltend, schon die Marktabgrenzung, für die die Beklagte sich
nicht auf einen Beurteilungsspielraum berufen könne, sei rechtsfehlerhaft.
Denn sie verkenne die reziproke Abhängigkeit bei der Gestaltung von Terminie-
rungsentgelten. Aufgrund der notwendigen wechselseitigen Terminierung stün-
den die Nachfrager dieser Leistung dem Anbieter ihrerseits als „Monopolisten“
gegenüber und verfügten über keine geringere Verhandlungsmacht als dieser.
Die Beklagte, die eine zu hohe Abweichungsschwelle von der Märkte-
Empfehlung zugrunde gelegt habe, hätte richtigerweise einen einheitlichen
Markt für Mobilfunkdienstleistungen gegenüber Endkunden abgrenzen müssen.
Bei der Überprüfung der Regulierungsbedürftigkeit des abgegrenzten Marktes
habe die Beklagte sich zu Unrecht mit rein schematischen Erwägungen be-
gnügt, ohne auf die konkrete Erforderlichkeit der in Rede stehenden Regulie-
rungsinstrumente einzugehen. Das jahrelange freiwillige Beschreiten eines Ab-
senkungspfades sei zu Unrecht unberücksichtigt geblieben. Bei der Marktana-
lyse sei zu beanstanden, dass die Beklagte den Marktanteil der Mobilfunknetz-
betreiber an ihrem jeweiligen Terminierungsmarkt als Beherrschungskriterium
überbewertet und die entgegengerichtete Nachfragemacht nur pauschal für alle
Mobilfunknetzbetreiber untersucht habe. Die Beklagte hätte stattdessen eine
konkret betreiberbezogene Analyse vornehmen müssen, um festzustellen, wel-
che individuellen Marktbedingungen tatsächlich bestünden. Richtigerweise sei
im Verhältnis der Mobilfunknetzbetreiber untereinander, aber auch gegenüber
den Festnetzbetreibern, von gleich großen Verhaltensspielräumen der jeweili-
gen Anbieter und Nachfrager, also von einem Gleichgewicht ihrer Marktmacht
auszugehen. Im Hinblick auf die Auferlegung der einzelnen Regulierungsver-
pflichtungen sei das Konsultationsverfahren fehlerhaft durchgeführt worden,
weil die Beklagte ausschließlich einen an T-Mobile gerichteten Entwurf veröf-
fentlicht habe. Die interessierten Parteien müssten die Möglichkeit haben, nicht
nur zum Tenor einer geplanten Regulierungsverfügung, sondern auch zu den
spezifisch adressatbezogenen Gründen vorab Stellung zu nehmen. Davon ab-
gesehen habe es sich bei dem veröffentlichten Entwurf noch nicht um die Er-
gebnisse der Entscheidungsfindung der Bundesnetzagentur gehandelt, weil
darin alternativ zur Entgeltgenehmigungspflicht auch die nachträgliche Entgelt-
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regulierung in Aussicht gestellt worden sei. In materieller Hinsicht sei die Regu-
lierungsverfügung unteilbar und hätte daher vom Verwaltungsgericht insgesamt
aufgehoben werden müssen. Zudem seien die auferlegten Verpflichtungen
- soweit nicht bereits vom Verwaltungsgericht aufgehoben - insbesondere des-
halb unverhältnismäßig, weil die bereits freiwillig am Markt bestehenden Ange-
bote zu Unrecht unberücksichtigt geblieben seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 1. März
2007 insoweit aufzuheben, als die Klage abgewiesen
worden ist, und den Beschluss der Bundesnetzagentur
vom 30. August 2006 insgesamt aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen und
unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Verwaltungs-
gerichts Köln vom 1. März 2007 die Klage auch insoweit
abzuweisen, als sie sich auf Nr. I.3 des Beschlusses der
Bundesnetzagentur vom 30. August 2006 bezieht.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend, soweit die Klage abgewiesen
worden ist, und führt zur Begründung ihrer Revision aus: Bei der Aufhebung der
der Klägerin auferlegten Entgeltgenehmigungspflicht habe das Verwaltungsge-
richt § 30 Abs. 1 TKG unrichtig angewendet. Überhöhte Mobilfunkterminie-
rungsentgelte liefen nicht nur den Interessen der Gesamtheit der Verbraucher
zuwider, sondern verzerrten zugleich den Wettbewerb insbesondere zu Lasten
von Netzbetreibern mit geringem Endnutzerbestand. Daraus folge die regulato-
rische Aufgabe, ein Entgeltniveau sicherzustellen, das demjenigen entspreche,
welches sich auf einem wettbewerblich strukturierten Markt einstellen würde.
Eine nachträgliche Entgeltregulierung nach Maßgabe einer Missbrauchskontrol-
le sei nur eingeschränkt geeignet, überhöhte Terminierungsentgelte zu verhin-
dern. Erforderlich sei daher die Pflicht zur Genehmigung anhand des Maßsta-
bes der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung. Es hätten erhebliche
Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Entgelte nach Fortführung des freiwil-
lig beschrittenen Absenkungspfades weiterhin überhöht geblieben wären. Die
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mittlerweile abgeschlossenen Entgeltgenehmigungsverfahren hätten dies nach-
träglich bestätigt.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen,
und verteidigt das angefochtene Urteil, soweit dieses der Klage stattgegeben
hat.
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Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Das angefochtene
Urteil beruht, soweit es die Klage abgewiesen hat, nicht auf einer Verletzung
revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Dagegen ist die zulässige Revision der
Beklagten begründet. Denn das Verwaltungsgericht hätte die Klage auch inso-
weit abweisen müssen, als es ihr stattgegeben hat.
Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache insgesamt ohne Erfolg. Die Er-
gebnisse der Marktdefinition und Marktanalyse sowie die der Klägerin auferleg-
ten Regulierungsverpflichtungen, die zusammen einen einheitlichen Verwal-
tungsakt bilden (§ 13 Abs. 3 TKG), erweisen sich als rechtmäßig und verletzen
die Klägerin nicht in deren Rechten.
1. Die Bundesnetzagentur hat ohne Rechtsfehler entschieden, dass die Kläge-
rin auf dem regulierungsbedürftigen bundesweiten Markt für Anrufzustellung in
ihr Mobiltelefonnetz über eine die Auferlegung von Regulierungsverpflichtungen
rechtfertigende beträchtliche Marktmacht verfügt.
a) Bei der rechtlichen Überprüfung dieser Entscheidung hat der Senat zu be-
achten, dass der Bundesnetzagentur ein Beurteilungsspielraum in Bezug auf
die von ihr zu verantwortende Marktdefinition und Marktanalyse zusteht.
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aa) Gemäß § 10 Abs. 1 TKG legt die Bundesnetzagentur die sachlich und
räumlich relevanten Telekommunikationsmärkte fest, die für eine Regulierung
nach den Vorschriften des Teils 2 des Telekommunikationsgesetzes in Betracht
kommen. Im Unterschied zum früheren Recht, das in § 33 TKG 1996 auf § 19
GWB verwies (s. dazu Urteil vom 25. April 2001 - BVerwG 6 C 6.00 - BVerwGE
114, 160 <170 f.> = Buchholz 442.066 § 33 TKG Nr. 1 S. 6), richtet sich die
Abgrenzung der zu regulierenden Märkte jetzt unmittelbar nach den Grundsät-
zen des europäischen Wettbewerbsrechts (vgl. Art. 15 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3
Satz 1 der Richtlinie 2002/21/EG vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen
Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste
- Rahmenrichtlinie, RRL -, dessen Umsetzung § 10 TKG dient; s. auch Nr. 4 der
Leitlinien der Kommission zur Marktanalyse und Ermittlung beträchtlicher
Marktmacht vom 11. Juli 2002, ABl EG Nr. C 165, S. 6 - Marktanalyse-
Leitlinien -). Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG ist die potentielle Regulierungsbe-
dürftigkeit eines Marktes anhand der dort genannten Kriterien zu prüfen. Bei
der in § 11 Abs. 1 TKG vorgesehenen Marktanalyse hat die Bundesnetzagentur
im Rahmen der Festlegung der nach § 10 TKG für eine Regulierung in Betracht
kommenden Märkte zu ermitteln, ob auf dem untersuchten Markt wirksamer
Wettbewerb besteht (§ 11 Abs. 1 Satz 1 TKG); dies ist nicht der Fall, wenn ein
oder mehrere Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügen (§ 11
Abs. 1 Satz 2 TKG).
Der Beurteilungsspielraum, den § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG seinem Wortlaut nach
ausdrücklich einräumt, erstreckt sich unter Berücksichtigung der Gesetzessys-
tematik und des Normzwecks auf die Marktdefinition und -analyse insgesamt.
Die Abgrenzung des relevanten Marktes (§ 10 Abs. 1 TKG), die Prüfung seiner
potentiellen Regulierungsbedürftigkeit (§ 10 Abs. 2 Satz 1 TKG) sowie die
Marktanalyse (§ 11 Abs. 1 TKG) sind aufeinander bezogen und untrennbar mit-
einander verbunden. Dies ergibt sich daraus, dass einerseits schon die in § 10
Abs. 1 TKG angesprochene Festlegung der „Telekommunikationsmärkte …, die
für eine Regulierung … in Betracht kommen“ mit Blick auf die Prüfung anhand
der drei Kriterien des § 10 Abs. 2 TKG erfolgt (s. auch Schütz, in: BeckTKG,
3. Aufl. 2006, § 10 Rn. 110) und andererseits die Marktanalyse nach § 11
Abs. 1 TKG „im Rahmen der Festlegung der nach § 10 für eine Regulierung
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nach diesem Teil in Betracht kommenden Märkte“ stattfindet. Wegen dieser
engen Verknüpfung beschränkt sich der prognostische Charakter der von der
Bundesnetzagentur zu treffenden Entscheidung, mit dem der Gesetzgeber den
Beurteilungsspielraum in § 10 Abs. 2 Satz 2 TKG gerechtfertigt hat (BTDrucks
15/2316 vom 9. Januar 2004 S. 61), nicht nur auf den sog. Drei-Kriterien-Test.
Er bezieht sich ebenso bereits auf die Marktabgrenzung, weshalb „die für wett-
bewerbsrechtliche Zwecke definierten Märkte und die Märkte, die für eine be-
reichsspezifische Regulierung definiert werden, nicht immer identisch sind“ (vgl.
Nr. 27 der Marktanalyse-Leitlinien), und erstreckt sich schließlich auch auf die
Marktanalyse (s. auch den in Nr. 71 der Marktanalyse-Leitlinien verwandten
Begriff „Marktprognose“).
bb) Höherrangiges Gemeinschaftsrecht erlaubt nicht nur, sondern gebietet so-
gar die Einräumung eines Beurteilungsspielraums der nationalen Regulie-
rungsbehörde bei der Marktdefinition und -analyse. Nach dem gemeinschaftli-
chen Rechtsrahmen ist das Ergebnis des Marktdefinitions- und Marktanalyse-
verfahrens als eine „Entscheidung über Märkte mit transnationaler Ausstrah-
lung“ konzipiert (so zutreffend Ladeur/Möllers, DVBl 2005, 525 <533>), die in
einem gestuften Verfahren der grenzüberschreitenden Abstimmung und Inter-
ventionsmöglichkeiten der Europäischen Kommission unterliegt. Diese hat zu-
nächst eine Empfehlung in Bezug auf relevante Produkt- und Dienstmärkte zu
erlassen (Art. 15 Abs. 1 Satz 1 RRL) sowie die bereits erwähnten Marktanaly-
se-Leitlinien zu veröffentlichen (Art. 15 Abs. 2 RRL). Die nationalen Regulie-
rungsbehörden haben unter weitestgehender Berücksichtigung der Empfehlung
und der Leitlinien die relevanten Märkte festzulegen (Art. 15 Abs. 3 Satz 1 RRL)
sowie unter weitestgehender Berücksichtigung der Leitlinien eine Analyse der
relevanten Märkte durchzuführen (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 RRL). Soweit Maß-
nahmen nach Art. 15, 16 RRL, die eine nationale Regulierungsbehörde zu er-
greifen beabsichtigt, Auswirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten
haben, ist der Entwurf der Maßnahme der Kommission und den nationalen Re-
gulierungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten zu übermitteln (Art. 7 Abs. 3
RRL), um Stellungnahmen zu ermöglichen, denen dann die betreffende Regu-
lierungsbehörde gemäß Art. 7 Abs. 5 RRL weitestgehend Rechnung zu tragen
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hat. Unter den in Art. 7 Abs. 4 RRL genannten Voraussetzungen steht der
Kommission ein Veto-Recht gegen den Maßnahmeentwurf zu.
Dieses besondere Verfahren, welches durch § 12 Abs. 2 TKG in nationales
Recht umgesetzt worden ist, dient der wechselseitigen Durchlässigkeit nationa-
ler Entscheidungen für transnationale Interessen auf der Grundlage vereinheit-
lichender Vorgaben durch die Kommission und lässt die Eröffnung eines Beur-
teilungsspielraums europarechtlich notwendig erscheinen, da eine uneinge-
schränkte gerichtliche Kontrolle der genannten unbestimmten Rechtsbegriffe
den von der Rahmenrichtlinie erstrebten Kooperations- und Koordinationseffekt
(Art. 7 Abs. 2 RRL) bei der Festlegung und Analyse der Märkte gefährden wür-
de (s. auch Ladeur/Möllers, a.a.O. S. 534). Dies entspricht auch der Auffassung
der Kommission, die den nationalen Regulierungsbehörden bei der Ausübung
ihrer (sämtlichen) Befugnisse gemäß Art. 15 und 16 RRL „aufgrund der kompli-
zierten ineinandergreifenden Faktoren (wirtschaftlicher, sachlicher und rechtli-
cher Art), die bei der Definition relevanter Märkte und bei der Ermittlung von
Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht gewürdigt werden müssen“, einen
weitreichenden „Ermessensspielraum“ zubilligt (so Nr. 22, s. auch Nr. 71 der
Marktanalyse-Leitlinien), bei dem es sich nach deutscher Rechtsterminologie
um einen Beurteilungsspielraum handelt.
Der Anerkennung eines umfassenden Beurteilungsspielraums kann von Ge-
meinschaftsrechts wegen nicht die Rechtsbehelfsgarantie des Art. 4 Abs. 1
RRL entgegengehalten werden. Nach dieser Vorschrift sorgen die Mitgliedstaa-
ten dafür, dass es auf nationaler Ebene wirksame Verfahren gibt, nach denen
jeder Nutzer oder Anbieter, der von einer Entscheidung der nationalen Regulie-
rungsbehörde betroffen ist, bei einer unabhängigen Beschwerdestelle, insbe-
sondere einem Gericht, Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegen
kann. Diese Regelung ist Ausfluss des in der Gemeinschaftsrechtsordnung
verankerten Grundsatzes effektiven Rechtsschutzes, der ein allgemeines Prin-
zip des Gemeinschaftsrechts ist und die nationalen Gerichte verpflichtet, den
Schutz der Rechte zu gewährleisten, die dem Einzelnen aus dem Gemein-
schaftsrecht erwachsen (EuGH, Urteil vom 21. Februar 2008 - Rs. C-426/05,
Tele2 - Rn. 30). Mit diesem Grundsatz hält es der Europäische Gerichtshof in
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ständiger Rechtsprechung für vereinbar, der Kommission, soweit diese sekun-
däres Gemeinschaftsrecht anwendet, „ein bestimmtes Ermessen namentlich
bei Beurteilungen wirtschaftlicher Art“ einzuräumen (Urteile vom 31. März 1998
- Rs. C-68/94 und C-30/95, Frankreich u.a. / Kommission - Slg. 1998, I-1375
Rn. 223 und vom 15. Februar 2005 - Rs. C-12/03 P, Tetra Laval - Slg. 2005,
I-987 Rn. 38; s. auch EuG, Urteil vom 21. September 2005 - Rs. T-87/05,
EDP - Slg. 2005, II-3745 Rn. 63). Soweit es, wie hier, um die Zuständigkeit na-
tionaler Behörden geht, betont der Europäische Gerichtshof, dass die gerichtli-
che Kontrolle, zu der das Gemeinschaftsrecht die nationalen Gerichte im Hin-
blick auf den wirksamen gerichtlichen Schutz der sich aus den gemeinschafts-
rechtlichen Vorschriften ergebenden Rechte verpflichtet, nicht über diejenige
hinausgehen muss, die die Gemeinschaftsgerichte in vergleichbaren Fällen
vornehmen. Das Gemeinschaftsrecht verlangt nicht, dass die Mitgliedstaaten
bei komplexen Beurteilungen eine gerichtliche Nachprüfung behördlicher Ent-
scheidungen vorschreiben, die weiter geht, als sie der Europäische Gerichtshof
selbst vornimmt (Urteil vom 21. Januar 1999 - Rs. C-120/97, Upjohn -
Slg. 1999, I-223 Rn. 32 ff.; s. auch Schlussanträge des Generalanwalts vom
18. Juli 2007 in der Rechtssache C-55/06, Arcor - Rn. 91 ff.).
cc) Ebenso wenig besteht ein Widerspruch des hier in Rede stehenden Beurtei-
lungsspielraums zu nationalem Verfassungsrecht. Zwar ist die Konkretisierung
unbestimmter Rechtsbegriffe regelmäßig Sache der Gerichte, die die Rechts-
anwendung der Verwaltungsbehörden grundsätzlich uneingeschränkt zu über-
prüfen haben. Doch reicht die Pflicht zur gerichtlichen Überprüfung nicht weiter
als die materiell-rechtliche Bindung der Exekutive. Sie endet dort, wo das mate-
rielle Recht der Verwaltungsbehörde in verfassungsrechtlich unbedenklicher
Weise Entscheidungen abverlangt, ohne dafür hinreichend bestimmte Ent-
scheidungsprogramme vorzugeben (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember
1992 - 1 BvR 167/87 - BVerfGE 88, 40 <56, 61>; Urteil vom 20. Februar 2001
- 2 BvR 1444/00 - BVerfGE 103, 142 <156 f.>). Vor diesem Hintergrund hat das
Bundesverwaltungsgericht Gesetzen unter anderem dann eine Beurteilungser-
mächtigung für die Verwaltung entnommen, wenn der von ihr zu treffenden
Entscheidung in hohem Maße wertende Elemente anhaften und das Gesetz für
sie deshalb ein besonderes Verwaltungsorgan für zuständig erklärt, das mit
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besonderer fachlicher Legitimation in einem besonderen Verfahren entscheidet,
zumal wenn es sich um ein Kollegialorgan handelt, das mögliche Auffassungs-
unterschiede bereits in sich zum Ausgleich bringt und die Entscheidung damit
zugleich versachlicht (s. Urteil vom 16. Mai 2007 - BVerwG 3 C 8.06 -
BVerwGE 129, 27 Rn. 27 = Buchholz 418.72 WeinG Nr. 30 m.w.N.). Diese Vor-
aussetzungen treffen auf die Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe der
§§ 10, 11 TKG innerhalb des in den §§ 132 ff. TKG geregelten förmlichen Ver-
fahrens durch die Bundesnetzagentur zu (vgl. auch Urteil vom 28. November
2007 - BVerwG 6 C 42.06 - Rn. 29 f. zum Regulierungsermessen).
dd) Daraus folgt, dass das Gericht die Überprüfung einer von der Bundesnetz-
agentur gemäß §§ 10, 11 TKG vorgenommenen Marktdefinition und -analyse
darauf erstrecken, aber auch begrenzen muss, ob die Behörde die gültigen
Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des
anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachver-
halt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Beur-
teilung an allgemeingültige Wertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das
Willkürverbot nicht verletzt hat (stRspr; zuletzt Urteil vom 16. Mai 2007 a.a.O.
Rn. 38 m.w.N.).
b) Die Bundesnetzagentur hat die für die Marktdefinition und -analyse gelten-
den Verfahrensbestimmungen beachtet. Nach § 12 Abs. 1 TKG gibt sie den
interessierten Parteien Gelegenheit, innerhalb einer festgesetzten Frist zu dem
Entwurf der Ergebnisse Stellung zu nehmen; die Anhörungsverfahren sowie
deren Ergebnisse werden veröffentlicht. Sofern die Marktdefinition und -analyse
Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten hat, stellt die Bun-
desnetzagentur den Entwurf der Ergebnisse nach näherer Maßgabe des § 12
Abs. 2 TKG der Kommission und den nationalen Regulierungsbehörden der
anderen Mitgliedstaaten zur Verfügung. Im Hinblick auf dieses Konsultations-
und Konsolidierungsverfahren sind Defizite weder geltend gemacht noch er-
sichtlich. Zudem hat das Bundeskartellamt sein in § 123 Abs. 1 Satz 1 TKG
vorgeschriebenes Einvernehmen erteilt.
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c) In materieller Hinsicht hat die Bundesnetzagentur den sachlich und räumlich
relevanten Markt gemäß § 10 Abs. 1 TKG rechtsfehlerfrei abgegrenzt.
aa) Die Behörde hat sich dabei entgegen der Kritik der Klägerin nicht von ei-
nem unrichtigen Verständnis des § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG leiten lassen, der in
Übereinstimmung mit Art. 15 Abs. 3 Satz 1 RRL vorschreibt, dass bei der
Marktdefinition die Empfehlung in Bezug auf relevante Produkt- und Dienst-
märkte, die die Europäische Kommission nach Art. 15 Abs. 1 RRL erlässt (hier
die Empfehlung vom 11. Februar 2003, ABl EG Nr. L 114 S. 45 - Märkte-
Empfehlung -), weitestgehend zu berücksichtigen ist. Als eine Empfehlung im
Sinne von Art. 249 Abs. 5 EG besitzt die Märkte-Empfehlung zwar keine origi-
näre Rechtsverbindlichkeit. Doch entspricht es schon generell der Rechtspre-
chung des Europäischen Gerichtshofs, dass Empfehlungen der Kommission
einer gesteigerten Berücksichtigungspflicht durch nationale Behörden und Ge-
richte unterliegen, wenn sie Aufschluss über die Auslegung zur Durchführung
von Gemeinschaftsrecht erlassener innerstaatlicher Rechtsvorschriften geben
oder wenn sie verbindliche gemeinschaftliche Vorschriften ergänzen sollen
(EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1989 - Rs. C-322/88, Grimaldi - Slg. 1989,
4407 Rn. 18). Dies gilt im hier vorliegenden Zusammenhang erst recht ange-
sichts der Besonderheit, dass das sekundäre Gemeinschaftsrecht in Art. 15
Abs. 3 RRL - und ihm folgend § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG - ausdrücklich die „wei-
testgehende“ Berücksichtigung der Märkte-Empfehlung fordern.
Diese Berücksichtigungspflicht entspricht dem Zweck der Rahmenrichtlinie, de-
ren Ziel es ist, eine weitgehende Harmonisierung der Telekommunikations-
Binnenmärkte zu erreichen. Sie schließt zwar nicht aus, dass die nationalen
Regulierungsbehörden - unter Beachtung der in der Märkte-Empfehlung und in
den Marktanalyse-Leitlinien dargelegten Grundsätze und Methoden - über die
im Anhang der Empfehlung aufgelisteten 18 Telekommunikationsmärkte hinaus
zusätzliche Märkte definieren oder aber empfohlene Märkte weiter oder enger
abgrenzen als empfohlen (Klotz, MMR 2003, 495 <497> sowie in: BerlKomm
TKG, 2006, Einl. II Rn. 78 ff.; Jochum, in: Wilms/Masing/Jochum, TKG § 10
Rn. 53). Doch begründet Art. 15 Abs. 1, 3 RRL i.V.m. § 10 Abs. 2 Satz 3 TKG
eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die in der Märkte-Empfehlung aufge-
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führten Märkte auch in Deutschland potentiell (d.h. vorbehaltlich der noch
durchzuführenden Marktanalyse) regulierungsbedürftig sind (so zutreffend
Heun, in: HdbTKR, 2. Aufl. 2007, Rn. G 135; ähnlich: Schütz, in: BeckTKG,
§ 10 Rn. 27; Heinen, in: BerlKomm TKG, § 10 Rn. 71). Diesem methodischen
Ansatz entspricht eine nachvollziehende Bewertung anhand der Marktabgren-
zungskriterien des europäischen Wettbewerbsrechts, die einerseits die von der
Vermutungswirkung ausgehende Vorprägung der Entscheidung durch die Fest-
legung der Kommission, andererseits aber auch und insbesondere etwaige
vom europäischen Standard abweichende nationale Besonderheiten angemes-
sen berücksichtigt. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass sich die Märkte-
Empfehlung bei wörtlichem Verständnis lediglich darauf bezieht, dass die nati-
onalen Regulierungsbehörden die im Anhang aufgeführten Märkte „prüfen“.
Dieser auf eine deutlich abgeschwächte Berücksichtigungspflicht zielende Ein-
wand verkennt nicht nur die Bindungswirkung des sekundären Gemeinschafts-
rechts, auf dem die Empfehlung beruht (Art. 15 Abs. 3 Satz 1 RRL), sondern
auch Erwägungsgrund 20 der Märkte-Empfehlung, wonach die „Festlegung“
von Produkt- und Dienstmärkten, die für eine Regulierung in Betracht kommen,
beabsichtigt war.
bb) Die Bundesnetzagentur ist bei ihren tatsächlichen Feststellungen und ihrer
abschließenden rechtlichen Bewertung von der zuvor beschriebenen Wirkung
der Märkte-Empfehlung als einer (widerleglichen) Vermutung für die potentielle
Regulierungsbedürftigkeit der 18 Märkte der Sache nach zutreffend ausgegan-
gen, auch wenn bestimmte Formulierungen in ihrer Marktfestlegung zu Miss-
verständnissen Anlass geben könnten (Fehlen „unumgänglicher“ bzw. „zwin-
gender“ Abweichungsgründe, vgl. ABl BNetzA 2006, 2429 <2451, 2471>).
Denn sie hat in Anwendung der Marktabgrenzungskriterien des europäischen
Wettbewerbsrechts, insbesondere der Austauschbarkeit auf der Nachfrageseite
und der Angebotsumstellungsflexibilität (s. Nr. 38 ff. der Marktanalyse-Leitlinien
unter Hinweis auf die stRspr des EuGH), die von der Kommission empfohlene
Definition eines Marktes für „Anrufzustellung in einzelnen Mobilfunknetzen“
(Markt 16) unter erschöpfender Berücksichtigung der ihr zugänglichen tatsäch-
lichen Erkenntnisse nachvollzogen und auch im Hinblick auf die spezifischen
deutschen Marktverhältnisse bestätigt.
26
- 15 -
Dabei hat sie sich nicht auf die Prüfung einer technischen Substituierbarkeit der
Terminierung beschränkt, die nach ihren Feststellungen nicht besteht, sondern
auch erwogen, ob es auf der Endkundenebene Möglichkeiten zur Umgehung
der fraglichen Terminierungsleistungen gibt, die mit in den Markt aufgenommen
werden müssen. Sie hat sich in diesem Zusammenhang mit der Möglichkeit
beschäftigt, statt des Mobilfunkanschlusses den Festnetzanschluss des ge-
wünschten Teilnehmers anzurufen, statt netzübergreifender nur netzinterne
Verbindungen zu initiieren, alternative mobile Kommunikationstechniken wie
SMS, MMS oder Nachrichten und Gespräche über IP-Netzwerke zu nutzen,
sich von dem Angerufenen zurückrufen zu lassen oder auch den Anruf über-
haupt zu vermeiden. Im Ergebnis hat sie in keiner dieser Varianten eine zurei-
chende Substitutionsmöglichkeit erkannt. Ihre Bewertung, dass (auch in
Deutschland) weder eine adäquate Austauschbarkeit noch eine Angebotsum-
stellungsflexibilität in Bezug auf die Terminierung durch den einzelnen Mobil-
funknetzbetreiber besteht und dass deshalb eine Abweichung von der Märkte-
Empfehlung nicht gerechtfertigt ist, hält sich in den Grenzen ihres Beurteilungs-
spielraums. Sie ist erkennbar nicht von sachfremden Erwägungen getragen und
daher hinzunehmen.
d) Die Bundesnetzagentur hat auch die in § 10 Abs. 2 TKG vorgesehene Über-
prüfung der Regulierungsbedürftigkeit des abgegrenzten Marktes anhand der
dort genannten drei Kriterien (beträchtliche und anhaltende Marktzutritts-
schranke, längerfristig fehlende Tendenz zu wirksamem Wettbewerb, Insuffi-
zienz des allgemeinen Wettbewerbsrechts) fehlerfrei durchgeführt. Im rechtli-
chen Ausgangspunkt ist die Behörde zu Recht von der Vermutungswirkung
ausgegangen, die die Festlegung der Empfehlungsmärkte durch die Kommissi-
on auch hinsichtlich dieser ebenfalls gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Kri-
terien (s. Art. 15 Abs. 1, 3 RRL i.V.m. Erwägungsgrund 9 zur Märkte-
Empfehlung) entfaltet. Angesichts dessen sind die Erwägungen der Bundes-
netzagentur trotz ihrer Kürze im Rahmen des der Behörde zustehenden Beur-
teilungsspielraums nicht defizitär. So ist nach den von ihr im Rahmen der
Marktabgrenzung getroffenen tatsächlichen Feststellungen zur fehlenden tech-
nischen Möglichkeit einer Angebotssubstitution nachvollziehbar, dass auf den
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28
- 16 -
Mobilfunkterminierungsmärkten derzeit unüberwindbare Marktzutrittsschranken
bestehen. Hinsichtlich der (fehlenden) Tendenz zu wirksamem Wettbewerb
geht die Bundesnetzagentur davon aus, dass solcher Wettbewerb auf einem
Monopolmarkt nur entstehen kann, wenn eine ausreichende entgegengerichte-
te Nachfragemacht vorhanden ist, was sie - methodisch vertretbar - im Vorgriff
auf ihre nachfolgend im Einzelnen begründete Marktanalyse verneint. Ihre Aus-
führungen zu dem dritten Kriterium, der Insuffizienz des allgemeinen Wettbe-
werbsrechts, stehen somit unter dem Vorbehalt des Ergebnisses der Marktana-
lyse. Unter dieser Prämisse lässt sich nicht beanstanden, dass die Bundes-
netzagentur - der Vermutungswirkung der Märkte-Empfehlung entsprechend -
angenommen hat, dass das allgemeine Wettbewerbsrecht (auch in Deutsch-
land) nicht ausreicht, um dem Marktversagen entgegenzuwirken.
Diese Vermutung wird insbesondere nicht durch den Umstand widerlegt, dass
das im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vorgesehene Instrumenta-
rium durch das Gesetz vom 7. Juli 2005 (BGBl I S. 1954) verbessert worden ist.
Die These, das deutsche Wettbewerbsrecht gehe nach dieser Änderung, ins-
besondere nach der Einführung sogenannter Enquete-Untersuchungen be-
stimmter Wirtschaftszweige (§ 32e GWB), über den europäischen Standard in
einer für die Beurteilung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 TKG signifikanten Weise hin-
aus, wird durch die Motive zu der genannten Reform des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen widerlegt. Denn der Zweck dieser Novelle be-
stand umgekehrt gerade darin, das deutsche Wettbewerbsrecht an das europä-
ische Wettbewerbsrecht, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 vom
16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 EG niederge-
legten Wettbewerbsregeln (ABl EG 2003 Nr. L 1 S. 1) anzupassen. So wurde
etwa die Regelung des § 32e GWB über Enquete-Untersuchungen im Hinblick
auf Art. 17 Abs. 1 VO 1/2003 in das Gesetz aufgenommen (s. BTDrucks
15/3640 S. 1, 21 ff., 52). Daher kann die Vermutungswirkung, die die zeitlich
erst nach dieser Verordnung erlassene Märkte-Empfehlung im Hinblick auf die
potentielle Regulierungsbedürftigkeit des Marktes 16 entfaltet, nicht unter Hin-
weis auf das deutsche Wettbewerbsrecht widerlegt werden, welches seinerseits
den europäischen Standard im Wesentlichen nur umsetzt und nicht übertrifft.
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- 17 -
e) Auch die von der Bundesnetzagentur nach Maßgabe des § 11 TKG durchge-
führte Marktanalyse hält der rechtlichen Überprüfung stand. Das Nichtbestehen
wirksamen Wettbewerbs, auf welches die Untersuchung der Behörde zielt, ist
gleichbedeutend mit einer beträchtlichen Marktmacht, über die ein oder mehre-
re Unternehmen auf dem betreffenden Markt verfügen. Beträchtliche Markt-
macht bedeutet eine der Beherrschung gleichkommende wirtschaftlich starke
Stellung, die es dem Unternehmen gestattet, sich in beträchtlichem Umfang
unabhängig von Wettbewerbern und Endnutzern zu verhalten (§ 11 Abs. 1
Satz 1 bis 3 TKG). Ob die Klägerin auf dem Markt für Anrufzustellung in ihr Mo-
bilfunknetz über eine derartige Stellung verfügt, ist nach den Marktanalyse-
Leitlinien, die nach Art. 16 Abs. 1 RRL, § 11 Abs. 1 Satz 4 TKG von der Bun-
desnetzagentur weitestgehend zu berücksichtigen sind, anhand verschiedener
Kriterien zu ermitteln. Ein wesentlicher Indikator für Marktmacht sind danach
die Marktanteile des betreffenden Unternehmens. Hohe Marktanteile von über
50 % begründen eine Vermutung für beträchtliche Marktmacht (Nr. 75 der
Marktanalyse-Leitlinien unter Hinweis auf die stRspr zum Gemeinschaftsrecht:
EuGH, Urteil vom 3. Juli 1991 - Rs. C-62/86, AKZO - Slg. 1991, I-3359 Rn. 60;
EuG, Urteil vom 22. November 2001 - Rs. T-139/98, AAMS - Slg. 2001, II-3413
Rn. 51 m.w.N.). Das gilt erst recht für den Marktanteil von 100 %, den die Klä-
gerin auf dem (Monopol-)Markt für Anrufzustellung in ihr eigenes Mobilfunknetz
besitzt. Allerdings kann eine beherrschende Stellung nicht allein anhand der
Marktanteile ermittelt werden. Sie hängt vielmehr von einer Gesamtbewertung
unter Berücksichtigung weiterer Gesichtspunkte ab, wie sie in Nr. 78 der Markt-
analyse-Leitlinien aufgeführt sind.
aa) Die Bundesnetzagentur ist von diesem Rechtsverständnis ausgegangen.
Sie hat dem Marktanteil von 100 %, über den die Klägerin auf ihrem Mobilfunk-
Terminierungsmarkt verfügt, eine Indizwirkung für die Marktbeherrschung bei-
gemessen und im Rahmen einer wertenden Gesamtschau die strukturellen
Marktzutrittsschranken, die unterschiedliche Finanzkraft der Klägerin im Ver-
hältnis zu den drei anderen Mobilfunknetzbetreibern, eine entgegengerichtete
Nachfragemacht sowie eine Preis-Kosten-Analyse als weitere Kriterien in Er-
wägung gezogen. Angesichts der engen Marktdefinition in Bezug auf Terminie-
rungs-Einzelmärkte mit Monopolcharakter („Ein-Netz-ein-Markt-Konzept“) hat
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- 18 -
sie - methodisch vertretbar - den Gesichtspunkt der entgegengerichteten Nach-
fragemacht als letztlich entscheidendes Kriterium erkannt und im Einzelnen
geprüft, ob die Deutsche Telekom AG - T-Com -, die alternativen Festnetz-
betreiber, die anderen Mobilfunknetzbetreiber sowie - indirekt - die Endkunden
willens und in der Lage sind, die Verhaltensspielräume der Klägerin wirksam zu
beschränken.
bb) Die Klägerin wirft der Bundesnetzagentur insbesondere vor, sie habe den
entscheidungserheblichen Sachverhalt insofern nicht vollständig ermittelt, als
sie die entgegengerichtete Nachfragemacht pauschal für sämtliche Mobilfunk-
netzbetreiber geprüft, aber eine empirische Analyse der individuellen Marktbe-
dingungen, die für den einzelnen Mobilfunknetzbetreiber bestehen, unterlassen
habe. Der Senat teilt diese Kritik nicht. Denn die Bundesnetzagentur hat plausi-
bel gemacht, dass ihre Marktanalyse unbeschadet der zwischen den Mobil-
funknetzbetreibern bestehenden Größenunterschiede deshalb erschöpfend ist,
weil die Möglichkeit, Zusammenschaltungs- und weitere Regulierungsverpflich-
tungen aufzuerlegen, die unterschiedliche Nachfragemacht der auf den End-
kundenmärkten im Wettbewerb stehenden Telekommunikationsunternehmen
ausgleicht. Im Anschluss an entsprechende Überlegungen der Europäischen
Kommission (Entscheidung vom 17. Mai 2005 - K <2005> 1442 endg. -, s. auch
amtl. Begr. zur Märkte-Empfehlung, S. 20 Fußn. 32) hat die Bundesnetzagentur
überzeugend dargelegt, dass die Marktgegenmacht eines Terminierungsleis-
tungen nachfragenden Telekommunikationsunternehmens im Wesentlichen
entfällt, wenn dieses Unternehmen hinsichtlich der Zusammenschaltung und
insbesondere hinsichtlich der eigenen Terminierungsentgelte seinerseits der
Regulierung unterliegt bzw. diese Regulierung absehbar ist, da ihm dann die
Drohung mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehungen oder der Erhöhung der
eigenen Terminierungsentgelte als Verhandlungsmittel nicht mehr zur Verfü-
gung steht. Vor diesem Hintergrund ist die Bundesnetzagentur davon ausge-
gangen, dass wegen bestehender bzw. sicher vorhersehbarer eigener Regulie-
rungsverpflichtungen nicht einmal die Deutsche Telekom AG - T-Com - als
größter Festnetzbetreiber - selbst unter Berücksichtigung von Hebelwirkungen
aufgrund des Einbezuges anderer Geschäftsbereiche - ausreichende Möglich-
keiten hat, das Preissetzungsverhalten auf den Mobilfunkterminierungsmärkten
32
- 19 -
im Wege einer direkten entgegengerichteten Nachfragemacht wirksam einzu-
schränken. Entsprechende detaillierte Überlegungen hat sie für das Verhältnis
zu den alternativen Festnetzbetreibern sowie der Mobilfunknetzbetreiber unter-
einander angestellt. Diese Einschätzung, die das Ergebnis der Marktanalyse
unabhängig von den Hilfserwägungen, welche das Fehlen von Regulierungs-
verpflichtungen der Terminierungsnachfrager unterstellen, selbstständig trägt,
wird von dem der Behörde zustehenden Beurteilungsspielraum gedeckt. Daher
bestand keine Verpflichtung, den Marktmachtverhältnissen auf den einzelnen
Terminierungsmärkten im Einzelnen nachzugehen.
Auch im Hinblick auf eine etwaige indirekte, von den Endkunden abgeleitete
Nachfragemacht hat die Bundesnetzagentur die erforderlichen Feststellungen
getroffen. Sie hat nach Auswertung hinreichend aktueller Marktuntersuchungen
eingehend begründet, dass und warum die Endkunden kaum Möglichkeiten
(Anrufer) oder Anreize (Anrufempfänger) hätten, auf die Höhe der Terminie-
rungsentgelte der Mobilfunknetzbetreiber zu reagieren, sodass ein indirekter
machtbeschränkender Einfluss auf den Vorleistungsmarkt der Mobilfunktermi-
nierungen fehle.
Eine weitergehende Sachverhaltsermittlung war auch nicht im Hinblick auf die
Größen- und Finanzkraftunterschiede zwischen den vier Mobilfunknetzbetrei-
bern veranlasst, die nach Ansicht der Bundesnetzagentur wegen des Vorlie-
gens von Einzelmärkten nur eine untergeordnete Rolle spielen. Unterschiedli-
che Unternehmensgrößen und unterschiedliche finanzielle Ressourcen sind
zwar grundsätzlich aussagekräftige Kriterien für die Beurteilung einer beträchtli-
chen Marktmacht (s. Nr. 78 der Marktanalyse-Leitlinien). Es ist aber plausibel,
dass dies grundsätzlich nur für Märkte gilt, auf denen konkurrierende Unter-
nehmen auf der Anbieterseite stehen und dort eine etwaige, im Verhältnis zu
Wettbewerbern günstigere Unternehmensgröße und Finanzausstattung zur Er-
langung und Festigung von Marktmacht einsetzen können. Auf dem Markt für
Anrufzustellung in ein einzelnes Mobilfunknetz ist aber dessen Betreiber der
einzige Anbieter, während alle anderen Marktteilnehmer auf der Nachfrageseite
stehen. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass Größen- und Finanzkraftunter-
schiede in dieser Marktsituation nicht gesondert zu berücksichtigen sind, son-
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- 20 -
dern nur insoweit, als sie für die Entfaltung von entgegengerichteter Nachfra-
gemacht relevant sind. In diesem Zusammenhang hat aber die Bundesnetz-
agentur, wie schon ausgeführt, die notwendigen Feststellungen getroffen.
cc) Die Bundesnetzagentur hat bei ihrer Marktanalyse auch nicht gegen allge-
mein gültige Bewertungsmaßstäbe verstoßen, insbesondere nicht das Willkür-
verbot verletzt. Sie hat sich mit den von ihr herangezogenen Marktmachtkrite-
rien wertend auseinandergesetzt und dabei hinsichtlich einer etwaigen entge-
gengerichteten Nachfragemacht der Deutschen Telekom AG - T-Com -, der
alternativen Festnetzbetreiber sowie der Mobilfunknetzbetreiber untereinander
jeweils tragend auf den bereits oben behandelten Gesichtspunkt der Schwä-
chung der Nachfragemacht durch eigene Regulierungsverpflichtungen und nur
hilfsweise auf regulierungsfreie Marktverhältnisse abgehoben. Soweit sich die
zwischen den Beteiligten umstrittenen Bewertungen der Bundesnetzagentur auf
die Hilfsüberlegungen beziehen (dies trifft insbesondere für ihre Bewertung zu,
die bislang in Verhandlungen der Mobilfunknetzbetreiber erzielten Entgeltver-
einbarungen sprächen gegen eine ausreichende Marktgegenmacht), sind sie
daher für das Ergebnis der Marktanalyse nicht erheblich. Davon abgesehen hat
die Bundesnetzagentur ihre Einschätzungen plausibel gemacht. Der Umstand,
dass jeweils auch andere Bewertungen vertretbar gewesen sein mögen, kenn-
zeichnet gerade die Ausübung des Beurteilungsspielraums, der der Bundes-
netzagentur zusteht. Auch der Umstand, dass die Behörde hinsichtlich des Be-
stehens entgegengerichteter Nachfragemacht ursprünglich eine andere Positi-
on vertreten hatte (Verfügung Nr. 21/2000, ABl RegTP S. 879), führt nicht auf
einen Bewertungsfehler; denn die Bundesnetzagentur hat sich damit auseinan-
dergesetzt und ihren Meinungswandel im Einzelnen begründet.
2. Auf der Grundlage der rechtmäßigen Marktdefinition und Marktanalyse sind
auch die der Klägerin gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 TKG auferlegten Regulie-
rungsverpflichtungen nicht zu beanstanden.
a) Die maßgeblichen Verfahrensbestimmungen wurden auch insoweit eingehal-
ten. Die Bundesnetzagentur hat gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 1
TKG nach abgeschlossener Marktfestlegung den Entwurf einer Regulierungs-
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- 21 -
verfügung am 5. April 2006 veröffentlicht (ABl BNetzA S. 844) und den interes-
sierten Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Nach Anhörung der
Klägerin (§ 135 Abs. 1 TKG) fand am 27. April 2006 die in § 135 Abs. 3 TKG
vorgeschriebene mündliche Verhandlung statt. Das Ergebnis des Konsultati-
onsverfahrens wurde veröffentlicht; sodann notifizierte die Bundesnetzagentur
ihren Entwurf der Kommission und den nationalen Regulierungsbehörden der
übrigen Mitgliedstaaten (§ 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 2 Nr. 1 TKG).
aa) Die Klägerin hält dieses Verfahren deshalb für fehlerhaft, weil mit der Mittei-
lung der Bundesnetzagentur vom 5. April 2006 nur der Entwurf Regulie-
rungsverfügung, gerichtet an T-Mobile, veröffentlicht worden sei, obwohl die
Veröffentlichung adressatbezogener, mit individuellen Gründen versehener
Entwürfe der einzelnen Regulierungsverfügungen geboten sei. Dieser Kritik ist
nicht zu folgen. Das Konsultationserfordernis des § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12
Abs. 1 TKG verlangt zwar, anders als das Verwaltungsgericht meint, die Veröf-
fentlichung nicht nur des beabsichtigten Verfügungstenors, sondern auch eines
Begründungsentwurfs. Die sich daraus bei sachgerechter Gesetzesauslegung
ergebenden Anforderungen sind aber im vorliegenden Fall erfüllt.
Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 TKG gibt für sich
betrachtet nicht zu erkennen, ob mit dem zu veröffentlichenden „Entwurf der
Ergebnisse“ nur der Tenor oder auch die tragenden Gründe der beabsichtigten
Regulierungsverfügung gemeint sind. Aus gesetzessystematischer Sicht könnte
zwar der Umstand, dass sich das Konsolidierungsverfahren nach § 12 Abs. 2
Nr. 1 TKG auf den „Entwurf der Ergebnisse … mit einer Begründung“ bezieht,
den Gegenschluss nahelegen, dass das Begründungserfordernis bei der natio-
nalen Konsultation nicht gelten soll. Gegen die Beschränkung des Konsultati-
onsverfahrens auf den beabsichtigten Tenor der Regulierungsverfügung und für
die Aufnahme einer Begründung in den Konsultationsentwurf spricht allerdings
der Normzweck des § 12 Abs. 1 TKG und des ihm rahmenrechtlich zugrunde
liegenden Art. 6 RRL. Bei der Konsultation geht es nicht oder jedenfalls nicht in
erster Linie um die Gewährung rechtlichen Gehörs gegenüber dem Regulie-
rungsadressaten - ihm ist nach § 135 Abs. 1, 3 TKG Gelegenheit zur schriftli-
chen und zur mündlichen Äußerung zu geben -, sondern um die Herstellung
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umfassender Transparenz gegenüber der interessierten Fachöffentlichkeit.
Dieser Normzweck, der sich aus der amtlichen Überschrift zu Art. 6 RRL eben-
so erschließt wie aus dem zugehörigen Erwägungsgrund 15, gebietet es, das
Konsultationsverfahren auf die entscheidungserheblichen tatsächlichen Fest-
stellungen und rechtlichen Erwägungen der Bundesnetzagentur zu erstrecken
(s. auch Heun, in: HdbTKR, Rn. G 68; Gurlit, in: BerlKomm TKG, § 12 Rn. 16).
Dementsprechend ist in den Marktanalyse-Leitlinien (Nr. 144) geregelt, dass
der zu veröffentlichende Entwurf einer Regulierungsmaßnahme „umfassende
Einzelheiten zu den bereichsspezifischen Verpflichtungen … sowie eine Bewer-
tung der Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen“ enthalten
muss.
Damit ist allerdings nicht gesagt, dass der Entwurf bereits in tatsächlichen
und rechtlichen Einzelheiten mit der Regulierungsverfügung, die nach Ab-
schluss des Konsultations- und Konsolidierungsverfahrens von der Bundes-
netzagentur beschlossen wird, übereinstimmen muss. Für ein derart weitrei-
chendes Anhörungserfordernis enthält weder das nationale noch das Gemein-
schaftsrecht einen Anhaltspunkt. Im Gegenteil besteht der Zweck der Anhörung
gerade darin, dass die Regulierungsbehörde die eingehenden Stellungnahmen
bei ihrer endgültigen Beschlussfassung berücksichtigt (s. Erwägungsgrund 15
RRL), sich also mit den zu ihrem Entwurf vorgebrachten tatsächlichen und
rechtlichen Argumenten inhaltlich auseinandersetzt. Damit einhergehende Än-
derungen in der Begründung des Entwurfs sind vom Normzweck geradezu in-
tendiert. Sie lösen jedenfalls dann, wenn nicht die Ergebnisse geändert bzw.
wesentliche Teile der Begründung ausgetauscht werden, keine erneute Konsul-
tationspflicht aus (vgl. auch Heun a.a.O.).
bb) Gemessen an diesem Maßstab genügte die Veröffentlichung des auf den
Mobilfunknetzbetreiber T-Mobile bezogenen (Muster-)Entwurfs einer Regulie-
rungsverfügung den Anforderungen des § 12 Abs. 1 TKG. Die veröffentlichte
Entwurfsbegründung enthielt im Sinne von Nr. 144 der Marktanalyse-Leitlinien
in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht umfassende Einzelheiten zu den be-
reichsspezifischen Verpflichtungen sowie eine Bewertung der Verhältnismäßig-
keit der vorgeschlagenen Maßnahmen einschließlich der zwischen den Beteilig-
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- 23 -
ten besonders umstrittenen kostenbezogenen Entgeltgenehmigungspflicht.
Sowohl die Klägerin des vorliegenden Verfahrens als auch die übrigen interes-
sierten Parteien waren dadurch über das Vorhaben der Bundesnetzagentur
umfassend unterrichtet und konnten nicht nur zu dem beabsichtigten Tenor der
Regulierungsverfügungen, sondern auch zu den tragenden tatsächlichen und
rechtlichen Erwägungen im Einzelnen Stellung nehmen, was auch geschehen
ist. Soweit die Konsultationsmitteilung vom 5. April 2006 den Hinweis auf die
vier „im Wesentlichen identischen Beschlusskonzepte“ enthielt, war dies nach
dem objektiven Empfängerhorizont nicht etwa so zu verstehen, dass in Bezug
auf die vier Regulierungsadressaten keinerlei Sachverhaltsunterschiede be-
standen, sondern dahin, dass die bestehenden Sachverhaltsunterschiede nicht
für entscheidungserheblich gehalten wurden. Da der veröffentlichte Musterent-
wurf keine wesentlichen, ausschließlich auf den Adressaten T-Mobile bezoge-
nen Begründungselemente aufwies, kann auch von einer gegen die Grundsät-
ze der Nichtdiskriminierung und Neutralität verstoßenden Bevorzugung dieses
Betreibers nicht die Rede sein. Insgesamt wurde der auf Transparenz gerichte-
te Normzweck des § 12 Abs. 1 TKG durch die von der Bundesnetzagentur ge-
wählte Verfahrensweise erreicht.
An dieser Bewertung ändert sich hinsichtlich der Entgeltgenehmigungspflicht
auch nichts dadurch, dass die Behörde an verschiedenen Stellen des veröffent-
lichten Entwurfs hervorgehoben hat, dass von der Auferlegung dieser Regulie-
rungsmaßnahme abgesehen werden könnte, falls der bisherige „Absenkungs-
pfad“ freiwillig fortgesetzt werden sollte. Die Bundesnetzagentur hat damit nicht
die Regulierungsformen der Entgeltgenehmigungspflicht und der nachträgli-
chen Missbrauchskontrolle als gleichermaßen denkbar in Aussicht gestellt,
sondern sie hat zum Ausdruck gebracht, dass sie im Konsultationszeitpunkt die
Regulierung ex-ante für erforderlich hielt, aber eine Änderung ihrer Einschät-
zung auf der Grundlage neuer Erkenntnisse nicht ausschließen konnte. Dieser
Hinweis vereitelte nicht den auf Transparenz zielenden Zweck der Konsultation,
sondern drückte letztlich die Selbstverständlichkeit aus, dass für die Beurteilung
der Regulierungsverfügung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Ent-
scheidung maßgeblich ist und nicht diejenige im Zeitpunkt der Konsultation.
42
- 24 -
b) In materieller Hinsicht erweist sich zunächst die der Klägerin auferlegte Zu-
sammenschaltungs- und Terminierungsverpflichtung (Nr. I.1.1 und I.1.2 der
Regulierungsverfügung) als rechtmäßig.
aa) Diese Verpflichtung stützt sich auf § 13 Abs. 3 i.V.m. § 21 Abs. 1, Abs. 3
Nr. 2 TKG. Nach der Grundnorm des § 21 Abs. 1 Satz 1 TKG kann die Bun-
desnetzagentur marktmächtige Netzbetreiber verpflichten, anderen Unterneh-
men unter den dort genannten Voraussetzungen Zugang zu gewähren. Bei der
Prüfung, ob die Zugangsverpflichtung gerechtfertigt ist und in einem angemes-
senen Verhältnis zu den Regulierungszielen nach § 2 Abs. 2 TKG steht, hat die
Bundesnetzagentur einen sieben Punkte umfassenden Katalog mit weiteren
Abwägungsgesichtspunkten zu berücksichtigen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 TKG). Die-
se umfassende, durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe gesteuerte Ab-
wägung kann von der Ermessensbetätigung der Bundesnetzagentur nicht ge-
trennt werden, sondern ist vielmehr Bestandteil des ihr in Anlehnung an das
Planungsermessen eingeräumten Regulierungsermessens (s. Urteil vom
28. November 2007 - BVerwG 6 C 42.06 - Rn. 28 ff.). Das Regulierungsermes-
sen wird fehlerhaft ausgeübt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattgefun-
den hat - Abwägungsausfall -, in die Abwägung nicht an Belangen eingestellt
worden ist, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden musste
- Abwägungsdefizit -, die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt worden
ist - Abwägungsfehleinschätzung - oder der Ausgleich zwischen ihnen in einer
Weise vorgenommen worden ist, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Be-
lange außer Verhältnis steht - Abwägungsdisproportionalität - (stRspr zum Pla-
nungsermessen, s. nur Urteil vom 21. März 1996 - BVerwG 4 C 19.94 -
BVerwGE 100, 370 <383 f.> = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 113 S. 114 f.
m.w.N.). Derartige Ermessensfehler sind der Bundesnetzagentur nicht unterlau-
fen.
bb) Bei der Überprüfung der Ausübung des der Behörde eröffneten Ermes-
sensspielraums ist in Bezug auf § 21 Abs. 3 TKG grundsätzlich zu beachten,
dass die Bundesnetzagentur die dort besonders hervorgehobenen Zugangs-
verpflichtungen marktmächtigen Betreibern auferlegen „soll“. Dazu zählt die
Verpflichtung, Zusammenschaltungen von Telekommunikationsnetzen zu er-
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- 25 -
möglichen (§ 21 Abs. 3 Nr. 2 TKG). Die Zusammenschaltung als Unterfall des
Zugangs ist in § 3 Nr. 34 TKG definiert als „derjenige Zugang, der die physi-
sche und logische Verbindung öffentlicher Telekommunikationsnetze herstellt,
um Nutzern eines Unternehmens die Kommunikation mit Nutzern desselben
oder eines anderen Unternehmens … zu ermöglichen“. Dieser Begriff der Zu-
sammenschaltung umfasst auch die Terminierung, wie sich aus Anhang I Nr. 2
RRL ergibt, der unter dem Oberbegriff Zusammenschaltung u.a. die Anrufzu-
stellung in öffentlichen Festtelefon- und Mobiltelefonnetzen nennt. Bestimmt
eine Rechtsvorschrift, dass eine Behörde sich bei der Ermessensbetätigung in
bestimmter Weise verhalten soll, deutet dies auf eine strikte Bindung für den
Regelfall mit der Möglichkeit der Abweichung in atypischen Fällen hin. Nicht nur
der Wortlaut, sondern auch die Systematik des § 21 TKG mit der Abstufung
von „kann“ (Abs. 1 und 2) zu „soll“ (Abs. 3) streitet dafür, die letztgenannte Be-
stimmung als eine echte Soll-Vorschrift in diesem Sinne zu begreifen; dies ent-
spricht auch erkennbar dem Willen des Gesetzgebers, wie sich aus den Geset-
zesmaterialien erschließt (s. BTDrucks 15/2316 S. 65). Die bislang nicht ab-
schließend geklärte Frage, ob § 21 Abs. 3 TKG in dieser Auslegung gemein-
schaftsrechtskonform ist oder aber gegen den in Art. 8 Abs. 1, 2 und 4, Art. 12
der Richtlinie 2002/19/EG über den Zugang zu elektronischen Kommunikati-
onsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung
- Zugangsrichtlinie, ZRL - gemeinschaftsrechtlich ausgestalteten Ermessens-
spielraum der Regulierungsbehörde verstößt (s. etwa Thomaschki, in:
BerlKomm TKG, § 21 Rn. 144 einerseits sowie Heun, in: HdbTKR, Rn. H 274
andererseits), bedarf aus Anlass des vorliegenden Falles keiner Entscheidung.
Denn die Bundesnetzagentur hat ihr Ermessen auch unter der Prämisse, dass
dieses - sei es unter dem Gesichtspunkt der richtlinienkonformen Anwendung
des § 21 Abs. 3 TKG oder der unmittelbaren Anwendung der Richtlinie, sei es
unter dem Gesichtspunkt eines atypischen Falles - keinen Einschränkungen
unterliegt, im hier vorliegenden Fall ordnungsgemäß ausgeübt.
Im Zusammenhang mit der der Klägerin auferlegten Zusammenschaltungsver-
pflichtung ist die Bundesnetzagentur ausdrücklich davon ausgegangen, dass
die Regulierungsziele nach § 2 Abs. 2 TKG sowie die Abwägungskriterien des
§ 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 7 TKG mit zu berücksichtigen sind. Dabei hat sie
46
- 26 -
ihre Auffassung deutlich gemacht, dass die Zusammenschaltungspflicht immer
dann - und nur dann - aufzuerlegen ist, wenn damit auch die Pflicht zur Gewäh-
rung des Zugangs durch Verbindungsleistungen, hier also die Terminierungs-
verpflichtung, verbunden wird. Damit hat sie zu erkennen gegeben, dass sich
die nachfolgend unter dem Oberbegriff Terminierung im Einzelnen durchgeführ-
te Abwägung der Sache nach auch schon auf die Zusammenschaltung als sol-
che bezieht. In diesem Sinne hat sich die Bundesnetzagentur mit den in § 21
Abs. 1 Satz 1 TKG aufgeführten Interessen der Endnutzer sowie mit den Regu-
lierungszielen des § 2 Abs. 2 TKG und in diesem Zusammenhang vor allem mit
dem Sieben-Punkte-Katalog des § 21 Abs. 1 Satz 2 TKG eingehend und er-
schöpfend auseinandergesetzt.
cc) Die Klägerin beanstandet, dass die Bundesnetzagentur bei ihrer Abwägung
das Gewicht der schon freiwillig bestehenden Zugangsangebote verkannt und
die bloß abstrakte Gefahr einer Rücknahme oder Einschränkung freiwilliger
Angebote als ausreichend für die Auferlegung einer Zugangsverpflichtung an-
gesehen habe. Die diesbezüglichen Ermessenserwägungen der Behörde, die
auf die Eigenschaft der Terminierung als eines nicht zu duplizierenden Vorleis-
tungsproduktes und auf das daran bestehende überragende Interesse der
Endnutzer abstellen, lassen keinen Rechtsfehler, insbesondere keine unange-
messene Verkürzung der Belange der Klägerin erkennen und sind daher auch
in Anbetracht des gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Verhältnismäßigkeits-
grundsatzes (Art. 8 Abs. 4 ZRL) rechtlich hinzunehmen.
Bei der etwaigen Berücksichtigung freiwilliger Angebote muss verhindert wer-
den, dass das zu regulierende Unternehmen unter Hinweis auf sein bestehen-
des freiwilliges Angebot eine Zugangsgewährungspflicht abwendet, dann je-
doch die freiwilligen Angebote aus dem Markt zurückzieht oder etwa durch
überhöhte Entgeltforderungen so verändert, dass sie zur Behebung des Wett-
bewerbsproblems nicht taugen (vgl. Piepenbrock/Attendorn, BeckTKG, § 21
Rn. 109). Deshalb lassen freiwillige Angebote insbesondere dann, wenn sich
das marktmächtige Unternehmen in Bezug auf ein überragend wichtiges Vor-
leistungsprodukt nicht in ausreichendem Maße einer entgegengerichteten
Nachfragemacht ausgesetzt sieht, wie dies auf den monopolisierten Mobilfunk-
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Terminierungsmärkten nach den Feststellungen der Bundesnetzagentur der
Fall ist, nicht den Rückschluss zu, dass die Auferlegung abstrakter Zugangs-
verpflichtungen überflüssig und unverhältnismäßig ist (vgl. Thomaschki, in:
BerlKomm TKG, § 21 Rn. 71). Die Bundesnetzagentur muss in einer solchen
Konstellation auch nicht die Verpflichtung, einen bereits gewährten Zugang
nicht nachträglich zu verweigern (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 TKG), als ein gegenüber der
Zugangsverpflichtung milderes Mittel vorrangig anwenden. Denn diese Alterna-
tive wäre erkennbar nicht gleich geeignet, weil sie sich nur auf bereits beste-
hende Zusammenschaltungsvereinbarungen bezöge, aber anderen Terminie-
rungsnachfragern nicht ermöglichte, sich direkt mit der Klägerin zusammenzu-
schalten.
c) Die der Klägerin weiterhin auferlegte Verpflichtung, zum Zwecke des Zu-
gangs Kollokation sowie in deren Rahmen Nachfragern bzw. deren Beauftrag-
ten jederzeit Zutritt zu diesen Einrichtungen zu gewähren (Nr. I.1.3 der Regulie-
rungsverfügung), findet ihre Rechtsgrundlage in § 21 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 4 TKG.
Mit dem im Telekommunikationsgesetz nicht definierten Begriff der Kollokation
ist die Unterbringung der für die Nutzung der Zugangsleistung erforderlichen
Einrichtungen in den Räumen des marktmächtigen Netzbetreibers („physische
Kollokation“) bzw. alternativ die Möglichkeit der Nutzung der Zugangsleistung
unter gleichwertigen wirtschaftlichen, technischen und betrieblichen Bedingun-
gen („virtuelle Kollokation“) gemeint. Diese beiden früher in § 3 der Netzzu-
gangsverordnung vom 23. Oktober 1996 (BGBl I S. 1568) genannten Formen
der Kollokation sollten von § 21 Abs. 3 Nr. 4 TKG gleichermaßen erfasst wer-
den (so die amtliche Begründung in BTDrucks 15/2316 S. 66). Auch im Zu-
sammenhang mit der Auferlegung der Kollokationsverpflichtung ist die Bundes-
netzagentur in eine umfassende Abwägung der in § 21 Abs. 1 TKG genannten
Belange eingetreten, so dass es auch insoweit auf die im Zusammenhang mit
der Soll-Vorschrift des § 21 Abs. 3 TKG aufgeworfenen gemeinschaftsrechtli-
chen Fragen nicht entscheidungserheblich ankommt. Soweit die Behörde im
Rahmen ihrer Abwägung ausgeführt hat, dass bisher bestehende freiwillige
Angebote die Auferlegung der abstrakten Zugangsverpflichtung nicht entbehr-
lich machen, wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.
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- 28 -
d) Die der Klägerin auferlegte Verpflichtung, dass Vereinbarungen über Zugän-
ge auf objektiven Maßstäben beruhen, nachvollziehbar sein, einen gleichwerti-
gen Zugang gewähren und den Geboten der Chancengleichheit und Billigkeit
genügen müssen (Nr. I.2 der Regulierungsverfügung), beruht auf § 19 TKG.
Die Bundesnetzagentur hat dazu ausgeführt, dass sie die Auferlegung eines
Gleichbehandlungsgebotes auf einem wettbewerbsbeschränkten Markt regel-
mäßig, insbesondere aber dann für sinnvoll halte, wenn das marktbeherr-
schende Unternehmen vertikal integriert sei und für konkurrierende Unterneh-
men Dienste erbringe. Entscheidend sei dabei nicht, wie sich das marktmächti-
ge Unternehmen in der Vergangenheit verhalten habe, sondern welche Mög-
lichkeiten es habe, um Wettbewerbsverzerrungen hervorzurufen. Diese Erwä-
gungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Die Auferlegung des Diskriminie-
rungsverbotes als eines regelmäßigen Bestandteils des marktmächtigen Betrei-
bern aufzuerlegenden Pflichtenkanons liegt schon deshalb nahe, weil es im
allgemeinen Wettbewerbsrecht ein gesetzliches Diskriminierungsverbot gibt
(§ 20 GWB), hinter dem zurückzubleiben dem Grundgedanken der sektorspezi-
fischen Regulierung widerspräche (s. Piepenbrock/Attendorn, in: BeckTKG,
§ 19 Rn. 19). Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass die Gleichbehand-
lungspflicht den Handlungsspielraum des regulierten Unternehmens übermäßig
einschränke und im Gegensatz zu den Regulierungszielen des § 2 Abs. 2 Nr. 2
und 3 TKG einen vorstoßenden Wettbewerb mit innovativen Produkten behin-
dere. Denn dem Diskriminierungsverbot des § 19 TKG ist die Möglichkeit im-
manent, eine objektive Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe zu recht-
fertigen. Darüber ist im Wege einer umfassenden Abwägung der Interessen der
Beteiligten unter Berücksichtigung der Regulierungsziele zu entscheiden, wobei
auch zweckentsprechenden Innovationsanreizen im Wettbewerb eine wesentli-
che Bedeutung zukommt (s. näher Urteil vom 18. Dezember 2007 - BVerwG
6 C 47.06 - Rn. 30 ff.).
e) Die der Klägerin auferlegte Pflicht zur Veröffentlichung eines Standardange-
botes für Zugangsleistungen, zu deren Angebot sie durch die Regulierungsver-
fügung verpflichtet worden ist und für die eine allgemeine Nachfrage besteht,
stützt sich auf § 23 Abs. 1 TKG. Ob diese Bestimmung, die in ihrer auf den
Streitfall noch anwendbaren Fassung vom 22. Juni 2004 (BGBl I S. 1190) eine
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Soll-Vorschrift war und erst nachträglich durch Gesetz vom 18. Februar 2007
(BGBl I S. 106) in eine Kann-Vorschrift umgewandelt worden ist, gemein-
schaftsrechtlich mit Art. 9 Abs. 2 ZRL vereinbar ist, bedarf aus Anlass des vor-
liegenden Falles wiederum keiner Entscheidung. Die Europäische Kommission
hat insoweit neben dem von ihr angenommenen Verstoß gegen den der natio-
nalen Regulierungsbehörde von Gemeinschaftsrechts wegen zuerkannten Er-
messensspielraum weiter beanstandet, dass § 23 Abs. 1 TKG die Auferlegung
der Standardangebotspflicht gegenüber Betreibern, die nur einer Gleichbe-
handlungs-, aber keiner Zugangspflicht unterliegen, nicht vorsehe und dass er
die betreffende Verpflichtung über Art. 9 Abs. 2 ZRL hinaus an die Vorausset-
zung einer allgemeinen Nachfrage knüpfe (Stellungnahme vom 12. April 2005
- C <2005> 1196).
Auf die unterschiedliche Anknüpfung des § 23 Abs. 1 TKG an eine Zugangs-
verpflichtung und des Art. 9 Abs. 2 ZRL an eine Gleichbehandlungsverpflich-
tung kommt es hier deshalb nicht an, weil der Klägerin beide Verpflichtungen
auferlegt worden sind. Ob die in der Regulierungsverfügung nachvollzogene
Beschränkung des § 23 Abs. 1 TKG auf eine allgemeine Nachfrage gegen
Art. 9 Abs. 2 ZRL verstößt, kann auf sich beruhen, weil sie die Klägerin jeden-
falls nicht beschwert. Was die mit der Soll-Vorschrift einhergehende Ermes-
sensbindung anlangt, hat die Bundesnetzagentur darauf nicht entscheidungs-
erheblich abgehoben, sondern auch insoweit ausreichende Ermessenserwä-
gungen angestellt, die sich auf die Annahme eines künftig noch zunehmenden
Verkehrs mit dem Netz der Klägerin und eines steigenden Interesses der Fest-
netzbetreiber an einer beschleunigten Zusammenschaltung mittels des Stan-
dardangebotes beziehen. Soweit sich die Klägerin demgegenüber auf die in der
Vergangenheit freiwillig und diskriminierungsfrei abgeschlossenen Vereinba-
rungen beruft, führt dies in Bezug auf die ihr abstrakt auferlegte Verpflichtung
ebenso wenig auf einen Ermessensfehler wie bei den bereits zuvor erörterten
anderen Verpflichtungen.
f) Rechtmäßig ist schließlich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts
auch die von der Bundesnetzagentur unter Nr. I.3 ihrer Verfügung getroffene
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Regelung, dass die Entgelte für die Gewährung des Zugangs und der Kolloka-
tion der Genehmigung unterliegen.
aa) Dieser Ausspruch, durch den die Behörde nach der insoweit zutreffenden
Auslegung des Verwaltungsgerichts nicht eine - etwa bereits kraft Gesetzes
bestehende - Entgeltgenehmigungspflicht feststellen, sondern eine solche
Pflicht der Klägerin auferlegen wollte, findet ihre Rechtsgrundlage in § 30
Abs. 1 Satz 1 TKG. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 13. Juni 2007
- BVerwG 6 VR 5.07 - (NVwZ 2007, 1207 Rn. 12) Zweifel geäußert hat, ob § 30
Abs. 1 Satz 1 TKG zu einer (konstitutiven) Auferlegung der Entgeltgenehmi-
gungspflicht ermächtigt oder nicht vielmehr diesen Grundfall der Entgeltregulie-
rung kraft Gesetzes festlegt, hält er daran nach abschließender Prüfung nicht
fest. § 30 Abs. 1 Satz 1 TKG, wonach Entgelte eines marktmächtigen Netz-
betreibers für nach § 21 TKG auferlegte Zugangsleistungen vorbehaltlich der
nachfolgenden Absätze einer Genehmigung durch die Bundesnetzagentur nach
Maßgabe des § 31 TKG unterliegen, begründet keine gesetzesunmittelbare
Verpflichtung, sondern bildet die Rechtsgrundlage für eine entsprechende Re-
gulierungsentscheidung der Bundesnetzagentur.
Der Wortlaut des § 30 Abs. 1, 2 und 3 TKG in der hier noch maßgeblichen Fas-
sung vom 22. Juni 2004, der mehrfach zwischen den Begriffen „unterliegen“
und „unterwerfen“ unterscheidet, könnte zwar dafür sprechen, dass nicht mit
dem ersten, sondern nur mit dem zweiten Begriff ein konstitutiver Akt der Bun-
desnetzagentur gemeint ist. Zwingend ist ein solch differenziertes Verständnis
aber nicht, zumal § 30 Abs. 3 Satz 2 TKG in der - auf den vorliegenden Fall
allerdings noch nicht anwendbaren - Fassung vom 18. Februar 2007 nunmehr
formuliert, dass die dort genannten Entgelte, soweit die Bundesnetzagentur
eine Genehmigungspflicht für nicht angemessen hält, der nachträglichen Regu-
lierung „unterliegen“. Die Gesetzessystematik streitet für ein konstitutives Ver-
ständnis sämtlicher Regelungen des § 30 TKG. Denn nach § 9 Abs. 2 TKG
werden marktmächtigen Unternehmen Maßnahmen nach Teil 2 des Gesetzes,
zu dem auch § 30 gehört, durch die Bundesnetzagentur auferlegt. Ebenso geht
§ 13 Abs. 1 Satz 1 TKG von der Auferlegung der dort genannten Verpflichtun-
gen, u.a. nach § 30 TKG, durch die Behörde aus. Die Entstehungsgeschichte
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- 31 -
bestätigt diesen Befund. Denn zur Begründung des § 30 Abs. 1 TKG, der seine
endgültige Fassung auf Empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
erhielt, wird in den Materialien unter Hinweis auf den Verhältnismäßigkeits-
grundsatz ausgeführt, dass der Regulierungsbehörde „Ermessensspielräume in
vollem Umfang zustehen“ sollen (BTDrucks 15/2674 vom 10. März 2004
S. 31 f.; BTDrucks 15/2679 vom selben Tag S. 14). Der Normzweck deutet in
die gleiche Richtung. Der Gesetzgeber verfolgte mit dem Telekommunikations-
gesetz vom 22. Juni 2004 insgesamt das Ziel, die Regulierung auf das erforder-
liche Maß zurückzuführen und zu diesem Zweck gesetzesunmittelbare Ver-
pflichtungen auf das neue System des Erlasses regulierungsbezogener Verwal-
tungsakte umzustellen (s. auch Beschluss vom 17. Mai 2006 - BVerwG 6 C
14.05 - BVerwGE 126, 74 Rn. 37 = Buchholz 442.066 § 150 TKG Nr. 1). Das
spricht dafür, dass auch die Entgeltregulierungsnormen diese neue Regelungs-
konzeption nachvollziehen.
Selbst wenn die Auslegung des nationalen Rechts für ein abweichendes Norm-
verständnis Raum lassen sollte (so Heun/Jenny, CR 2007, 287 <290>), ist al-
lein das soeben beschriebene Auslegungsergebnis gemeinschaftsrechtskon-
form. Die in § 30 TKG vorgesehene Entgeltregulierung setzt Art. 13 ZRL um,
der seinerseits mit Art. 8 ZRL in Zusammenhang steht. Ebenso wie Art. 16
Abs. 4 RRL handelt Art. 8 Abs. 1 und 2 ZRL von der Auferlegung bestimmter, in
den Art. 9 bis 13 ZRL näher bezeichneter Verpflichtungen durch die nationale
Regulierungsbehörde, die dabei nach Art. 8 Abs. 4 ZRL den Verhältnismäßig-
keitsgrundsatz beachten muss. Die Europäische Kommission hat daraus in ih-
rer schon zitierten Stellungnahme vom 12. April 2005 hergeleitet, dass allein
die nationale Regulierungsbehörde über den vollen Ermessensspielraum in
Bezug auf die Angemessenheit der aufzuerlegenden (Entgelt-)Regulierungs-
verpflichtung verfüge und jegliche Vorstrukturierung dieses Ermessensspiel-
raums durch den nationalen Gesetzgeber gemeinschaftsrechtswidrig sei.
Selbst wenn dieser Auffassung nicht zu folgen und eine legislative Vorsteue-
rung durch einzelne Soll-Vorschriften bzw. der Ausschluss einzelner Entschei-
dungsvarianten in bestimmten Fallkonstellationen mit Gemeinschaftsrecht noch
vereinbar sein sollte, steht zur Überzeugung des Senats aber jedenfalls fest,
dass ein Verständnis von § 30 Abs. 1 TKG, wonach Satz 1 die Genehmigungs-
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pflicht kraft Gesetzes generell anordnet und die Bundesnetzagentur nur aus-
nahmsweise in den in Satz 2 genannten Fällen hiervon abweichen kann, nicht
mehr richtlinienkonform wäre. Deshalb ist die - schon nach nationalem Recht
zumindest naheliegende - Auslegung zu wählen, wonach die Bundesnetzagen-
tur in allen Fällen des § 30 Abs. 1 TKG über das Ob und das Wie der Entgelt-
regulierung zu entscheiden hat.
bb) Die in § 30 Abs. 1 Satz 1 TKG genannten tatbestandlichen Voraussetzun-
gen für die Auferlegung der Entgeltgenehmigungspflicht liegen ersichtlich vor.
Bei der Klägerin handelt es sich um die Betreiberin eines öffentlichen Tele-
kommunikationsnetzes, die auf dem hier sachlich und räumlich relevanten Ter-
minierungsmarkt über beträchtliche Marktmacht verfügt und der die Zugangs-
leistungen, auf die sich die in Rede stehenden Entgelte beziehen, nach § 21
TKG auferlegt wurden. Schließlich ist keine der in § 30 Abs. 2 bis 5 TKG ab-
weichend geregelten Fallgestaltungen gegeben.
cc) Die Bundesnetzagentur ist zutreffend davon ausgegangen, dass ihr bei der
Entscheidung über die Entgeltregulierung „Ermessensspielräume in vollem Um-
fang“ zustanden. Der gegenteiligen Auffassung des Verwaltungsgerichts, wo-
nach der Ermessensspielraum der Bundesnetzagentur im vorliegenden Fall
durch die Soll-Vorschrift des § 30 Abs. 1 Satz 2 TKG zugunsten einer nachträg-
lichen Entgeltregulierung eingeschränkt werde, ist dagegen nicht zu folgen.
Nach der zuletzt genannten Bestimmung soll die Bundesnetzagentur abwei-
chend von Satz 1 solche Entgelte dann einer nachträglichen Regulierung un-
terwerfen, wenn - erstens - der Betreiber nicht gleichzeitig auf dem betreffen-
den Markt für Endkundenleistungen über beträchtliche Marktmacht verfügt,
wenn - zweitens - erst nach Inkrafttreten des Gesetzes beträchtliche Markt-
macht festgestellt worden ist, ohne dass der Betreiber schon zuvor auf dem
relevanten Markt als marktbeherrschend eingestuft worden war, und wenn
schließlich - drittens - diese Maßnahme zur Erreichung der Regulierungsziele
nach § 2 Abs. 2 TKG ausreicht. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die
beiden ersten (negativen) Voraussetzungen zugunsten der Klägerin vorliegen,
sodass die Auswahl zwischen den beiden Entgeltregulierungsinstrumenten nur
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davon abhängt, ob die nachträgliche Regulierung als das mildere Mittel „aus-
reicht“ oder nicht.
In dieser Konstellation besteht weder ein genereller Vorrang des Normbefehls
aus § 30 Abs. 1 Satz 1 TKG, wenn die Anwendung der Rechtsfolge des Sat-
zes 2 nur von dem unbestimmten Rechtsbegriff des „Ausreichens“ abhängt,
noch lässt sich umgekehrt ein genereller Anwendungsvorrang des Satzes 2 auf
dessen Charakter als Soll-Vorschrift stützen, da die intendierte Rechtsfolge
eben nur unter der Voraussetzung ihres „Ausreichens“ eintritt. Das im Gesetz
angelegte komplexe Entscheidungsprogramm ist vielmehr von der Bundes-
netzagentur innerhalb des hier eingeräumten Regulierungsermessens zu be-
wältigen. Der Senat hat zu § 21 Abs. 1 TKG bereits entschieden, dass die Prü-
fung, ob die Auferlegung einer Zugangsverpflichtung gerechtfertigt ist und in
einem angemessenen Verhältnis zu den Regulierungszielen steht, einen un-
trennbaren Bestandteil des Regulierungsermessens bildet (Urteil vom
28. November 2007 - BVerwG 6 C 42.06 - juris Rn. 29). Ebenso liegt es auch
hier. Die Entscheidung, ob eine nachträgliche Entgeltregulierung zur Erreichung
der Regulierungsziele ausreicht, ist von der Bundesnetzagentur nach Maßgabe
des ihr eingeräumten, vom Gericht auf Abwägungsfehler zu überprüfenden Re-
gulierungsermessens zu entscheiden. Für diese Konstellation führt daher schon
die Auslegung des nationalen Rechts zu dem Ergebnis, welches nach Ansicht
der Europäischen Kommission in ihrer bereits mehrfach zitierten Stellungnah-
me vom 12. April 2005 gemeinschaftsrechtlich geboten ist. Die Streitfrage, ob
§ 30 Abs. 1 TKG in der umgekehrten Konstellation, in der die (negativen) Vor-
aussetzungen des Satzes 2 Nr. 1 und 2 nicht vorliegen, zu gemeinschafts-
rechtskonformen Ergebnissen führt, kann hier auf sich beruhen.
dd) Die Ermessensentscheidung der Bundesnetzagentur ist nicht deshalb feh-
lerhaft, weil sie sich an dem für geboten erachteten Prüfungsmaßstab - den
Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung - ausgerichtet hat. Der Einwand,
dieser Kostenmaßstab komme nur bei feststehender Entgeltgenehmigungs-
pflicht zum Tragen, nicht aber schon für die Auswahl zwischen der Entgeltge-
nehmigungspflicht und der nachträglichen Entgeltregulierung, trifft nicht zu.
Zwar lässt sich dem § 30 Abs. 1 TKG die gesetzliche Wertung entnehmen,
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dass neben der vorherigen Entgeltgenehmigung auch die nachträgliche Ent-
geltregulierung zur Erreichung des Gesetzeszwecks grundsätzlich geeignet ist.
Doch weisen die materiellen Kontrollmaßstäbe beider Regulierungsarten Un-
terschiede auf, die im Rahmen eines sachgerecht ausgeübten Regulierungs-
ermessens die Entscheidung darüber mit zu bestimmen haben, welches der
beiden Instrumente angemessen ist.
Nach § 31 Abs. 1 TKG sind Entgelte, die gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 TKG ge-
nehmigungsbedürftig sind, grundsätzlich dann genehmigungsfähig, wenn sie
die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung nicht überschreiten. Dagegen
gelten für die nachträgliche Regulierung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 38
Abs. 2 TKG die Maßstäbe des § 28 TKG. Danach darf ein marktmächtiger
Diensteanbieter oder Netzbetreiber seine Stellung bei der Forderung und Ver-
einbarung von Entgelten nicht missbräuchlich ausnutzen. Ein Missbrauch liegt
insbesondere dann vor, wenn das Unternehmen Entgelte fordert, die nur auf-
grund seiner beträchtlichen Marktmacht auf dem jeweiligen Markt durchsetzbar
sind (Preishöhenmissbrauch, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 TKG). Im Unterschied zu
der früheren Rechtslage, nach der sich die zu regulierenden Entgelte generell
an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung zu orientieren hatten
(§ 24 Abs. 1 TKG 1996), war mit der Neuregelung beabsichtigt, den nun gel-
tenden § 28 TKG stärker an § 19 Abs. 4 GWB auszurichten (s. BTDrucks
15/2316 S. 67). Im allgemeinen Wettbewerbsrecht wird als Maßstab für die Er-
fassung eines Preishöhenmissbrauchs nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB ein „Als-
Ob-Wettbewerbspreis“ zugrunde gelegt, d.h. ein hypothetischer Preis, der sich
bei wirksamem Wettbewerb auf dem beherrschten Markt ergäbe. Missbräuch-
lich überhöht gegenüber einem solchen hypothetischen Preis sind die Entgelte
eines marktbeherrschenden Unternehmens wegen des mit dem Missbrauchs-
vorwurf verbundenen Unrechtsurteils allerdings erst dann, wenn sie diese er-
heblich überschreiten, wobei der Missbrauchszuschlag je nach den Marktgege-
benheiten unterschiedlich sein kann (zum Ganzen: BGH, Beschluss vom
28. Juni 2005 - KVR 17/04 - BGHZ 163, 282 <295 f.>; Möschel, in: Immenga/
Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 19 Rn. 159; jeweils m.w.N.).
61
- 35 -
Diese unterschiedlichen Maßstäbe der Entgeltregulierung sind nicht erst Folge
der schon getroffenen Regulierungsentscheidung, sondern beeinflussen im
Rahmen des Regulierungsermessens die Wahl des richtigen Mittels. Denn bei
den Regulierungsvorschriften des Telekommunikationsgesetzes handelt es sich
um sektorspezifisches Sonderkartellrecht, das den Kostenmaßstab des § 31
Abs. 1 TKG als ein den Besonderheiten dieses Wirtschaftszweiges angepass-
tes Kontrollinstrument bereitstellt, wenn und soweit die bloße Missbrauchskon-
trolle auch und gerade wegen des erforderlichen Missbrauchszuschlags an Ef-
fizienzgrenzen stößt (vgl. Säcker/Wolf, K&R 2007, 20 <21>). Es handelt sich
mithin bei den beiden genannten Kontrollmaßstäben um unterschiedlich stren-
ge Regulierungsinstrumente, über deren Einsatz die Regulierungsbehörde auf-
grund des ihr eingeräumten Regulierungsermessens entscheidet. Auch das
Gemeinschaftsrecht fordert, dass die Regulierungsbehörde bei der Preiskon-
trolle ihr diesbezügliches Ermessen ausübt, wenn sie die Auswahl trifft zwi-
schen einem Eingriff, der „relativ zurückhaltend“ ist, und der Anordnung, „dass
die Preise zur umfassenden Rechtfertigung ihrer Höhe kostenorientiert sein
müssen“ (vgl. Erwägungsgrund 20 zu Art. 13 ZRL).
ee) Die Einschätzung der Bundesnetzagentur, dass die nachträgliche Entgelt-
regulierung nicht ausreicht, sondern die Auferlegung der Entgeltgenehmi-
gungspflicht erforderlich und angemessen ist, um die Regulierungsziele des § 2
Abs. 2 TKG zu erreichen, ist im Rahmen des Regulierungsermessens vertret-
bar. Wie sich bei der gebotenen Zusammenschau der vier aufeinander bezo-
genen, am selben Tag gegen die Klägerin und die drei anderen deutschen Mo-
bilfunknetzbetreiber aufgrund der einheitlichen Marktfestlegung erlassenen Re-
gulierungsverfügungen (ABl BNetzA 2006 S. 2271 bis 2359) ergibt, hat sich die
Bundesnetzagentur bei ihrer Abwägung schwerpunktmäßig mit den Regulie-
rungszielen der Wahrung der Verbraucherinteressen gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1
TKG und der Sicherstellung eines chancengleichen Wettbewerbs nach § 2
Abs. 2 Nr. 2 TKG auseinandergesetzt (a.a.O. S. 2287 ff., 2309 ff., 2332 f.,
2353 ff.), daneben als weitere Regulierungsziele aber auch die Förderung von
effizienten Investitionen und die Unterstützung von Innovationen gemäß § 2
Abs. 2 Nr. 3 TKG in den Blick genommen (a.a.O. S. 2355). Diese Schwer-
punktbildung ist im Prinzip nicht zu beanstanden, zumal aus Art. 13 Abs. 2
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Satz 1 ZRL mittelbar entnommen werden kann, dass neben wirtschaftlicher
Effizienz und der Förderung nachhaltigen Wettbewerbs die Belange der
Verbraucher bei der Entgeltregulierung von vorrangiger Bedeutung sind.
Was zunächst das Regulierungsziel der Wahrung der Verbraucherinteressen
betrifft, hält die Bundesnetzagentur diese durch überhöhte, nicht eng an den
Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung orientierte Terminierungsentgelte
für erheblich beeinträchtigt. Auch wenn Senkungen der Terminierungsentgelte
nicht an alle Kunden unmittelbar und in voller Höhe weitergegeben würden,
führten doch spürbare Absenkungen erfahrungsgemäß zu durchschnittlich
niedrigeren Endkundenentgelten, während die Anbieter im umgekehrten Fall
erhöhte Entgelte zumindest zeitversetzt auf die Kunden abwälzen würden. Die
gebotene Kostenorientierung der Terminierungsentgelte könne durch eine
nachträgliche Missbrauchskontrolle auch unter Berücksichtigung des vereinbar-
ten Absenkungspfades nicht ausreichend sichergestellt werden.
Der dagegen erhobene Einwand, die Behörde bediene sich eines Zirkelschlus-
ses, der bei jedweder Entgeltregulierung gleichsam automatisch zu der Ge-
nehmigungspflicht als der strengeren Regulierungsform führe, trifft nicht zu.
Nach dem gemeinschaftlichen Rechtsrahmen kann die Behörde dann, wenn
eine Marktanalyse darauf hinweist, dass ein Betreiber aufgrund eines Mangels
an wirksamem Wettbewerb seine Preise zum Nachteil der Endnutzer auf einem
übermäßig hohen Niveau halten könnte, diesem Betreiber Verpflichtungen
betreffend die Kostendeckung und die Preiskontrolle einschließlich kostenorien-
tierter Preise auferlegen (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 ZRL). Derartige Hinweise haben
sich bei der hier vorliegenden Marktanalyse ergeben, denn danach wird die be-
trächtliche Marktmacht der Klägerin und der drei anderen Mobilfunknetzbetrei-
ber auf den monopolartig strukturierten Terminierungsmärkten nicht durch eine
wirksame entgegengerichtete Nachfragemacht beschränkt. Dies hat jedenfalls
in der Vergangenheit, nämlich bevor sich die Unternehmen zur freiwilligen Ab-
senkung der Entgelte bereitfanden, zu deutlich überhöhten Terminierungsent-
gelten geführt. Bereits im Zusammenhang mit der Auferlegung der Zugangs-
verpflichtungen hat die Bundesnetzagentur zudem herausgestellt, dass es sich
bei der Terminierungsleistung um ein überragend wichtiges, weil nicht zu dupli-
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zierendes Vorleistungsprodukt handelt. In diesem Zusammenhang ist auch
plausibel, dass die bedeutend höheren Terminierungsentgelte für die Verbin-
dung in das Mobilfunknetz schon in quantitativer Hinsicht eine weitaus größere
Bedeutung für die Verbraucher haben als die entsprechenden (niedrigeren)
Entgelte bei Festnetzverbindungen. Damit ist in der rechtlich gebotenen Weise
nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Bundesnetzagentur gerade bei den
hier umstrittenen Mobilfunkterminierungsentgelten eine enge Kostenorientie-
rung im Verbraucherinteresse für notwendig hält.
Soweit gegen die Ermessenserwägungen der Bundesnetzagentur weiter ein-
gewendet wird, es gebe kein generelles Verbraucherinteresse an möglichst
niedrigen Terminierungsentgelten, da Mobilfunkendkunden im Gegenteil an
den aus hohen Terminierungsentgelten resultierenden Einnahmen ihres Netz-
betreibers interessiert seien, die ihnen in Form von subventionierten Endgerä-
ten, verbilligten Anschlussgebühren etc. zugutekämen, führt auch dies nicht auf
einen Abwägungsfehler. In Bezug auf die Anrufempfängerseite hat die Bun-
desnetzagentur nicht übersehen, dass diese von überhöhten Terminierungs-
entgelten ihres jeweiligen Netzbetreibers profitieren könnte, was sich auch mit
der Einschätzung im Rahmen der Marktanalyse deckt. Die Behörde hält dem
aber in rechtlich vertretbarer Weise entgegen, dass zum einen die Weitergabe
überhöhter Terminierungsentgelte an die eigenen Kunden nicht in vollem Um-
fang sichergestellt sei und dass zum anderen keine Rechtfertigung dafür be-
stehe, die Belastung der Anrufer mit einer Entlastung der Angerufenen zu ver-
rechnen. Das Anliegen der Bundesnetzagentur, unter dem Gesichtspunkt des
Verbraucherschutzes die Anruferseite vor den Auswirkungen von Mobilfunk-
terminierungsentgelten zu schützen, die nach dem Ergebnis der Marktanalyse
in der Vergangenheit deutlich höher als Wettbewerbspreise lagen, wird von
dem Regulierungsermessen gedeckt.
In Bezug auf das Regulierungsziel der Sicherstellung eines chancengleichen
Wettbewerbs hält die Bundesnetzagentur eine nachträgliche Entgeltkontrolle
anhand des Missbrauchsmaßstabes ebenfalls für nicht ausreichend, weil über-
höhte, d.h. nicht kostenorientierte Terminierungsentgelte den Wettbewerb zu
Lasten netzexterner Anrufer verzerrten und damit insbesondere Netzbetreiber
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mit geringerem Kundenstamm benachteiligten. Diese Einschätzung kann sich
auf das von der Behörde zur Vorbereitung ihrer Marktdefinition und Marktanaly-
se eingeholte Sachverständigengutachten insofern stützen, als darin Hebelwir-
kungen hoher Terminierungsentgelte zum Nachteil kleinerer Netzbetreiber be-
schrieben werden. Danach kann ein größeres Unternehmen relativ mehr Ge-
spräche netzintern abwickeln als ein kleineres, wodurch sich die durchschnittli-
chen Gesprächskosten für seine Kunden verbilligen. Dies kann nach Meinung
der Gutachter sogar bei gegenseitig gleichen Terminierungsentgelten zu einer
Preis-Kosten-Schere für die kleineren Rivalen führen (Koenig/Vogelsang/
Winkler, Gutachten „Marktabgrenzung und Marktbeherrschung im Bereich der
Mobilfunkterminierung“ vom 4. Oktober 2004, S. 163 f.). In diesem Zusammen-
hang ist auch zu berücksichtigen, dass der von den Mobilfunkunternehmen bis-
lang beschrittene freiwillige Absenkungspfad ein Preiskartell darstellt, welches
die an ihm beteiligten Unternehmen zum Nachteil der Wettbewerber faktisch
daran hindern kann, die kartellierten Entgelte durch vorstoßenden Wettbewerb
im Rahmen des betriebswirtschaftlich Möglichen zu unterschreiten (vgl. Säcker/
Wolf, K&R 2007, 20 <24>).
Das Gegenargument, dass streng kostenbegrenzte Terminierungsentgelte die
Entfaltung eines chancengleichen Wettbewerbs zwischen den Mobilfunknetz-
betreibern behinderten, weil sie unternehmensindividuell benötigte Einnahmen
verkürzten und die erforderliche Investitionssicherheit vereitelten, lässt die Ent-
scheidung der Bundesnetzagentur nicht als abwägungsfehlerhaft erscheinen.
Die Behörde hat hierzu erwogen, dass die Entgeltgenehmigungspflicht die Re-
gulierungsziele der Förderung chancengleichen Wettbewerbs sowie der Förde-
rung effizienter Investitionen und der Unterstützung von Innovationen auch un-
ter dem hier angesprochenen Gesichtspunkt im Ergebnis nicht beeinträchtige,
da sie die Kostendeckung garantiere: Indem Kosten der effizienten Leistungs-
bereitstellung auch eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals
einschließlich einer Rendite für das eingesetzte Eigenkapital unter Würdigung
der leistungsspezifischen Risiken umfassten (§ 31 Abs. 4 Nr. 3 TKG), sei si-
chergestellt, dass Investitionen angemessen honoriert würden (ABl BNetzA
2006 S. 2355). Dabei geht die Bundesnetzagentur in Übereinstimmung mit ihrer
bisherigen Regulierungspraxis erkennbar davon aus, dass der Kostenmaßstab
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nicht absolut, sondern in Relation zu den unternehmensspezifischen Gegeben-
heiten umzusetzen ist. Dem Effizienzkriterium entspricht kein fester Kostensatz,
sondern eine Kostenfunktion, insbesondere in Abhängigkeit von der jeweiligen
Produktionsmenge (vgl. Groebel, in: BerlKomm TKG, § 31 Rn. 22 ff.; s. auch
Schuster/Ruhle, BeckTKG, § 31 Rn. 17).
In der Gesamtschau aller Erwägungen wird nach alledem hinreichend plausi-
bel, warum die Bundesnetzagentur die von den Gutachtern Koenig/Vogelsang/
Winkler (a.a.O. S. 195 ff.) herausgestellten Vorteile der Entgeltgenehmigungs-
pflicht im Hinblick auf den Verbraucherschutz, aber auch den chancengleichen
Wettbewerb letztlich für durchschlagender gehalten hat als die dort gleichfalls
erwogenen Nachteile. Diese Bewertung der Behörde ist als Ausfluss des ihr
obliegenden Regulierungsermessens rechtlich hinzunehmen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 2 VwGO.
Dr. Bardenhewer
Dr. Hahn
Dr. Graulich
Vormeier
Dr. Bier
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
500 000 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).
Dr. Bardenhewer
Dr. Hahn
Dr. Bier
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